L
linmus
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- 29. Juli 2017
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Schönes Beispiel, nur ein klein wenig satirisch.....
aus: Heinz Strunk, Fleisch ist mein Gemüse. Eine Landjugend mit Musik, Reinbek 2004, S. 90 ff
Willen und Knochen, beides wird gebrochen
Dem Musikhaus Da Capo war eine Musikschule angeschlossen, die von Gurkis Partner Tobias Strick, genannt der schöne Tobias, geleitet wurde. Tobias war tatsächlich der einzige gut aussehende Mann weit und breit. In privaten Musikschulen werden meist Gitarre, Blockflöte und Orgel/Keyboards unterrichtet, aber bei Da Capo hatten sich seit einiger Zeit die Anfragen für Saxophon- und Querflötenunterricht gehäuft. Da Gurki sonst niemanden kannte, der diese königlichen Instrumente beherrschte, kam er schließlich auf mich. Mit einem Tag in der Woche sollte ich beginnen, und zwanzig Mark die Stunde würde es geben. Ich hatte zwar nicht die geringste Lust, willigte aber trotzdem sofort ein. Geld, Geld, Geld! An Mutter zahlte ich keinen Pfennig Miete fürs Zwergenhaus, und die Tiffanys-Gagen hatte ich zur freien Verfügung. Lediglich Auto, Zigaretten und Einbecker Bockbier musste ich selber bezahlen. Und jetzt noch der Unterricht. Ich würde jeden Abend zu Schorsch gehen, Souvlaki satt!
Zu Beginn des neuen Schuljahres fuhr ich also fortan jeden Montag nach Lüneburg, um dort verstockte Jugendliche zu unterrichten, die von ihren besser verdienenden Eltern zum Musikunterricht genötigt wurden. Gerade die Älteren hatten meist genauso wenig Lust auf das öde Getröte wie ich, und so verbrachten wir die Zeit überwiegend mit Sabbelei. Ich hörte mir Geschichten aus dem harten Alltag meiner Schutzbefohlenen an. «Und, was hast du so am Wochenende gemacht? Laberlaberlaber. Ach so.» Bei den Weibern über sechzehn interessierte mich natürlich in erster Linie, ob sich in sexueller Hinsicht schon was tat. Die meisten Gespräche waren todlangweilig, aber immer noch besser, als unwilligen Teenys in der typischen, unnatürlich gekrümmten Haltung auf dem Affeninstrument Saxophon vorzuspielen. Ab und an mussten ein paar Alibi- Übungen gemacht werden, damit die Eltern nicht misstrauisch wurden, meist aber blieben die schwergängigen Instrumente unausgepackt. Das konnte ich aber leider nicht mit allen machen, denn manchen der kleinen Quälgeister war es förmlich auf die niedrige Stirn geschrieben: Meine Eltern bezahlen viel Geld für den Privatunterricht und erwarten dafür eine Leistung. Na wartet, ihr Spatzenhirne, die sollt ihr bekommen! Euch werden die frechen Forderungen schon noch vergehen. Von der Pike auf sollten meine Schutzbefohlenen das Einmaleins der Musik lernen, mit Spaß würde das alles aber wenig zu tun haben! Mir war schließlich auch nichts geschenkt worden. Ich begann die Stunde mit endlosen Einblasstudien. Der Ansatz, so trichterte ich den eingeschüchterten Naseweisen ein, ist bei Saxophon wie Flöte wie bei überhaupt allen Blasinstrumenten die Grundlage für alles. Wer einen schlechten Ansatz und damit Ton hat, wird zum Gespött der Leute und mit Baseballschlägern windelweich geprügelt. Was ist Ansatz überhaupt? Fragezeichen. Jugendliche Fragen, Heinz Strunk erklärt in Kindersprache: das perfekte Zusammenspiel bestimmter Muskelgruppen. Das muss man üben üben üben, wie ja auch Stabhochspringer viele Jahre den immer gleichen Bewegungsablauf trainieren, bis dieser schließlich in Fleisch und Blut übergeht. Natürlich machen diese Übungen nicht gerade viel Spaß, und sie klingen auch ganz schrecklich. Sie sind aber jeden Tag exakt so zu machen, wie ich es anordne. Deine Eltern erwarten Leistung? Bitte schön!
