Wie lange hattet ihr Klavierunterricht?

  • Ersteller des Themas Sabrina-von-der-Ostsee
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Diese gängige Vermischung der Wahrnehmung eines Gefühls mit dem Akt einer unethischen Handlung ist mE ein großes Problem unserer christlich geprägten Kultur (ohne dass ich wüsste ob es in anderen religiösen Kontexten anders ist).
Das führt dann dazu, dass Gefühle nicht gezeigt werden dürfen, oder gleich deren Wahrnehmung unterdrückt wird.
Wir haben ja nicht freiwillig ein unangenehmes Gefühl. Wenn es gut gelaufen ist, haben wir allerdings im Rahmen unserer psychischen Entwicklung gelernt, unsere Gefühle hinreichend zu modulieren und einen Spielraum zu gewinnen, so dass wir über unseren Gefühlen stehen können und sie nicht unreflektiert unsere Handlungen beeinflussen. Klassisches - mäßig sinnvolles - Trainingsfeld dafür ist zB das Brettspiel Mensch-Ärgere-Dich-nicht.
Wenn das nicht gelingt kommt man nur so weit wie Schneewittchens Stiefmutter, als sie Schneewittchen tot glaubt:
"Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann."
 
Es gibt auf jeden Fall einen Unterschied zwischen Neid und Missgunst.

Ging es um diesen Unterschied (den ich nicht in Frage stelle)? Ich habe das eher so verstanden, dass es einen Neid ohne Missgunst gäbe. Den gibt es für mich nämlich nicht. Neid enthält immer Missgunst, ist aber nicht gleichzusetzen mit dieser. Missgunst bezieht sich auf die Person, der ich etwas nicht gönne, Neid ist sachbezogen, richtet sich auf einen Gegenstand oder eine Fähigkeit, den oder die ich selbst gerne hätte. Jemandem etwas zu neiden, ist nie gut. Was habe ich davon, jemandem den Klavierunterricht in früher Kindheit zu neiden? Daraus erwächst ganz bestimmt keine Chance auf persönliche Weiterentwicklung (was du oben erwähnt hast), ganz im Gegenteil!

Keine der sieben Todsünden ist positiv, auch nicht ansatzweise.
 
Das Verb 'beneiden' hat in meinem Sprachverständnis durchaus auch die von mir intendierte harmlose Bedeutung. Wer ein besseres Wort findet, werfe den ersten Stein!

Das genau ist offenbar der Punkt. In meinem Sprachverständnis ist Neid wie alle anderen der sieben Todsünden ausschließlich negativ behaftet (s.o.). Die deutsche Sprache hat für das, was du umschreibt, offenbar kein Wort (mir fällt zumindest keines ein).

Da ich als Lehrer intensiv daran arbeite möglichst vielen jungen Leuten genau diese verspätete und mühsame Arbeit zu erleichtern, die es mich gekostet hat einigermaßen anständig das Klavier zu bedienen, kann ich Neid im Sinne von Missgunst in diesem Kontext in mir eher nicht entdecken.

Aus genau diesem Grund und weil das das Ziel von Lehre generell ist, werden laufend neue Methoden entwickelt, Lehrpläne überarbeitet usw. Nicht selten mit der Erkenntnis Jahre später, dass die neue Methode wieder neue Probleme hinterlassen hat. Die Fremdsprachendidaktik und -methodik sieht heute anders aus als vor 30 Jahren und in 30 Jahren wird sie wieder anders sein. Alles mit dem Ziel, leichter, einfacher, ohne die ganzen Verirrungen von davor zu lernen. Doch solche Methoden gibt es nicht und wird es nie geben. Die Menschen sind einfach zu verschieden und den Königsweg für alle gibt es nicht.
 
Nein! Ich kann jemanden beneiden, ohne ihm etwas wegnehmen zu wollen oder ihn schädigen zu wollen!

Noch nicht einmal die reine Missgunst beinhaltet, dass ich jemanden schädigen will. Die dezent selbstzerstörerische Note des Neides (die du weiter oben selbst erwähnt es), ist es, was das ganze zur Todsünde werden lässt. Genauso ist es beispielsweise mit der Völlerei, die schadet auch nur mir selbst.
 
Um das unangenehme Wort "Neid" zu umgehen: Koennte man nicht sagen "ich betrachte mit Wehmut die Leute, die ..."?

