Mögt ihr Oper?

Mögt ihr Oper


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    369
Dann werde ich mir also den Coburger Parsifal ersparen.

Ich wollte oben keine Antiwerbung machen. Es ist ja nicht auszuschließen, daß ich einen rabenschwarzen Tag erwischt habe oder daß die Musiker angesichts der absurden Inszenierung und eines gähnen leeren Hauses keine rechte Motivation verspürten. Aber daß der Parzival die Kräfte des Hauses übersteigen könnte, kann ich mir jetzt schon gut vorstellen.
 
Den enigmatischen Parsifal mit seiner betreten stimmenden Grundschwüle überzeugend auf die Bühne zu bringen, ist eh eine ganz spezielle Herausforderung.

Was will man machen? Gottesdienst oder Groteske? Will man "Werkstreue" beweisen, wird es peinlich. Entfremdet man, wird es "gewollt". Ein Mittelding (ein bisschen Werkstreue mit entfremdenden Elementen, grotesker Gottesdienst oder weihevolle Groteske?) - womöglich noch verstörender. Wie die sich aufdrängende ewige Wiederkehr des Bordells und des Männerhospizes umschiffen? :müde: Kein Wunder, dass die Einschätzung neuer Parsifals ganz gern ausgehend vom sicheren Standpunkt quantitativer Messungen erfolgt: Wie lang zieht sich der erste Akt? (der Blick auf die Uhr ist so erfrischend konkret!) Wie viel schneller als Toscanini, wie viel länger als Boulez? Mehr wie Levine, mehr wie Haenchen?

Habe noch den legendären Berghaus-Parsifal von Frankfurt im Gedächtnis (80er Jahre, mit Gielen am Pult) mit seinen schiefen Ebenen. Noch nicht einmal jene "respektlose" Inszenierung schaffte es, einen erträglichen bzw. halbwegs plausiblen Rahmen für dieses Stück zu schaffen. Irritation und Ratlosigkeit.

Das mag daran liegen, dass ich mit dem Bühnenweihfestspiel einfach nix anfangen kann. :denken: Ich habe den Eindruck, andere auch nicht (vielleicht weil die Message sich entzieht oder weil es keine gibt und Wagner scherzando einfach nur "raummusikalische Großarchitektur" schuf statt Musiktheater eigener Definition?), wollen aber aus irgendwelchen (Prestige?)Gründen den Schinken auf die Bretter bringen und beißen sich regelmäßig die Zähne dran aus, musikalisch (Stichwort "Atmender Deckel":lol:) wie bei der szenischen Umsetzung.
 
Das mag daran liegen, dass ich mit dem Bühnenweihfestspiel einfach nix anfangen kann.

Da geht es mir genauso. es ist das einzige der Werke Wagners, zu dem ich nie einen Zugang gefunden habe. Wegen seiner, wie Du treffend sagst, "Schwüle". Über das von ihr ausgelöste Gefühl der Ermattung und Beklemmung hilft auch mir kein ironisierendes Regietheater hinweg.
 
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Das mag daran liegen, dass ich mit dem Bühnenweihfestspiel einfach nix anfangen kann. :denken:
...das @Barratt muss nicht am Bühnenweihfestspiel liegen... ;-)
Zwei überzeugende Inszenierungen hatte Stefan Herheim gemacht, eine davon in Bayreuth 2008-11 - möglicherweise gibt´s die auf DVD.
Was die Musik betrifft, so hat Pierre Boulez ausführlich über den Parsifal geschrieben.
 
...das @Barratt muss nicht am Bühnenweihfestspiel liegen... ;-)
Zwei überzeugende Inszenierungen hatte Stefan Herheim gemacht, eine davon in Bayreuth 2008-11 - möglicherweise gibt´s die auf DVD.
Was die Musik betrifft, so hat Pierre Boulez ausführlich über den Parsifal geschrieben.
Ich habe eher Schwierigkeiten mit den Meistersingern. Den grandiosen Herheim-Parsifal gibt's auch hier:

View: https://www.youtube.com/watch?v=bTaQu7ivsRM
 
Also, zur Ehrenrettung des "Parsifal": Von dem Begriff Bühnenweihfestspiel muß man sich freimachen, auch zur Ehrenrettung Wagners, dessen Kunsttheorien nicht annähernd so ernstzunehmen sind wie seine Musik (und um die üblichen Assoziationen à la Thingspiel, Parteitag, Leni Riefenstahl loszuwerden).

