Was mich an eurer Haltung stört, ist die Sicherheit, mit der ihr sagt,
dass Neuenfels' Inszenierung schlecht ist. Nicht dass ihr sie schlecht
findet, sondern dass sie schlecht ist.
Das Wort »schlecht« ist mir zu unpräzise und ich habe es auch nicht benutzt. Meine Kritik ist, daß Neuenfels die Aufgabe des Interpreten, Überbrücker der Kluft zwischen dem Autor und dem Publikum zu sein, nicht erfüllt hat.
Es kann keinen Zweifel daran geben, daß Wagner selber den Lohengrin als Tragödie im Sinne der klassi(zisti)schen Tradition verstanden haben wollte; ich habe ja weiter oben ein Testimonium von ihm angeführt, das seine Gekränktheit angesichts der zeitgenössischen Kritik am tragischen Charakter des L. zeigt.
Die Regie nun unternimmt einiges, um diesen tragischen Charakter zu unterminieren.
Da sind auf der einen Seite die vielen Elemente, die parodisch oder komisch wirken, wie der trunken umherschwankende König samt seinen Irrenwärtern (jaja, »ein bewußter Verstoß gegen die 'Ständeklausel'« höre ich Dich rufen), die Gerichtseiche als Zimmerlinde und die - tatsächlich - "possierlichen" Ratten: der ganze Königs-Komplex erfüllt ebenso wie der gerupfte Schwan die Schuldefinition von Parodie, daß man dem erhabenen Sujet niedere Attribute verpassen müsse. Ich habe tatsächlich stellenweise Tränen gelacht und es steht zu befürchten, daß ich das auch an geweihter Stätte tun werde (man schicke mir zwei Irrenwärter von der Bühne auf die Galerie).
Zum andern der Schluß, der mit dem (übrigens schon im Drama der römischen Kaiserzeit exzessiv verwendeten) Moment des Ekels arbeitet, in der Epiphanie des Gottfried nämlich. Die fand ich persönlich als weitaus gravierenderen Mißgriff als den ersten Punkt. Denn indem er den Affekt des Ekels beim Zuschauer evoziert, nimmt der Regisseur diesem sozusagen die psychische Kapazität für das, was der traditionelle wirkungsästhetische Zweck der Tragödie ist, nämlich das Auskosten [sic] der psychosomatischen Elementaraffekte Jammer und Schauder (das ist, nebenbei, die Bedeutung von
eleos und
phobos, nicht Furcht und Mitleid) angesichts menschlichen Leids, hier angesichts des Scheiterns der Liebe: statt ergriffen geht der Zuschauer betreten, wo nicht angewidert von dannen (auch hier höre ich schon den Einwand, daß das eben ein Akt psychologischer Fürsorge sei welche den Zuschauer nicht zum Opfer des Illusionstheaters fallen lassen wolle...).
Ich habe weiter oben schon gesagt, daß ich es angesichts der unseligen Geschichte, die zwischen uns und Wagner liegt, sehr verständlich finde, wenn eine Inszenierung Distanz, auch ironische, zu Wagners deutschnationaler Version des Mythos schafft. Dabei aber darf die Tragödie weder zum Satyrspiel noch zum Ekelstück werden.
Schöne Grüße,
Friedrich
PS. Sinnentstellende Texteingriffe kennt das Regietheater zuhauf!