Wie geht Ihr mit Konflikten im Klavierunterricht um?

...wenn ein Pubertier vehement rebelliert, aber in einer Gordon-geschulten Familie aufgewachsen ist (also vom stillen bis zur ersten Freundin mit Ichbotschaften perfekt erzogen usw) - was machen die Gordon-Eltern, wenn der Pubertier ganz speziell gegen diese Art und Weise aufmüpft?
...das stelle ich mir heikel vor...
(vielleicht ist der, von dem @Barratt berichtet hat, so einer?)
 
das @Demian habe ich in diese Diskussion hereinbringen wollen

Dazu müsstest du ein ganz anderes Beispiel bringen:

KL: Kleinrolfi, üb mal gefälligst! Deine Patschehändchen bringen keinen einzigen vernünftigen Ton hervor!
Kleinrolfi: Buhu, Tante chiarina, du bist aber gemein! Willst du nicht mal eine Ich-Botschaft herausbringen?
KL: ICH heiße nicht Tante sondern Frau und du sagst außerdem Sie, sonst gibt's ein paar hinter die Löffel!
Kleinrolfi (weint bitterlich): Du böse Klavierlehrerin. Du drohst mir, das ist eine Kommunikationssperre!
KL: Das ist nicht mein Problem, DU bist der Problembesitzer!
Kleinrolfi (schluchzt): Bäh, buhuhuhu, du könntest mir wenigstens aktiv zuhören!
KL: Würde ich ja, wenn ich mal was Vernünftiges von dir hören würde! Vielleicht mal ein paar Töne Mozart oder Bach.
Kleinrolfi: Buhuhu, ich hab ja nicht geübt.... .

Und so müssen wir zutiefst betrübt feststellen, dass aufgrund seiner Klavierlehrerin der arme Kleinrolfi sich zu einem kommunikationstechnisch deutlich unterentwickelten Charakter entfaltete. :020: Dennoch wollen wir nicht aufgeben! Man hat schon Pferde kotzen sehen! :chr03:
 
Tja, das ist halt das Ding: So nett und sympathisch und sicherlich auch fachlich gut Chiarina ist - dieses Befolgen dieser Gordonregeln ist genau das Gegenteil von Authentischsein!

Fachlich es draufhaben + die ehrliche, authentische Haltung ausstrahlen, dass man (egal ob man gerade mal streng ist mit dem Schüler oder nicht) ihn als Menschen wertschätzt und Kritik somit NIE als Abwertung des Menschen gemeint ist. DAS sind die zentralen Ingredienzen, die man braucht.

Es gibt keine Gordonregeln!

Es ist etwas mühselig für mich, dauernd Dinge richtig zu stellen, die von Leuten vertreten werden, die sich mit der ganzen Sache überhaupt nicht auskennen. Wen es interessiert, der kann gern das Buch lesen oder zu mir kommen.... . :heilig:
 
...wenn ein Pubertier vehement rebelliert, aber in einer Gordon-geschulten Familie aufgewachsen ist (also vom stillen bis zur ersten Freundin mit Ichbotschaften perfekt erzogen usw) - was machen die Gordon-Eltern, wenn der Pubertier ganz speziell gegen diese Art und Weise aufmüpft?
...das stelle ich mir heikel vor...

... dann gehe ich davon aus, dass sowohl Gordon-Eltern als auch Gordon-Kind nicht ganz auf den Kopf gefallen sind. Es bietet sich die Gordon-Parodie als Theaterszene an.;-)

Kleine Zusatzbemerkung: Ich konnte im Lehrer-Schüler-Kontext noch nie so recht mit dem Adjektiv "streng" was anfangen. Mich mutet es schlicht klischeehaft an. Und, ach ja, ich habe in insgesamt 37 Jahren (viel mehr werden es auch nicht mehr werden) an der Schule noch immer keinen Burnout.
Und unsere eigenen Jungs haben wir zu ungefähr 99,37% ohne Strafen erzogen. Komisch, dass die mit beiden Beinen im Leben stehen, empathisch, hilfsbereit und - oh Gott! - auch noch familienorientiert sind.
 
Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es nur die Idee, eine Zusammenkunft entstehen zu lassen, bei der sich der eine (in diesem Fall der Lehrer) mit seinen Bedürfnissen nicht wichtiger oder bedeutsamer nehmen soll als das Gegenüber, in diesem Fall der Schüler. Der Grund scheint mir zu sein, dass alles andere zu verhärteten Fronten führen kann und dadurch in einer Wir-Situation (der Unterricht) für jeden Einzelnen die Ich-Situation im Vordergrund stehen würde und dadurch einen konstruktiven Unterricht verhindert.

Richtig verstanden?

Sorry für die Beanspruchung deiner Geduld,@chiarina.
 
Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es nur die Idee, eine Zusammenkunft entstehen zu lassen, bei der sich der eine (in diesem Fall der Lehrer) mit seinen Bedürfnissen nicht wichtiger oder bedeutsamer nehmen soll als das Gegenüber, in diesem Fall der Schüler. Der Grund scheint mir zu sein, dass alles andere zu verhärteten Fronten führen kann und dadurch in einer Wir-Situation (der Unterricht) für jeden Einzelnen die Ich-Situation im Vordergrund stehen würde und dadurch einen konstruktiven Unterricht verhindert.

Richtig verstanden?

Sorry für die Beanspruchung deiner Geduld,@chiarina. dein

So ungefähr! Das Gordon-Modell ist auch nur eine Methode und jede Methode hat Schwächen bzw. kann in einer Situation nicht sinnvoll sein. Viel entscheidender ist die innere Haltung, die hinter dem Modell steckt und das sind die Grundsätze der humanistischen Psychologie.

Diese sieht es als zutiefst inhuman an, wenn eine Lösung Gewinner und Verlierer hervorbringt. Dass also nur die Bedürfnisse einer Partei berücksichtigt würden zu Lasten einer anderen Partei. Das würde bei den "Verlierern" zu Unmut, dem Gefühl, ungerecht und ungleich behandelt zu werden führen und ihre Entwicklung behindern. Und weitere negative Auswirkungen haben.

Deshalb werden Bedürfnisse immer gleichberechtigt angesehen, auch zwischen Lehrer und Schüler.

Das Gordon-Modell ist deshalb sehr wertvoll, weil man mit ihm und den Möglichkeiten, die es bietet, eine Konfliktsituation sehr gut klären kann - außerhalb von Konflikten redet man natürlich, wie einem der Schnabel gewachsen ist.

Liebe Grüße

chiarina

P.S.: Im Übrigen hat man auch in Konfliktsituationen große Freiheit. Wenn man z.B. keine Lust oder Kraft hat, aktiv zuzuhören, dann sollte man es auch nicht tun - bringt dann sowieso nichts. :)
 
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Da wirds doch interessant: welche Situationen sind das? Bis jetzt hast du nur quasi das Loblied gesungen - also: wann klappts nicht und warum?

Ich kann auch nur ein Loblied singen - ich arbeite damit nun schon seit 25 Jahren und habe nicht eine Situation erlebt, in dem es die Situation nicht nachhaltig geklärt hätte!

Es ist allerdings nicht einfach zu verstehen und anzuwenden. Darin liegt vielleicht ein Nachteil. Das Schwierigste finde ich, an der notwendigen inneren Haltung zu arbeiten. Also Menschen nicht in Schubladen zu stecken und ihnen die Schuld an etwas zu geben, womit man nicht zufrieden ist.

