Von einer 6 auf eine 1 in zwei Monaten? Das ist aber echt selten. Darf ich ganz neugierig fragen, wie das ging und was die Schwachstelle war?
War eigentlich ziemlich einfach, im Rückblick. Ich habe anscheinend mein Gehirn mit den Jammermantra "Ich kapier nix, ich kapiers nicht" ausgeschaltet. Gleiches auch im Unterricht: Immerzu nachgefragt und bei jeder helfenden Antwort immer das gleiche innerliche Mantra. Der neue Lehrer, eine wirklich natürliche Respektsperson (Typus weiser, gerechter Humanist). bat mich nach der zweiten Stunde in sein privates Büro (war gleichzeitig 2. Direx). Dicke Ledersessel, er ließ Kaffee und Plätzchen servieren und erlaubte mir zu rauchen. Also Wertschätzung pur. Endlich mal "Erwachsener" und nicht "bekiffter Rotzlümmel" (der ich war
). Genauso gestaltete er seine Ansprache an mich.
"Lieber Herr XY" fing er an, "sie weigern sich innerlich, ihr fraglos mächtiges Hirn zu benutzen. Daher werde ich in Zukunft keine Ihrer Fragen im Unterricht mehr beantworten, da diese die anderen stören und Sie nicht weiterbringen. Bitte haben sie dafür Verständnis. Nehmen Sie bitte ein einziges Mal Ihr Mathebuch und versuchen sie ernstaft, selbst Wege und Lösungen zu finden. Ich lasse sie aber nicht hängen - sondern stehe ihnen gerne jeden Tag (!!!) ab 16.00 Uhr zur Verfügung, um Ihnen zu helfen und Ihre Fragen zu beantworten...". Also keine einseitigen Forderungen, sondern großes Engagement.
Nun muss man dazu noch wissen, dass dieser Lehrer eben nicht trockene abstrakte Mathematik unterrichtete, sondern es verstand, Mathematik in aktuelle Anwendungsbezüge zu setzen. Das war wirklich faszinierend und ich wollte unbedingt an diesem für mich neuen Zugang teilhaben. Gleichzeitig hatte ich als Fahrschüler natürlich wenig Bock, die angebotene Nachhilfe (dieses Unwort fiel übrigens nie!) in Anspruch zu nehmen.
Ich habe mich also tatsächlich das erste Mal so richtig reingekniet: Mathebuch (uih, das gibts ja auch!) aufgeschlagen und mir selbstständig alte Aufgaben nachträglich erarbeitet. Um den Erfolg zu kontrollieren, bin ich anschließend ein einziges Mal in die "private Stunde". Wieder gab es Kaffee & Plätzchen, wieder durfte ich rauchen, während der Lehrer in Ruhe meine Sachen durchging. Dann gabs großes Lob und den ENTSCHEIDENDEN Hinweis, dass ich - wenn ich mir alten Stoff erwiesenermaßen selbst aneignen könne - dies doch genauso gut mit zukünftigem Stoff zu tun vermöge und die Stunde nicht zum Erstkontakt mit der Materie, sondern zur Vertiefung und Verankerung nutzen könne. Die Hausaufgaben seinen dann ja nur noch die dritte Wiederholung und hierdurch so schnell zu erledigen, dass die Zeit für das "Vorlernen" dabei herausspränge.
Und so war es auch. Hausaufgaben im klassischen Sinne gingen ratzfatz. Das Vorlernen war spannend, weil nichts eingetrichtert wurde, sondern man eine "Entdeckungsfahrt" genoss. Also
"Entdecken & Ausprobieren" statt "Büffeln". Im Unterricht gabs keine Fragen mehr von mir - nur noch Lösungen. Während alle schwitzten und ackerten, war mir alles klar und ich saß damals wohl recht oft mit überheblichem Grinsen in der hintersten Bank.
Nach vielleicht vier Wochen wurde ich dann das erste Mal via Sekretärin beauftragt, "Unterricht zu halten", wenn der Vizechef eben 20 Minuten später kam. Dieses Vorlernsystem habe ich natürlich auf alle Fächer angewendet. Der Erfolg war gigantisch. Auf einmal war Schule geil & total relaxed.
Und Belohnungen gab es auch. Das war damals eine FOS, also ein Schule voller Realschulaufsteiger (wenige) und vieler gymnasialer Absteiger. Trotz Volljährigkeit galt die eiserne Regel: Maximal 5 Selbstentschuldigungen pro Jahr - ansonsten sofortige Entlassung. Ging tatsächlich nicht anders. Nach gut einem Vierteljahr wurde ich wieder zum Vize gerufen. Man sei über meine Fortschritte erstaunt und höchst erfreut. Das würde zeigen, dass ich kapiert hätte, was es heißt erwachsen zu sein. Er würde mir in Zukunft blind vertrauen. Und daher könne ich nun (als einziger Schüler - waaaaah!) zum Unterricht erscheinen, wann es mir beliebe. Einzige Bedingung: Die ganzen Einser müssen bleiben. Manno, war das geil! Manchmal bin ich eine ganze Woche nicht in den Unterricht, habe zuhause aber gelernt und meist in diesen Phasen meinen Vorsprung noch vergrößert.
Oder erst um 10 kommen, um 11 auf ein Bierchen/Joint verschwinden und um 12 wieder da sein. Alles war erlaubt. Ich war VIP, ich war der Schülergott
Und ich hätte mir den Arsch aufgerissen, um diesen Status ja nicht wieder zu verlieren.
Also: Wertschätzung, Wettschätzung, Wertschätzung!!! Dann Impuls mit Überprüfung der "Wirksamkeit". Danach Zuckerbrot.
Niemals Peitsche.
Ich bin sicher der Lehrer hat damals seine Befugnisse weit überschritten - aber auch das gehört zu einem guten Lehrer dazu. Sowas gibts wohl heute nicht mehr.
Übrigens: das "Mögen", das Rastaman beschreibt - das war für mich immer ein Zeichen der Hilflosigkeit und ging mir am A... vorbei. Was ich brauchte, waren Respekt & Wertschätzung. Aber eben nicht von Losern, sondern von Leuten, die ich auch respektierte. Eigentlich fast der Ehrenkodex einer Gangsta-Gang