Fortsetzung
Aber warum partout beim kommunizieren über eventuelle***) Konflikte zwischen Lehrer und Schüler hievst du die explizit zum Thema Eltern-Kinder verfasste Familienkonferenz auf ein himmelhohes Podest und tust so, als ließen sich restlos alle und ganz speziell klavierunterrichtsspezifische Konflikte damit in Wohlgefallen auflösen... sorry, da hätte ich eher folgende Publikation von Gordon [sic!] erwartet:
Lehrer-Schüler-Konferenz, deutsche Erstausgabe bei Hoffmann und Campe, 1977
Ich habe in diesem Faden bereits geschrieben, dass die Familienkonferenz das eigentliche Modell beschreibt, das Gordon dann auf pädagogische, medizinische, unternehmerische etc. Bereiche angewendet hat. Wenn dann keine Fragen kommen - ich kann nicht alles bedenken und offenbar gab es kein weiterführendes Interesse daran.
Außerdem habe ich den entsprechenden Beitrag meiner Website verlinkt, auf der unten die Lehrer-Schüler-Konferenz aufgelistet ist.
Zum dritten und Wichtigsten: bei den Kursen wird immer zuerst die Familienkonferenz behandelt, weil sie die Keimzelle des Modells ist! Wenn man daran das Modell verstanden hat, kann man es auf andere Bereiche übertragen. Die Lehrer-Schüler-Konferenz ist ein Aufbaukurs. Man kann durchaus erst die Lehrer-Schüler-Konferenz lesen (die sich übrigens auf den
Unterricht in der Schule mit Schulklassen bezieht und daher für den Einzelunterricht nur bedingt nutzbar ist), aber
ich empfehle für Klavierlehrer als erste Lektüre die Familienkonferenz! Da Klavierlehrer auch Kinder unterrichten und mit Kindern in Beziehung treten, ist der Switch problemlos und deutlich sinnvoller. Daher habe ich immer von der Familienkonferenz geredet. Ich kann nicht im voraus alle möglichen Fragen bedenken, diese wurde jetzt von dir zum ersten Mal gestellt, soweit ich weiß. Danke dafür!
Was ich mir generell wünsche, sind tatsächlich mehr Fragen. Das bezieht sich nicht nur aufs Forum. Ich verstehe die Zweifel sehr gut und kann die Bedenken nachvollziehen, gerade auch was die Hypothesen der humanistischen Psychologie angeht.
Aber ich verstehe nicht, warum diese Dinge generell, nicht nur im Forum, eher wenige Fragen auslösen. Die Welt ist voll von Konflikten und so ein Konfliktlösungsmodell wird lächerlich gemacht und abgelehnt, ohne dass man wirklich weiß, worum es dabei geht! Wo bleibt die Neugier, frage ich mich?
In Kursen, zu denen natürlich nur Leute kommen, die sich ohnehin dafür interessieren, leuchtet das Modell nach meinen Erfahrungen jedem ein. Das Modell gibt einem weitaus größere Handlungsfreiheit und lehrt, Konflikte verstehen und klären zu können. Man muss es allerdings ähnlich einer komplexen Partitur durchdringen und verstehen lernen. Das ist ein spannender Prozess, der nie aufhört.
Auf einen weiteren Widerspruch hatte ich dich aufmerksam gemacht, ohne dass eine Reaktion erfolgte.
Du hast ganz exzellente fachliche Vorschläge für Unterricht mit Kindern im Grundschulalter aufgelistet, das war richtig prima und jeder sollte sich die abschreiben oder ausdrucken und beherzigen. Diese funktionieren, ohne dass man Familienkonferenzen einberufen muss
was ich mir zu erwähnen erlaubt hatte.
Nicht unbedingt. Du hast Anna_s Beitrag doch sicher gelesen. Man kann die tollsten methodischen Wege planen - da steht man dann mit seinem tollen Plan im Unterricht und der junge Schüler braucht doch etwas ganz anderes. Methodische Wege sind eben untrennbar von der Kommunikation zu sehen! Dazu gehört ein aufmerksames Beobachten des Schülers - je besser man ihn kennt, desto besser kann man einschätzen, welcher methodische Weg nun für ihn der richtige ist (nicht, dass man sich nicht vertun könnte
). Das gilt für alle Altersgruppen. Dass die Kommunikation bei Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen ... unterschiedlich ist, habe ich immer geschrieben.
***) wer sagt eindeutig, dass ein S-KL Konflikt und nix anderes vorliegt? Der kleene S, über den in diesem Faden berichtet wurde, könnte auch einen Konflikt mit der Mutti haben; oder sonstwas
Nach Gordon gibt es drei Möglichkeiten des Problembesitzes: entweder der Schüler hat ein Problem oder der Lehrer hat ein Problem oder beide. Erst wenn
beide miteinander ein Problem haben (z.B. Schüler mag das Stück nicht, Lehrer will, dass der Schüler das Stück übt o.ä.) , haben sie einen
Konflikt. Bei Problemen, die jeder einzeln für sich hat, sind sie dann relevant, wenn sie im Unterricht offensichtlich sind und ihn beeinflussen. Das ist eben keine Psychotherapie.
