Meiningen und Coburg
Irgendwer hier hatte mich auf das Meininger Theater neugierig gemacht, und damit die 700km nicht nur wegen einer einzigen Vorstellung zurückgelegt würden, haben wir Coburg mit drangehängt - Barbier von Sevilla in Meiningen, Fidelio in Coburg.
Ausgerechnet an Dreikönig wurde es viehisch kalt und schneite, sodaß wir erst nach Einbruch der Dunkelheit in Meiningen ankamen - auf einem bequem in Theaternähe liegenden großen Parkplatz. Die Webseite des Theaters hatte verheißen, daß das Theaterrestaurant vor der Vorstellung etwas zu Essen feilböte, und so machten wir uns erwartungsvoll auf zum Theater, welches aber rundum uneinnehmbar verriegelt war. Auf der Rückseite des Theaters verhieß ein Licht zunächst Gutes, beschien aber leider nur den Bühneneingang. Schließlich stieß ich (nahezu wörtlich zu nehmen) im Finsteren auf ein unbeleuchtetes Hinweisschild auf einen dunklen Bau im Park, in dem tatsächlich, für Fremde kaum zu finden und vielleicht deswegen nur so spärlich besucht, das zum Theater gehörige Wirtshaus versteckt war. Die zweite Hürde des Abends war die gestrenge Garderobiere, die uns mit Flakhelferinnencharme ein bissiges »Gordn!« entgegenschleuderte, was ich leider auf Anhieb nicht kapiert und damit wohl auf Dauer ihre Gunst verscherzt habe. Aber schließlich doch das Theater: vor wenigen Jahren renoviert, ist es ein Schmuckstück des Historismus - außen antikisierend- klassizistisch, innen funkelnder blau-goldener Neobarock und von vorne bis hinten eine wahre Augenweide. Im Internet hatte es leider nur noch Karten für 28 Euro gegeben, und so war ich, die Nürnberger Verhältnisse zum Maßstab nehmend, auf einen Platz auf der Hühnerleiter gefaßt; aber weit gefehlt, denn wir saßen im ersten Rang direkt neben der Loge, aus der in früheren Zeiten ein (den Bildern zufolge) maßlos überfressener Doudezfürst dem Geschehen zu folgen beliebte. Und dieses Geschehen war zwar ein bisserl klamaukig. Was mir nichts ausmachte, denn das Stück kann das ja vertragen und das Stirnrunzeln bei manchen albernen Einfällen pflege ich sehr erfolgreich an Mme. Ambrosia Langleb zu delegieren. Aber vor allem - die Musik war ohne Fehl und Tadel. Die Hauptrollen vorzüglich und auch die Nebenrollen wirklich gut. Und das Orchester hatte einen wundervoll homogenen und strahlenden Klang. Ich hatte die zwei Hornistinnen direkt im Visier; wenns langweilig ist, mache ich mir manchmal einen Spaß daraus, die Gickser und Schmierer der Hörner pro Minute zu zählen (in Augsburg etwa kriegt man da einiges zu tun); bei diesen beiden Damen war ich aber an der völlig falschen Adresse. Kurzum, das Ganze war von A-Z ein wahrer Ohrenschmaus, das Orchester macht seiner großen Geschichte alle Ehre, und ich bin sehr froh, dagewesen zu sein.
Andertags Coburg. Um es gleich zu sagen: das Kontrastprogramm. Zunächst war der Regisseur einer von den arroganten Herrschaften, die es viel besser wissen als der Librettist. Die Sprechpartien hatte er samt und sonders hinausgeschmissen und durch Rezitationen (!) der Lieder An die ferne Geliebte ersetzt. Sodann fand er, laut Programmheft, Beethovens Thema »Freiheit« nicht so prickelnd und machte eine Beziehungskistengeschichte daraus, bei der sich die beiden Antagonisten die meiste Zeit an zwei Schreibtischen gegenübersitzen. Und man ahnt es schon - Florestan wird natürlich nicht befreit, sondern fährt zur Hölle, was Leonore, ganz toughe Frau, ziemlich gleichmütig hinnimmt. Die Produktion läuft schon eine Weile und hat sich offenbar den Ruf erarbeitet, den sie verdient, denn mehr als die Hälfte der Plätze ware leergeblieben. Die Musik - tja, die hat die Tragödie wahrlich perfektioniert. Wenn es hoch hinaufging, hub Florestan an zu quetschen oder zur brüllen und Leonore zu kreischen, und zwar so, daß man jenem seinen unzeitigen Tod fast von Herzen wünschen mochte. Und das Orchester! Man hätte glauben können, daß die einzelnen Stimmen das erstemal zusammenspielten, so zerfiel das ganze. Dazu über weite Strecken stumpfes Geschnarre und Geschepper, und mir kam mittendrin der Gedanke, daß Hindemith die Inspiration für seine Kurkapelle vielleicht bei einem Besuch in Coburg erfahren hat. Nun gut, wir haben das ganze nach dem Motto »schwapp'mers owi« im nächsten Wirtshaus verarbeitet und uns ansonsten an dem schönen Städtchen erfreut, Mme. Ambrosia mit leicht verklärtem Blick, weil eben diese liebliche Einöde einst die erste Stätte ihres segensreichen pädagogischen Wirkens war. Jetzt wo ich diesen Satz hinschreibe, fällt mir ein - das Coburger Theater war auch damals schon eine Klasse für sich.
Das Fazit liegt auf der Hand: wer es nicht allzu weit nach Meiningen hat, sollte unbedingt einmal hinfahren. Vor Coburg braucht man nicht warnen, denn das Haus schließt nach dieser Saison für drei Jahre zwecks Renovierung und danach wird sicher alles besser, denn anders ist es gar nicht möglich.
Und noch eine Frage an die Kenner der mitteldeutschen Opernlandschaft bittschön: eine mitteilsame Dame neben mir erklärte, daß das absolute und besuchenswerte Kursiosum die Oper in Bad Lauchstädt sei. Leider konnte sie mir nicht beschreiben, wo das ist und in meinem Kopf steht über diesen Landstrichen immer noch Terra incognita. Kennt jemand diesen locus amoenus und kann ihn empfehlen?