Körperbewegungen beim Klavierspielen

Warum tun sie es dann so gut wie nie?

Ich gebe die Antwort selbst: Weil es erheblich einfacher ist, eine halbwegs brauchbare Technik zu entwickeln als eine halbwegs brauchbare Musikalität.
Man müßte sich vielleicht erst einmal auf eine Definition von "Musikalität" einigen.

Ich würde das wie folgt umreissen:

Die (zu einem großen Teil erworbene) Fähigkeit, gute Musik zu erkennen. In kompositorischer, und auch interpretatorischer Hinsicht. Dazu gehört, dass man viele Details in Musik auch wahrnehmen kann.

Ebenso die Fähigkeit, bei entsprechenden technischen Voraussetzungen gute Musik auch selbst zu erzeugen.

Die Grundlagen für Musikalität sind dem Menschen bereits angeboren (einen "absolut unmusikalischen" Menschen dürfte es gar nicht geben).

Das wäre es wohl so im Großen und Ganzen.

An seiner Musikalität kann man schon von Kindesbeinen an arbeiten, indem man Musik aufmerksam hört, auf sich wirken läßt, Details in ihr erkennt, sich für sie interessiert...

Deswegen ist es relativ einfach, seine Musikalität auch selbst zu bilden, und diesbezüglich auch einen guten Stand zu erreichen. Ein echtes Interesse an der Musik, und ihren verschiedenen Ausprägungen, gehört natürlich mit dazu... wer sich nie sonderlich für Musik interessiert, braucht auch nicht erwarten, irgendwann besonders musikalisch zu werden.
 
Aufgrund der Neuroplastizität des Gehirns kann eigentlich ein jeder gesunder Mensch praktisch alles erlernen bis zu einem bestimmten Grad, wenn er dies nur möchte.
Bei diesem letzten Grad scheiden sich die Wissenschaftler, aber vieles ist möglich.
Und den Plunder mit dem Talent, das habe ich eh schon oft hier erwähnt ...
 
@Dreiklang
Einverstanden, aber dann musst du auch definieren, was denn „gute Musik“ überhaupt ist.
Aber das was du schreibst, geht in die richtige Richtung.
Denn weitergedacht muss man fragen, ob @Sven eigentlich jemandem, dem nicht nur ein bestimmtes Instrument nicht liegt, sondern auch ein bestimmter Musikstil/Komponist ... Faden verloren ...@ Sven: Würdest du solchen Menschen auch Musikalität absprechen?
 
Das hier:
Den wirklich musikalischen Naturen ist es ziemlich scheißegal, ob man das Klavier wirklich so bedient, wie sie es gerade tun, oder ob das gerade ein falscher Ton war
kann man wirklich nicht so stehen lassen.

Wirklich musikalische Naturen stören sich nämlich durchaus (teils sogar extrem) an technischen Unzulänglichkeiten in gespielter Musik. Wie falschen Tönen, mangelnde Instrumentenbeherrschung etc.

Und freuen sich zum Teil genauso über eine exzellente/herausragende Instrumentenbeherrschung (die zu erkennen widerum eine intensive Beschäftigung mit den Klangeigenschaften eines Instruments voraussetzt; es hilft hier, viele wahre Meister des Instruments und ihre Glanzleistungen aufmerksam gehört zu haben).
 
Das hier:

kann man wirklich nicht so stehen lassen.

Wirklich musikalische Naturen stören sich nämlich durchaus (teils sogar extrem) an technischen Unzulänglichkeiten in gespielter Musik. Wie falschen Tönen, mangelnde Instrumentenbeherrschung etc.

Und freuen sich zum Teil genauso über eine exzellente/herausragende Instrumentenbeherrschung (die zu erkennen widerum eine intensive Beschäftigung mit den Klangeigenschaften eines Instruments voraussetzt; es hilft hier, viele wahre Meister des Instruments und ihre Glanzleistungen aufmerksam gehört zu haben).

Es ging mir nicht ums Zuhören, sondern ums selbst Praktizieren.

Oder geht's hier im Thread um's Musikhören?
 
@Dreiklang
Einverstanden, aber dann musst du auch definieren, was denn „gute Musik“ überhaupt ist.
Richtig, gut beobachtet... eine "Pauschaldefinition" läßt sich hier allerdings nicht geben.

Wir alle sind bis zu einem gewissen Grad in der Lage, gute Musik von schlechterer zu unterscheiden.

Zum Beispiel stelle ich die These auf, dass die meisten hier eine mittelmäßige Schubert-Amateur-Einspielung von der Aufnahme eines Weltklassepianisten unterscheiden können werden.

Bei allem, was darüber hinaus geht, wird es schwierig bzw. scheiden sich auch schon mal die Geister, besonders je höher das Niveau wird, das man denn vergleichen möchte.

Im Sport ist es einfach: derjenige, der die 100 Meter in kürzerer Zeit läuft, ist eben der Bessere. Bei Musik (und Kunst allgemein) ist es leider nicht so einfach.