So verging die erste Hälfte der Stunde mit unglaublich eintönigen Einblasstudien. Part eins: lange Töne. Der gesamte Umfang des Instruments musste dabei abgearbeitet und der Ton so lange ausgehalten werden, bis die Birne puterrot war. Dann folgten andere, schrecklich langweilige Etüden, die ich mir meistens einfach so ausdachte:
C, D, C, D, C, D, Ceeeeeee, D, E, D, E, D, E, Deeeeeee, E, F,
E, F, E, F, Eeeeeeeee usw.
Nachdem ich die armen Kinder mit diesem Quatsch malträtiert hatte, verdonnerte ich die uneinsichtigen Streber im zweiten Teil der Unterrichtseinheit zum Bimsen von musikalischem Elementarwissen. Wie heißt die enharmonische Verwechslung von ges? Aus welchen Tönen besteht der a-7+9-Akkord? Wie sind eigentlich die Blue Notes entstanden? Für Zehnjährige schwierige, aber mit ein bisschen gutem Willen lösbare Aufgaben. Dann Tonleiterübungen. Normalerweise fangt man mit C-Dur an, der einfachsten Tonart. Wenn die Töne einigermaßen sitzen, werden kleine Lieder gespielt. So wird die Musikalität entwickelt, und der Schüler hat schnell Erfolgserlebnisse. Dann folgen die komplizierteren Tonleitern, und auch die Stücke werden anspruchsvoller. Selbstverständlich gehören Theorie, Gehörbildung und manchmal etwas triste Übungen dazu, aber auf jeden Fall sollte der Spaß im Vordergrund stehen. Nicht so unter der harten Knute meines musikpädagogischen Konzepts. Denn Spaß kommt erst mit der perfekten Beherrschung von allem. Bevor auch nur ein Stück gespielt wird, braucht man umfassendes Wissen. Willen und Persönlichkeit müssen dazu gebrochen werden, erst, wenn der Schüler am Boden liegt und alle Viere von sich streckt, kann aus ihm etwas Neues geformt werden. In der Fremdenlegion sieht man das ebenso. Zuerst mussten die Gören also sämtliche Tonleitern beherrschen. Warum mit C-Dur, G-Dur und F-Dur beginnen, das ist langweilig und konventionell. Des-Dur, Fis-Dur und as-Moll haben doch auch eine Daseinsberechtigung. Es gibt keine unwichtigen Tonleitern, es gibt nur schlampige Lehrer. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr! Bei meinen Hochleitungsexerzitien fristeten auch verminderte, übermäßige und alterierte Tonleitern kein Schattendasein. Die Sprache der Musik ist reich, sie besteht nicht nur aus zehn Vokabeln. Die typische Aufgabe für einen Achtjährigen: Quartenübungen in Es-, As-, Des- und Ges- Dur, halb verminderte Akkorde in allen Kreuztonarten und diatonische Dreiklänge, wenn ich gnädig war, erst mal in C-Dur: C-e-g, d-f-a, e-g-h usw. Die Studien müssen sauber beherrscht werden, und wenn es sechs Wochen dauert, nun gut, dann dauert es eben sechs Wochen. Selbst wenn es sechs Jahre bräuchte, wäre das ja wohl nicht meine Schuld!
Bei diesen Anforderungen hatte ich eine hohe Fluktuation, denn das hielt natürlich niemand lange durch. Vielleicht wunderten sich Tobias oder die anderen Lehrer über die seltsamen Geräusche, die aus meinem Raum drangen, aber das ging die schließlich gar nichts an. Moderner zielorientierter Unterricht drang da heraus und kein Larifariquatsch mit Soße. Ich begann zeitweise schon um ein Uhr mittags, und Feierabend war erst abends um acht, Pausen Fehlanzeige. Durchgehend wurde getrötet und gepfiffen, und ich musste mir immer neue Sabbelthemen auf niedrigem Niveau ausdenken. Das war anstrengend. Manchmal wollten die Eltern sogar noch zuhören. Dann überkam mich immer große Lust, die verzogenen Blagen vor ihren Augen auch körperlich zur Räson zu bringen: Was, das soll ges halb vermindert sein?! Klatsch, klatsch. Wenn du vor mir schon keinen Respekt hast, dann wenigstens vor deinen armen Eltern. Los, nochmal! Na ja, ich ließ dann doch meistens Gnade vor Recht ergehen. Wie hatte Mutter das bloß die ganzen Jahre durchgehalten? Kein Wunder, dass sie verrückt geworden war.
