Mögt ihr Oper?

Mögt ihr Oper


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    369
Wenn nun dem Neuenfels nur und einzig was zum Hinergrund einfällt (und da auch nicht mal sonderlich viel: warum taumelt und schlurft der König wie ein Depp?), dann wäre das so, als würde man den gesamten Faust einzig in Auerbachs Keller inszenieren.... geschnallt? Oder übertragen auf eine Sonate, z.B. die Waldsteinsonate, wäre das so, als würde man alles ungekonnt und scheußlich spielen, einzig eine Handvoll E-Dur Akkorde aber schön :D:D:D

Süßester alle süßen (H)Rolfe,

vielen Dank für deine bemerkenswerten Ausführungen!!!!!! Dennoch bin ich immer noch nicht überzeugt! Denn die Ratten nehmen doch den Hauptpersonen nichts! Diese standen nach meiner bescheidenen Auffassung immer noch im Zentrum des Geschehens, durch die Farbwahl, z.B. im zweiten Akt (Elsa weiß, Ortrud schwarz.......................) durchaus klar hervorgehoben (durch die Musik sowieso) - die Ratten haben die Handlung nicht überlagert, sondern nur einen interessanten Aspekt hineingebracht. Das wäre, als würde man die Waldsteinsonate super spielen, aber das zweite Thema eben besonders schön oder interessant!

Liebste Grüße und ein herzliches
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chiarina
 
...ansonsten bleibt weiterhin unklar, warum der König - ob nun Ratte oder nicht - ein Trottel sein muss... :D:D:D
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Eine sehr schöne und interessante Diskussion findet hier statt! Da tut es mir richtig leid, daß ich mir die Ratten nicht angeschaut habe - wollt' sie ja eigentlich aufzeichnen und hab's dann aber vergessen. :roll: Naja, irgendwann werde ich es schon noch sehen.

Ich habe mich jetzt mal bei den DVDs umgesehen, da gibt es die Chereau Inszenierung, die werde ich mir jetzt mal zulegen, dann eine von Harry Kupfer - ich denke der fällt dann auch unter Regietheater, oder?

Gibt es eigentlich auch eine gute, ganz traditionelle Inszenierung auf DVD? Ich bin ja erst dabei mich mit dem Ring vertraut zu machen, und eigentlich interessiert mich die Musik mehr, als das Bühnenbild, deshalb habe ich auch nur die CDs gekauft. Jetzt habt ihr mich aber neugierig gemacht - ich würde aber lieber zuerst eine klassische Inszenierung anschauen, bevor ich mich mit dem Regietheater auseinandersetze?

Habt ihr da einen Tip für mich?

Herzliche Grüße, PP
 
Ich bin ja erst dabei mich mit dem Ring vertraut zu machen, und eigentlich interessiert mich die Musik mehr, als das Bühnenbild, deshalb habe ich auch nur die CDs gekauft. Jetzt habt ihr mich aber neugierig gemacht - ich würde aber lieber zuerst eine klassische Inszenierung anschauen, bevor ich mich mit dem Regietheater auseinandersetze?
der Ring ist da ein Glücksfall: Chareau/Boulez aus Bayreuth kannst Du ruhig kaufen - da passt alles!
 
der Ring ist da ein Glücksfall: Chareau/Boulez aus Bayreuth kannst Du ruhig kaufen - da passt alles!

Auch Chéreau ist in der ersten Runde 1976 nicht gerade mit Beifallsstürmen bedacht worden. Erst die Jahre danach ist rückblickend die Qualität dieser Inszenierung deutlich geworden. Manche Dinge brauchen einfach etwas Zeit. Ob das Gleiche in ein paar Jahren über die aktuellen Darbietungen gesagt werden kann, wird die Zukunft zeigen.
 
Lieber gubu,


ich habe jetzt das wirklich hochinteressante Interview und die vorhergehenden Beiträge gelesen! Nochmals danke!!!

Ich hoffe, es ist o.k., wenn ich einige Stellen hier zitiere, die mir besonders wichtig erscheinen. Es wird leider lang... . :p


Erst einmal geht es Herz, selbst Prof. und Regisseur, um die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Bewertungen einer Inszenierung auch von Fachleuten. Er fand z.B. selbst eine Aufführung furchtbar, erzählt aber


"Ernstzunehmende Leute finden diese Inszenierung wunderbar."


Da frage ich mich wieder, ob man wirklich immer die Qualität einer Inszenierung so klar objektiv definieren/bewerten kann. Die Bewertungskriterien jedenfalls scheinen sehr unterschiedlich zu sein, sonst wäre das Ergebnis nicht so verschieden. Also könnte es doch auch hier sein, dass die Neuenfels-Inszenierung gut ist, obwohl ihr sie schlecht findet.

In vielen Punkten stimme ich mit Herz überein. Ganz besonders dann, wenn er den Eventcharakter einer Aufführung kritisiert:"An die Nieren ging einem nichts" und - besonders schön - "Oper als Folge von Bilderrätseln – aber vielleicht soll man gar nicht nach Lösungen suchen? Darf man argwöhnen, dass auch den Produzenten die Bebilderung der Musik wichtiger war als eine Vermittlung von Sinn?" Später bringt er den Begriff der "Profilneurose" von Regisseuren ein.

Auch: "Es wird nicht das komplexe, in sich selten widerspruchsvolle Gesamtkunstwerk dargeboten, sondern stattdessen die Assoziationen, die der Regie eingefallen sind zum Stoff."


Und: "Das Unglück ist, dass diese Bilder, auf der Bühne pur dargeboten, dem heutigen Zuschauer eher die anheimelnde Welt eines Märchens vorgaukeln anstatt ihm bestürzende Einblicke zu gewähren in Abgründe unseres Daseins, Abgründe unseres gesellschaftlichen Daseins – die eigentlich vermittelt werden sollten!"


Kritisiert wird also eine Oberflächlichkeit, die den Stoff als Selbstzweck (Provokation, Ideenreichtum......) benutzt, anstatt zur Reflexion, zur Auseinandersetzung einzuladen. Äußerlichkeit statt Innerlichkeit sozusagen.

Da bin ich vollkommen mit einig, wie ihr euch denken könnt!

Herz möchte zudem, dass dem Stück keine ihm fremde Idee aufgestülpt wird. Als Beispiel führt er die Liebe an, die im Werk Wagners eine zentrale Rolle spielt.

