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Ich analysiere nie beim Komponieren, das würde dem den Zauber nehmen.
Eine gute Komposition braucht einen "Matchplan" - ohne den wird sie nicht mal mittelmäßig. Nehmen wir als Beispiel den Kopfsatz der 4. Sinfonie von Brahms - ein Werk, dass kaum jemanden gefühlsmäßig kalt lässt. Hier wird sofort offensichtlich, dass der ganze Satz aus nichts Weiterem als fallenden Terzen - beinahe mathematisch - konstruiert wurde. Sowas entsteht nicht durch eine zufällige Intuition, das ist Ergebnis eines ganz klaren intellektuellen Gestaltungsplans. Und den erkennt man - wenn man genau genug hinschaut - eben auch in allen bedeutenden Werken Bachs, Haydns, Mozarts, Beethovens, Bruckners etc.pp. Bei Miniaturen ist das manchmal nicht so offensichtlich, aber auch hier gibt es kaum ein Werk von Bedeutung, das nicht vom Komponisten intellektuell geplant und durchdrungen wurde.
 
Was bringt dich so in Wallung, dass dir großflächig die Rechtschreibung abhanden kommt?
Die Beschäftigung mit formalen, harmonischen, aufführungshistorischen und praktischen Angelegenheiten birgt nicht die Gefahr, "dass es verkopft wird", nix anderes sagte das kurze "nö".

Möchtest du gerne wissen, wo tatsächlich die Gefahr der "Verkopfung" gelagert ist? Ich verrate es dir gerne: in den entsprechend dafür "talentierten" Köpfen, die dogmatisch rumspintisieren, aber ganz gewiss weder in der Musik, noch in ihrer Form, ihrer Harmonik, ihrer Ausgestaltung.
Rechtschreibung hat mich noch nie interessiert. Ich hab in der Grundschule (wenn ich nicht wusste wie man es richtig schreibt) Wörter in 5 verschiedenen Ausführungen geschrieben, weil ich wusste dass eine davon richtig ist und es dann nur 4 statt mögliche 5 Fehlern werden.

Ich habe lediglich gesagt dass die pauschale Aussage
Viele Berufsmusiker verstehen oft nicht einmal, was es heißt, musikalisch zu spielen
so nicht stehen gelassen werden kann. Weil es eine eigene Leistung ist so viel zu wissen und sich davon nicht blockieren zu lassen. Zumindest jammern meine Freunde darüber, dass es nicht so leicht ist und ich glaube ihnen das sofort. Kompliziert wird’s wenn man weis was man alles nicht machen soll. Und das unterscheidet den Amateur/ Dilettanten vom Gelernten. Und das birgt ein Risiko, das hat aber nichts mit mangelndem Talent zu tun. Man kann Talentierten soviele Regeln umhängen bis sie sich nichts mehr trauen.
Man kann in der Logopädie soviel blockieren bis derjenige garnicht mehr spricht. All das zu wissen und dennoch emotional beteiligt zu bleiben, ist meiner Meinung nach eine Kunst. Vom Ausführenden und Lehrenden!
Und sie wird nicht ausreichend geschätzt. Und wenn man dann solche Aussagen pauschal stehen lässt, versteh ich nicht.
 
Rechtschreibung hat mich noch nie interessiert.
das ist ok - aber es ist kein Argument für oder gegen irgendwas in Sachen Musik.

Ich glaube, wir reden aneinander vorbei - guck mal hier #236 und überleg dir, ob ich da irgendwas sage, was dich in Harnisch bringen muss.
Ansonsten: ich bleibe dabei, dass "verkopftes Gemurkse" und "unmusikalisches mechanisches Gedudel" nicht aus der Beschäftigung mit Musik entsteht, sondern in den dafür praedisponierten Köpfen - sowas ist immer selbst verursacht, egal ob willentlich oder nicht.

Furchtbar "verkopft" und hochgelehrt, ist das, was Glenn Gould über Bach schreibt - das hindert ihn aber nicht, maßstabsetzende hochemotionale Bachinterpretationen zu bringen. (der hatte halt keinen für Gemurkse praedisponierten Kopf) ;-)
 
E gibt es kaum ein Werk von Bedeutung, das nicht vom Komponisten intellektuell geplant und durchdrungen wurde.
Sicherlich. Es stellt sich jedoch die Frage, wann innerhalb des Schaffensprozesses das passiert.

