...wenn ich jetzt verrate, dass ich eigentlich Zweifel am wortreichen Gordongekuschel habe, kriege ich sicher was auf die Mütze...
Lieber rolf,
ich gebe dir zwar gern was auf die Mütze bzw. den Helm
, aber heute stürmt Sabine, das reicht völlig.
Deine Zweifel sind absolut verständlich und ich schreibe ja deshalb in diesem Faden so
, weil ich zu den Fragen und Zweifeln Stellung beziehen will. Dazu gehört auch, immer wiederkehrende Missverständnisse aufzuklären.
Erstes Missverständnis: das Gordon-Modell selbst ist keinesfalls wortreich! Im Gegenteil braucht man für eine Ich-Botschaft nur ein bis zwei Sätze. Beim aktiven Zuhören spiegelt man nur das, was man vom anderen verstanden hat und redet nicht von eigenen Dingen.
Das erzeugt eine große Klarheit in der Sprache. Man kommt sofort auf den Punkt und labert nicht.
Die innere Haltung, die hinter dem Modell steht (humanistische Psychologie nach Rogers) und natürlich auch das Modell selbst ist für mich allerdings manchmal schwer verständlich zu machen, besonders in ein paar Forumbeiträgen. Ich kann nur empfehlen, bei Interesse auf die links zu klicken (
https://www.carlrogers.de/) und Bücher zu lesen. Missverständnisse und Kritik entstehen ja auch deswegen, weil ich hier die Dinge nur anreißen kann.
Wenn also auch ich hier wortreich war - das Gordon-Modell ist es nicht.
In dem Zusammenhang gilt meine absolute Unterstützung @hasenbeins Post ! Fragen zu stellen, wenn man eine Aufforderung meint und eigentlich keine Ablehnung zulassen will, ist unklar in der Kommunikation. Das wirkt sich besonders bei kleinen Kindern sofort negativ aus - die müssen immer wissen, woran sie sind, sonst machen sie halt, was SIE wollen.
Ein weiteres Missverständnis ist die Meinung, das Modell wäre "kuschelig", soft, weichgespült!
Im Gegenteil bringt es die Dinge auf den Punkt, ist sehr klar und fordert heraus - zu Beginn dieses Fadens wurde ich ja eher kritisiert, weil ich nicht im Unterricht sagen dürfe, wenn ich mich ärgere. Ich bemühe mich sehr, sowohl im Unterricht wie im Leben präsent und klar zu sein. Natürlich gehört ein echtes Interesse am anderen dazu sowie Empathie (was alles auch für sich selbst gilt), aber das wird man hoffentlich nicht als weichgespült bezeichnen.
Ein weiteres Missverständnis betrifft die sog. Strenge, zu der auch Strafen gehören. Meiner Meinung verliere ich an Autorität, wenn ich bei Nicht-Üben des Schülers Strafen verhänge, Eltern anrufe etc.. Brauche ich sowas wirklich? Reicht es nicht, wenn ICH SAGE, wie mir dabei zumute ist? Und ich kann euch nur versichern, dass es immer reicht und deutlich mehr Eindruck macht als irgendeine Strafe oder ein Anruf bei Eltern!
Das letzte Missverständnis: ich habe schon mehrmals geschrieben, dass Kommunikationssperren dann die Kommunikation behindern, wenn sie in einem Konflikt oder einer problembehafteten Situation angewandt werden.
Nun zu Annas Problem:
In der Unterrichtsstunde mit dem Zweitklässler (also um die 7/8 Jahre alt) hast du das Problem, nicht das machen zu können, was du möchtest, weil dein Schüler müde wird. Er fragt ständig nach Pausen und danach, wann die Stunde zu Ende ist:
Obwohl er "so gerne spielt", war er plötzlich total erschöpft, lustlos und hat ständig gefragt, wann die Stunde zu Ende ist......
Du fragst dich:
wenn "normaler" Klavierunterricht zu anstrengend ist, was soll man denn im Unterricht machen ?
Die Frage ist, was denn "normaler Klavierunterricht" ist! Menschen lernen in unterschiedlichen Altersgruppen und Entwicklungsstufen völlig anders, abgesehen davon, dass auch im gleichen Alter die Fähigkeiten und Charaktereigenschaften sehr differieren (glücklicherweise!
). Das bedeutet jeweils einen sehr unterschiedlichen, individuellen Unterricht.
7- oder 8jährige Kinder (und nicht nur die) sind sehr, sehr unterschiedlich in ihrer Entwicklung: manche sind noch sehr verspielt, manche können sich unglaublich gut konzentrieren u.v.a..... . Auch da muss man den Unterricht an die Fähigkeiten und Bedürfnisse anpassen, sonst geht er schief.
Es ist also wichtig, zu wissen, wie kleine(re) Kinder lernen und welche Fähigkeiten sie mitbringen. Sie haben Bedürfnisse und diese bestimmen die Anforderungen an einen gelungenen Unterricht.
Diese Kinder lernen vor allem im Spiel, mit allen Sinnen und vor allem mit Bewegung! Sie greifen und be-greifen, sie sind unglaublich erfinderisch und kreativ, Spiele ihren Bedürfnissen anzupassen. Sie können noch nicht so lange still sitzen und sie haben Grenzen in der rein kognitiven Beschäftigung.
@Barratt hat völlig Recht, wenn sie sagt, dass der Schüler einfach erschöpft ist.
