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Und was ist mit all den Auftragsarbeiten, die z.B. Bach, Telemann, Haydn und Mozart abliefern mußten? Glaubst Du, daß Bach Woche um Woche religiös inspiriert war, wenn er seine Kantaten komponierte und einstudierte? Um die Transpiration möglichst gering zu halten, hat er durchaus geschaut, was er im Fundus hatte, das die Leipziger noch nicht kannten.
Das ist doch egal, wie viel jemand komponiert. Man kann das Gefühl einsetzen oder nicht. Das muss erübt werden. Klar, es gibt auch Komponisten, denen plötzlich die Inspiration ausging. Vielleicht schon mal davon gehört.
Die Beatles in ihrer großen Schaffensperiode konnten nicht einmal Noten lesen. Klar, in der Klassik schwerer möglich.
Aber, was vom Herzen kommt geht auch zu Herzen und Intellekt zu Intellekt.
Kunst erkennt man auch daran, dass es die Jahrhunderte überdauert.

Da das aber für Dich "Schwurbelei" ist, Du es nicht verstehst, werden wir hier auch nicht zusammen kommen.
 
Zu meinen, weil man handwerkliche Grundlagen in der Klassik, beispielsweise im Barock benötigt, wie den Kontrapunkt, Gegenbewegung, Fuge etc., sei dies nur aus dem Gehirn entstanden und kann kein Gefühl beinhalten, ist wie, wer einen Foxtrott, Walzer oder Tango tanzt, könne das nicht mit Gefühl, da man sich an die Form halten muss. Ein völliger Irrglaube.
 
@Scaramouche
Das ist mir zu oberflächlich gedacht. Beschäftige dich doch mal mit der Affektenlehre, dann wirst du das bestimmt anders sehen.
 
Etwas als "oberflächlich" zu bezeichnen, was man nicht versteht, ist auch eine Kunstform.:-)
 
Genau. Und komisch, dass dir auf der Straße so viele entgegenkommen, oder?
 
Wenn ich als Künstler mich an neue Werke mache, bemühe ich mich, das Werk zu verstehen. Verstehen heißt hier aber Mithilfe des inneren Gefühls verstehen. Das klappt bei den Klassikern meist inzwischen recht schnell. Aber ich bemerke nicht selten, dass selbst Weltberühmtheiten Werke zum besten geben, aber vieles musikalisch nicht verstanden haben. Das klingt sehr überheblich, aber ich weiß wovon ich rede. Könnte zig Beispiele geben.
Aber auch das Gegenteil ist der Fall. Ich höre mir eine Komposition, zu der ich schweren Zugang finde, von einem sehr musikalisch umgesetzten Interpreten an und sage, ah, jetzt verstehe ich. Das hat nichts mit Nachahmung zu tun, sondern mit Verständnis, wo das tiefe Gefühl sein ok gibt.

Dann habe ich auch selbst viele Uraufführungen zum Besten gegeben. Da das moderne Werke waren, dauerte der Zugang häufig länger. Aber es gab auch viele Kompositionen, wo ich keinen innerlichen Zugang finden konnte. Das waren für mich die nur aus dem Intellekt entstandenen Werke, die das Publikum, im Gegensatz zu den anderen, nicht mehr hören wollte. Leider heute ein Krankheit, an der viele Komponisten leiden. Entweder sie haben Gefühl, sind aber in der Ausführung meist eher primitiv oder sie sind modern und völlig chaotisch.

Dietrich Fischer Dieskau, der große Bariton des letzten Jahrhunderts (intellektuell orientiert), sagte einmal sinngemäß in einem Interview eher verzweifelt: "Ich habe mich so bemüht, die Moderne wieder zu geben, aber das Publikum wollte es nicht mehr hören". - Für mich kein Wunder. Menschen mit einem natürlich, gesunden künstlerischen Zugang, wollen im Gefühl in der Kunst geweckt werden.

Aber es gab auch eine Begebenheit, da kam der Komponist nach der Aufführung zu mir und sagte, "ich wusste überhaupt nicht, dass ich so schön komponiert habe".;-)
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke, das ist jetzt nicht mehr oberflächlich. Natürlich muss Gefühl da sein. Es sollte nur nicht unreflektiert bleiben. Da sind wir uns wohl alle einig.
 
