1. Teil:.... ähem.......
Ihr Lieben,
also ehrlich - ich finde die Diskussion hier super. Und ich tue mich schwer, so gut zu argumentieren, wie ich gerne würde, weil ich zu wenig weiß.
Deshalb bin ich immer noch am Schlittschulaufen. *grins*
Was mich an eurer Haltung stört, ist die Sicherheit, mit der ihr sagt, dass Neuenfels' Inszenierung schlecht ist. Nicht dass ihr sie schlecht findet, sondern dass sie schlecht ist.
Ich persönlich habe nie behauptet, dass sie gut ist, sondern nur dass ich sie gut finde. Daher meine ich, lieber Friedrich, dass ich keine Beweislastumkehr vorgenommen habe. Ich meine vielmehr, dass ihr behauptet, sie sei schlecht. Wobei, lieber rolf, natürlich die Möglichkeit besteht, dass sie schlecht ist, ich sie aber gut finde! :D
Wenn ich eine Interpretation eines Pianisten höre, der ein Stück z.B. im Tempo, in seinen Relationen sehr verfremdet, so dass es plötzlich eine ganz andere musikalische Aussage bekommt als in den Noten steht (Gould, auch Pogorelich......), wird sie auch nicht zwangsläufig als schlecht bezeichnet. Als exzentrisch, extravagant, genial,......... haben solche Interpretationen sogar Maßstäbe gesetzt.
Woher nehmt ihr diese Sicherheit? Kann es wirklich so einfach sein, wie ihr es hier beschreibt, eine gute von einer schlechten Inszenierung zu unterscheiden?
wenn aber diese Handlung als "Bio-Verhaltens-Laborexperiment" versinnbildlicht wird, dann bedarf es logischerweise eines Experimantators, der eben den "gottgesandten" zu seinen "Laborratten" dazutut: wer aber soll das sein und wo finden wir auch nur einen Ansatz für diese Figur? Erraten: das finden wir im Text nirgendwo - und damit ist der Stab schon gebrochen.
Und noch kurz zum Lohengrin: Wagner hat keine Ratten darin vorgesehen. Somit haben die da auch nix verloren.... Die zählen für mich zu den 1000 Unmöglichkeiten.
Wenn man euren Ansatz aber konsequent weiter denkt, müsste man allerhand aus allen möglichen Inszenierungen verbannen. Alle Requisiten aus unserer Welt z.B., denn die hat es damals noch nicht gegeben und im Text stehen sie auch nicht.
Und die Existenz einer solchen Figur, Rolf, könnte doch auch fiktiv sein und nicht im Stück selbst erscheinen. Ich verstehe schon deinen Ansatz, aber gerade das Fehlen dieser Figur hat mich zum Nachdenken gebracht (wir alle leben im selbst gemachten Hamsterrad, Konsum......). Das fand ich spannend und da geschieht für mich genau das:
"Warum dem Publikum das Vergnügen rauben, selbst etwas zu entdecken, was ihm bekannt vorkommt an dieser Geschichte."
Ich habe das nämlich auch so verstanden wie du, lieber gubu, bloß ist der riesengroße Unterschied zwischen uns, dass mich eben der Neuenfels genau dazu anregt! :p
Wo ich euch absolut verstehe, ist im Folgenden:
Was mich noch stört an vielen "modernen" Inszenierungen" sagt H. ebenfalls sehr gut:
"Ein organisches Zusammenwirken der Künste, für Musiktheater von entscheidender Bedeutung, wurde als Ziel längst aufgegeben. Übereinstimmung von Musik und Szene gilt als Tautologie und wird verteufelt." Und die Folge: Das empfindliche Gewebe aus Dichtung, Musik und Aktion wird zerstört, wie H. sinngemöß zutreffend feststellt.
Doch an diesem Punkt muß man wohl auf dem schlichten Einwand insistieren, daß der Interpret Diener des Autors ist und als Vermittler zwischen ihm und dem Publikum fungiert. Will er das nicht, sollte er doch besser selber zum Autor werden.
das hätten die Regisseure gerne so, aber es ist ein elementarer Fehler: Inszenierung wie Interpretation sind Bestandteile der Rezeption, sie sind keine Werke und haben keinen Werkcharakter.
Das ist wohl der zentrale Punkt. Was nun Klaviermusik angeht, bin ich ein absoluter Verfechter der Texttreue. Nun müsste ich es logischerweilse hier auch sein. Es ist auch so, dass die Neuenfels-Inszenierung gerade deshalb so einen Eindruck auf mich gemacht hat, weil ich Text, Musik und Inszenierung als aus einem Guss empfunden habe. Hier, lieber Friedrich, sind wir uns eben nicht einig:
Nun sind wir uns ja einig, daß Neuenfels mit seinen Ratten den Chor in den Fokus rückt und das natürlich zu Lasten der Hauptfiguren.