Es ist z.B. sehr bequem zu sagen, der Schüler ist schuld, er soll sich mal zusammenreißen. Es ist aber nicht human, denn der Schüler hat einen Grund für seine Verhaltensweisen, den wir noch nicht kennen.
"An einem immer wieder gern zitierten Beispiel aus dem Alltagi verdeutlicht der Heidelberger Familientherapeut Fritz Simon den Unterschied zwischen der isolierten Beobachtung eines einzelnen und seines "problematischen" Verhaltens einerseits und der systemischen Betrachtungsweise andererseits:ii "Stellen Sie sich also vor, daß Sie noch nie etwas vom Fußball gehört haben (nicht dem Ball, nicht dem Spiel): Sie wissen nicht, daß es solch ein Spiel gibt, kennen die Regeln nicht...Nun verschlägt Sie ein glücklicher oder unglücklicher Zufall eines Tages auf die Tribüne eines Stadions. Auf dem Spielfeld befinden sich 22 Spieler, ein Schiedsrichter, 2 Linienrichter und ein Ball." Simon schlägt nun vor, der Beobachter solle sich alle anderen Spieler als unsichtbar wegdenken und nur den Schiedsrichter allein betrachten. "Was denken Sie über diesen erwachsenen Mann, der da in kurzen schwarzen Hosen auf dem Rasen hin- und herhetzt, gelegentlich mit einer gelben Karte herumfummelt, in eine Trillerpfeife bläst, (Selbst)gespräche führt, schimpft, ermahnt, Grimassen schneidet und wild gestikuliert?" Der Beobachter würde zwangsläufig zu dem Schluß kommen, bei diesem Mann sei "eine Schraube locker", er sei nicht ganz normal. Erst wenn man die Mitspieler in den Blick nimmt und die Interaktionen untereinander beobachtet, kann man nach einiger Zeit bestimmte Regeln erkennen, und dann ergibt das Verhalten des Schiedsrichters einen Sinn. Genauso erhalten auch in anderen zwischenmenschlichen Bereichen "Verhaltensweisen ihre Bedeutung als verrückt oder normal erst in dem Rahmen, in den sie gestellt werden."iii Manches augenscheinlich "verrückte" Verhalten macht also in einem entsprechenden Kontext durchaus Sinn, auch in Familien.https://www.wetter-parasie.de/images/SystemischeTherapie.pdf"

Die Anwendung des Gordon-Modells erfordert auch eine Menge Übung und Arbeit an seiner inneren Haltung, Widerstände nicht persönlich zu nehmen und anzunehmen. Es benötigt auch eine Menge Reflexion und Nachdenken über sich selbst, über die eigenen Bedürfnisse. Gern nimmt man seine Bedürfnisse wichtiger als die anderer.

Mir spricht die Überzeugung der humanistischen Psychologie und des Gordon-Modells aus der Seele, denn sie ist auch sehr human zu mir. Ich kann so sein wie ich bin und kann meine Bedürfnisse äußern, ohne den anderen anzugreifen. Ich kann mich selbst vertreten und bin dann auch offen für den anderen und seine Bedürfnisse. Es ist unglaublich, wie hilfreich das Gordon-Modell dabei ist, sowohl sich wie auch die anderen zu verstehen. Das entspricht meiner Vorstellung eines Zusammenlebens von Menschen.

Ich glaube aber auch, dass Konflikte je nach Persönlichkeit anders gelöst werden können. Es ist nicht jeder gleich und es gibt sicher Menschen, für die das Gordon-Modell nichts ist. @hasenbein hat wie jeder andere Lehrer auch Konflikte mit seinen Schülern und wird vermutlich anders reagieren - dabei können trotzdem Konflikte gelöst werden. Es gibt auch andere Kommunikationsmodelle (Rosenberg ...) - ich glaube, dass nicht jeder für alles geeignet ist, zumal beim Gordon-Modell die Übereinstimmung mit den Annahmen Rogers gegeben sein muss. Die hat auch nicht jeder.

Was Konflikte angeht: man wird natürlich nicht bei jedem Problemchen ein Riesenfass aufmachen. Aber wenn man das Gefühl hat als Lehrer, da stimmt was nicht, da ist was grundsätzlich nicht in Ordnung, die gemeinsame Arbeit ist gestört o.ä., dann bietet das Gordon-Modell die für mich weitaus besten Möglichkeiten, Klarheit in die Situation zu bringen und das Wichtigste zu einer Konfliktlösung zu leisten: Verständnis für den anderen und sich selbst, Klärung der unterschiedlichen Bedürfnisse.

Liebe Grüße

chiarina
 
Zuletzt bearbeitet:
Verständnis für den anderen und sich selbst, Klärung der unterschiedlichen Bedürfnisse.
Ergänzend dazu fällt mir der Satz ein: „Bevor ein Kind Probleme macht, hat es welche.“ Diese Möglichkeit sollte man immer im Auge behalten.

Das schließt allerdings nicht aus, dass man klar und deutlich kommuniziert, dass z.B. Grenzen überschritten worden sind. Und natürlich entschuldigt dieser Satz auch bei weitem nicht alles. Aber er ist immer einen Gedanken wert, um nicht zu schnelle und dadurch falsche Urteile zu fällen.
 