"Schwüle" gibt es vielleicht im zweiten "Tristan"-Akt, wenn man auf diesem abwertenden Begriff besteht. Aber doch nicht im "Parsifal" - der ist das glatte Gegenteil: asketisch. Selbst die Blumenmädchen sind gegenüber den Exzessen des Venusberg-Bacchanals geradezu gouvernantenhaft-zugeknöpft.

Um beim "Parsifal" von Werktreue reden zu können, müßte man sich den Intentionen des Werkes stellen - zur Not gegen die Intentionen des Autors. Was im "Parsifal" geschieht, grenzt an ein Wunder: Wagner versündigt sich gegen nahezu alle Gesetze der Oper - ein von sichtbarer Handlung geprägtes Schaustück, dessen Musikanteil die Nacherlebbarkeit von Affekten intensivieren soll (so wie heute die Filmmusik). Aber Wagner, der einen Bühneninstinkt hatte wie kein zweiter um ihn herum, verliert schon mit dem "Holländer" das Interesse an sichtbarer Aktion; er verlagert die Konflikte immer mehr ins Innenleben seiner Figuren. Er erhöht rücksichtslos den rezitativischen, rein erzählerischen Anteil. Im "Ring" erzählen sich die Leute stundenlang, was man als Zuschauer längst weiß, weil man's ja ein oder zwei Abende vorher gesehen hat. Der "Tristan" ist geradezu provokant handlungsarm; nur an den Aktschlüssen gibt's - als letzte Konzession an die Gattungskonvention - kleine Knalleffekte. Der "Parsifal" steigert die Handlungsarmut ins Extrem; nur zu Beginn und am Ende des zweiten Aktes gibt's für einen kurzen Moment sex & crime.

Daß das funktioniert, liegt nicht allein an der Qualität der Musik, die den Hörer für alle Entbehrungen entschädigt. Wagners augenfeindliche Konzeption will auf etwas ganz anderes hinaus, nämlich auf die Nacherlebbarkeit der Zeit. Aus der Verschränkung der Zeitebenen, d.h. wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinandergreifen, daraus bezieht der "Ring" seine ganze Spannung; nicht aus dem albernen Waffengeklirr. Das Warten, die Sehnsucht ist das Hauptthema des "Tristan", die genußvolle Nicht-Erfüllung (wohingegen die Erfüllung nur Schmerz und Tod bringt). Auch im "Parsifal" sind die Zeitebenen wieder kunstvoll verschränkt, und erneut wird das Warten thematisiert, aber diesmal als reine Qual - von den Beckett'schen Endspielen gar nicht weit entfernt.

Eine andere Konzeption kommt im "Parsifal" hinzu, nämlich die Verräumlichung der Zeit, die von Wagners Raummusik nachvollzogen wird, im Glocken-Ostinato der Orchesterzwischenspiele und in den Chorepisoden im 1.Akt und am Schluß. Mit den Chorepisoden vollzieht Wagner außerdem die Grenzüberschreitung zum Oratorium, begünstigt durch die langen erzählerischen Abschnitte (extrem: Kundrys Lebensbeichte). Werkgetreu wäre beim "Parsifal" eine Aufführung, die das Statuarische, Oratorienhafte betont, statt es durch optische Gags abzuschwächen.

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Also, zur Ehrenrettung [...] Der "Parsifal" steigert die Handlungsarmut ins Extrem [...] erneut wird das Warten thematisiert, aber diesmal als reine Qual [...] Verräumlichung der Zeit, die von Wagners Raummusik nachvollzogen wird
Das sind interessante Aspekte zum Parsifal, danke dafür! :-) Darüber muss ich nachdenken.


Vielleicht ist mein Begriff "Schwüle" missverständlich rübergekommen. Er bezog sich auf die (von mir als peinlich empfundenen pseudo-)christlichen Elemente, die zwischen Wollust, Wunderkraft und Qual oszillierende Blut-und-Wunden-Metaphorik (Blut Christi, Klingsor, Schwan, Amfortas), das unmotiviert/unplausibel erscheinende Doppelspiel der Kundry und nicht zuletzt auf die (von mir in ihrer "Feierlichkeit") als bis zur Lächerlichkeit überfrachtet empfundene Voodoo-Rituale aus dem liturgischen Formenkreis (die von katholischer Seite mindestens halb-kannibalisch umgedeutete Eucharistie).

