Zeitgenössische Musik, die man sich anhören kann

der totkranke Zappa ist traurig genug - - dennoch kann ich seine Kompositionen nicht mit Ligeti, Messiaen, Pärt, Glass vergleichen (mögen auch die Ambitionen in ähnliche Richtungen gegangen sein)
 
Liebe Leute,

die Frage, die mich beim Hören zeitgenössischer Musik umtreibt,
ist weniger die "Ist das nun Kunst / "gut" oder nicht?", sondern:

Was ist mit der überwiegenden Zahl der zeitgenössischen Komponisten los,
daß sie, wenn sie die Muse küßt, fast immer nur Stücke komponieren,
die "rätselhaft", "düster", "problematisch", "bizarr", "ironisch" etc. klingen?

Warum ist die Zahl der Stücke, die "fröhlich", "verspielt", "einfach schön",
"wohltuend-erhebend" etc. klingen, so gering?

Meine These ist, daß sich Menschen, deren Inneres gerne Positives zum
Ausdruck bringen will und für die Musik Ausdruck von Lebensfreude ist,
mehrheitlich nicht Neue-Musik-Komponisten oder -Spieler werden, sondern
sich entweder Jazz/Rock/Pop zuwenden oder aber "klassische Musiker"
werden und das traditionelle Repertoire spielen.

Von selbstverständlichen Ausnahmen abgesehen, scheint mir die Neue Musik
ein Refugium für die psychisch Beladenen unter den Musikern zu sein.

Moin!

Die Teilnahme am Gespräch war mir in den letzten Tagen verwehrt. Grund: eine temporäre Sperre,
die mein Computer über mich verhängt hatte - "Werfen und Rücken mit altem Gerät" heißt es dazu
in den "Gurreliedern". Die Lektüre des Entgangenen hat mir sowohl Freude als auch Verdruß bereitet.
Was den Verdruß betrifft - ich möchte gerne einmal verstehen, was jemanden befähigt, etwas zu bewerten,
ohne die geringste Sachkenntnis davon zu haben. Damit man mich richtig versteht: Nicht das Reden,
sondern das Bewerten ist mir unbegreiflich. Das wird zwar - wie im Falle Sarrazin -
vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, ist guter Brauch im herrschaftsfreien Diskurs,
aber mir wäre es peinlich, bei so etwas ertappt zu werden.

Noch unbegreiflicher ist mir aber Dein Beitrag, liebes Hasenbein - als die Wortmeldung jemandes,
der über die Sachkenntnis verfügt und für den es deshalb keine mildernden Umstände gibt.
Was ist in Dich gefahren? Du benutzt ganz unironisch Formulierungen des "gesunden Volksemfindens",
wie sie Stalins legendärer Kulturpolitiker Shdanow oder unser Propagandaminister Goebbels
bemüht haben, um gegen die mißliebige moderne Kunst mobil zu machen - mitsamt dem Hinweis
auf das Abnorme ("Refugium für die psychisch Beladenen") und dem Ruf nach dem "Positiven".

Da hätte Dein Bullshit-Detektor eigentlich zerspringen müssen. Leider fehlt mir die Zeit,
ausfürlicher auf Deinen Beitrag zu antworten. Ich greife das letzte Stichwort auf -
mit ein paar Strophen aus der schlichten, aber richtigen Antwort Erich Kästners:


Und wo bleibt das Positive?

Und immer wieder schickt ihr mir Briefe,
in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt:
"Herr Kästner, wo bleibt das Positive?"
Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.

Noch immer räumt ihr dem Guten und Schönen
den leeren Platz überm Sofa ein.
Ihr wollt euch noch immer nicht dran gewöhnen,
gescheit und trotzdem tapfer zu sein.

Ihr braucht schon wieder mal Vaseline,
mit der ihr das trockene Brot beschmiert.
Ihr sagt schon wieder, mit gläubiger Miene:
"Der siebente Himmel wird frisch tapeziert!"

Ihr streut euch Zucker über die Schmerzen
und denkt, unter Zucker verschwänden sie.
Ihr baut schon wieder Balkons vor die Herzen
und nehmt die strampelnde Seele aufs Knie.

Die Spezies Mensch ging aus dem Leime
und mit ihr Haus und Staat und Welt.
Ihr wünscht, daß ich's hübsch zusammenreime,
und denkt, daß es dann zusammenhält?

Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln.
Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weis.
Es gibt genug Lieferanten von Windeln.
Und manche liefern zum Selbstkostenpreis.