Also.

Wenn ICH als KL ein professionelles Setting "Klavierunterricht" anbiete, für das Geld fließt, verpflichte ich mich einerseits zu bestimmten Dingen (pünktlich da sein, versprochene Zeitdauer unterrichten, Ahnung haben, gut unterrichten, den Schüler menschlich gut behandeln usw.), andererseits erwarte ich bestimmte Dinge vom Schüler (pünktlich da sein, geübt haben, sich ordentlich benehmen, sich angemessen bemühen & konzentrieren usw.).

Diese Rahmenbedingungen werden von MIR gesetzt, ICH bin ganz eindeutig der Chef in dieser Interaktion. Der Schüler hat selbstverständlich das Recht, von vornherein zu wissen, was die Regeln sind und was von ihm erwartet wird, wenn er Klavierunterricht nimmt; aber dann hat er sich entweder nach diesen Regeln zu richten, oder - wenn er sie in wiederholter oder exorbitanter Weise verletzt - er muss die Konsequenzen tragen (z.B. Rausschmiss).

Ich bringe als Vergleich und "Reality Check" immer ganz gerne den Sportverein: Wenn Fritzchen in den Fußballverein geht, ist Obiges klar wie Kloßbrühe, denn die Mannschaft kann "Quertreiber" absolut nicht gebrauchen, und niemand fragt nach Fritzchens "Bedürfnissen". Was gespielt wird und dessen Regeln sind 100% klar, entweder man macht das mit, oder man kommt entweder vom Spielfeld oder man ist ganz raus aus dem Verein.

Ganz so ist es im Klavierunterricht natürlich nicht (außer bei den "Hardcore-Russen-Lehrern", die es ja auch gibt), aber dennoch: Es handelt sich NICHT um eine Begegnung auf Augenhöhe, bei der zwei "sich ihre Bedürfnisse mitteilen", sondern um MEIN (des KL) Setting.

Dass z.B. in den Schulen heutzutage so viel Chaos herrscht, liegt unter anderem genau daran: dass aufgrund völlig weltfremder Pädagogik-Ideologien den Schülern eine viel zu hohe Position in der Hierarchie eingeräumt wird. Es ist ja verständlich, warum dies geschah: Man wollte nach den Schrecken der Diktatur Möglichkeiten der Erziehung und des Umgangs finden, die einer Demokratie und offenen Gesellschaft angemessen sind und den Rückfall in Gewalt und Despotismus verhindern. Sehr gutes und wichtiges Ziel! Nur hat man im Zuge dessen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, und die Folgen haben u.a. die Schullehrer zu tragen.

Ein Mensch MUSS, damit er ein reifer, in einer Gesellschaft funktionierender, verantwortlicher Mensch werden kann, auch lernen, damit umzugehen, dass es Situationen gibt, in denen es NICHT um "seine Bedürfnisse" (was sind eigentlich die "Bedürfnisse" eines Pubertierenden?? Hm?) geht, sondern denen er sich unterordnen muss, und dass, wenn er das nicht will oder nicht kann, er nicht mehr Teil dieser Situation sein kann.
 

Es ist etwas mühselig für mich, dauernd Dinge richtig zu stellen, die von Leuten vertreten werden, die sich mit der ganzen Sache überhaupt nicht auskennen.
Ich-Botschaft meinerseits: Ich spüre das und ich fühle mich unbehaglich dabei. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, beckmesserisch aufzutreten oder eine Debatte zu führen (Du kennst den Unterschied zwischen Debatte und Diskussion).

Liebe Chiarina, ich schätze den Impetus, den Du in die Darlegung Deiner grundsätzlichen Herangehensweise legst. Wie ich bereits sagte, grundsätzlich teile ich Deine Sicht. Wenn ich mit Lebewesen (egal ob menschliche oder nichtmenschliche) zusammentreffe bzw. zusammenarbeite, steht am Anfang immer der Respekt vor dem Gegenüber ("goldene Regel").

Mein Bedürfnis ist, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht.