Nur Menschen mit entsprechender Erfahrung können da halbwegs zuverlässige Urteile treffen. Das macht die Musik (und Kunst allgemein) aber auch irgendwo interessant. Neben der Natur ihrer selbst.
 
Es geht doch grad nicht um gute oder schlechte Musik oder andere geschmackliche Kriterien, sondern um den Unterschied zwischen der rein mechanischen Instrumentbeherrschung bzw. den mechanischen Techniken dazu versus der durchs Ohr und den Klangwillen getriebenen Erzeugung von Musik.
 
Es ging mir nicht ums Zuhören, sondern ums selbst Praktizieren. Oder geht's hier im Thread um's Musikhören?
Selbst beim "Praktizieren" (sprich Musizieren) halte ich es für eine (sehr) gewagte These, dass musikalischen Menschen technische Fehler, wie etwa falsche Töne, total "egal" sind.

Richtiger wäre die Aussage, dass fehlende Musikalität ganz allgemein im Spiel oft mehr stört, als ein falsches Tönchen zwischendurch.
 
Selbst beim "Praktizieren" (sprich Musizieren) halte ich es für eine (sehr) gewagte These, dass musikalischen Menschen technische Fehler, wie etwa falsche Töne, total "egal" sind.

Richtiger wäre die Aussage, dass fehlende Musikalität ganz allgemein im Spiel oft mehr stört, als ein falsches Tönchen zwischendurch.

Vielleicht muss ich das für Langsamdenker ausführlich erklären.

Während jemand mit falschem Fokus auf die Technik nur um diese kümmert und welcher Ton zu welcher Zeit, bevor überhaupt Töne produziert werden, legt der Musiker einfach los, weil er sich keine theoretischen Gedanken macht, sondern einfach nur seine klangliche Vorstellung mit dem abgleicht, was er hört. Da kann dann mal eine Taste daneben liegen, aber die Verbindung zum vorigen oder nachfolgenden Ton klingt einfach.

Ich find's echt anstrengend, Leuten, die sich sowas anscheinend nur über bewusstes Lernen erschließen können, statt einfach über das Talent verfügen, sowas zu erklären.
 
Vielleicht muss ich das für Langsamdenker ausführlich erklären.

Während jemand mit falschem Fokus auf die Technik nur um diese kümmert und welcher Ton zu welcher Zeit, bevor überhaupt Töne produziert werden, legt der Musiker einfach los, weil er sich keine theoretischen Gedanken macht, sondern einfach nur seine klangliche Vorstellung mit dem abgleicht, was er hört. Da kann dann mal eine Taste daneben liegen, aber die Verbindung zum vorigen oder nachfolgenden Ton klingt einfach.

Ich find's echt anstrengend, Leuten, die sich sowas anscheinend nur über bewusstes Lernen erschließen können, statt einfach über das Talent verfügen, sowas zu erklären.
Jetzt sprichst du vom Stellenwert der Fehler beim Spielen.
Fallen dir denn noch Argumente ein zu dem, was @Alter Tastendrücker und ich oben geschrieben haben?
Zu deinem letzten Satz: Könnte es sein, dass du dem (mittlerweile veralteten) Geniekult-Gedanken anhängst?
 
Während jemand mit falschem Fokus auf die Technik nur um diese kümmert und welcher Ton zu welcher Zeit, bevor überhaupt Töne produziert werden, legt der Musiker einfach los, weil er sich keine theoretischen Gedanken macht, sondern einfach nur seine klangliche Vorstellung mit dem abgleicht, was er hört. Da kann dann mal eine Taste daneben liegen, aber die Verbindung zum vorigen oder nachfolgenden Ton klingt einfach.
Schon - aber wie gesagt, um das überhaupt zu können, muss eine ausreichende technische Basis da sein.

Und, je höher die technischen Fähigkeiten sind, desto mehr kann ein Spieler auch sein Spiel "musikalisch veredeln". Z.b. legato komplett aus den Fingern heraus, Läufe in echtem pp spielen und dergleichen.
 

Ich find's echt anstrengend, Leuten, die sich sowas anscheinend nur über bewusstes Lernen erschließen können, statt einfach über das Talent verfügen, sowas zu erklären.

Und ich find's echt anstrengend, Leuten zu erklären, dass einem Musikalität nicht zufliegt. Man kann noch so viel Talent haben - wie man ein Crescendo über eine größere Strecke disponiert, wie man eine perfekte Balance zwischen Haupt- und Nebenstimmen erreicht, wie man ein zwingendes Timing produziert, warum man Akkorde auf bestimmte Art färben muss, damit sie gut klingen, wie man das Pedal perfekt benutzt etc.pp. - das erwirbt man nur durch harte Arbeit und sehr guten Unterricht.

Man kann sich zwar der Illusion hingeben, dass man mit dem eigenen (selbsverständlich weit überdurchschnittlichen Talent!) diese Dinge intuitiv richtig macht. Aber das ist letztlich nur Selbstbetrug - man hat einfach noch nicht gelernt, die Feinheiten genau zu hören.