Wenn ich mir das recht ueberlege, ist das genau dieses, mit einer klitzekleinen Traurigkeit verbundene Gefuehl, das ich habe, wenn ich an die Frueheinsteiger denke.

"Wehmut", das ist ein treffender Begriff. Bzgl. der Früheinsteiger habe ich das nicht, zuweilen aber, wenn ich Vögel Formation fliegen sehe. Die Vögel wechseln sich an der Spitze regelmäßig ab, die Beanspruchung wird gleichmäßig auf viele bis alle Mitglieder des Schwarms verteilt, jeder kommt in den Genuss des Windschattens. Und das alles ohne zermürbende Diskussionen, ohne Sich-Drücken, ohne Neid (!), ohne Selbstdarstellung. Ach, wäre die Menschheit nur dazu imstande ... denke ich dann wehmütig!
 
Deshalb macht man Klavierunterricht im Einzelunterricht und behandelt die Schüler unterschiedlich!!

Das ist im Einzelunterricht auf jeden Fall besser möglich als in einer Klasse, es passt dennoch nicht jeder Schüler zu jedem Lehrer. Dein Unterricht hinterlässt bei mir, bei allem, was ich von dir lese, einen ausgesprochen guten Eindruck.

So christlich, dass ich nicht gelegentlich der Völlerei mich ergebe, bin ich leider nicht!

Das wiederum macht dich sympathisch. 😊
 
In meinem Sprachverständnis ist Neid wie alle anderen der sieben Todsünden ausschließlich negativ behaftet
Das ist einer der Gründe, warum die sieben Todsünden seit der Neuzeit nicht mehr als Grundlage einer Weltauslegung, zur terminologischen Festlegung oder als Referenzsystem dienen sollten - falls es um Erkenntnisgewinn gehen soll.
Mich hat es gefreut bei der Gelegenheit wieder einmal Bosch anzuschauen:
 

Zurück zum „Klavierunterricht“: Vielleicht weckt dieses Wort ja falsche Assoziationen - Lehrer-Schüler-Hierarchie, Hausaufgaben etc. Im Sport gibt es den Trainer, und jeder ernsthafte Sportler, egal ob Profi oder Amateur, ist bestrebt, einen möglichst guten Trainer zu haben. Im Berufsleben ist die Einrichtung „Supervision“ ein wichtiges Mittel, um Arbeitsklima und -prozesse zu optimieren. Mein Lehrer ist mein „Coach“, mein Sparringspartner. Er spiegelt meine Arbeit: was funktioniert? was funktioniert nicht? welche Wirkung erzielt meine Interpretation? ist mein technische Ansatz zielführend? Er hat häufig Vorschläge und Ideen, auf die ich von selber nie gekommen wäre. Deswegen wundert es mich immer, wenn ich gefragt werde: „Wie? Du hast nach all den Jahren immer noch Unterricht?“
 
OK... :super:

Als Jugendliche beendete mein damaliger KL durch Rauswurf die "Ausbildung".

Auf diese Weise wurde auch mein Unterricht beendet.


Nicht zu meiner, denn ich habe mich durch die völlig unerwartete fristlose Kündigung sehr verletzt gefühlt. Denn noch zwei Tage zuvor hat mir der KL in einem Gespräch versichtert, dass zwischen uns alles in Ordnung sei. Ich hatte ihn angesprochen, weil ich den Eindruck hatte, dass ich mit irgendetwas sein Missfallen verursacht habe. Dies war aber – seiner Aussage zufolge – nicht der Fall.

2019 habe ich mich auf die Suche nach Unterricht begeben, weil ich immer mehr Fehler wahrgenommen habe. Meine Interpretationen haben dem Willen des Komponisten (Phrasierung, Agogik etc.) immer weniger entsprochen, es ist mir aber erst nach und nach aufgefallen.

Nach einigen Probestunden und kurzen Episoden bei zwei KL habe ich im Sommer 2022 endlich eine gute KL gefunden. Mit ihr mache ich Fortschritte, aber die Sprachbarriere steht uns immer wieder im Weg (sie ist Russin). Sie muss dann die Übersetzungsapp ihres Smartphones benutzen. Recht oft kann ich nicht nachvollziehen, was sie mir vermitteln will, ich muss dann nachfragen. Gäbe es nicht die Sprachbarriere, dann wären meine Fortschritte vermutlich noch größer. Aber ich bin sehr glücklich sie gefunden zu haben.