Ich fand ja, ich wiederhole es nochmals, das diese Aufführung ihre Hauptaugenmerk auf die Beziehungen der Hauptpersonen gerichtet und diese wunderbar dargestellt hat. Die Ratten fand ich überhaupt nicht so wichtig. Und den König habe ich letztlich als so schwankend und haltlos empfunden, weil er trotz seiner Macht die Katastrophe nicht verhindern kann und hilflos bleibt. Für mich hat es gepasst. Aber entweder habt ihr es nicht so wahrgenommen oder es nicht so empfunden - ich höre immer nur "Ratten". :D
Ich bin mir selbst noch nicht schlüssig darüber, wie weit denn Texttreue in einer Oper gehen sollte. Einerseits möchte ich auch den Text über alles stellen (schon weil ich selbst musikalisch so arbeite), andererseits ist Oper im Gegensatz zur Instrumentalmusik nicht nur etwas, was man hört, sondern auch etwas, was man sieht.
Und da ist zumindest mit der Werktreue schon schwierig - überhaupt ist es nahezu unmöglich, eine Geschichte realistisch auf einer Bühne abzubilden (eine Kulisse macht noch kein echtes Walhall, der Rhein wird sich auch nicht bemühen, mal kurz in Bayreuth's Oper einzukehren :D). Also muss Oper optisch ohnehin mit Illusionen, mit Symbolen arbeiten. Da fragt es sich, was nun Werktreue dort ist.
Wie weit ist sie gefasst, was bedeutet sie?
Bei euch ist das relativ klar und ich kann eure Haltung diesbezüglich sehr gut nachvollziehen. Was der Text nicht hergibt, ist nicht akzeptabel.
Der Vorteil dieser Haltung ist, dass er erstens modernes Regietheater nicht ausschließt, aber Provokationen, Unterhaltung, Selbstdarstellung um ihrer selbst willen sehr dezimiert. Es geht um die Gesamtaussage des Werkes, um die Bedeutung, um die intensive Beschäftigung damit, nicht um Äußerlichkeiten, um einen "Showeffekt".
Die Gefahr, die ich aber in einer solchen Haltung durchaus auch sehe, ist, dass man eine Inszenierung, von der man denkt, dass der Text sie nicht hergibt, innerlich schon in die Mülltonne geschmissen hat. Man sieht Ratten und denkt: 'Nicht schon wieder................ .'
Meiner Meinung nach kann eine solche Haltung durchaus auch einseitig sein und dazu führen, dass man wertvolle Ideen und Darstellungen nicht erkennt. Angenommen, die Ratten wären jetzt wirklich eine verfehlte Idee, gilt das für den anderen Teil der Inszenierung auch, der ja nicht nur aus Ratten besteht? Mit anderen Worten: könnte es nicht sein, dass man Kunst nicht mehr erkennt, wenn sie nicht in die eigenen Vorstellungen einer Opernaufführung passt?
Die Frage ist für mich also die der Grenze. Für euch vermutlich nicht, denn ihr habt sie ja klar gezogen. Aber ich bin neugierig - außerdem frage ich mich, warum die Inszenierung für mich stimmig war und für euch nicht.
Ich habe in einem Text über das Regietheater etwas gefunden, was ich gern zitieren möchte (Gesamttext:
Autorentheater versus Regietheater*-*Goethe-Institut* )
"Werktreue sagen meist Leute, die keine Ahnung haben, was in einem Text drinsteht. Die haben eine Vorstellung, wie etwas zu sein hat. Das ist alles." Das behauptet ausgerechnet die Regisseurin Andrea Breth in einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau über ihre Don Carlos-Inszenierung in Wien. Breth gilt als eine der wichtigsten Protagonistin für werktreue Inszenierungen. Doch auch sie zieht es vor, von "Texttreue" zu reden und begründet ihren Entschluss, am Ende ihres Don Carlos eine Szene wegzulassen: "Werktreu ist das nicht, wenn sie ihre Aufführung mit dem Großinquisitor enden lassen, das Stück endet doch mit einer Szene zwischen Elisabeth und Carlos. Wir haben uns aber aus politischen Gründen so entschieden (...). Ich wollte keine Versöhnung und kein Mitleid sondern eine Bestandsaufnahme."
Antike Tragödien und Komödien, das Theater der Shakespeare-Zeit und die deutschen Klassiker: Tatsächlich gibt es von all diesen Stoffen, die noch immer auch zum Lehrplan in den Schulen gehören, mehr oder weniger vage Bilder, wie etwas zu sein hat. Diese Klischees einer Epoche fürchten Regisseure wie Andrea Breth oder Michael Thalheimer. Sie wollen nicht die Gewissheit bestätigen, was in einem Stück steht, sondern die Gedanken wieder in Bewegung versetzen und herausfinden, welche Fragen und Konflikte uns heute bewegen."
2. Teil folgt..................................................................