Ein "normaler" Klavierunterricht für Kinder diesen Alters, vor allem, wenn sie noch sehr verspielt sind, berücksichtigt dies! Lerninhalte werden von verschiedenen Seiten angeboten, Abwechslung mit viel Bewegung ist nötig, das Spiel und das spielerische Entdecken nimmt einen zentralen Platz ein. Das Kind sollte voll bei der Sache sein und lernt fast "nebenbei", in der Beschäftigung mit den musikalischen und klaviertechnischen Inhalten.
Das bedeutet, verschiedene "Settings" im Unterricht zu haben:
- am Klavier (Lieder nach Gehör spielen, begleiten (anfangs mit einfachen Quinten), transponieren, improvisieren, komponieren, Orientierung auf dem Tastengelände, Kennenlernen des Instruments, Stücke spielen ...)
- Sitzkreis, bei einem Schüler halt ein Gegenüber (Einführung von Lerninhalten, von Stücken anhand kleiner Geschichten, Einführung oder Erfinden von Reimen, die gleich vertont und evtl. aufgeschrieben werden .....)
- ein Tisch (Bilder malen mit graphischer Notation, die dann gespielt werden, Einführung in die Notenschrift, Fingerspiele, Spiel mit Knete, Tastspiele....)
- eine freie Fläche (Musik und Bewegung, Rhythmusspiele mit Gehen, Klatschen ....) .
Also niemals nur am Klavier sitzen! Bei Anzeichen von Erschöpfung das Setting wechseln und vor allem Bewegung einbauen!
Da vergeht die Zeit wie im Flug - ich mache immer 60 Minuten mit solchen Kindern, teilweise bei geeigneten Partnern anfangs als Gruppenunterricht zu zweit oder überlappend, z.B. 30 Minuten Einzelunterricht (1. Schüler) 30 Minuten Gruppenunterricht, 30 Minuten Einzelunterricht (2. Schüler).
Wenn dein Schüler glücklich mit O Tannenbaum ist, kannst du diese Motivation wunderbar nutzen. Er kann das Lied transponieren, mal mit rechts, mit links, mal unisono mit dir zusammen vierhändig spielen. Er kann das Lied mit einfach Quinten begleiten. Du könntest die dreiteilige Form des Liedes mit ihm herausarbeiten, dazu erklären, dass es nicht nur in Deutsch in der Schule, in unserer Sprache Sätze mit Punkten und Kommata gibt, sondern auch in der Musik. Wann ist ein Satz zu Ende (vielleicht Stopp rufen), wieviel Teile sind es? Gibt es da Ähnlichkeiten? Das Ganze machst du natürlich im Stehen auf der freien Fläche. Dann kann man das Lied singen und zu jedem verschiedenen Teil eine andere Bewegung finden (Teil A klatschen auf die Oberschenkel, Teil B auf den Kopf - Kinder finden das total lustig und haben die tollsten Ideen - Teil A wieder auf die Oberschenkel// oder im Raum bewegen...). Man kann auch Orffsches Instrumentarium nutzen - eine Holzblocktrommel, Klangstäbe etc. habe ich oft dabei. Dein Schüler kann auch O Tannenbaum mal traurig, fröhlich, wütend spielen - was verändert sich, wie mache ich das....? Dabei lernt der Schüler eine Menge.
Du kannst das Ohr schulen (Hörspiele sind ein sehr wichtiges Element jeder Stunde), indem du im Raum an verschiedene Gegenstände klopfst und der Schüler muss raten, wo. Bei Spielen immer tauschen - du bist im Einzelunterricht der Spielpartner. Das kann man auch beim Instrument machen. Eine kleine Melodie aus drei Tönen vorspielen - nachspielen lassen - tauschen.
Die Orientierung auf der Klaviatur ähnlich angehen: schau mal aus dem Fenster, welches von den vielen c's spiele ich nun (Pedal)? Tauschen. Augen zu und durch Fühlen rauskriegen, wo das d ist. Und andere Töne. Ratespiele sind sehr beliebt. Dann: was kann ich mit einer Taste anstellen, was höre ich, was fühle ich?
Augen zu, durch den Raum führen lassen und Gegenstände berühren: was könnte das sein, wie fühlt sich das an? (Tastsinn schulen, speziell der Fingerkuppen)
Musik und Bewegung: bei hohen Tönen streckst du die Arme weit hoch, bei tiefen Tönen wirst/legst du dich auf den Boden, bei mittleren ganz normal stehen/laufen/bewegen. Kindgerechte Stücke spielen (Clowns/Galopp von Kabalewski, Armes Waisenkind von Schumann u.v.a. ...dazu bewegen, Teile herausfinden......).
Kleine Reime vertonen und aufschreiben, Lieder nach Gehör spielen und aufschreiben. Schreiben zeigt oft, wo es an den Grundlagen hapert.
Es gibt so viel, was den Tastsinn, das Gehör, den Umgang mit dem Instrument schult und somit die Grundlagen herausbildet, die du bei deinem Schüler vermisst. Greif die Ideen deines Schülers auf - die werden kommen.
Bei Dingen, die wichtig sind, z.B. Rhythmusschulung durch Gehen, Klatschen o.ä., binde die Eltern mit ein und bitte sie, darauf zu achten, dass der Schüler das zu Hause macht. Es könnte immerhin sein, dass er vor lauter Spielen solche Dinge vergisst.
Viel Erfolg und liebe Grüße
chiarina