Ich liebe diese typischen Musikerdebatten - immer schön assoziativ-mäandernd...
Motivation - die Erwartung der meisten Eltern ist, dass wir sie entlasten. Wir werden als Dienstleister gesehen, die so arbeiten, dass Eltern möglichst keinen Aufwand mehr haben, der Unterricht aber trotzdem Ergebnisse bringt. Und Stress daheim ("Hast du heute schon geühübt???") ist ein Motivationskiller nicht nur für Schüler, sondern auch für Eltern. Zu oft = Kündigung.
In der heutigen pädagogischen Debatte wird dem Faktor "intrinsische Motiavtion" ein sehr hoher Wert beigemessen."Zwang" ist völlig out.Dahinter steckt eine Sehnsuchtsprojektion von Erwachsenen, die sich im Alltag von vielen Zwängen umgeben sehen und ihren Kids das möglichst lange ("unbeschwerte Kindheit/Jugend") ersparen wollen. Auch, um notwendigen Konflikten daheim aus dem Weg zu gehen. Also sollen die Kids alles "von sich aus mit Freude" machen. Dann hat man selber nix damit zu tun, wunderbar.
Dass es sich mit Spaß an der Sache leichter lernt, ist unbestritten (Anhänger der neumodischen Neurodidaktik holen jetzt die Dopamindusche raus). Aber da das Leben nunmal kein Ponyhof ist, geht es eben darum zu lernen, wie man auch mit negativen Aspekten klarkommt.(Dazu ein schönes Buch der schweizer Pädagogin Maria Spychinger, Prof an der Musikhochschule Frankfurt/M: "Lernen ist schmerzhaft") Und ja, zuweilen zwinge ich meine Schüler dazu, sich mal mit Bach&Co (für Pubertiere in der Regel nur "bäh!") oder auch mit der Moderne zu beschäftigen. Gerade bei zeitgen. Werken sind Widerstände auf allen Seiten hoch. Nach einigen Monaten wird aber in 80% der Fälle die Neugierde und plötlzich auch der Spaß entdeckt. Vor zwei Jahren hat ein Schüler (14 Jahre) ein Werk mit rüder Faust-Tastenklopperei, Spiel mit Fingern und Schlägeln im Flügel, Tastenklappenzuhauen etc. vorgespielt. Es war mucksmäuschenstill und gab hinterher Riesenapplaus. "Spannend, sowas ist ja mal was anderes, ganz toll!" - häufige Elternrückmeldung. Wobei der "Eventcharakter" unter Berücksichtigung des optischen Erlebnisses dabei wichtig war.
Aktuell spielen zwei 12jährige vierhändig den "Nebelkanon" aus Kurtags "Jatekok". Zuerst "Häh, was'n das für'n Scheiß?", mittlerweile "Geiles Teil!". Notwendig ist aber eben ein Beharren darauf - "Das spielst du jetzt, punktum, keine Debatte!" - bei Schülern wie Eltern.
Ich selber habe keine Berührungsprobleme auch mit extremen zeitgenössischen KlimperWuchtSpielarten, da ich im Erststudium Komposition studiert hab und mich oft in Donaueschingen etc. rumtrieb.
Andererseits erstelle ich regelmäßig Arrangements für zwei Klaviere zu acht Händen. Als vor einigen Jahren meine Schüler mal ein Medley von Abba-Songs gespielt haben, gab es einige Mütter, die hinten im Saal mit glänzenden Augen tanzten.So funktioniert emotionale Kundenbindung. Und bitte - in der darauffolgenden Unterrichtsstunde dann die lang geplante Preiserhöhung (nein, -anpassung, natürlich) bekannt geben, das wird dann problemlos hingenommen, weil die Mütter noch völlig high sind: "Das war ja soooo toll, genau bei dem Song hab ich damals meinen Mann kennengelernt, hach, wie schön...!" .
Ein Kind (7 Jahre) das sichtlich nicht wollte, nie übte, dauernd Aufgabenheft und Noten vergaß, hab ich nach der Probezeit wieder rausgeschmissen.
Die üblichen Nichtübereien muss man sortieren zwischen sachorientierter Unlust (falsches Instrument? - hatte ich auch mal, nach einem Jahr Quälerei war der Wechsel auf Trompete bestens), vorübergehendem Durchhänger (so geht es mir immer mit der Steuererklärung), altersbedingter Phase oder charakterlicher Schluffigkeit. Und für sich muss man sehr kühl kalkulieren, ob man sich den Rausschmiss eines Schüler auch finanziell erlauben kann oder ob man sich weiter prostituiert.
Wir neigen dazu, uns und unsere eigene Motivation "damals" als Erwartungshaltung auf unsere Schüler zu übertragen. Aber bei weitem nicht alle sind so begabt wie wir, nicht so diszipliniert etc. Sonst würden ja alle Musik studieren. Da bildeten wir früher schon eine Ausnahme. Ich hab gerade wieder Hospitanten von der Hochschule in meinem Unterricht, die schockiert sind, wie der Alltag so läuft. Ein medaillengekrönter Hochleistungssportler erwartet ja auch nicht, dass alle seine Schützlinge vom TuS Dorfverein Europameister werden. Wir gerieren uns aber oft wie Fußballtrainer mit Bundesligalizenz, die gezwungen sind, in der Kreisliga zu arbeiten und dann über das beschissene Niveau und die schlechte Bezahlung jammern. Mehr pragmatischer Realitätssinn schon in der Ausbildung wäre hilfreich, weil desillusionierend. Ich finde auch z.B. die Seminare der EPTA oft etwas arg abghoben, Debatten über Interpretationsansätze bei Liszt haben mit meinem Unterrichtsalltag kaum zu tun. Mir selber mag es was bringen, aber der Transfer in den Alltag kann strukturbedingt kaum stattfinden.
Bin ja schon froh, wenn die Kinners überhaupt ihre Finger sortiert bekommen ("Wo ist das F? Ja, wooo ist das F???? Feinnnn.....)