Verstehen heißt hier aber Mithilfe des inneren Gefühls verstehen. Das klappt bei den Klassikern meist inzwischen recht schnell.
Das findet man aber nur wenn man ZUERST den feinen Nuancen in der Notation folgt und formale Gegebenheiten berücksichtigt. Und dafür muss man diese erst mal umsetzen und berücksichtigen, was vorrangig dann ein analytischer Prozess ist. Sich fragen „warum staccatopunkt und Bogen“, „warum hier 8tel Note und keine Viertel“, „warum links 8tel mit Staccatopunkt und rechts sechzehntel“. (Was ist der Effekt, was passiert wenn ich das mache, was löst es aus, wie transportiere ich das, wie passt das zum Rest, in welchem Kontext)

Ich bin nur Amateur, aber ich finde es eine Herausforderung sich in diese Details einzudenken, was da passiert, das was es in FOLGE an Gefühl auslöst zu erspüren wenn man sich daran hält. Dann dieses Gefühl zu verinnerlichen und es „natürlich“ in der Artikulation wiederzugeben statt die Notation „auszuführen finde ich ist Kunst.

Es gibt unzählige Beispiele wo selbst große Pianisten die Notation ignorieren und damit den Charakter verfälschen, der durch diese exakt so und nicht anders notierte Artikulation entstehen würde.

Und es gibt welche die führen alles aus, aber es erreicht nicht auf emotionaler Ebene. Klingt nicht „authentisch“.

Ich verstehe dass es künstlerische Freiheiten gibt. Aber (für mich) ist das schöne und spannende herauszufinden „warum hat er das so notiert und nicht anders“. ich würde gerne wissen was sich der Komponist vorgestellt hat und es nicht als Grundlage für eigene Ideen nutzen. Der Text lässt ja genug Freiheit. Aber das ist nur meine unqualifizierte Haltung dazu.

Ergänzung: wer sagt in dieser analytischen Betrachtung, Gefühl und Vorstellung aus einem jahrhundertealten Papier mit Punkten zu ergründen/erspüren/ transportieren, liegt nicht der Kern der Kunst eines Instrumentalisten, dann frage ich mich „worin liegt sie dann“?

Ich kenn den schönen Ausspruch „ein Pianist ist ein nachschaffender Künstler“.
 
Zuletzt bearbeitet:

Kunst erkennt man auch daran, dass es die Jahrhunderte überdauert.
Und was nicht überdauert hat, weil die Geschichte (in Form von Kriegen, Katastrophen, Haushaltsentrümpelungen) darüber gegangen ist?

Mir fällt da der alte Kalauer (von Karl Valentin?) ein:
„Kunst kommt von Können. Wenn es von Wollen käme, hieße es Wulst, wenn es von Denken käme, Dunst.“ Wenn es von Fühlen käme …
 
Ergänzung: wer sagt in dieser analytischen Betrachtung, Gefühl und Vorstellung aus einem jahrhundertealten Papier mit Punkten zu ergründen/erspüren/ transportieren, liegt nicht der Kern der Kunst eines Instrumentalisten, dann frage ich mich „worin liegt sie dann“?

Ich kenn den schönen Ausspruch „ein Pianist ist ein nachschaffender Künstler“.
Vielleicht ist das der Grund, weshalb mich manchmal klasssische Musik zutiefst fasziniert, aber oft auch total langweilt. Langeweile, wenn Künstler nur das versuchen nachzuspielen, was ihnen vom Komponisten vorgesetzt wurde. Langeweile auch dann, wenn jede Interpretation gefühlt gleich klingt, so dass es eigentlich reicht, eine CD in den Player zu schieben oder ein Video anzuschauen.

Faszination, wenn der Künstler oder die Künstlerin sich mit der Musik auch selbst zum Ausdruck bringt, sein oder ihr Wesen und seine/ihre Gefühle zum Klingen und mit dem, was der Komponist geschrieben hat, zum Verschmelzen bringt. Für mich (rein persönliche Meinung!) muss eine Interpretation nicht werksgetreu sein, sondern darf gerne auch neu und innovativ umgesetzt werden. Oder man komponiert und improvisiert dazu oder setzt seine eigenen Ideen um. Dazu ist für mich ein Flügel oder ein Klavier auch da. Als Leinwand für eigene Ideen und für den Selbstausdruck, wie ein leeres Tagebuch, das man befüllen kann.

Was das Komponieren betrifft: Kennt ihr das, dass Euch während des Tages plötzlich ein tolles Thema in den Kopf schießt, das sich dann in den folgenden Stunden im Geiste zu einem Stück weiterentwickelt, und dann setzt ihr Euch ans Klavier und spielt es und baut es weiter aus?
 