Unendlich erleichtert tuckerte ich jeden Montagabend zurück ins Zwergenhaus und genehmigte mir anschließend immer ordentlich einen, denn das hatte ich mir verdient.
aus: Heinz Strunk, Fleisch ist mein Gemüse. Eine Landjugend mit Musik, Reinbek 2004, S. 90 ff
Willen und Knochen, beides wird gebrochen
Dem Musikhaus Da Capo war eine Musikschule angeschlossen, die von Gurkis Partner Tobias Strick, genannt der schöne Tobias, geleitet wurde. Tobias war tatsächlich der einzige gut aussehende Mann weit und breit. In privaten Musikschulen werden meist Gitarre, Blockflöte und Orgel/Keyboards unterrichtet, aber bei Da Capo hatten sich seit einiger Zeit die Anfragen für Saxophon- und Querflötenunterricht gehäuft. Da Gurki sonst niemanden kannte, der diese königlichen Instrumente beherrschte, kam er schließlich auf mich. Mit einem Tag in der Woche sollte ich beginnen, und zwanzig Mark die Stunde würde es geben. Ich hatte zwar nicht die geringste Lust, willigte aber trotzdem sofort ein. Geld, Geld, Geld! An Mutter zahlte ich keinen Pfennig Miete fürs Zwergenhaus, und die Tiffanys-Gagen hatte ich zur freien Verfügung. Lediglich Auto, Zigaretten und Einbecker Bockbier musste ich selber bezahlen. Und jetzt noch der Unterricht. Ich würde jeden Abend zu Schorsch gehen, Souvlaki satt!
Zu Beginn des neuen Schuljahres fuhr ich also fortan jeden Montag nach Lüneburg, um dort verstockte Jugendliche zu unterrichten, die von ihren besser verdienenden Eltern zum Musikunterricht genötigt wurden. Gerade die Älteren hatten meist genauso wenig Lust auf das öde Getröte wie ich, und so verbrachten wir die Zeit überwiegend mit Sabbelei. Ich hörte mir Geschichten aus dem harten Alltag meiner Schutzbefohlenen an. «Und, was hast du so am Wochenende gemacht? Laberlaberlaber. Ach so.» Bei den Weibern über sechzehn interessierte mich natürlich in erster Linie, ob sich in sexueller Hinsicht schon was tat. Die meisten Gespräche waren todlangweilig, aber immer noch besser, als unwilligen Teenys in der typischen, unnatürlich gekrümmten Haltung auf dem Affeninstrument Saxophon vorzuspielen. Ab und an mussten ein paar Alibi- Übungen gemacht werden, damit die Eltern nicht misstrauisch wurden, meist aber blieben die schwergängigen Instrumente unausgepackt. Das konnte ich aber leider nicht mit allen machen, denn manchen der kleinen Quälgeister war es förmlich auf die niedrige Stirn geschrieben: Meine Eltern bezahlen viel Geld für den Privatunterricht und erwarten dafür eine Leistung. Na wartet, ihr Spatzenhirne, die sollt ihr bekommen! Euch werden die frechen Forderungen schon noch vergehen. Von der Pike auf sollten meine Schutzbefohlenen das Einmaleins der Musik lernen, mit Spaß würde das alles aber wenig zu tun haben! Mir war schließlich auch nichts geschenkt worden. Ich begann die Stunde mit endlosen Einblasstudien. Der Ansatz, so trichterte ich den eingeschüchterten Naseweisen ein, ist bei Saxophon wie Flöte wie bei überhaupt allen Blasinstrumenten die Grundlage für alles. Wer einen schlechten Ansatz und damit Ton hat, wird zum Gespött der Leute und mit Baseballschlägern windelweich geprügelt. Was ist Ansatz überhaupt? Fragezeichen. Jugendliche Fragen, Heinz Strunk erklärt in Kindersprache: das perfekte Zusammenspiel bestimmter Muskelgruppen. Das muss man üben üben üben, wie ja auch Stabhochspringer viele Jahre den immer gleichen Bewegungsablauf trainieren, bis dieser schließlich in Fleisch und Blut übergeht. Natürlich machen diese Übungen nicht gerade viel Spaß, und sie klingen auch ganz schrecklich. Sie sind aber jeden Tag exakt so zu machen, wie ich es anordne. Deine Eltern erwarten Leistung? Bitte schön!