Setzt man den Parsifal in Bezug zur mehr oder weniger zeitgleich entstandenen Schrift "Religion und Kunst", wird die Ratlosigkeit eher größer statt geringer. :denken:

Wie klar und glaubwürdig Wagner "Wunder" und "Erlösung" in Szene setzen kann, hat er in anderen Werken (Tannhäuser bzw. vice versa verstanden im Ring/Holländer) unter Beweis gestellt. Bereits im Lohengrin misslang aber m. E. die Adaption der pseudochristlichen Gralsmystik. Was um Himmels Willen hat den Protestanten Wagner verleitet, sich ein zweites Mal dieses verqueren Stoffes anzunehmen? Zumal Parsifal sich zu Lohengrin verhält wie die Prequel-Filme zu Star Wars (sieht man davon ab, dass Parsifal im Lohengrin noch Parzival heißt, die Strenge des Zölibats nachgelassen hat und der Schwan nicht erschossen, sondern als bœuf de trait missbraucht wird...;-))

Vielleicht hast Du auch diesbezüglich Hinweise, die mir (und vielleicht auch anderen) zu einem besseren Zugang verhelfen? :-)
 
"Schwüle" gibt es vielleicht im zweiten "Tristan"-Akt

Nun, das ist das Problem, wenn man nicht-konventionalisierte Metaphern verwendet - jeder versteht darunter etwas Anderes. Für mich heißt Schwüle: es gibt zu viel Hochamt im Parzival und zuviel Anleihen beim Caecilienverein. Asketisch - ja, aber zunächst einmal auf der gesanglichen Ebene. Mir ist bis heute nicht klar, warum jemand im Laufe seines Schaffens das Geschehen immer mehr in den Orchestergraben verlegt (warum er das will, verstehe ich schon) und weiterhin darauf beharrt, Musiktheater zu machen. Wagner hätte konsequenterweise ja den Schritt zum arienfreien paganen Oratiorium tun können.

Was den Tristan betrifft, so würde ich persönlich nie die Metapher »Schwüle« mit dem zweiten Akt des Tristan verknüpfen. Für mich ist er am Anfang eher, wenngleich mehr aus der Perspektive der Akteure, quälend, und die Nervosität dieses quälenden Wartens wird am Anfang des Akts musikalisch wundervoll ausgedrückt. In das quälende Warten wird der Zuschauer im noch höheren Maß dann im dritten Akt einbezogen, weniger dagegen im ersten, sodaß das "Warten" vielleicht wirklich als Klimax konzipiert ist - darüber hab ich nie nachgedacht.

Ob die »Knalleffekte« Konzessionen an die Gattungskonvention sind, weiß ich nicht. Die Flucht in den chaotischen »Mimenschluss« des ersten Akts, der von der tragischen Ironie von Kurvenals Elogium kaum abgemildert wird, ist eine notwendige Konsequenz der vorherigen Liebeseruption (die ist eigentlich die Konzession an die Gattungskonvention), nach welcher ein ín geordneteren Bahnen ablaufener Aktschluß kaum mehr denkbar ist. Wenn Wagner Gottfried sorgfälig gelesen hat, war ihm sicher bewußt, was er um der Ausrichtung auf diesen einen geysirhaften Ausbruch willen alles geopfert hat: das langsame Bewußtwerden der Liebe, die verschlüsselte »Lameir«-Liebeserklärung Isoldes und das schlichte offene Bekenntis Tristans, das den Verstoß gegen alle Standesnormen und die Kapitulation vor der Macht der Eros gleichermaßen einschließt: »ich bin ûzer weges kommen ... in al der werlde enist mir niht / in mînem herzen liep wan ir«, und schließlich die ebenso schlichte und eben deshalb viel mehr ergreifend Antwort Isôts »hêrre, als sît ihr mir.« (11985ff). Eher mißlungen finde ich dasselbe Vorgehen im zweiten Akt, wo das »Mimenschluß«- Konzept mit dem Duell mit Melot sein logisches Ende hätte, der aufzug sich aber danach, um es mit Verdi zu sagen, noch »quälende 10 Minuten« lang hinschleppt, verschuldet von Marke dem Tugendschaf und seinem Enttäuschungsgeheule. Und das nur, weil Wagner, wie so oft, meinte, eine Exposition nachklappen lassen zu müssen - in diesem Falle zu den treuen Diensten Tristans, die den Verrat ex post umso schlimmer erscheinen lassen. Kein mediokrer griechischer Tragiker hätte sich die Chance nehmen lassen, diese treuen Vasallendienste Tristans an den Anfang des zweiten Akts zu stellen, um so einen genuinen dramatischen Konflikt zu konstituieren zwischen Tristans Gehorsam gegenüber dem Gebot der Vasallentreue und dem Gehorsam gegenüber der dämonischen Macht des Eros, in welchem der Sieg des Eros und damit der unvermeidliche Untergang des Protagonisten viel schärfer hervorgetreten wäre. Und deshalb erlaube ich mir gelegentlich die Banauserie - es sei denn, der Marke ist außergewöhnlich gut - nach vollbrachtem Dolchstoß mir einen außergewöhnlich günstigen Startplatz an der Getränketheke zu sichern. Den Schluß des letzten Aktes möchte ich dagegen nicht missen. Nicht wegen seiner - eigentlich nur in der Musik hervortretenden - Sentimentalität, sondern wegen der wundervollen Schlußakkorde nach dem Verstummen Isoldes. An dem Punkt bin ich immer ganz niedergeschlagen, daß es vorbei ist.
 
