Also muss der Komponist sich weiterhin um des Dichterfürsten Gunst bemühen. Auf der Reise nach Teplitz trifft er in Prag den Schriftsteller und Diplomaten Karl August Varnhagen von Ense, einen Verehrer Goethes. Beethoven bittet ihn, dem Dichter »seine Verehrung zu bezeugen« und ihn vorsorglich auf seine Taubheit vorzubereiten. Varnhagen ist gern gefällig und teilt Goethe diplomatisch mit, Beethoven werde »aufs neue die Heilkräfte des Töplitzer Bades gegen seine unglückliche Taubheit versuchen, die seiner angeborenen Wildheit nur zu günstig ist und ihn für Solche, deren Liebe er nicht schon vertraut, fast ungesellig macht; für musikalische Töne behält er nichtsdestoweniger die leiseste Empfänglichkeit, und von jedem Gespräch vernimmt er, wenn auch nicht die Worte, doch die Melodie.«
Kaum in Teplitz angekommen, wendet sich Beethoven erneut an Varnhagen und bittet ihn, von Prag aus »die 3 Theile von Göthes Wilhelm Meister’s Lehrjahre hieher mit dem Postwagen zu schicken, da sich der 4te fehlende gefunden hat«. Will er sich damit für das erhoffte Treffen mit Goethe rüsten?
Beethoven kann es kaum erwarten. In der Tat findet die erste Begegnung schon am 19. Juli statt. Dass Goethe sie in seinem Tagebuch unter den »Visiten« erwähnt, deutet – entgegen der älteren Beethoven-Forschung – keineswegs darauf hin, dass er selbst den Komponisten besucht habe; vielmehr dürfte Beethoven im Goldenen Schiff vorstellig geworden sein, freilich nicht, ohne Eindruck zu hinterlassen. Noch am selben Tag teilt Goethe seiner im benachbarten Karlsbad kurenden Frau Christiane den ersten Eindruck mit. »Zusammengeraffter, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen. Ich begreife recht gut, wie der gegen die Welt wunderlich stehen muß.«
Gut möglich, dass Beethoven Goethe schon bei dieser ersten Begegnung vorgespielt und durch seine konzentrierte Kunst imponiert hat. Immerhin ist der Dichter von der neuen Bekanntschaft so angetan, dass er mit ihr schon am folgenden Abend eine Spazierfahrt in Richtung des benachbarten Kurbads Bilin unternimmt. Der Komponist muss sich dabei keineswegs als Anhängsel betrachten, denn im Umkreis von Teplitz bewegt er sich geradezu auf heimischem Boden: Das Biliner Barockschloss gehört der ihm ungemein wohlgesinnten Familie Lobkowitz. Und auf halbem Weg zwischen Teplitz und Prag liegt Schloss Raudnitz, der Sommersitz des Fürsten Franz Joseph Maximilian Lobkowitz, der dort im Herbst 1804 die Eroica von seinem Hoforchester hat erstaufführen lassen, der Überlieferung nach gleich dreimal hintereinander. Dies entsprach dem Wunsch eines hohen, seinerseits komponierenden und speziell für Beethoven begeisterten Gastes: des preußischen Prinzen Louis Ferdinand.