Bleibt dieses mein Bedürfnis unbefriedigt, hängt meine Reaktion vom Setting ab. Normalerweise würde ich aus der Situation gehen (verkürzt: "Kein Bock auf Ar***er"), die meisten anderen sicher auch.

Situationen, die die Fortsetzung der Interaktion erfordern (Familie, Arbeitsplatz, [Schul]Unterricht), gehören leider nicht zu den Settings, aus denen man sich einfach herausnehmen kann. Es geht um existenziell wichtige Ziele, die ab einem bestimmten Punkt nicht mehr verhandelbar sind.

Menschen sind Lebewesen, die in Gruppen leben, seit Millionen von Jahren, und als solche haben sie das Bedürfnis nach Führung (Regeln). Wo es keine Regeln gibt, keine "grundsätzliche Richtung", wo es "egal" ist, wie Einzelne oder Untergruppen sich verhalten, fühlen Menschen sich unsicher und damit unwohl. Auf welche Weise die Regeln aufgestellt bzw. ausgehandelt werden, ist (fast) gar nicht so wichtig, wichtig ist, dass es Regeln gibt und dass die Regeln für alle gelten (dass alle sich zumindest grundsätzlich aus Einsicht in die Notwendigkeit den Regeln unterwerfen).

Es handelt sich NICHT um eine Begegnung auf Augenhöhe, bei der zwei "sich ihre Bedürfnisse mitteilen"

Begegnungen auf Augenhöhe in diesem Sinn gibt es nur in der ("echten") Freundschaft. In allen anderen Interaktionen gibt es ein mehr oder weniger komplexes Geflecht aus Rollen, Regeln, Hierarchien und Interessen. Das ist nichts Böses, sondern entspricht einem evolutionär verankerten Grundbedürfnis. In jeder zufällig zusammengewürfelten Gruppe werden sofort Regeln aufgestellt und Hierarchien gebildet (falls es zuvor keine geben sollte).

Ein Mensch MUSS, damit er ein reifer, in einer Gesellschaft funktionierender, verantwortlicher Mensch werden kann, auch lernen, damit umzugehen, dass es Situationen gibt, in denen es NICHT um "seine Bedürfnisse" (was sind eigentlich die "Bedürfnisse" eines Pubertierenden?? Hm?) geht, sondern denen er sich unterordnen muss, und dass, wenn er das nicht will oder nicht kann, er nicht mehr Teil dieser Situation sein kann.

Die Interdependenz ist, behaupte ich, so groß, dass der Einzelne auch nicht glücklich/zufrieden sein kann ohne dass sein Grundbedürfnis nach Führung (Regelsetzung) befriedigt wird. Die individuelle Autarkie ist nicht möglich außer im Rahmen (gern auch in der Reibung, der zwischenzeitlichen Abgrenzung) von übergeordneten Regeln. Das weiß das Pubertier vielleicht noch nicht. Das muss es aber dringend lernen, sonst wird es die Erfüllung seiner Bedürfnisse rasch ganz weit herunterschrauben müssen. Behauptung: Ein evolutionär soziales Wesen (Mensch, Hund, Pferd etc.), das sich a-sozial verhält, handelt entgegen seinen eigentlichen Bedürfnissen und wird garantiert unglücklich.

Glücklicherweise leben wir in einer Gesellschaft, deren Regeln (weitestgehend) vernünftig nachvollziehbar und vernünftig wünschenswert sind. Theoretisch werden Regelbrecher sanktioniert, solange die Zahl der Regelbrecher sich in einem beherrschbaren Rahmen hält. Das ist unser unausgesprochener gesellschaftlicher Vertrag. Alle unterwerfen sich den Regeln, leben ihre Bedürfnisse innerhalb des Regelrahmens aus, verzichten auf die Selbstverteidigung ihrer Bedürfnisse ("Rechte") gegenüber Regelübertreter – unter der Bedingung, dass die beauftragte Macht das für uns nach ebenfalls festgelegten Regeln übernimmt.

Es muss von heranwachsenden Menschen gelernt werden, akzidentielle Bedürfnisse zu unterdrücken, um das grundlegende Bedürfnis (Leben und Sicherheit) gewährleistet zu bekommen.
 
Um nochmal drauf rumzureiten:

Was IST eigentlich ein "Bedürfnis"? Was soll das sein?