Beim kreativen literarischen Schreiben gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Herangehensweisen: Es gibt das Plotten, bei dem alle wichtigen Stationen der Handlung vor dem eigentlichen Schreiben festgelegt werden. Und es gibt das entdeckende Schreiben. Hier entwickelt sich der Handlungsverlauf aus dem laufenden Prozess heraus - vermutlich entspricht dies dem, was @Tastatula als „Zauber“ benannt hat. Bei dieser Methode wird erst im Nachhinein geplottet.

Beide Wege haben in der Literatur ihre Daseinsberechtigung. Warum sollte es in der Musik anders sein? Oder anders gefragt: Kannst du dir sicher sein (und falls ja, warum?), dass die fallenden Terzen bei Brahms wirklich aus Planung und nicht aus spontaner Intuition hervorgegangen sind?
 
Was bringt dich so in Wallung, dass dir großflächig die Rechtschreibung abhanden kommt?

Rechtschreibung hat mich noch nie interessiert.

das ist ok - aber es ist kein Argument für oder gegen irgendwas in Sachen Musik.
Natürlich nicht. Das ist die Antwort auf deinen Seitenhieb.
Du bringst die Rechtschreibung als Thema und dann wunderst du dich, dass du eine Antwort bekommst und nennst sie themenfremd?
Du kannst zwar sicher toll spielen und hast viel Fachwissen, aber manchmal machst du es anderen nicht einfach.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist ein schwieriges aber eigentlich entscheidendes Thema in der Kunst schlechthin. Zu Missverständnissen kommt es hier schnell.

Es gibt von den großen Komponisten kaum welche, die bei ihren großen Werken, die unsere tiefen Gefühle berührt, nicht selbst aus der tiefen Empfindung heraus komponiert hätten. D.h. heißt ja nicht, dass sie deshalb völlig planlos oder ohne ein Gerüst gearbeitet hätten. Nur, wenn man nur aus dem Intellekt komponiert, dann mögen Töne dabei entstehen, es mag sogar klingen, aber zur großen tiefen Kunst werde ich es nicht zählen, denn ich kann dabei zu wenig empfinden. Und in der Kunst kommt es immer letztlich auf die Empfindung an.

Ja, ich weiß, heute ist die Kunstdefinition eine andere, aber für mich eine völlig fehlgeleitete und nur eine Frage der Zeit bis sie wieder verschwindet. Das sieht man auch an vielem. Beispielsweise stehen jetzt in Bayreuth auf dem Hügel noch Wagnerkarten zum Verkauf. Als ich im Internet darüber diskutierte, kamen Stimmen wie, das ist halt ein alter Hut, heute geht man auf Technopartys. D.h. jenen ist nicht einmal bewusst, welche Welten das trennt. Da diskutiert ein Dilettant mit einem Profi und meint, gleichberechtigt mitreden zu können.

Dann, eine Analyse, warum der Run nicht mehr so groß ist, sind die einseitig modern intellektuellen Möchtegerninszenierungen. Die das Werk nicht unterstützen, sondern intellektuell geradezu bekämpfen. Hier stinkt der Fisch vom Kopf, mit einer Katharina Wagner, der ich das echte Kunstverständnis abspreche, wird es weiter nach unten gehen. Andererseits ist für mich, der ich die letzten Jahre mehrere Aufführungen gesehen habe, Wagners Musik so groß, dass es trotz manch schreiender Frauenstimmen, immer noch großartig ist. Meistens schloss ich allerdings dabei die Augen, um rd genießen zu können.
Kommt dann irgendwann wieder eine Inszenierung, unabhängig, ob modern oder klassisch, dazu, die tief empfunden ist und das Werk nicht nur unterstützt, sondern hebt und wirklich gute Sänger, dann ist es fantastisch.

Der Irrtum besteht oft in der Annahme, dass Gefühl willkürlich sei. Das kann es sein, muss aber nicht. Das Gefühl kann zum Sinnesorgan werden, das einen leitet. Und will man, dass eine Musik das Herz des Menschen berührt, muss sie sowohl aus dem tiefen Herzen komponiert, als auch über den Musiker, der das beim Spielen empfindet, dargeboten werden.
 