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Vielleicht ist mein Begriff "Schwüle" missverständlich rübergekommen. Er bezog sich auf die (von mir als peinlich empfundenen pseudo-)christlichen Elemente [...]
Für mich heißt Schwüle: es gibt zu viel Hochamt im Parzival

Ihr machts beide den Fehler, daß Ihr Wagners Libretto viel zu ernstnehmt. Wie Du, liebe Barratt, selber hervorgehoben hast: Wagner war von Haus aus Protestant - und als halbwegs gereifter Mann bestenfalls Anhänger einer Art von Kunstreligion mit sich als wichtigstem Vertreter. An die Heilsnotwendigkeit des katholischen Meßopfers hat er sowenig geglaubt wie an Freias Äpfel oder an die Notwendigkeit, Wotan Stiere zu opfern.

Natürlich hat der egozentrische und unerträglich dominante Wagner seine Umgebung genötigt, die Libretti für literarische Wunderwerke zu halten und bitter ernstzunehmen (und das am Ende vielleicht selbst getan), aber für den Pragmatiker in ihm war das ganze Brimborium nur ein Anlaß, gute Musik zu komponieren. Wie Arno Schmidt in anderem Kontext so schön sagte: Solange das Werk etwas taugt, ist es ganz egal, aus was für Gaukeleien ein Künstler seine Anregungen bezieht.

Mir ist bis heute nicht klar, warum jemand im Laufe seines Schaffens das Geschehen immer mehr in den Orchestergraben verlegt (warum er das will, verstehe ich schon) und weiterhin darauf beharrt, Musiktheater zu machen.

Weil es Musiktheater ist - mit der Neuerung, daß sich eben ein Teil der Handlung im Orchester abspielt. Genau diesem Zweck dienen die Leitmotive (richtiger: Erinnerungsmotive), die oft mehr aussagen, als den Handelnden auf der Bühne bewußt ist. Dieses Zusammenspiel von sichtbarem Geschehen auf der Bühne plus ergänzendem oder kontrastierendem Kommentar aus dem Orchestergraben ergreift doch immer aufs Neue - oder? Es ist ja nicht so, daß Wagners Publikum notorisch einschläft. Andererseits gebe ich zu, Wagner viel konzertant zu hören, nämlich allsommerlich im Radio (für mich die schönste Variante, mit dem Klavierauszug vor Augen).
 

Natürlich hat der egozentrische und unerträglich dominante Wagner seine Umgebung genötigt, die Libretti für literarische Wunderwerke zu halten und bitter ernstzunehmen (und das am Ende vielleicht selbst getan), aber für den Pragmatiker in ihm war das ganze Brimborium nur ein Anlaß, gute Musik zu komponieren.

Genau das ist halt die Frage, gell... :denken:

Die angeblich "wagnertypische" Leitmotivik (und damit eine Fülle von Assoziationen/Andeutungen/Weiterentwicklungen etc.) ist nach meiner Wahrnehmung nur im "Ring" konsequent umgesetzt worden, und das auf so geniale Weise, dass der gesungene (und teilweise schräge) Text zunehmend dahinter zurücktreten kann (bzw. das Orchester ihn mit zusätzlicher, "größerer" Bedeutung auflädt), je weiter die Tetralogie sich entwickelt.