"Auf der Opernbühne äußert sich das vorzugsweise so: entweder ER schmeißt sich auf SIE, und beide vollführen rhythmische Gymnastik; oder die Beiden sitzen 10 Meter von einander entfernt, jeder auf einem Stuhl, keiner schaut den anderen an, und singen ein Duett."



So erging es mir bei der Tristan-Aufführung, in der die beiden Hauptdarsteller genauso agierten. Das wirket sehr unlebendig, passte weder zur Musik noch zur Geschichte und hat mir dementsprechend nicht gefallen. Auch in der Götterdämmerung neulich fingen Gunther und Gutrune plötzlich an, kindisch mit albernem Lachen Fangen zu spielen - ich fand das sehr merkwürdig, völlig unpassend und mir jedenfalls hat sich der Sinn überhaupt nicht erschlossen.

Das mit den Ratten habe ich aber hier sofort verstanden - da habe ich keine Deutungen etc. lesen müssen. Da die Beziehung zwischen Elsa und Lohengrin sehr, sehr intensiv dargestellt wurde, habe ich auch keine "Überinterpretation", keine Ablenkung vom Wesentlichen feststellen können. Könnte es nicht sein, dass ihr durch eure (vermutlich verständliche) Abneigung gegen so manche Inszenierung schon so gepolt seid, dass ihr nur noch auf die Ratten schaut, statt unbefangen alles aufzunehmen? :D Ich habe die als gar nicht so vorherrschend empfunden.

Was Herz nun über Wagner und seine Ziele sagt, finde ich wunderbar und trifft sich doch mit den in meinen ersten posts genannten Absichten:

"Er wollte auf Menschen wirken, er wollte – durch sein Werk – der Menschheit Zeichen setzen, wollte Menschen wachrütteln, ihnen Werte gegenwärtig machen, Werte, um die es lohnt zu leben, wollte ihnen die Augen öffnen über Schein – Werte, die sie lieber von sich werfen sollten als um ihretwillen mit ihnen zugrunde gehen!"


Der aufklärerische Gedanke scheint also Wagner doch wichtig gewesen zu sein! Wenn du dann sagst, lieber gubu, dass die Leute, denen dies gut tun würde, erst gar nicht in solche Opern gingen, sage ich: 'Na, wir sind doch erst mal die Ersten, die Aufklärung nötig haben!" Da fasse ich mir mal lieber an die eigene Nase! :p Meistens sind es ja die "oberen Zehntausend", die die Geschicke des Staates lenken. Ein bisschen Aufklärung kann da nicht schaden, wenn es denn überhaupt möglich ist.

Interessant finde ich, dass Wagner, der jede Aktion in seinen Regieanweisungen genauestens festlegte, trotzdem immer wieder Änderungen vornahm:


"Richard WAGNER, der unentwegt selbst allen vormimte, wie er’s haben wollte (eine Methode, die zum Ziele führen kann, aber durchaus nicht muss), der jedoch in der nächsten Probe regelmäßig das wieder umschmiss, was er selbst erarbeitet hatte. Ergebnis: „Nächstes Jahr machen wir alles anders!“ – nächstes Jahr, 1877: Kein Geld, keine Festspiele." ................................


Schließlich kommt Herz zum Kernpunkt seiner Ausführungen:


"Eine Grundforderung Richard Wagners scheint mir zu sein: Zeigen, was gemeint ist!"


Nur ist das offensichtlich nicht ganz so einfach, denn er schreibt weiterhin:


"Man sagt, Wagners Werk berge in sich unendlich viele Aspekte, unendlich viele Möglichkeiten, sich ihm zu nähern. Nun, ich weiß nicht, ob unendlich viele, auf jeden Fall aber unübersehbare, unvorhersehbare. Aber außer den 1000 Möglichkeiten gibt es, so möchte ich behaupten, mindestens ebenso viele Unmöglichkeiten."


Wie unterscheidet man das Eine von dem Anderen? Wer kann objektiv sagen, dass Neuenfels' Ratten das Unmögliche seien, weil sie in der Handlung als Hintergrundfiguren auftauchen, und nicht das Mögliche, mit dem die Kulisse, ein Versuchslabor, logisch wird?

Denn Herz schreibt an anderer Stelle:

" Müsste dieses Brabant, das um ein Haar die Elsa für schuldig befinden wird des Mordes an ihrem Bruder – müsste dieses Brabant nicht vielmehr eine solche Welt darstellen: beklemmend, vernagelt und verkeilt, bis dann das Wunder hereinbricht und, auf Zeit, alles in ein verklärendes Licht taucht?"

Ein Versuchslabor könnte durchaus als ein solcher beklemmender, vernagelter Ort dienen.

Zum Schluss noch einige Zitate, die vermutlich auch Rolfs Sichtweise sehr treffen, die ich aber auch nur unterschreiben kann:


"Um einer symbolischen Aussage willen, die der Regisseur ersonnen hat, haben die Personen des Stückes heute oft Handlungen auszuführen, die mit der Situation, in der sie sich befinden, nichts zu tun haben.
Ein Mensch wird somit nicht gezeigt als handelnd und, als ein Handelnder, singend sich äußernd, er wird benutzt als Demonstrationsobjekt............................

Aber die Umsetzung einer Dichtung und einer Musik auf die Bühne ist nun mal gekoppelt an diese Dichtung, an diese Musik und darf doch wohl beurteilt werden auch danach, welches Verhältnis zu diesen beiden sie einnimmt – oder muss alles gut geheißen werden, nur weil es neu und anders ist? „Fortschritt“ kann ebenso zum Fetisch werden wie dereinst „Werktreue“....................................


Ich meine, das Theater hätte eine weit größere Chance, auch für seinen unmittelbaren Erfolg, wenn es eine Geschichte als eine erstaunliche, uns fremde, aber auf rätselhafte Weise doch uns angehende vor uns hinstellt und es uns überlässt herauszufinden, ob da vielleicht überraschende Ähnlichkeiten zu entdecken sind zu der Welt, in der wir leben, anstatt uns fortwährend weismachen zu wollen, das da oben seien akkurat wir und unsere Nachbarn."



Ich habe aber die Inszenierung von Neuenfels genauso empfunden und verstanden.

