Mal andersherum.
Disclaimer, wie immer, ich bin kein Klavierlehrer, nur eine mittlerweile etwas fortgeschrittene Anfängerin.
Normalerweise bewegt man sich im Alltag doch auch zweckmäßig. Sprich: Unverkrampft, pragmatisch, zielorientiert, ohne sich dabei über die Stellung der einzelnen Gelenke jederzeit bewusst Rechenschaft abzulegen. Sogar beim Sport, eigentlich das Highlight der Bewegungskunst, trainiert man Bewegungsökonomie! Alles was man tut, ist darauf ausgelegt, es möglichst unaufwändig tun zu können, um Zeit-, Kraft- und Aufmerksamkeitskapazitäten für Wichtigeres frei zu haben.
So artifiziell das Bespielen eines Instruments grundsätzlich auch sein mag - gerade das Klavier ist im Vergleich mit Geige, Querflöte & Co. ein vorbildlich ergonomisches Instrument. Viel anstrengender fürs Hirn als für den Körper. Die Wellenbewegung der Handgelenke entsteht eigentlich automatisch, wenn man sich auch im Alltag zweckmäßig bewegt. Ebenso die Führung der Hand aus Ellenbogen und Schulter heraus. Ist doch einfacher, als mit den Fingern rumzuwurschteln - oder gar den schweren Arm mit der Fingerkraft zu bewegen statt umgekehrt. Das alles ist kein Selbstzweck, sondern die pragmatische Nutzung der Schwerkraft und außerdem die Grundlage von allem anderen. Mithin wichtiger als die richtigen Tasten im richtigen Augenblick "runterzudrücken". Deshalb irritiert die Anleitung "aus den Fingern spielen" zunächst. Ich bin mir fast sicher, die Lehrerin meint das Richtige, drückt sich aber komisch aus und was ankommt, ist etwas Anderes (was genau, wissen wir nicht, aber offenbar blieb genau diese Anleitung hängen). Deshalb: Das Gespräch suchen, es gibt da ein Kommunikationsproblem.
Ich will nicht wieder mit Abläufen im Gehirn anfangen, weil nicht wenige davon genervt sind.
Kinder bewegen sich in aller Regel von Natur aus zweckmäßig, oder zumindest integrieren sie zweckmäßige Bewegungen (falls sie nicht von selbst drauf kommen und sie sie gezeigt bekommen müssen) "spielend leicht", ganz ohne Bewusstseinsaufwand. Je älter der Mensch wird, desto schwerer tut er sich damit. Nicht alle tun sich gleich schwer, nota bene, aber diejenigen, die sich als Erwachsene weniger schwertun, haben entweder Glück ("Talent") oder verfügen über ein breitgestreutes Arsenal bereits angeeigneter Bewegungsabläufe. Stichworte: Basalganglien/Kleinhirn.
Worum geht es im klassischen Unterricht bzw. was ist die wichtigste Aufgabe eines Klavierlehrers oder einer Klavierlehrerin? Zu kontrollieren, ob aus Versehen "falsche Töne" gespielt werden, ob die Polyrhythmik immer noch hakelt? Das merkt man meistens selbst, manches muss man erklärt bekommen, aber dann weiß man es, fertig, dafür bedarf es keines regelmäßigen Unterrichts. Vor allem geht es im Klavierunterricht m. E. um die immerwährende Beobachtung und Optimierung der Bewegungsabläufe - DIE müssen richtig vermittelt werden, sei es durch Vormachen, Metaphern, Berühren bzw. alles zusammen. Alles andere kann man sich zur Not auch irgendwie selbst erarbeiten. Die Bewegungsabläufe müssen irgendwie so erklärt werden, dass Lernende sie UMSETZEN können. Wenn sie es nicht können, muss man es halt noch mal irgendwie anders vermitteln.
Wenn
@Marlene nach jahrelangem Unterricht erst in einer Phase der Unterrichtsfreiheit plötzlich zu den natürlichen und zweckmäßigen Bewegungen findet, klingt das zunächst verblüffend. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es nicht am vorherigen "schlechten Unterricht" liegt. Womöglich führt das wiederholt beschriebene Empfinden von "Freiheit" dazu, dass sie endlich rauslassen kann, was längst verinnerlicht, aber bislang irgendwie blockiert wurde.