Zwei Beispiele, gerade gestern geschehen: ein 7jähriger kommt völlig verweint und niedergedrückt in meinen Unterricht. Ich nach der Begrüßung etwas erschrocken (aktives Zuhören): "Du siehst ja ganz verweint aus." "Schüler: Ja! Meine Mama hat ganz doll mit mir geschimpft." Ich: "Ihr hattet wohl Streit?" Schüler: "Ja, aber ich habe gar nichts gemacht. Ich wollte mein Wasserfarbenbild zum Trocknen aufhängen und da hat sie geschimpft, ich sollte mich beeilen, wir müssten ganz schnell zu Klavier. Ich wollte aber mein Bild noch richtig aufhängen und da hat sie ein ganz böses Wort zu mir gesagt." Ich: "Und jetzt bist du darüber sehr traurig." Er: "Ja."
Das Sprechen darüber in einem kurzen Dialog erleichterte ihn und wir konnten uns dem Klavier zuwenden. Zwischendrin merkte ich immer wieder, wie bedrückt er war und seine Augen sahen völlig erschöpft aus. Er war nicht so lebendig, aufmerksam und fröhlich wie sonst, logisch.
Das neue zu erarbeitende Lied war "Hänsel und Gretel" nach Gehör (der Schüler hat erst ein paar Stunden Unterricht). Nachdem wir uns eine Weile in verschiedener Form damit beschäftigt hatten und er den A-Teil spielen konnte (ich hätte noch gern den B-Teil gemacht), sagte er treuherzig: "Könnte ich zu Hause vielleicht nur Bruder Jakob (schon im Repertoire) spielen? Ich glaube, mir ist das zuviel, wenn ich dann noch Hänsel und Gretel spiele." Nach anfänglichem aktiven Zuhören gab ich zu bedenken, dass wir ja dann gar kein neues Stück hätten. Und wir hätten ja gerade schon einige Zeit daran gearbeitet. Dann sagte er: "O.k., aber vielleicht müsse er dann den A-Teil nur EINMAL zu Hause spielen." Ich: "Das ist natürlich eine Möglichkeit. das Problem ist nur, dass man es dann sofort wieder vergisst (er weiß über den Sinn von Wiederholungen Bescheid)." Ich merkte dann, wie müde er war und sagte: "Wir machen jetzt erst mal was anderes. Du siehst ganz müde aus und hattest den Streit mit deiner Mutter - wir können das gleich besprechen."
Wir was anderes gemacht und anschließend sein geliebtes Bruder Jakob. Er sagt mittendrin plötzlich: "Ich glaube, ich kann doch Hänsel und Gretel spielen!" .....
Ein weiteres Beispiel einer anderen 7-jährigen gestern:
Als wir das neue Stück aufschlugen, dass sie zu Hause zum ersten Mal geübt hatte, sagte sie: "Das war aber schwer!" Ich (aktives Zuhören): "Du meinst, dass du echte Probleme zu Hause mit dem Stück hattest?" Sie: "Ja, sehr, sehr große!" Sie guckte auch so. Ich: "Ah, du hattest eine richtige Krise?" Sie: "Ja, so eine richtige." Ich: "Und was hast du dann gemacht?" Sie: "Ich hab die Krise weggehüpft!" Spielt und bis auf eine kleine Stelle war alles perfekt. Weggehüpft - köstlich!
Mit so einer Art der Kommunikation kommt man sich näher (Beziehung), lernt sich besser kennen und bekommt als Lehrer eine viel größere Klarheit für die nötigen methodischen Wege im Unterricht. Wenn der erste Schüler sich sein Problem von der Seele sprechen kann, können wir besser arbeiten. Er lernt auch, dass man bei mir im Unterricht wirklich alles sagen darf und teilt mir sein Problem mit Hänsel und Gretel mit.
Die zweite Schülerin zeigte mir durch unser Gespräch, wie sie mit Krisen und Schwierigkeiten umgeht.
Ich mache nur solche Erfahrungen und glaube, 7jährige Kinder werden oft unterschätzt. Donata Eschenbroich hat nicht umsonst das "Weltwissen der 7jährigen" geschrieben. Auch Pubertierende werden oft unterschätzt. Mich hat gerade eine 14jährige Schülerin gefragt, ob sie nicht zwei Mal die Woche kommen dürfe.
Solche "kleinen" Dinge sind aus meiner Sicht wertvoll für den Unterricht, sowohl in fachlicher wie menschlicher Hinsicht. Sie entstehen oft in einer wertschätzenden und aufmerksamen Kommunikation, sehr oft dann, wenn man aktiv zuhört. Diese Dinge sind es meiner Meinung nach Wert, beachtet zu werden!
Liebe Grüße
chiarina