Liebe Grüße

chiarina
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Wie unterscheidet man das Eine von dem Anderen? Wer kann objektiv sagen, dass Neuenfels' Ratten das Unmögliche seien, weil sie in der Handlung als Hintergrundfiguren auftauchen, und nicht das Mögliche, mit dem die Kulisse, ein Versuchslabor, logisch wird?
Das ist doch ganz einfach:
a) der reale Heinrich der I war weder ein Trottel noch eine Ratte
b) auch der Bühnen-Heinrich in Wagners "großer romantischer Oper" Lohengrin ist weder ein Trottel noch eine Ratte
Diesen banalen Umstand könnte man mal im Auge behalten... ;)
c) dem Bühnen-Heinrich nebst der Bühnenwelt hilft unverhofft ein quasi gottgesandter Retter, der allerdings für die Bühnenwelt eher inakzeptable Forderungen stellt (nie sollst du mich befragen), was auf Dauer nicht gutgehen kann und es folglich auch nicht tut (erkennt ihr ihn, dann muss er von euch zieh´n) - eigentlich eine sehr schöne Fabel
Das muss nun nicht zwingend in historisierenden Kettenhemdkostümen aufgeführt werden, der Heinrich könnte (etwas an den Haaren aktualisierend herbeigezerrt) auch als Parteichef (lasst uns die Wahl gegen die bösen Ungarn gewinnen) oder Konzernboss (wehret der feindlichen Übernahme etc) kostümiert werden, was an den Konflikten der Handlung nichts ändert - wenn aber diese Handlung als "Bio-Verhaltens-Laborexperiment" versinnbildlicht wird, dann bedarf es logischerweise eines Experimantators, der eben den "gottgesandten" zu seinen "Laborratten" dazutut: wer aber soll das sein und wo finden wir auch nur einen Ansatz für diese Figur? Erraten: das finden wir im Text nirgendwo - und damit ist der Stab schon gebrochen.
 
Da frage ich mich wieder, ob man wirklich immer die Qualität einer Inszenierung so klar objektiv definieren/bewerten kann. Die Bewertungskriterien jedenfalls scheinen sehr unterschiedlich zu sein, sonst wäre das Ergebnis nicht so verschieden. Also könnte es doch auch hier sein, dass die Neuenfels-Inszenierung gut ist, obwohl ihr sie schlecht findet.

...Chiarinchen... *Zeigfinger heb*
...was ist denn das für ein Argument?
...es könnte doch auch hier sein, dass ....... *) gut ist, obwohl ......**) und das schlecht finden

*) hier kann man allerlei einsetzen, z.B. Banken stürmen nebst Bänker killen und Tresor ausräumen
**) hier könnte man ebenfalls allerlei einsetzen, z.B. die dummen Richter das bestrafen

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Lieber gubu,


ich habe jetzt das wirklich hochinteressante Interview und die vorhergehenden Beiträge gelesen! Nochmals danke!!!

Ich hoffe, es ist o.k., wenn ich einige Stellen hier zitiere, die mir besonders wichtig erscheinen. Es wird leider lang... . :p


Erst einmal geht es Herz, selbst Prof. und Regisseur, um die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Bewertungen einer Inszenierung auch von Fachleuten. Er fand z.B. selbst eine Aufführung furchtbar, erzählt aber


"Ernstzunehmende Leute finden diese Inszenierung wunderbar."


Da frage ich mich wieder, ob man wirklich immer die Qualität einer Inszenierung so klar objektiv definieren/bewerten kann. Die Bewertungskriterien jedenfalls scheinen sehr unterschiedlich zu sein, sonst wäre das Ergebnis nicht so verschieden. Also könnte es doch auch hier sein, dass die Neuenfels-Inszenierung gut ist, obwohl ihr sie schlecht findet.

In vielen Punkten stimme ich mit Herz überein. Ganz besonders dann, wenn er den Eventcharakter einer Aufführung kritisiert:"An die Nieren ging einem nichts" und - besonders schön - "Oper als Folge von Bilderrätseln – aber vielleicht soll man gar nicht nach Lösungen suchen? Darf man argwöhnen, dass auch den Produzenten die Bebilderung der Musik wichtiger war als eine Vermittlung von Sinn?" Später bringt er den Begriff der "Profilneurose" von Regisseuren ein.

Auch: "Es wird nicht das komplexe, in sich selten widerspruchsvolle Gesamtkunstwerk dargeboten, sondern stattdessen die Assoziationen, die der Regie eingefallen sind zum Stoff."


Und: "Das Unglück ist, dass diese Bilder, auf der Bühne pur dargeboten, dem heutigen Zuschauer eher die anheimelnde Welt eines Märchens vorgaukeln anstatt ihm bestürzende Einblicke zu gewähren in Abgründe unseres Daseins, Abgründe unseres gesellschaftlichen Daseins – die eigentlich vermittelt werden sollten!"


Kritisiert wird also eine Oberflächlichkeit, die den Stoff als Selbstzweck (Provokation, Ideenreichtum......) benutzt, anstatt zur Reflexion, zur Auseinandersetzung einzuladen. Äußerlichkeit statt Innerlichkeit sozusagen.

Da bin ich vollkommen mit einig, wie ihr euch denken könnt!

Herz möchte zudem, dass dem Stück keine ihm fremde Idee aufgestülpt wird. Als Beispiel führt er die Liebe an, die im Werk Wagners eine zentrale Rolle spielt.

"Auf der Opernbühne äußert sich das vorzugsweise so: entweder ER schmeißt sich auf SIE, und beide vollführen rhythmische Gymnastik; oder die Beiden sitzen 10 Meter von einander entfernt, jeder auf einem Stuhl, keiner schaut den anderen an, und singen ein Duett."



So erging es mir bei der Tristan-Aufführung, in der die beiden Hauptdarsteller genauso agierten. Das wirket sehr unlebendig, passte weder zur Musik noch zur Geschichte und hat mir dementsprechend nicht gefallen. Auch in der Götterdämmerung neulich fingen Gunther und Gutrune plötzlich an, kindisch mit albernem Lachen Fangen zu spielen - ich fand das sehr merkwürdig, völlig unpassend und mir jedenfalls hat sich der Sinn überhaupt nicht erschlossen.

Das mit den Ratten habe ich aber hier sofort verstanden - da habe ich keine Deutungen etc. lesen müssen. Da die Beziehung zwischen Elsa und Lohengrin sehr, sehr intensiv dargestellt wurde, habe ich auch keine "Überinterpretation", keine Ablenkung vom Wesentlichen feststellen können. Könnte es nicht sein, dass ihr durch eure (vermutlich verständliche) Abneigung gegen so manche Inszenierung schon so gepolt seid, dass ihr nur noch auf die Ratten schaut, statt unbefangen alles aufzunehmen? :D Ich habe die als gar nicht so vorherrschend empfunden.