Langeweile, wenn Künstler nur das versuchen nachzuspielen, was ihnen vom Komponisten vorgesetzt wurde. Langeweile auch dann, wenn jede Interpretation gefühlt gleich klingt, so dass es eigentlich reicht, eine CD in den Player zu schieben oder ein Video anzuschauen.
Das kann wiederum ich überhaupt nicht verstehen. Weil es ist niemals gleich. Drum höre ich am liebsten Aufnahmen von Stücken die ich selbst gespielt habe und daher in und auswendig kenne. Habe dann erst richtig Freude am hören, versuche einzelne Details durchzuhören, die linke Hand wie sie „antwortet“ oder unterstützt, wie das phrasiert wird. Entweder es deckt sich mit der Erwartung dann ist es vertraut, oder es widerspricht dieser, dann macht es mich neugierig und „wach“ beim zuhören. Die Schönheit liegt doch in diesen Details, den Feinheiten dazwischen die manche so unglaublich sensibel ausformen.
Ich bevorzuge oft die scheinbar „langweiligeren“ Aufnahmen die etwas „konservativer“ gehalten sind, weil man in diesen den Kern der Sache findet, den Effekt der aus diesen Beziehungen zueinander entsteht. Gerade bei Klassik. Ich bin ein Riesen Fan von Gieseking Aufnahmen für Beethoven geworden und ich habe locker 50 Aufnahmen nur für Op.10/2 allein angehört bis ich eine gefunden habe wo ich das Gefühl hatte „das erreicht mich“. Und zwar Beethoven und nicht der Pianist.
 
Langeweile, wenn Künstler nur das versuchen nachzuspielen, was ihnen vom Komponisten vorgesetzt wurde.
...welche Chance, kreativ zu werden, hat denn ein Dirigent? Ich stelle es mir als sehr heikel für ihn vor, wenn er z.B. im Neujahrskonzert gerade dirigiert
...

Aber ok, das ist ja wie du mitteilst deine
und ich nehme an, dass du sie für mitteilenswert hältst (sonst hätte ich sie ja nicht lesen können)
 
Als fest stand, dass Christoph Schlingensief den Parsifal in Bayreuth inszeniert, sagte er einmal in einem Interview. "Ich verstehe überhaupt nicht, dass man von Beethovens 5 wieder eine CD-Aufnahme macht. Man hat doch schon zig und es genügt doch eine".
Ich dachte nur, und solche Musikdilettanten lässt man eine Oper inszenieren. Unglaublich.

Aber das ist heute Gang und Gäbe. Wie in der Politik, man setzt Dilettanten auf hohe Posten in denen sie sich nicht auskennen.
Da fällt mir Beethovens Floh ein:

Es war einmal ein König
Der hatt einen großen Floh,
Den liebt' er gar nicht wenig,
Als wie seinen eignen Sohn.
Da rief er seinen Schneider,
Der Schneider kam heran:
Da, miß dem Junker Kleider
Und miß ihm Hosen an!
-
In Sammet und in Seide
War er nun angetan
Hatte Bänder auf dem Kleide,
Hatt' auch ein Kreuz daran
Und war sogleich Minister,
Und hatt' einen großen Stern.
Da wurden seine Geschwister
Bei Hof auch große Herrn.
Und Herrn und Fraun am Hofe,
Die waren sehr geplagt,
Die Königin und die Zofe
Gestochen und genagt,
Und durften sie nicht knicken,
Und weg sie jucken nicht.
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.
 
Faszination, wenn der Künstler oder die Künstlerin sich mit der Musik auch selbst zum Ausdruck bringt, sein oder ihr Wesen und seine/ihre Gefühle zum Klingen und mit dem, was der Komponist geschrieben hat, zum Verschmelzen bringt
DAS ist es ! Das ist es, was uns anspricht, anspringt. wenn wir Daniil Trifonov, Geza Anda, Walter Gieseking, Andras Schiff, Dinu Lipati, Martha Argerich, Gabriela Montero, Sergej Rachmaninoff (als Pianist), Artur Rubinstein, Arturo Benedetti Michelangeli, ... und und und ... hören - das sind Erlebnisse, die im Gedächtnis bleiben. (Und da ist es egal, ob die alte Mono-Aufnahme verkratzt und verrauscht ist)

Dieser Witz von dem Musiker, der herzerweichend schön spielt, während sich seine Miene immer mehr verfinstert und darauf angeprochen angewidert antwortet, er hasse die Musik, beschreibt zwar die bewundernswerte Professionalität vieler Musikern , welche auch solche Stücke "perfekt" wiedergeben können, die ihnen nicht liegen. Aber letztenendes bleibt dann immer der Eindruck einer letzten Distanz, einer kalten berufsmäßigen Reserve. Dazu klatscht man dann doch noch höflich Beifall, aber hat das Ganze nach dem Verklingen des Schlussakkords schon wieder vergessen.
 

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