Was das Hänschen nicht lernt, lernt der Hans nimmer mehr.
Dieser Spruch wird in allerhand Fäden allzu oft zitiert. Und wenn jemand sich gegen ihn ausspricht, werden Forderung an ihn gestellt, die
kulturell bedingt kaum zu erbringen sind. Aber damit täuschen sich seine Anhänger womöglich nur selbst (tja, der Mensch ist Meister darin, sich selbst zu täuschen).
Machen wir mal einen Ausflug zur Forschung an Schimpansen. Das sind recht intelligente Tiere. Z.B. verstehen sie es, Nüsse mit Hilfe von Steinen zu knacken, indem sie einen großen Stein als Unterlage verwenden, die Nuss drauf, und dann mit einem kleinen Stein die Nuss zertrümmern; manchmal stabilisieren sie sogar den großen Stein mit Hilfe eines kleineren Steines. Die jungen Schimpansen lernen diese Technik im Alter von ein paar Jahren. Wer es mit 7 Jahren noch nicht kann, lernt es später nicht mehr.
Da haben wir doch den Beweis für eure Weisheit, nicht wahr? Das zeigt doch, daß bei Primaten (auch der Mensch zählt zu den Primaten) es eine Altersgrenze für das Erlernen von Techniken gibt!
Aber die Forscher haben das weiter untersucht. Wie lernen die jungen Schimpansen die Technik? Die erwachsenen erdulden ziemliche Störungen durch die kleinen. Wenn sie Nüsse knacken, gestehen sie es ihnen zu, ein paar Kerne zu mopsen (dadurch erfahren die jungen, daß in der harten Nuss ein schmackhafter Kern steckt), die Werkzeuge zu ergreifen und damit herumzuschlagen etc. Aber wenn die jungen ungefähr 7 Jahre alt sind, ist's vorbei: da werden sie von den erwachsenen verscheucht. Und dadurch kommt dieses Grenzalter zu Stande. (Wer sich mehr für die Schimpansenforschung interessiert, möge auf die Webseite von Tomonaga und seiner Gruppe schauen:
http://www.pri.kyoto-u.ac.jp/ )
Dann nehme ich euch mit in ein kleines Kaff, in welchem ich aufwuchs (aber schon lange nicht mehr dort lebe). Als ich studierte, wurde ich von Gleichaltrigen oft gefragt: "Houst du imma nu niat ausglernt?" "Ausgelernt" - der perfektive Aspekt zu "lernen", ungefähr wie "ausgetrunken", so als ob es ein erschöpfendes Ende des Lernens geben sollte. In diesem intellektuell besonders auffälligen Dorfe ist Lernen eine Sache für Kinder und Jugendliche: nach 9 Jahren beendet man die Schule (mit oder ohne Abschluß), macht eine betriebliche Ausbildung, und danach hat man "ausgelernt"; da ist man ja schon mindestens 18 (manch einer sogar noch älter: wenn er eine Vertragsverlängerung für eine Klasse bekam), und mit 18 ist man erwachsen, da kann man doch nicht mehr lernen!
Aber auch anderswo findet sich diese Einstellung wieder. Schaut euch nur den Jugendwahn in vielen Unternehmen an: einem Erwachsenen traut man häufig nicht zu, auf dem neuesten Stand der Technik zu sein und zu bleiben; aber hier muß ich anfügen: zum Glück bessert sich das in den letzten Jahren.
Begeben wir uns nun zum Musikunterricht: er wird meistens für Kinder angeboten. Erwachsene Schüler sind in der Minderheit. Und wer spät einsteigt, ist häufig auch schon berufstätig, und hat auch gar nicht mehr das Ziel, eine Pianistenkarriere zu machen.
Und durch diesen kulturellen Umstand habt ihr eure Weisheit als sich selbst erfüllende These vor euch.