Der Dreitages-Marathon möge beginnen.
Von den Bayreuther Meistersingern war ich ziemlich ernüchtert, vor allem von der hochgejubelten Inszenierung Koskys. Er hatte vorab in jedem Interview gefragt oder ungefragt beteuert, er werde keine Hakenkreuze auf die Bühne bringen. Nun, hat er nicht, aber er hat dennoch die alte Behauptung von den Meistersingern als antisemitischem Stück auf andere Weise aufgewärmt.
Zunächst mit dem Bühnenbild, denn der ganze dritte Akt spielt im Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse, ohne dass eine dramatische Funktion dieser Szenerie irgendwie klar geworden wäre. Zum andern funktioniert er die Prügelszene am Ende des zweiten Aktes in ein Beckmesser- Pogrom um, was dem Zuschauer gleich zweifach eingebleut wurde, nämlich indem B. vom Chor eine karikierende Judenfratze übergestülpt bekam, die sich außerdem auch noch als riesiger Luftballon über der Szene entfaltete. Kosky nimmt also die von Adorno ohne hinreichenden Beleg vorgebrachte und vielfach nachgesprochene Auffassung wieder auf, der Beckmesser sei eine Judenkarikatur. Da hätte man sich schon gewünscht, dass er irgendwann auf die dieser Theorie widersprechende Evidenz eingegangen wäre, nämlich (a) dass im Text schlicht und einfach steht, dass B. lediglich von David »den Buckel voll« kriegt, weil der irrtümlich glaubt, B. sei hinter seiner Lene her; (b) die altbekannten Einwände, dass Beckmesser als einer der wenigen keinen biblischen (»jüdischen«) Vornamen trägt; dass er nach Wagners eigener brieflicher Äußerung sich von den übrigen Meistern ausschließlich durch seine Verliebtheit in ein junges Mädchen unterscheide und das alleine ihn zur lächerlichen Figur mache; und dass Beckmessers Musik eher den Manierismus der italienischen und französischen Oper parodiert als die Musik der Synagoge.
Ich frage mich, warum die Regisseure so selten an das Nächstliegende anknüpfen, nämlich das B. der Repräsentant des Nürnberger Rats ist (ein nürnberger Ratsschreiber ist ja so etwas wie ein Minister im Bundeskanzleramt), der, wie alle anderen Zünfte, so auch die Meistersingerzunft rigoros überwachte und damit letztlich für die Pedanterie und Erstarrung des Meistersangs verantwortlich war. Vor diesem Hintergrund könnte man fragen, ob Beckmesser und Sachs nicht zwei Hypostasierungen des historischen Hans Sachs sind. Einerseits war Sachs 1555-61 ja selbst Merker der Singschule (was für Sixt Beck(messer) nicht belegt ist) und Mitherausgeber des »Nürnberger Schulzettels«, einer Sammlung von Vorschriften, die in den Singschulen zu beachten waren; er ist also eben Vertreter des von Beckmesser dargestellten »akademischen« Betriebs. Andererseits war Hans Sachs aber als Autor von Flugschriften und polemischen Dialogen (er hatte deswegen zeitweilig Schreibverbot) auch der politische und religiöse revolutionäre Geist, in dem Wagner selbst sich wiederfinden konnte und der sich dementsprechend auch als Träger seines neutönerischen Ideals anbot.-
Auch die musikalische Seite begeisterte nicht in jedem Punkt. Klaus Florian Vogt sang zwar so großartig wie zu erwarten und eine tolle Neuentdeckung für mich war Günther Groissböck als Pogner; auch der Chor war wie immer einfach das Beste, das man sich vorstellen kann. Aber die Eva mit ihrer stählernen Stimme passte weit besser zu der Cosima-Rolle, die sie zu Beginn des ersten Aktes ja innehatte, und Michael Volle war leider erkältet, sodass er schon im 2. Akt in enorme Schwierigkeiten geriet und ihm zu danken war, dass er überhaupt durchgehalten hat.