Was Herz nun über Wagner und seine Ziele sagt, finde ich wunderbar und trifft sich doch mit den in meinen ersten posts genannten Absichten:

"Er wollte auf Menschen wirken, er wollte – durch sein Werk – der Menschheit Zeichen setzen, wollte Menschen wachrütteln, ihnen Werte gegenwärtig machen, Werte, um die es lohnt zu leben, wollte ihnen die Augen öffnen über Schein – Werte, die sie lieber von sich werfen sollten als um ihretwillen mit ihnen zugrunde gehen!"


Der aufklärerische Gedanke scheint also Wagner doch wichtig gewesen zu sein! Wenn du dann sagst, lieber gubu, dass die Leute, denen dies gut tun würde, erst gar nicht in solche Opern gingen, sage ich: 'Na, wir sind doch erst mal die Ersten, die Aufklärung nötig haben!" Da fasse ich mir mal lieber an die eigene Nase! :p Meistens sind es ja die "oberen Zehntausend", die die Geschicke des Staates lenken. Ein bisschen Aufklärung kann da nicht schaden, wenn es denn überhaupt möglich ist.

Interessant finde ich, dass Wagner, der jede Aktion in seinen Regieanweisungen genauestens festlegte, trotzdem immer wieder Änderungen vornahm:


"Richard WAGNER, der unentwegt selbst allen vormimte, wie er’s haben wollte (eine Methode, die zum Ziele führen kann, aber durchaus nicht muss), der jedoch in der nächsten Probe regelmäßig das wieder umschmiss, was er selbst erarbeitet hatte. Ergebnis: „Nächstes Jahr machen wir alles anders!“ – nächstes Jahr, 1877: Kein Geld, keine Festspiele." ................................


Schließlich kommt Herz zum Kernpunkt seiner Ausführungen:


"Eine Grundforderung Richard Wagners scheint mir zu sein: Zeigen, was gemeint ist!"


Nur ist das offensichtlich nicht ganz so einfach, denn er schreibt weiterhin:


"Man sagt, Wagners Werk berge in sich unendlich viele Aspekte, unendlich viele Möglichkeiten, sich ihm zu nähern. Nun, ich weiß nicht, ob unendlich viele, auf jeden Fall aber unübersehbare, unvorhersehbare. Aber außer den 1000 Möglichkeiten gibt es, so möchte ich behaupten, mindestens ebenso viele Unmöglichkeiten."


Wie unterscheidet man das Eine von dem Anderen? Wer kann objektiv sagen, dass Neuenfels' Ratten das Unmögliche seien, weil sie in der Handlung als Hintergrundfiguren auftauchen, und nicht das Mögliche, mit dem die Kulisse, ein Versuchslabor, logisch wird?

Denn Herz schreibt an anderer Stelle:

" Müsste dieses Brabant, das um ein Haar die Elsa für schuldig befinden wird des Mordes an ihrem Bruder – müsste dieses Brabant nicht vielmehr eine solche Welt darstellen: beklemmend, vernagelt und verkeilt, bis dann das Wunder hereinbricht und, auf Zeit, alles in ein verklärendes Licht taucht?"

Ein Versuchslabor könnte durchaus als ein solcher beklemmender, vernagelter Ort dienen.

Zum Schluss noch einige Zitate, die vermutlich auch Rolfs Sichtweise sehr treffen, die ich aber auch nur unterschreiben kann:


"Um einer symbolischen Aussage willen, die der Regisseur ersonnen hat, haben die Personen des Stückes heute oft Handlungen auszuführen, die mit der Situation, in der sie sich befinden, nichts zu tun haben.
Ein Mensch wird somit nicht gezeigt als handelnd und, als ein Handelnder, singend sich äußernd, er wird benutzt als Demonstrationsobjekt............................

Aber die Umsetzung einer Dichtung und einer Musik auf die Bühne ist nun mal gekoppelt an diese Dichtung, an diese Musik und darf doch wohl beurteilt werden auch danach, welches Verhältnis zu diesen beiden sie einnimmt – oder muss alles gut geheißen werden, nur weil es neu und anders ist? „Fortschritt“ kann ebenso zum Fetisch werden wie dereinst „Werktreue“....................................


Ich meine, das Theater hätte eine weit größere Chance, auch für seinen unmittelbaren Erfolg, wenn es eine Geschichte als eine erstaunliche, uns fremde, aber auf rätselhafte Weise doch uns angehende vor uns hinstellt und es uns überlässt herauszufinden, ob da vielleicht überraschende Ähnlichkeiten zu entdecken sind zu der Welt, in der wir leben, anstatt uns fortwährend weismachen zu wollen, das da oben seien akkurat wir und unsere Nachbarn."



Ich habe aber die Inszenierung von Neuenfels genauso empfunden und verstanden.

Liebe Grüße

chiarina

Liebe chiarina,

ich habe jetzt nicht die Muße, auf alles einzugehen.

Allerdings habe ich den Eindruck, dass Du das letzte Zitat anders wertest als ich. Herz meint m.E. die Geschichte sei so, wie sie vorgesehen ist, zu erzählen, damit sich jeder selbst seinen Reim drauf machen kann. Dafür spricht auch ein anderer Satz von ihm: "Warum dem Publikum das Vergnügen rauben, selbst etwas zu entdecken, was ihm bekannt vorkommt an dieser Geschichte."

Statt dessen werden die Zuschauer mit platten, völlig werkfremden Bebilderungen überzogen und für dumm verkauft. Das stört mich. Dich -zumindest im Lohengrin- wohl eher nicht. Es sei Dir gegönnt...:D.

Was mich noch stört an vielen "modernen" Inszenierungen" sagt H. ebenfalls sehr gut:
"Ein organisches Zusammenwirken der Künste, für Musiktheater von entscheidender Bedeutung, wurde als Ziel längst aufgegeben. Übereinstimmung von Musik und Szene gilt als Tautologie und wird verteufelt." Und die Folge: Das empfindliche Gewebe aus Dichtung, Musik und Aktion wird zerstört, wie H. sinngemöß zutreffend feststellt.

Nun hat H. weder ewige Wahrheiten für sich gepachtet, noch hat es sich selbst sklavisch an die Werke gehalten. Aber erkonnte es eben!! Seine Idee, den Ring in das 19. Jh. zu verorten war vor Chereau in BT. Das hat im Westen nur kaum jemand wahrgenommen.