Die Technik, alle Chopin-Etüden im Tempo runterzurasseln, ist dagegen vergleichsweise schnell zu erwerben.
 
Zuletzt bearbeitet:
@mick
Ganz genau, wunderbar erklärt. Für diese ganzen Fertigkeiten, die du genannt hast, und die einem nicht zufliegen, braucht es Übung, damit man seine technischen Möglichkeiten entsprechend dem musikalischen Gestaltungswillen einsetzen kann.
Nur würde ich als „Talent“ nicht die Grund-Musikalität bezeichnen, sondern die Fähigkeit mancher Menschen, ohne Reflektion, ohne viel Übung, intuitiv, sozusagen als Natur-Talent am Instrument alles oder zumindest vieles überzeugend und richtig zu machen.
 
Auch mit sehr viel Talent muss man all diese Dinge lernen und verstehen. Es geht nur bedeutend schneller. Sicher kann man manches intuitiv richtig machen - aber das ist mehr oder weniger Zufall, und es nützt letztlich nichts, wenn man nicht in der Lage ist, zu reflektieren, warum etwas musikalisch funktioniert bzw. nicht funktioniert.

Ich kenne keinen großen Musiker (und ich kenne inzwischen eine ganze Menge), der nicht zu jeder Note sagen kann, warum er sie auf eine ganz bestimmte Art und nicht anders spielt.
 
@mick
Das betrifft aber eher Instrumentalisten als Sänger, oder? Ich habe Sängerinnen und Sänger begleitet, die in der Probe nichts zum Liedtext sagen konnten, weil sie den gar nicht richtig beachtet haben. Und da wirkte vieles schon sehr intuitiv und wenig reflektiert. Wie ist das bei den Sängern, die du begleitest?
 
Wie soll ein Opernsänger eine Rolle verkörpern, wenn er keine präzise Vorstellung davon hat, was er mit jeder Phrase ausdrücken soll? So jemand gewinnt heutzutage kein einziges Vorsingen, nicht mal an einem Provinztheater.
 
Nach meiner begrenzten Erfahrung ist bei den Sängern der Unterschied zwischen gut und unerträglich noch größer als bei Klavierspielern! Und das will was heißen!!
Gestern übrigens in Berlin Trifonov mit Scriabin Konzert gehört. Sehr gut und mit den Philharmonikern erst die zweite Aufführung. Die erste war mit Scriabins erster Frau Vera 1910!!
 
wie man (...) das erwirbt man nur durch harte Arbeit und sehr guten Unterricht.
Nein - (viel gute) Musik aufmerksam zu hören, ist keine harte Arbeit, sondern macht zeitlebens Spaß und Freude.
Der "gute Unterricht" kann durch die Musik selbst stattfinden, und den Meistern ihres Faches, denen man zuhört.

Durch die Formen und Gestaltung von Musik (in unserem Fall insbesondere klassischer Musik), die die großen Komponisten geschaffen, und die großen Meister interpretiert haben.

Da bleiben am Ende keine Fragen mehr offen, von kleinsten Details in der Gestaltung bis hin zu der Frage, ob Ausdruck und Geschwindigkeit (wesentliche Parameter von gespielter Musik) besonders gut passen, oder nicht.

Allerdings, nirgends habe ich geschrieben, dass Musikalität "einem zufliegt". Dafür muß man entschieden etwas tun.

Intuition oder Talent lasse ich bei der Diskussion erst mal aussen vor.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich kenne keinen großen Musiker (und ich kenne inzwischen eine ganze Menge), der nicht zu jeder Note sagen kann, warum er sie auf eine ganz bestimmte Art und nicht anders spielt.

Talent verunmöglicht es einem ja nicht so etwas zu lernen.

Ich kenne aber massenhaft Leute in verschiedenen Künsten und Handwerken, die bei allem Wollen mit einfach nur schematischem Lernen keinen Blumentopf gewinnen. Die bleiben dann ewig neidisch auf die, die da irgendwie noch einen anderen Zugang zu haben.

Bei der Arbeit sind das dann die, die nichts gebacken bekommen. Wie früher in der Schule, die welche immer abgeschrieben und nichts gepeilt haben.

Bei der Tanzausbildung sind das dann die, die mit mir zusammen oder sogar vor mir angefangen haben und immer noch Anfänger sind (und ewig bleiben) und neidisch auf Auftritte und "Beförderungen" in höhere Kurse sind.
Die wollen (angeblich) auch und lernen auch ganz fleißig.
 
P.S.: Ich glaube auch an das Verhältnis von 10% (oder wars nur 1%?) Inspiration/Talent und Rest Transpiration.

Aber nur Fleiß und schematisches Lernen hilft oft genug einfach nicht.
Nicht umsonst lässt man für künstlerische Ausbildungen meistens nur die zu, die in dieser Kunst schon etwas können (und zwar ziemlich viel), und nicht die, die das gerne mal beigebracht bekommen würden oder die, bei denen das mit viel Prügel schon irgendwie klappen wird.
 

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