Es gibt von den großen Komponisten kaum welche, die bei ihren großen Werken, die unsere tiefen Gefühle berührt, nicht selbst aus der tiefen Empfindung heraus komponiert hätten.
Und was ist mit all den Auftragsarbeiten, die z.B. Bach, Telemann, Haydn und Mozart abliefern mußten? Glaubst Du, daß Bach Woche um Woche religiös inspiriert war, wenn er seine Kantaten komponierte und einstudierte? Um die Transpiration möglichst gering zu halten, hat er durchaus geschaut, was er im Fundus hatte, das die Leipziger noch nicht kannten.
D.h. heißt ja nicht, dass sie deshalb völlig planlos oder ohne ein Gerüst gearbeitet hätten. Nur, wenn man nur aus dem Intellekt komponiert, dann mögen Töne dabei entstehen, es mag sogar klingen, aber zur großen tiefen Kunst werde ich es nicht zählen,
Komponieren war über Jahrhunderte hinweg vor allem (!) eines: Handwerk, Handwerk, Handwerk! Das beabsichtigte Ergebnis: Gemüts-Ergötzung. Daß sich die Prioritäten gewandelt haben, daß das „Gefühl“ eine immer größere Rolle spielte, setzt im ausgehenden 18. Jh. ein. Da spielten dann die „Herzensergießungen“ eine immer größere Rolle. Aber auch dies mehr auf Seiten des Publikums als auf Seiten der Komponisten. Daß Wagner und Verdi hervorragende Komponisten waren, beruht nicht darauf, daß sie „Gefühle“ hatten (die hatten Tausend andere Komponisten auch), sondern daß sie ihr Handwerk beherrschten. - Eine Analogie aus der Gegenwart: Die großen Blockbuster der Filmgeschichte: Vom Winde verweht, Dr. Schiwago, Titanic erzielen ihre Wirkung, weil sie handwerklich bis aufs Letzte durchgearbeitet sind.
Whataboutism … Tut nichts zur Sache.
Das Gefühl kann zum Sinnesorgan werden, das einen leitet.
Schwurbelei. Sinnesorgane sind “Empfangsstationen“ für Reize der Außenwelt. Gefühle entstehen im Menschen als Resultat deren Verarbeitung. Sie sind - prosaisch gesprochen - nichts anderes als schnöde chemische Prozesse.
 
Kannst Du für Letzteres ein Beispiel qualitativ hochwertiger Literatur nennen?
...sofern man William S. Burroughs als qualitativ hochwertige Literatur akzeptiert (was beide (das ältere und da jüngere) Kindlers Literaturlexika tun) ;-)

Bzgl. Musik: niemand geringeres als Hector Berlioz hat sich selber attestiert im Schaffensrausch quasi anfallsweise zu komponieren; so will er seine fantastique in einer Nacht komponiert haben, nachdem er in derselben mit Chopin und Liszt über einen zugefrorenen See spaziert war. Einzig ärgerlich lästig dabei ist, dass Chopin zur fraglichen Zeit noch in Polen weilte... ;-):-D
 
Eine gute Komposition braucht einen "Matchplan" - ohne den wird sie nicht mal mittelmäßig.
Du hast Recht und auch nicht. Der "Matchplan" kann, wie ich vorher schon schrieb, immanent sein, quasi als zweite Spur mitlaufen, ohne vordringlich als Lehrer die werdende Musik zu gängeln. Mich hat in der Hochschule schon extrem genervt, wenn Kontrapunktarbeiten zwar richtig waren, aber bar jeder Musik als schwarze Klötze auf Papier standen.
Ich kann natürlich nur konkret aus meinen Erfahrungen berichten.
So bekam ich einmal einen Auftrag für die Besetzung Oboe, Flöte und Klavier zu schreiben. Ich komponiere normalerweise sehr gerne für Vokalensembles (da ist der Matchplan entspannt durch den zugrundeliegenden Text vorgegeben), und plötzlich sah ich also alle Stimmen munter vor sich hingaloppieren. Ich habe noch eine Idee! rief die Flöte, die Oboe hatte dazu eine Bemerkung und das Klavier schrie: Ich bin keine Begleitung!
Als ich also so vor mich hinschrieb, merkte ich, dass mir diese Freunde alle irgendwie entglitten und mir gewahr wurde, dass das Stück wahrscheinlich 3 1/2 Stunden dauern würde, wenn ich aus diesem Konglumerat von Ideen etwas Sinnvolles zaubern wollte.
Also habe ich in die Hände geklatscht und gesagt: So Kinder! So geht das nicht. Wir brauchen Ordnung!
Ich wählte die Sonatenhauptsatzform und plötzlich waren alle friedlich. Jeder wusste, wo er hinmuss, der Horizont wurde sichtbar und die Komposition konnte gelingen.
Es gibt in der Musik immer einen Kondensationskeim, wie es ohne Staub in der Luft nicht regnen würde. Das gilt für Komposition wie auch für Improvisation (wird gerne vergessen).
Oft aber sieht man ihn nicht, aber das habe ich an anderer Stelle schon geschrieben.
 