Ist es das, was ich in diesem Moment gerne möchte oder was ich in diesem Moment als "gut für mich" ansehe?

Ist es also etwas Legitimes und Beachtenswertes, wenn ich beispielsweise jetzt das "Bedürfnis" habe, dumm herumzuhängen und Schokolade zu fressen, statt anstehende Arbeiten zu erledigen, Sport zu machen, zu üben, an die frische Luft zu gehen, einen Freund anzurufen etc.?

Ist es etwas Legitimes und Beachtenswertes, wenn der Schüler rein aus Faulheit nicht das vorgeschlagene Stück spielen will, sondern lieber das 10000. TEY-Stück, für das er nicht wirklich üben muss, dies jedoch durch die Behauptung verschleiert, dass er das vorgeschlagene Stück "langweilig" fände und das TEY-Stück "viel schöner"?

Ich halte den Begriff "Bedürfnis" tatsächlich in den meisten Fällen - sofern er nicht Grundbedürfnisse im Maslowschen Sinn bezeichnet - für Bullshit. Es ist lediglich eine Art der verbalen Überhöhung, um andere zur Aufgabe ihres Widerstandes hinzumanipulieren. Statt zu sagen "ich WILL jetzt einfach was, ich habe Bock darauf" nennt man es "Bedürfnis" - das klingt doch gleich nach etwas unheimlich Wichtigem, bei dem es fies wäre, wenn andere es einem verwehrten.
 
Ich finde es ja witzig, das chiarina im Spoiler versteckt das Beispiel mit dem Schiedsrichter gebracht hat. Wie würde man als Schiedsrichter pädagogisch nach Gordon mit den Spielern umgehen, damit sie die Regeln des Spiels befolgen?
Wie lässt sich in diesem konkreten sozialen Zusammenhang dem maßvollen organismischen Prozeß jedes einzelnen Spielers Vertrauen schenken?
Die humanistische Denkfigur ist dann immer: in jedem Einzelnen ist das Gute, wenn nicht, dann müssen wir das Problem anderswo suchen, in familiären oder gesellschaftlichen, jedenfalls menschgemachten Umständen - da beißt sich die Katze dann in den Schwanz.
 
...Schiedsrichter...Sanktionen (Kollektivstrafen wie Strafstoß, Elfer, Einzelstrafen wie gelb, rot)... was für ein Nazi, nur schwarze Pädagogik...:lol::lol::lol::drink:
 
Gibt es eigentlich im Kinderfußball noch Rote Karten und Elfer? Oder hat man das dort schon wegen zu großer Grausamkeit abgeschafft?:lol:
 
Richtig: das Bedürfnis, sich (neu) zu orientieren in einer Welt, die von Pubertierenden in Frage gestellt wird. Dies ist ein ganz natürlicher Prozess, der u.a. mit negativen Emotionen verbunden ist. Deshalb gilt die Pubertät ja auch als schwierige Zeit. Es ist die Zeit, in der bewusst Grenzen überschritten werden. Und in der man auch gelegentlich auf den Boden der Tatsachen gesetzt wird und werden muss - mit allen Konsequenzen.
 
Es wäre wirklich interessant, in einer Evaluation, mit allen dafür qualifizierenden Fragen, zu erfahren, ob @chiarinas oder @hasenbein‘s Weg die Schüler, die sie langfristig unterrichten, weiterbringt. Beide scheinen ja zwei Pole zu vertreten. Meine Vermutung ist: Es wird auf mehr oder weniger die gleichen oder zumindest sehr ähnliche Ergebnisse hinauslaufen, weil beiden drei Dinge wichtig sind: die Schüler ihrem Ziel näherzubringen, die Reflektion ihres Unterrichts und Authentizität (vielleicht gibt es noch ein paar weitere Aspekte). Diese Meta-Ebene ist viel entscheidender als die anderen hier genannten Parameter. Die Mehrheit der Lehrer bewegt sich nach meiner Einschätzung zwischen den beiden Polen.

Gute Pädagogen entscheiden sich von schlechten Pädagogen übrigens auch darin, ob sie bereit und in der Lage sind, sich auf der Meta-Ebene weiterzuentwickeln anstatt stehenzubleiben.
 
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