So verging die erste Hälfte der Stunde mit unglaublich eintönigen Einblasstudien. Part eins: lange Töne. Der gesamte Umfang des Instruments musste dabei abgearbeitet und der Ton so lange ausgehalten werden, bis die Birne puterrot war. Dann folgten andere, schrecklich langweilige Etüden, die ich mir meistens einfach so ausdachte:
C, D, C, D, C, D, Ceeeeeee, D, E, D, E, D, E, Deeeeeee, E, F,
E, F, E, F, Eeeeeeeee usw.
Nachdem ich die armen Kinder mit diesem Quatsch malträtiert hatte, verdonnerte ich die uneinsichtigen Streber im zweiten Teil der Unterrichtseinheit zum Bimsen von musikalischem Elementarwissen. Wie heißt die enharmonische Verwechslung von ges? Aus welchen Tönen besteht der a-7+9-Akkord? Wie sind eigentlich die Blue Notes entstanden? Für Zehnjährige schwierige, aber mit ein bisschen gutem Willen lösbare Aufgaben. Dann Tonleiterübungen. Normalerweise fangt man mit C-Dur an, der einfachsten Tonart. Wenn die Töne einigermaßen sitzen, werden kleine Lieder gespielt. So wird die Musikalität entwickelt, und der Schüler hat schnell Erfolgserlebnisse. Dann folgen die komplizierteren Tonleitern, und auch die Stücke werden anspruchsvoller. Selbstverständlich gehören Theorie, Gehörbildung und manchmal etwas triste Übungen dazu, aber auf jeden Fall sollte der Spaß im Vordergrund stehen. Nicht so unter der harten Knute meines musikpädagogischen Konzepts. Denn Spaß kommt erst mit der perfekten Beherrschung von allem. Bevor auch nur ein Stück gespielt wird, braucht man umfassendes Wissen. Willen und Persönlichkeit müssen dazu gebrochen werden, erst, wenn der Schüler am Boden liegt und alle Viere von sich streckt, kann aus ihm etwas Neues geformt werden. In der Fremdenlegion sieht man das ebenso. Zuerst mussten die Gören also sämtliche Tonleitern beherrschen. Warum mit C-Dur, G-Dur und F-Dur beginnen, das ist langweilig und konventionell. Des-Dur, Fis-Dur und as-Moll haben doch auch eine Daseinsberechtigung. Es gibt keine unwichtigen Tonleitern, es gibt nur schlampige Lehrer. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr! Bei meinen Hochleitungsexerzitien fristeten auch verminderte, übermäßige und alterierte Tonleitern kein Schattendasein. Die Sprache der Musik ist reich, sie besteht nicht nur aus zehn Vokabeln. Die typische Aufgabe für einen Achtjährigen: Quartenübungen in Es-, As-, Des- und Ges- Dur, halb verminderte Akkorde in allen Kreuztonarten und diatonische Dreiklänge, wenn ich gnädig war, erst mal in C-Dur: C-e-g, d-f-a, e-g-h usw. Die Studien müssen sauber beherrscht werden, und wenn es sechs Wochen dauert, nun gut, dann dauert es eben sechs Wochen. Selbst wenn es sechs Jahre bräuchte, wäre das ja wohl nicht meine Schuld!
Bei diesen Anforderungen hatte ich eine hohe Fluktuation, denn das hielt natürlich niemand lange durch. Vielleicht wunderten sich Tobias oder die anderen Lehrer über die seltsamen Geräusche, die aus meinem Raum drangen, aber das ging die schließlich gar nichts an. Moderner zielorientierter Unterricht drang da heraus und kein Larifariquatsch mit Soße. Ich begann zeitweise schon um ein Uhr mittags, und Feierabend war erst abends um acht, Pausen Fehlanzeige. Durchgehend wurde getrötet und gepfiffen, und ich musste mir immer neue Sabbelthemen auf niedrigem Niveau ausdenken. Das war anstrengend. Manchmal wollten die Eltern sogar noch zuhören. Dann überkam mich immer große Lust, die verzogenen Blagen vor ihren Augen auch körperlich zur Räson zu bringen: Was, das soll ges halb vermindert sein?! Klatsch, klatsch. Wenn du vor mir schon keinen Respekt hast, dann wenigstens vor deinen armen Eltern. Los, nochmal! Na ja, ich ließ dann doch meistens Gnade vor Recht ergehen. Wie hatte Mutter das bloß die ganzen Jahre durchgehalten? Kein Wunder, dass sie verrückt geworden war.
Unendlich erleichtert tuckerte ich jeden Montagabend zurück ins Zwergenhaus und genehmigte mir anschließend immer ordentlich einen, denn das hatte ich mir verdient.