Und noch kurz zum Lohengrin: Wagner hat keine Ratten darin vorgesehen. Somit haben die da auch nix verloren.... Die zählen für mich zu den 1000 Unmöglichkeiten.

Herzliche Grüße
gubu

PS: Wen kluge, streitbare Texte über Oper interessieren, dem kann ich das empfehlen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Liebe Chiarina,

wenn ich Deine letzte Beiträge lese, fürchte ich, daß Du Dich anschichst, zwei Dinge zu tun, nämlich (1) den Begriff der Interpretationsfreiheit zum bindungsfreien Relativismus zu erweitern, (2) eine Beweislastumkehr vorzunehmen, wenn Du sinngemäß sagst "ich verstehe es aber so und so ..." und Dir die Begründung dafür sparst.

Zu Punkt (2) kann ich es kurz machen: wer etwas behauptet, ist in Haft genommen für den Erweis der Richtigkeit der Behauptung und nicht der Gesprächspartner für den Beweis ihrer Unrichtigkeit. Daß Du etwas so und so verstehst ist das eine; daß Deine Gesprächspartner deiner Auffassung beitreten, setzt hingegen die Last der Begründung für Dein Verständnis voraus. Zu (1): Ich glaube, wir können uns darauf einigen, daß die Interpretationsfreiheit der Regie durch den Text begrenzt wird und die Interpretation zunächst die Mühe der Erarbeitung eines vertieften Textverstädnisses voraussetzt. Was nicht heißt, herauszufinden, was der Autor "uns sagen will", denn das können wir (meist) nicht wissen, sondern heißt, daß wir neben der Analyse der Textstruktur und der Charaktere auch den literatur- geistes- und kulturgeschichtlichen Hintergrund des Textes erhellen müssen, die ästhetischen Anschauungen des Autors erarbeiten müssen und den Erwartungshorizont des Publikums, mit dem er sich auseinandersetzen muß. Das gibt uns ein Bündel von Kriterien an die Hand, die uns den Grad der Texttreue einer Inszenierung berurteilen läßt.

Nun sind wir uns ja einig, daß Neuenfels mit seinen Ratten den Chor in den Fokus rückt und das natürlich zu Lasten der Hauptfiguren. Und vielleicht auch darüber, daß, wie ich schon geschrieben habe, der Stoff Dein ursprüngliches Interpretament, der Chor verweise auf Gefahren totalitärer Systeme, einfach nicht hergibt. Was also geschieht? Die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird somit auf den Hintergrund gerichtet, ohne das in irgendeiner Weise klar wird, welche werk- oder wirkungsästhetische Funktion damit verbunden ist (erinnerst Du dich an die grundstürzenden Äußerungen von Neuenfels' franz. Kollegen in der Pause: "die Ratten sind so possierlich ..."). Vergleichbar wäre, wenn ich Dir als meiner Klavierlehrerin (schade, daß Du es nicht bist) erklären würde, daß ich etwa bei einer Passacaglia all meine Aufmerksamkeit dem ostinaten Baß widmen möchte, weil dadurch die musikalische Inszenierung an Klarheit gewänne.

Nun, ich weiß, daß Äußerungen wie die vorstehenden müßig sind, da das Regietheater den Begriff der Text- (und Werk-)treue ja verachtet. Doch an diesem Punkt muß man wohl auf dem schlichten Einwand insistieren, daß der Interpret Diener des Autors ist und als Vermittler zwischen ihm und dem Publikum fungiert. Will er das nicht, sollte er doch besser selber zum Autor werden.

Herzlichen Gruß,

Friedrich
 
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Interessanter Faden. Ich steig ein bisschen weiter oben ein...

Zitat von rolf:
bzgl. Inszenierungen lässt sich doch recht einfach feststellen, ob die Textvorgaben berücksichtigt werden oder nicht... wo ist da das Problem?

Ich denke, das Problem liegt darin, dass es so viele Texte wie Leser gibt. Auch Schriftsteller haben kein Interpretationsmonopol auf ihren Text. Sobald sie ihn publizieren, begeben sie sich ihrer Verfügungsgewalt über ihr Werk.

Zitat von chiarina:
Aber mich interessiert allmählich immer mehr, was nun eine gute Inszenierung unabhängig vom Geschmack ausmacht.

Ich bezweifle, dass es so was geben kann. Kann man sich denn darauf einigen, was unter die Kategorie "Geschmack" fällt? Selbst wenn, würde man sich darauf einigen können was schlechter Geschmack ist? Von "gutem" will ich gar nicht erst reden.

Von einer Inszenierung erwarte ich mir, dass sie mich anregt, mich mit der Deutung auseinanderzusetzen, die der Inszenierung zugrunde liegt. Eine Inszenierung ist für mich dann schlecht, wenn ich einen solchen Deutungswillen nicht erkennen kann. Ich muss aber der Deutung nicht zustimmen, um einen schönen Opernabend verbringen zu können.

Ich finde nicht, dass Mythen sich weniger für Regietheater eignen als Stoffe, die näher am wirklichen Leben (was immer das sein soll) sind. Auch wir heute haben unsere Mythen, mit denen man sich im Rahmen der Inszenierung alter Mythen befassen kann.

Die Erfahrung, dass manche Versuche, die Geschichten ins Heute zu übersetzen, aufgesetzt wirken, kenne ich auch, genauso wie, dass die Meinungen darüber total auseinandergehen können. Ist doch gut. Ich bezweifle übrigens, dass es Regisseuren primär darum geht zu provozieren.

Inszenierungen sind in meinen Augen eine eigene Kunstform, die - wie jede andere Form der Kunst auch - danach verlangt, dass man sich mit ihr auseinandersetzt. Hier entsteht dann oft der Vorwurf, die Iszenierung würde sich gegenüber dem Werk, das sie präsentiert in den Vordergrund drängen. Ich hatte zwar manchmal auch schon solche Gedanken, finde aber, dass dieser Vorwurf eigentlich ins Leere geht. Wenn ich einer Aufführung - sei es nun einer Oper oder einem Konzert - beiwohne, setze ich mich mit der Aufführung auseinander, nicht mit dem Werk. Wenn ich mich mit dem Werk auseinandersetzen möchte, muss ich selbst musiziern, den Notentext studieren etc. Zu einer Opernaufführung gehört nun mal die Inszenierung. Ohne Inszenierung kein Spektakel, kein synästhetisches Ereignis und Erlebnis Oper.