Gruß, Gomez
 
Dürfen denn nur die Experten Musik bewerten oder darüber sprechen? Und was fangen diejenigen damit an , die keine Experten sind? :confused:

(Entschuldigung. Bin schon still. Bin ja kein Experte...:()
 
Menschen, die sich jahrelang mit Musik beschäftigen, sind häufig arrogant. :rolleyes:

Also lass dich nicht entmündigen, gubu. ;)
 
Menschen, die sich jahrelang mit Musik beschäftigen, sind häufig arrogant. :rolleyes:

Also lass dich nicht entmündigen, gubu. ;)



E n t m ü n d i g e n ...passt hier sogar in des Wortes ureigenster Bedeutung1:p

Keine Angst, ubik, die Gefahr besteht nicht.

Ich sehe es eher als ein Beispiel mangelnder Kommunaikationsbereitschaft (s.o. ) über das reine Fachgespräch hinaus, ohne es Gomez, den ich sehr schätze, unterstellen zu wollen. Es kommt aber so bei mir an.

In meinem Beruf habe ich es sehr oft mit Leuten zu tun, die nicht vom Fach sind. Wenn ich denen sagen würde, ihr versteht sowieso nix davon, was ich mache, also haltet den Mund, wenn diese sich (unprofessionell) zu dem äußern, was ich (für sie) tue, würden die mich zum Teufel jagen....Vielmehr muss ich nicht selten sehr viel Zeit darauf verwenden, um zu erklären, was ich da mache oder machen möchte und warum....

Ich habe schon Komponisten erlebt, die ihre Werke anderen sehr gut nahebringen konnten. Andere waren dazu überhaupt nicht in der Lage. Schließlich gibt es auch welche, die wollen das gar nicht.....;)
 
In meinem Beruf habe ich es sehr oft mit Leuten zu tun, die nicht vom Fach sind. Wenn ich denen sagen würde, ihr versteht sowieso nix davon, was ich mache, also haltet den Mund, wenn diese sich (unprofessionell) zu dem äußern, was ich (für sie) tue, würden die mich zum Teufel jagen....Vielmehr muss ich nicht selten sehr viel Zeit darauf verwenden, um zu erklären, was ich da mache oder machen möchte und warum....

ich bin ziemlich sicher, dass auch Deine Geduld auf eine sehr harte Probe gestellt wird, wenn Du von besagten Nicht-Fachleuten Belehrungen über Dein Tun und Fachgebiet erhältst... sowas kommt sicherlich auch gelegentlich vor :D

herzliche Grüße,
Rolf
 
Dürfen denn nur die Experten Musik bewerten oder darüber sprechen?
Und was fangen diejenigen damit an, die keine Experten sind?

Lieber Gubu,

darf ich Deine Frage als eine rein rhetorische verstehen - oder tue ich Dir damit unrecht?

Ich habe doch extra hervorgehoben, daß mir Wertungen suspekt sind,
die ohne jede Sachkenntnis vorgenommen werden. Reden kann jeder über alles -
passiert ja auch alle naslang. Beim Bewerten hört für mich der Spaß auf.
Ist es zuviel verlangt, sich über eine Sache schlau zu machen, d.h. sie zu verstehen,
ehe man ein Werturteil über sie abgibt? - Ubik wirft mir Arroganz vor.
Ist es nicht eher arrogant, etwas abzuqualifizieren, womit man sich
nur unzureichend beschäftigt hat? Auf jeden Fall ist es unredlich.

Die Frage berührt dabei ein Problem, das nicht erst die Neue Musik mit ihrem Publikum hat,
sondern auch schon ein Teil der älteren Musik: ihre Komplexität, an der selbst professionelle Musiker scheitern
und deretwegen Interpreten und Zuhörer große Verständnisschwierigkeiten haben.
Das gilt für die späten Beethoven-Streichquartette, für Bergs op.1 wie für das Nono-Klavierstück.
Diese - Laien wie Profis abweisende - Schwierigkeit, solche Musik zu verstehen,
ist auf jeden Fall ein großes Unglück. Man kann über sie aber nicht reden,
ohne ihr Gegenteil zu erwähnen, die auf schnelle Verwertbarkeit hin produzierten Waren
aus dem popmusikalischen Bereich (--> Yann Tiersen: "Comptine").
Das eine hat mit dem anderen zu tun. Die zunehmende Komplexion der Harmonik
in der Romantik (Chopin, Liszt, Wagner), die zunehmende Polyphonisierung des Tonsatzes (Brahms)
sind auch dadurch zu erklären, daß die Komponisten ausgetretene Pfade vermeiden wollten -
"Musik auf der Flucht vor dem Warencharakter der Banalität" (TWA) -,
was ihr gutes Recht ist, worüber ihnen allerdings im Verlauf eines Jahrhunderts
das Publikum abhandengekommen ist.

