Ist es die Aufgabe eines Klavierlehrers, die Schüler zu erziehen? Spätestens bei Erwachsenen sehe ich das definitiv nicht so.
Lieber Don Mias,
selbstverständlich ist die Aufgabe jeden Lehrers auch eine erzieherische, vor allem bei Kindern! Sie ergibt sich automatisch aus der gemeinsamen Arbeit und der sozialen Interaktion zwischen Lehrer und Schüler. Sie liegt darin begründet, dass der Lehrer eine Autorität inne hat - er hat einen mehr oder minder erheblichen Wissensvorsprung und die Aufgabe erhalten, den Schüler zu lehren.
Das verschafft ihm Macht und es ist entscheidend, wie er damit umgeht. Entscheidend nämlich für die Beziehung zu seinen Schülern. Mittlerweile ist es ein alter Hut, dass grundsätzlich nur in einer angenehmen und entspannten Unterrichtsatmosphäre gelernt werden kann. Der Schüler muss sich sicher und frei fühlen, um probieren, experimentieren und auch Fehler machen zu können! Das schließt Krisen und Konflikte in keinster Weise aus - die sind aber gerade dann gut zu bewältigen, wenn die Beziehung stimmt!
Übt ein Lehrer beispielsweise massiven Druck aus und sieht im Wesentlichen seine Bedürfnisse, kann die Unterrichtsatmosphäre sehr bedrückend sein. Das steht einem Lernen, bei dem der Schüler möglichst aktiv ist, sehr entgegen.
Trotzdem kann es sein, dass so ein Unterricht den einen nie wieder Klavier spielen lässt und den anderen kaum stört. Jeder Mensch ist anders, jeder bringt andere Erfahrungen mit, jeder hat andere Grenzen und Bedürfnisse. Ein und derselbe Unterricht wird bei verschiedenen Menschen verschieden ankommen. Deswegen nützt es auch nicht, wenn jemand sagt "der Typ war scheiße, aber der Unterricht war trotzdem gut". Das ist eine individuelle Erfahrung, bei der der Schüler Glück gehabt hat. Bei der ich trotzdem der Meinung bin, dass die Auswirkungen von "scheiße" nicht positiv waren.
Was Erwachsene angeht, ist dort die Machtposition des Lehrers einfach nicht so groß: der erwachsene Schüler steht auf eigenem festen Boden, hat eine klare Vorstellung von dem, was er will und kann einfach gehen, wenn es ihm nicht passt. Die Erziehung ist aber auch dort vorhanden und ergibt sich wie beim Unterricht mit Kindern aus der gemeinsamen Arbeit. Denn Üben ist immer auch ein "Sich-selbst-üben" - wir arbeiten an unseren pianistischen Fähigkeiten und automatisch an unseren persönlichen Fähigkeiten. Wer immer wieder schludert, bekommt das im Unterricht aufs Tapet gebracht und muss an sich und seiner Disziplin arbeiten, wenn es nicht ein fruchtloser Unterricht werden soll. :D Wenn ich zu Hause mir larifari zuhöre und denke "oh super", kann im Unterricht das blaue Wunder blühen.
Letztendlich kann man nur sich selbst erziehen - der Lehrer weist den Weg und versucht, eine Beziehung voll gegenseitiger Wertschätzung, Achtsamkeit und Respekt zu führen, bei der die Bedürfnisse von Lehrer
und Schüler ihren Raum finden.
„Keiner weiß besser, was ihm gut tut und für ihn notwendig ist, als der Betroffene selbst. Wir können einander also nicht beibringen, was für uns gut ist. Nicht mit noch so ausgeklügelten Techniken. Aber wir können einander dabei unterstützen, es selbst herauszufinden.“(Schmid, Peter F.: Der Personenzentrierte Ansatz Carl R. Rogers; www.pfs.kabelnet.at)
Ich sehe einen Klavierlehrer in erster Linie als professionellen Dienstleister. Bei diesem interessiert mich hauptsächlich, wie gut die Dienstleistung ist. Hierfür bin ich auch bereit, über gewisse charakterliche Defizite hinwegzusehen.
Das bedeutet, dass deine Einstellung völlig in Ordnung ist! Für dich! Für andere vielleicht nicht. Es kommt auch darauf an, welche charakterlichen Defizite aushaltbar sind und da wird jeder seine eigenen Grenzen haben. Für Klafina war das o.g. ihre Grenze.
Auch bei Lehrern gibt es viele Variationen: die einen sind ruhig, die anderen exaltiert, die einen chaotisch, die anderen strukturiert. Deshalb plädiere ich für Vielfalt, sowohl bei Lehrern wie bei Schülern. Niemals kann ein Klavierlehrer perfekt sein, sondern meine Schüler müssen sich auch mit meinen Eigenheiten rumschlagen. Perfektion gibt es eben nicht, weder in Beziehungen noch im Leben und auch nicht bei Lehrern.
Meine Werte und Vorstellungen von einem guten Klavierlehrers sind aber ganz klar die, dass er abseits fachlicher Qualitäten nicht nur sich selbst und seine Vorstellungen sieht, sondern die Bedürfnisse und Verschiedenartigkeit seiner Schüler erkennt, wahrnimmt und darauf reagieren kann.
Ich unterrichte schon lange nach dem
Gordon-Modell , einem Konfliktlösungs- und Kommunikationsmodell. Es baut auf der humanistischen Psychologie nach Carl Rogers auf und entwickelt einen Kommunikationsstil, bei dem die Bedürfnisse aller wahrgenommen werden und es bei Konflikten keinen Sieger oder Verlierer gibt. Sehr zu empfehlen! Ich habe auf meiner Website auch etwas dazu geschrieben.
Ich hatte an Schule und Uni etliche gute Lehrer, die waren menschliche Katastrophen und umgekehrt viele, die tolle Menschen aber als Lehrer ein Totalausfall waren.
Es ist klar, dass "anständige" Menschen nicht automatisch gute Lehrer sind. :) Aber zumindest sind sie Vorbilder und üben durch ihr Handeln einen Einfluss aus.
Liebe Grüße
chiarina