Ich bin sowohl für Regietheater als auch für ultratraditionelle Inszenierungen zu haben. Ich kann mich erinnern, vor Jahren gab es in Graz mal einen Fliegenden Holländer im Businessanzug, dessen Schatztruhe ein Aktenkoffer mit Inhaberpapieren war (an das Schiff kann ich mich nicht mehr erinnern, vielleicht gab's gar keins). Kurz darauf besuchte ich eine Vorstellung in Budapest (Holländer auf Ungarisch mit deutschen Übertiteln): eine 1:1-Nachbildung eines Schiffsbugs setzte aus dem Dunkel des Schnürbodens auf der Bühne auf, Matrosen kletterten die Wanten rauf und runter und die Juwelen des Holländers konnte man bis in die lezte Reihe im obersten Rang funkeln sehen. Beide Aufführungen haben mich berührt.

Ob man mit bestimmten Inszenierungen etwas anfangen kann, ist zumindest zum Teil auch eine Frage der eigenen Entwicklung. Ich kann mich an Zuschauer erinnern, die bei Peter Konwitschnys ersten Inszenierungen zu den lautesten Buhrufern zählen und Jahre später, als es zu einer Wiederaufführung seiner wichtigsten Inszenierungen kam, frenetisch applaudierten, als Konwitschny auf die Bühne kam.

Ich denke jeder hat das gute Recht, Inszenierungen abzulehnen, aus welchen Gründen auch immer, mit oder ohne Begründung. Kunst hat für mich etwas mit Erkennen zu tun. Was es (in einer Komposition) zu erkennen gilt, dazu kann es viele Antworten geben, die mir mehr oder auch weniger schlüssig erscheinen. Ich würde aber den Regisseuren, deren Inszenierungen mir missfallen, nicht unterstellen, sie hätten sich nicht ausreichend mit dem Werk auseinandergesetzt oder sie würden die Musik nicht lieben/respektieren.

"Warum dem Publikum das Vergnügen rauben, selbst etwas zu entdecken, was ihm bekannt vorkommt an dieser Geschichte."

Eine mögliche Antwort: Weil das Festhalten an kanonisierten Interpretationen irgendwann fad wird? Als erstes vielleicht den Künstlern selbst, die vielleicht auch mehr wollen als uns zu berieseln?


Liebe Grüße
Gernot
 
Ich denke, das Problem liegt darin, dass es so viele Texte wie Leser gibt. Auch Schriftsteller haben kein Interpretationsmonopol auf ihren Text. Sobald sie ihn publizieren, begeben sie sich ihrer Verfügungsgewalt über ihr Werk.

Gut, jetzt sind wir also bei Isers berühmten "impliziten Leser". Dieser Begriff impliziert aber nicht, daß alle möglichen Deutungen eines Werks gleichwertig und gleichberechtigt sind (hat der genannte übrigens auch nie behauptet). Daß wir, vor allem mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen uns und dem Autor, einen Text anders lesen, als er zu seiner Entstehungszeit gelesen wurde, enthebt uns nicht der Mühe der Textanalyse. Und die wiederum erlaubt uns bei der Interpretation Wahrscheinliches von Unwahrscheinlichem zu scheiden.

Schöne Grüße,

Friedrich
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
hallo Gernot,
schön dass Du dich in die hitzige Operndiskussion stürzt :) (und nimm es bitte niemandem übel, wenn hier manchmal recht pointiert und vehement diskutiert wird)
Ich denke, das Problem liegt darin, dass es so viele Texte wie Leser gibt. Auch Schriftsteller haben kein Interpretationsmonopol auf ihren Text. Sobald sie ihn publizieren, begeben sie sich ihrer Verfügungsgewalt über ihr Werk.
etwas überspitzt formuliert:
...Prokops Gotenkrieg beschreibt nicht den Prager Fenstersturz... Thomas Manns Buddenbrooks erzählen nichts von Hiroshima... das Neue Testament ruft nicht zum Buddhismus auf... ...mag es vielleicht auch Leser geben, die das gerne so läsen ;) - aber solche Leser geraten dann beim Nachweis ihrer Thesen anhand von Struktur und Inhalt des Gelesenen in erhebliche Schwierigkeiten :D

Inszenierungen sind in meinen Augen eine eigene Kunstform, die - wie jede andere Form der Kunst auch - danach verlangt, dass man sich mit ihr auseinandersetzt. Hier entsteht dann oft der Vorwurf, die Iszenierung würde sich gegenüber dem Werk, das sie präsentiert in den Vordergrund drängen. Ich hatte zwar manchmal auch schon solche Gedanken, finde aber, dass dieser Vorwurf eigentlich ins Leere geht. Wenn ich einer Aufführung - sei es nun einer Oper oder einem Konzert - beiwohne, setze ich mich mit der Aufführung auseinander, nicht mit dem Werk. Wenn ich mich mit dem Werk auseinandersetzen möchte, muss ich selbst musiziern, den Notentext studieren etc. Zu einer Opernaufführung gehört nun mal die Inszenierung. Ohne Inszenierung kein Spektakel, kein synästhetisches Ereignis und Erlebnis Oper.
das hätten die Regisseure gerne so, aber es ist ein elementarer Fehler: Inszenierung wie Interpretation sind Bestandteile der Rezeption, sie sind keine Werke und haben keinen Werkcharakter.

herzliche Grüße,
Rolf
 
Nun, ich weiß, daß Äußerungen wie die vorstehenden müßig sind, da das Regietheater den Begriff der Text- (und Werk-)treue ja verachtet. Doch an diesem Punkt muß man wohl auf dem schlichten Einwand insistieren, daß der Interpret Diener des Autors ist und als Vermittler zwischen ihm und dem Publikum fungiert. Will er das nicht, sollte er doch besser selber zum Autor werden.
Friedrich hat´s zuverlässig auf den Punkt gebracht - und da finden wir auch sehr schön erklärt, was der Interpret zu tun hat.
 
1. Teil:.... ähem.......


Ihr Lieben,

also ehrlich - ich finde die Diskussion hier super. Und ich tue mich schwer, so gut zu argumentieren, wie ich gerne würde, weil ich zu wenig weiß.

Deshalb bin ich immer noch am Schlittschulaufen. *grins*

Was mich an eurer Haltung stört, ist die Sicherheit, mit der ihr sagt, dass Neuenfels' Inszenierung schlecht ist. Nicht dass ihr sie schlecht findet, sondern dass sie schlecht ist.