Vorige Woche habe ich sie auf meine Notenlegasthenie angesprochen. Nach wie vor habe ich das Problem, dass ich Noten und Akkorde nicht schnell genug erkennen kann. Das scheint nicht nur ein kognitives Problem zu sein, sondern auch eines meiner pathologisch eingeschränken Sehkraft. Immer wieder erscheinen mir die Noten (selbst bekannter Stücke) wie ein Durcheinander von Strichen und Punkten.

Ich habe ihr gesagt, dass ich voriges Jahr während der Sommerferien leichte Stücke vom Blatt gespielt habe, um meine Notenlesefähigkeit zu verbessern. Geholfen hat es aber nicht. Nach dem Gespräch vorige Woche hat sie gesagt, dass mir grundlegende Dinge fehlen würden, diese könnte ich aber erlernen.
 
Das ist einer der Gründe, warum die sieben Todsünden seit der Neuzeit nicht mehr als Grundlage einer Weltauslegung, zur terminologischen Festlegung oder als Referenzsystem dienen sollten - falls es um Erkenntnisgewinn gehen soll.
Mich hat es gefreut bei der Gelegenheit wieder einmal Bosch anzuschauen:

Grundlage einer Weltauslegung ... das habe ich jetzt aber nicht behauptet. Es kann ja jeder sagen, dass es ihm völlig egal ist, ob Neid eine Todsünde ist oder nicht, die Zeiten, in denen die 7 Todsünden als Referenzsystem dienen sollten, sind schließlich lange vorbei. Darum geht es meines Erachtens aber gar nicht, sondern um die Frage, ob Neid gut oder schlecht ist.

Wo du aber Bosch erwähnst, in der Darstellung wird der Neid treffend beschrieben, bringt neben der Missgunst sogar noch die Gier ins Spiel:
Hieronymus Bosch: „Die Sieben Todsünden“ und „Die vier letzten Dinge“
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich beneide bis heute Leute, die bereits sehr jung durch guten Unterricht und den sehr zeitigen Beginn stabile Gewohnheiten (unterbewusst) und hohe Sicherheit entwickelt haben.
Umso stolzer kannst Du sein, dass Du trotz des holprigen Starts noch Klavier studiert und jetzt konzertierender Pianist (?) und Klavierlehrer geworden bist! Das ist großartig! Ich hoffe, dass ich Dich eines Tages einmal live hören kann bei einem der Clavio-Treffen.

Und es macht auch mir Hoffnung, weil ich jetzt als Oldtimer anfangen will, bestimmte Elemente der Klavierspieltechnik "richtig" zu erlernen. Hoffentlich ist es nicht zu spät dafür .... :musik064:

(... und noch etwas zum Thema "Neid": Neid auf Kindheitsdinge ist eigentlich sinnfrei, weil man die eigene Kindheit sowieso nicht mehr ändern kann. Das einzige, was man ändern kann, ist das Heute und die eigene Zukunft. Da kann man ansetzen. Und die Kindheiten anderer Leute kann man sowieso nicht wirklich beurteilen, weil man nie das Gesamtpaket kennt, mit deren Entbehrungen und Härten, die oft im Verborgenen bleiben. Oft werden nur einzelne positive Dinge gesehen, in diesem Fall das Klavierspielen.

Das Gleiche gilt im Grunde für jegliche Vergleiche mit anderen Menschen. Man kennt nie den gesamten "Rucksack", den jemand zu tragen hat. Der kann verdammt schwer sein. Und bei den sog. "Chancen", die man im Leben vermeintlich "verpasst" hat: Hier hilft es, sich immer zu fragen: "Wer weiß, wofür es gut ist?", und dann einfach etwas abzuwarten und weiterzuarbeiten. Schon löst sich der Knoten.)
 
Auf der anderen Seite würde ich schon gern irgendwann die "Stufe" erreichen, bei der ich mich auch ohne Lehrerin befähigt fühlen würde, Stücke (also komplexere) zu erlernen, so dass sie auch klingen.
Ja, aber man kann ja trotzdem noch Unterricht nehmen. Eventuell zu speziellen Themen. Die Unterrichtseinheiten sind dann auch anders strukturiert als bei Anfängern.
Ich sehe da kein entweder-oder.
 

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