Das kommt jetzt sehr darauf an, was Du drumherumstrickst. Wie Du es hörst beim Schreiben. Das ist ein entscheidender Punkt, Schreiben nur nach Kopf ohne Ohr gibt nix
 
Es gibt in der Musik immer einen Kondensationskeim, wie es ohne Staub in der Luft nicht regnen würde. Das gilt für Komposition wie auch für Improvisation (wird gerne vergessen).
Oft aber sieht man ihn nicht, aber das habe ich an anderer Stelle schon geschrieben.
Ich denke, dieses Bild vom Kondensationskeim trifft es genau, sowohl in der Musik als auch in der Literatur.
Vom Zauberberg z. B. weiß man, dass in Th. Mann die Idee dazu aufstieg, als er in Davos seine Frau im Sanatorium besuchte, nur kurz, ein paar Tage, keine sieben Jahre. Er dachte zunächst daran, eine Erzählung als humoristische Gegenstück zum Tod in Venedig zu schreiben. Bald aber merkte er, dass der Stoff nach sehr viel mehr verlangte.

Ich denke nicht, dass die großen Romane der Weltliteratur so entstanden sind, dass der Autor sich zunächst ein genaues Handlungsgerüst gemacht hat, das wird sich zum guten Teil durch die Beschäftigung mit dem Stoff ergeben haben.
Entscheidend ist natürlich die handwerkliche Fähigkeit und die Mühe, die man auf die Endredaktion verwenden muss. Und von Th. Mann weiß man ja, wie mühsam er arbeitete und froh war, wenn er an einem Vormittag ein oder zwei Seiten geschafft hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Oh doch. Es gibt reine Kopfarbeiter, die sich nur von ihrem Wissen lenken lassen...allerdings gefällt mir das Ergebnis eher nicht... ;-)
Ich erninnere mich, dass vor vielen Jahren bei einem Kompositionswettbewerb zwei Herren einen Sonderpreis bekommen haben. Es stellte sich heraus, dass die zwei überhaupt keine Ahnung von Musik hatten, sondern wahllos in ein Notenprogramm hineingetippt haben, dem ganzen einen schicken Titel gegeben und dann eingesendet haben... (gut das ist jetzt ein Sonderfall, bei dem Wissen und Hören fehlt...allerdings wusste das Programm, wie man Noten schreibt)
 
Bzgl. Musik: niemand geringeres als Hector Berlioz hat sich selber attestiert im Schaffensrausch quasi anfallsweise zu komponieren; so will er seine fantastique in einer Nacht komponiert haben, nachdem er in derselben mit Chopin und Liszt über einen zugefrorenen See spaziert war. Einzig ärgerlich lästig dabei ist, dass Chopin zur fraglichen Zeit noch in Polen weilte... ;-):-D
Man sollte nicht alles für bare Münze nehmen, was Komponisten so über sich selbst (und andere) schreiben. Berlioz neigte bekanntermaßen zu übersteigerter Selbststilisierung.

Und ob Burroughs qualitativ hochwertige Literatur ist, lasse ich jetzt einfach mal unkommentiert im Raum stehen.
 
Es gibt reine Kopfarbeiter, die sich nur von ihrem Wissen lenken lassen.
Wer soll das sein? Sicher keine professionellen Komponisten. Und wenn doch - sofern das Wissen und das handwerkliche Können groß sind, wird immer noch etwas Besseres dabei herauskommen als bei den zahllosen Hobby-Komponisten, die handwerkliches Können für überflüssigen Ballast halten und einfach nur ihre "Gefühle" ausdrücken möchten. Was zum einen schief geht, weil ohne Handwerk ein Gefühl gar nicht beim Hörer ankommt und zum anderen , weil irgendwelche Gefühle wildfremder Menschen niemanden interessieren...
 
@mick , ja, das kann sein, aber es gibt auch immer wieder Begabungen, die trotzdem schöne Dinge erfinden und darum sollte man niemals jemanden niedermachen, wenn er sich darin versucht. Auch Goethe hat mit Dädädä angefangen und Speichelblasen vor seinem Mund verursacht...
Und zu den Kopfarbeitern: Auch wenn das Handwerkszeug groß ist, ohne Inspiration läuft keine schöne Komposition, dann wird eine seltsam kühle Architektur das Ergebnis sein.
 

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