Ich persönlich habe nie behauptet, dass sie gut ist, sondern nur dass ich sie gut finde. Daher meine ich, lieber Friedrich, dass ich keine Beweislastumkehr vorgenommen habe. Ich meine vielmehr, dass ihr behauptet, sie sei schlecht. Wobei, lieber rolf, natürlich die Möglichkeit besteht, dass sie schlecht ist, ich sie aber gut finde! :D

Wenn ich eine Interpretation eines Pianisten höre, der ein Stück z.B. im Tempo, in seinen Relationen sehr verfremdet, so dass es plötzlich eine ganz andere musikalische Aussage bekommt als in den Noten steht (Gould, auch Pogorelich......), wird sie auch nicht zwangsläufig als schlecht bezeichnet. Als exzentrisch, extravagant, genial,......... haben solche Interpretationen sogar Maßstäbe gesetzt.

Woher nehmt ihr diese Sicherheit? Kann es wirklich so einfach sein, wie ihr es hier beschreibt, eine gute von einer schlechten Inszenierung zu unterscheiden?


wenn aber diese Handlung als "Bio-Verhaltens-Laborexperiment" versinnbildlicht wird, dann bedarf es logischerweise eines Experimantators, der eben den "gottgesandten" zu seinen "Laborratten" dazutut: wer aber soll das sein und wo finden wir auch nur einen Ansatz für diese Figur? Erraten: das finden wir im Text nirgendwo - und damit ist der Stab schon gebrochen.

Und noch kurz zum Lohengrin: Wagner hat keine Ratten darin vorgesehen. Somit haben die da auch nix verloren.... Die zählen für mich zu den 1000 Unmöglichkeiten.

Wenn man euren Ansatz aber konsequent weiter denkt, müsste man allerhand aus allen möglichen Inszenierungen verbannen. Alle Requisiten aus unserer Welt z.B., denn die hat es damals noch nicht gegeben und im Text stehen sie auch nicht.

Und die Existenz einer solchen Figur, Rolf, könnte doch auch fiktiv sein und nicht im Stück selbst erscheinen. Ich verstehe schon deinen Ansatz, aber gerade das Fehlen dieser Figur hat mich zum Nachdenken gebracht (wir alle leben im selbst gemachten Hamsterrad, Konsum......). Das fand ich spannend und da geschieht für mich genau das:

"Warum dem Publikum das Vergnügen rauben, selbst etwas zu entdecken, was ihm bekannt vorkommt an dieser Geschichte."

Ich habe das nämlich auch so verstanden wie du, lieber gubu, bloß ist der riesengroße Unterschied zwischen uns, dass mich eben der Neuenfels genau dazu anregt! :p

Wo ich euch absolut verstehe, ist im Folgenden:


Was mich noch stört an vielen "modernen" Inszenierungen" sagt H. ebenfalls sehr gut:
"Ein organisches Zusammenwirken der Künste, für Musiktheater von entscheidender Bedeutung, wurde als Ziel längst aufgegeben. Übereinstimmung von Musik und Szene gilt als Tautologie und wird verteufelt." Und die Folge: Das empfindliche Gewebe aus Dichtung, Musik und Aktion wird zerstört, wie H. sinngemöß zutreffend feststellt.

Doch an diesem Punkt muß man wohl auf dem schlichten Einwand insistieren, daß der Interpret Diener des Autors ist und als Vermittler zwischen ihm und dem Publikum fungiert. Will er das nicht, sollte er doch besser selber zum Autor werden.


das hätten die Regisseure gerne so, aber es ist ein elementarer Fehler: Inszenierung wie Interpretation sind Bestandteile der Rezeption, sie sind keine Werke und haben keinen Werkcharakter.


Das ist wohl der zentrale Punkt. Was nun Klaviermusik angeht, bin ich ein absoluter Verfechter der Texttreue. Nun müsste ich es logischerweilse hier auch sein. Es ist auch so, dass die Neuenfels-Inszenierung gerade deshalb so einen Eindruck auf mich gemacht hat, weil ich Text, Musik und Inszenierung als aus einem Guss empfunden habe. Hier, lieber Friedrich, sind wir uns eben nicht einig:

Nun sind wir uns ja einig, daß Neuenfels mit seinen Ratten den Chor in den Fokus rückt und das natürlich zu Lasten der Hauptfiguren.

Ich fand ja, ich wiederhole es nochmals, das diese Aufführung ihre Hauptaugenmerk auf die Beziehungen der Hauptpersonen gerichtet und diese wunderbar dargestellt hat. Die Ratten fand ich überhaupt nicht so wichtig. Und den König habe ich letztlich als so schwankend und haltlos empfunden, weil er trotz seiner Macht die Katastrophe nicht verhindern kann und hilflos bleibt. Für mich hat es gepasst. Aber entweder habt ihr es nicht so wahrgenommen oder es nicht so empfunden - ich höre immer nur "Ratten". :D

Ich bin mir selbst noch nicht schlüssig darüber, wie weit denn Texttreue in einer Oper gehen sollte. Einerseits möchte ich auch den Text über alles stellen (schon weil ich selbst musikalisch so arbeite), andererseits ist Oper im Gegensatz zur Instrumentalmusik nicht nur etwas, was man hört, sondern auch etwas, was man sieht.

Und da ist zumindest mit der Werktreue schon schwierig - überhaupt ist es nahezu unmöglich, eine Geschichte realistisch auf einer Bühne abzubilden (eine Kulisse macht noch kein echtes Walhall, der Rhein wird sich auch nicht bemühen, mal kurz in Bayreuth's Oper einzukehren :D). Also muss Oper optisch ohnehin mit Illusionen, mit Symbolen arbeiten. Da fragt es sich, was nun Werktreue dort ist.

Wie weit ist sie gefasst, was bedeutet sie?

Bei euch ist das relativ klar und ich kann eure Haltung diesbezüglich sehr gut nachvollziehen. Was der Text nicht hergibt, ist nicht akzeptabel.

Der Vorteil dieser Haltung ist, dass er erstens modernes Regietheater nicht ausschließt, aber Provokationen, Unterhaltung, Selbstdarstellung um ihrer selbst willen sehr dezimiert. Es geht um die Gesamtaussage des Werkes, um die Bedeutung, um die intensive Beschäftigung damit, nicht um Äußerlichkeiten, um einen "Showeffekt".

Die Gefahr, die ich aber in einer solchen Haltung durchaus auch sehe, ist, dass man eine Inszenierung, von der man denkt, dass der Text sie nicht hergibt, innerlich schon in die Mülltonne geschmissen hat. Man sieht Ratten und denkt: 'Nicht schon wieder................ .'