Vielleicht war Wagner nach Abschluss der Götterdämmerung auch einfach überfordert, da noch eins draufzusetzen. Oder er hat die Herausforderung unterschätzt, in einer Kurzoper wie dem Parsifal eine vergleichbare "Welt" aufzuspannen. :konfus: Damit wäre er nicht der einzige Opernkomponist, dessen "Letztlingswerk" hinter den vorangegangenen Großerfolgen zurückbleibt.
 
Die angeblich "wagnertypische" Leitmotivik (und damit eine Fülle von Assoziationen/Andeutungen/Weiterentwicklungen etc.) ist nach meiner Wahrnehmung nur im "Ring" konsequent umgesetzt worden, und das auf so geniale Weise, dass der gesungene (und teilweise schräge) Text zunehmend dahinter zurücktreten kann (bzw. das Orchester ihn mit zusätzlicher, "größerer" Bedeutung auflädt), je weiter die Tetralogie sich entwickelt.

Vielleicht war Wagner nach Abschluss der Götterdämmerung auch einfach überfordert, da noch eins draufzusetzen. Oder er hat die Herausforderung unterschätzt, in einer Kurzoper wie dem Parsifal eine vergleichbare "Welt" aufzuspannen. Damit wäre er nicht der einzige Opernkomponist, dessen "Letztlingswerk" hinter den vorangegangenen Großerfolgen zurückbleibt.

Wir steuern auf den Bereich der persönlichen Vorlieben zu. Da kann man nur noch schwer argumentieren - höchstens werben. Mir ist der "Parsifal" die liebste aller Wagner-Opern, noch vor "Ring" und "Tristan". Wenn ich auf die einsame Insel nur einen Wagner-Klavierauszug mitnehmen dürfte, wäre es der des "Parsifal".

Mich berührt die Zurücknahme der Ausdrucksmittel, genauer gesagt: die hinter dieser Zurücknahme wahrnehmbare Fülle. Die Andeutung wirkt stärker als die Überdeutlichkeit. Das hat Wagner im "Parsifal" vorgemacht - und Debussy im "Pelleas" sofort übernommen. Dann: Für Amfortas' große Ariosi in den Außenakten und Kundrys Lebensbeichte hat Wagner noch einmal ganz neue vokale Ausdrucksmittel gefunden - schwer zu beschreiben. Ferner: die einzigartige Klanglichkeit. "Parsifal" ist als einziges Werk in Kenntnis der akustischen Verhältnisse des Bayreuther Opernraums komponiert worden.

Mich frappiert auch die Modernität des Stoffes. Der dritte Akt spielt in einer wahrhaft postapokalyptischen Welt, wie in Becketts "Endspiel" (hat das ein Regietheaterregisseur eigentlich schon verwirklicht?). Jede Hilfe kommt zu spät, die Burg ist verfallen, die Ritter leben wie Tiere in der Wildnis. Von den Leitmotiven sind nur noch Fragmente hörbar, geistern durch die Luft, fremd und abseitig harmonisiert. Der Marsch aus dem ersten Akt hat sich in einen Trauermarsch verwandelt, die Ritter brüllen ihre Wut über den gescheiterten Amfortas heraus, Amfortas ist weiter handlungsunfähig und wünscht sich den nie eintretenden Tod. Das ist die Grundstimmung, gegen die sich der dazwischengeklebte "Karfreitagszauber" (so schön er ist) nicht behaupten kann, auch nicht der (schlecht angeklebte) Erlösungs-Schluß, der an Wirkung weit hinter der Abendmahlsszene des ersten Aktes zurückbleibt.
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Wir steuern auf den Bereich der persönlichen Vorlieben zu.
Mir ist der "Parsifal" die liebste aller Wagner-Opern

Danke gleichwohl, dass Du mich/uns an Deinen Gedanken teilhaben lässt. Ich gebe zu, abgestoßen von Einigem, was weiter oben skizziert wurde, bislang keinen richtigen Zugang zu dem Werk gefunden zu haben. Auch bin ich mangels Durchdringung noch nicht auf die Idee gekommen, jenseits des (ich sag´s noch mal) "schwülen" Geschehens auf der Bühne über eventuelle Hintergründigkeiten nachzudenken.