Meiner Meinung nach kann eine solche Haltung durchaus auch einseitig sein und dazu führen, dass man wertvolle Ideen und Darstellungen nicht erkennt. Angenommen, die Ratten wären jetzt wirklich eine verfehlte Idee, gilt das für den anderen Teil der Inszenierung auch, der ja nicht nur aus Ratten besteht? Mit anderen Worten: könnte es nicht sein, dass man Kunst nicht mehr erkennt, wenn sie nicht in die eigenen Vorstellungen einer Opernaufführung passt?

Die Frage ist für mich also die der Grenze. Für euch vermutlich nicht, denn ihr habt sie ja klar gezogen. Aber ich bin neugierig - außerdem frage ich mich, warum die Inszenierung für mich stimmig war und für euch nicht.

Ich habe in einem Text über das Regietheater etwas gefunden, was ich gern zitieren möchte (Gesamttext: Autorentheater versus Regietheater*-*Goethe-Institut* )

"Werktreue sagen meist Leute, die keine Ahnung haben, was in einem Text drinsteht. Die haben eine Vorstellung, wie etwas zu sein hat. Das ist alles." Das behauptet ausgerechnet die Regisseurin Andrea Breth in einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau über ihre Don Carlos-Inszenierung in Wien. Breth gilt als eine der wichtigsten Protagonistin für werktreue Inszenierungen. Doch auch sie zieht es vor, von "Texttreue" zu reden und begründet ihren Entschluss, am Ende ihres Don Carlos eine Szene wegzulassen: "Werktreu ist das nicht, wenn sie ihre Aufführung mit dem Großinquisitor enden lassen, das Stück endet doch mit einer Szene zwischen Elisabeth und Carlos. Wir haben uns aber aus politischen Gründen so entschieden (...). Ich wollte keine Versöhnung und kein Mitleid sondern eine Bestandsaufnahme."

Antike Tragödien und Komödien, das Theater der Shakespeare-Zeit und die deutschen Klassiker: Tatsächlich gibt es von all diesen Stoffen, die noch immer auch zum Lehrplan in den Schulen gehören, mehr oder weniger vage Bilder, wie etwas zu sein hat. Diese Klischees einer Epoche fürchten Regisseure wie Andrea Breth oder Michael Thalheimer. Sie wollen nicht die Gewissheit bestätigen, was in einem Stück steht, sondern die Gedanken wieder in Bewegung versetzen und herausfinden, welche Fragen und Konflikte uns heute bewegen."


2. Teil folgt..................................................................
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
2. Teil: *hüstel*.....


Oder hier Rene Pollesch, der allerdings eine andere Art Theater macht, in einem Interview: ( Autorentheater versus Regietheater*-*Goethe-Institut* )

"Ist das ein Merkmal, wie sich der Werkbegriff des postmodernen Theaters vom klassischen Stücktext unterscheidet?"

"Ja, wir hoffen dass unsere Neugier am Thema überspringt auf das Publikum. Das Ergebnis ist offen, der Text will noch etwas wissen, er ist keine Bilanz und das soll er auch nicht werden. Das irritiert mich am Autorentheater, zum Beispiel bei Rolf Hochhuth. Er kommt aufgrund seiner Recherchen zu einer Bilanz, und dieser Bilanz unterwirft er alles. Das finde ich den Tod des Theaters, dass alle, Schauspieler, Regisseur, degradiert werden zu Dienstleistern im Sinn einer Botschaft. Die Subjektivität der Beteiligten darf nicht vorkommen, ihre Auseinandersetzung mit dem Thema. Diesen Begriff von Werk teile ich nicht, und deshalb auch nicht den Ruf nach Werktreue."


Oder hier: Daniel Kehlmann und das "Regietheater" - Wo gibt's hier Spaghetti? - Kultur - sueddeutsche.de


Diese Beispiele sollen keine Argumente liefern, schon gar nicht gegen eure Haltung, sondern Fragen stellen und in Frage stellen. Die Qualität von modernem Regietheater wird zumindest immer noch heiß diskutiert. Ich möchte mir schon deshalb nicht zu sicher sein, weil mir damit möglicherweise etwas entgeht.
(Ist es übrigend wirklich so, dass das Regietheater Texttreue verachtet? Nach dem Lesen mehrerer Artikel (s. auch o.) bin ich mir da nicht so sicher.)

Ich möchte deine Definition von Texttreue, lieber Friedrich, also ausdrücklich unterstützen,


wir können uns darauf einigen, daß die Interpretationsfreiheit der Regie durch den Text begrenzt wird und die Interpretation zunächst die Mühe der Erarbeitung eines vertieften Textverstädnisses voraussetzt. Was nicht heißt, herauszufinden, was der Autor "uns sagen will", denn das können wir (meist) nicht wissen, sondern heißt, daß wir neben der Analyse der Textstruktur und der Charaktere auch den literatur- geistes- und kulturgeschichtlichen Hintergrund des Textes erhellen müssen, die ästhetischen Anschauungen des Autors erarbeiten müssen und den Erwartungshorizont des Publikums, mit dem er sich auseinandersetzen muß. Das gibt uns ein Bündel von Kriterien an die Hand, die uns den Grad der Texttreue einer Inszenierung berurteilen läßt.

und möchte auch nicht den Begriff der Interpretationsfreiheit zum bindungsfreien Relativismus erweitern, aber ich möchte hinterfragen.

Liebe Grüße, sorry für den langen Text, kann auch sein, dass er etwas durcheinander ist..... .

chiarina
 
scherzando normannico

Und die Existenz einer solchen Figur, Rolf, könnte doch auch fiktiv sein und nicht im Stück selbst erscheinen. Ich verstehe schon deinen Ansatz, aber gerade das Fehlen dieser Figur hat mich zum Nachdenken gebracht (wir alle leben im selbst gemachten Hamsterrad, Konsum......).
...damit ließe sich wohl auch das Auftreten der Mainzelmännchen Hand in Hand mit KingKong und Godzilla im Lohengrin rechtfertigen: die sind halt fiktiv und nicht im Stück selber... :) und das find ich halt so zum nachdenken anregend, dass die fehlen :)
((((irgendwie aber auch schade, dass KingKong und Godzilla so wahnsinnig selten im Tatort oder Lindenstraße mit dabei sind, echt voll ein Manko))))

...jetzt wart halt noch die paar Tage, dann siehste live gutes [sic] Regietheater :kuss:
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