Was Du schreibst, ist hinterherdenkenswert und letztlich mit meinem "Bild" von Wagner deutlich stimmiger als der oberflächlich betrachtete Parsifal. Jetzt müsste ich mir konsequenter Weise die komplette Oper unter diesem Gesichtspunkt neu anhören... Das werde ich heute garantiert nicht mehr tun, aber es wird geschehen.


Den Klavierauszug des Parsifal habe ich verrückter Weise auch. Den habe ich seinerzeit für vergleichsweise ganz kleines Geld in einer unfassbar hochwertigen Bindung irgendwo im Ostblock erworben.

Wo der wohl hingekommen ist? :denken: Ich hatte so viele Klavierauszüge ... sicher liegen sie in den Tiefen der Verstauräume im Elternhaus. Nur vom Ring besitze ich die "richtige" Partitur, und die blieb immer bei mir. Eine Zeit lang hatte ich den Spleen, die mich über die Maßen faszinierende Motivarbeit in den verschiedenen Orchesterstimmen nachvollziehen zu wollen. ;-)
 
Wenn Wagner Gottfried sorgfälig gelesen hat, war ihm sicher bewußt, was er um der Ausrichtung auf diesen einen geysirhaften Ausbruch willen alles geopfert hat: das langsame Bewußtwerden der Liebe, die verschlüsselte »Lameir«-Liebeserklärung Isoldes und das schlichte offene Bekenntis Tristans, das den Verstoß gegen alle Standesnormen und die Kapitulation vor der Macht der Eros gleichermaßen einschließt: »ich bin ûzer weges kommen ... in al der werlde enist mir niht / in mînem herzen liep wan ir«, und schließlich die ebenso schlichte und eben deshalb viel mehr ergreifend Antwort Isôts »hêrre, als sît ihr mir.« (11985ff). Eher mißlungen finde ich dasselbe Vorgehen im zweiten Akt, wo das »Mimenschluß«- Konzept mit dem Duell mit Melot sein logisches Ende hätte, der aufzug sich aber danach, um es mit Verdi zu sagen, noch »quälende 10 Minuten« lang hinschleppt, verschuldet von Marke dem Tugendschaf und seinem Enttäuschungsgeheule. Und das nur, weil Wagner, wie so oft, meinte, eine Exposition nachklappen lassen zu müssen - in diesem Falle zu den treuen Diensten Tristans, die den Verrat ex post umso schlimmer erscheinen lassen. Kein mediokrer griechischer Tragiker hätte sich die Chance nehmen lassen, diese treuen Vasallendienste Tristans an den Anfang des zweiten Akts zu stellen, um so einen genuinen dramatischen Konflikt zu konstituieren zwischen Tristans Gehorsam gegenüber dem Gebot der Vasallentreue und dem Gehorsam gegenüber der dämonischen Macht des Eros, in welchem der Sieg des Eros und damit der unvermeidliche Untergang des Protagonisten viel schärfer hervorgetreten wäre.
@Ambros_Langleb gut möglich, dass sich Generationen von Mediävisten kopfschüttelnd gefragt haben, warum der olle Wagner nicht einfach den Gottfried vertont hat ;-) und ganz gewiß wäre mittelhochdeutsch zu singen eine spektakuläre Novität auf der Opernbühne des 19. Jhs. -- aber der Wagner hat den Gottfried nicht vertont. Wie auch der Verdi den Schillerschen Don Carlos nicht vertont hat.
...Opernlibretti sind oft höchst sonderbare Texte...
Was die Tristanmusik betrifft, so finde ich sie vom ersten bis zum letzten Takt spannend und extrem gelungen (ja, auch dort, wo der ganz und gar nicht markige König Marke gehörnt herumlamentiert) :drink:
 
Hat sich irgendwer hier schon Wahnfried in Karlsruhe (*) angeschaut?
Beim Bayerischen Rundfunk liest sich die Kritik ja positiv.

(*) Die Uraufführung liegt ja gerade ein paar Tage zurück.
 
Gute Kritiken - und ein paar Audio-Ausschnitte. Erster Höreindruck: Die Musik kommt mir sehr eklektizistisch vor (was nicht gegen sie sprechen muß), verwendet heterogene Stilelemente: Neotonalität neben "Neutönerei".
 
Gerade Parsifal in Mannheim. Wunderbar reduzierte Inszenierung von 1957. Klarschprotokoll nach dem ersten Akt nach wie vor intakt.
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