Es gibt kaum einen Komponisten, der über diesen Sachverhalt glücklich wäre.
Nur ist dem Problem nicht mit verordnetem Frohsinn à la Hasenbein beizukommen,
und die Idee, eine Zeitmaschine auf den 15.März 1908 einzustellen, um Schönberg aufzusuchen
und ihn von der Komposition seines ersten, nicht mehr tonartgebundenen Liedes abzuhalten,
wäre für Filme à la "Zurück in die Zukunft" gut geeignet - aber zurückstellen läßt sich die Uhr nicht.
Es wäre also die größte kompositorische Leistung, eingängige Musik zu schreiben,
ohne etwas von der Komplexion, vom erreichten technischen Niveau wieder preiszugeben.

Herzliche Grüße,

Gomez
 
Lieber Gomez,

man kann also sagen, wenn ich Dich richtig verstehe, daß Du den bekannten Vorwurf an die Neue Musik-Komponisten bestätigst, daß sie kompliziert um des Kompliziertseins willen schreiben. Richtig?

Im übrigen sind diese Vorwürfe an mich, ich wolle bloß platten Frohsinn oder völkisch gesäuberte Menschenverstandsmucke, völlig hirnrissig.

Ich habe lediglich a) ein sehr deutliches Übergewicht düsterer, bizarrer Stimmungen in der NM festgestellt, was ja nun keiner bestreiten kann, und b) wird es ja wohl erlaubt sein, sich zu fragen, was in der Psyche eines Menschen eigentlich so los ist, wenn seine Imagination ständig düstere, bizarre Klänge hervorbringt. Wir alle haben unseren "Schatten", und wenn einer seine düsteren psychischen Anteile mehr auslebt, ist er deswegen ja nicht unbedingt "kränker" als andere (vielleicht ist es sogar gesünder für ihn als sie zu verdrängen, wie es der Spießbürger tut). Dennoch meine ich ich, daß es absolut gestattet ist, eine Verbindung seiner künstlerischen Erzeugnisse zu seiner Psyche herzustellen. Mit Nazikram hat das ja nun echt nichts zu tun.

LG,
Hasenbein

LG,
Hasenbein
 

Lieber Gubu,

darf ich Deine Frage als eine rein rhetorische verstehen - oder tue ich Dir damit unrecht?

Ich habe doch extra hervorgehoben, daß mir Wertungen suspekt sind,
die ohne jede Sachkenntnis vorgenommen werden. Reden kann jeder über alles -
passiert ja auch alle naslang. Beim Bewerten hört für mich der Spaß auf.
Ist es zuviel verlangt, sich über eine Sache schlau zu machen, d.h. sie zu verstehen,
ehe man ein Werturteil über sie abgibt? - Ubik wirft mir Arroganz vor.
Ist es nicht eher arrogant, etwas abzuqualifizieren, womit man sich
nur unzureichend beschäftigt hat? Auf jeden Fall ist es unredlich.

Die Frage berührt dabei ein Problem, das nicht erst die Neue Musik mit ihrem Publikum hat,
sondern auch schon ein Teil der älteren Musik: ihre Komplexität, an der selbst professionelle Musiker scheitern
und deretwegen Interpreten und Zuhörer große Verständnisschwierigkeiten haben.
Das gilt für die späten Beethoven-Streichquartette, für Bergs op.1 wie für das Nono-Klavierstück.
Diese - Laien wie Profis abweisende - Schwierigkeit, solche Musik zu verstehen,
ist auf jeden Fall ein großes Unglück. Man kann über sie aber nicht reden,
ohne ihr Gegenteil zu erwähnen, die auf schnelle Verwertbarkeit hin produzierten Waren
aus dem popmusikalischen Bereich (--> Yann Tiersen: "Comptine").
Das eine hat mit dem anderen zu tun. Die zunehmende Komplexion der Harmonik
in der Romantik (Chopin, Liszt, Wagner), die zunehmende Polyphonisierung des Tonsatzes (Brahms)
sind auch dadurch zu erklären, daß die Komponisten ausgetretene Pfade vermeiden wollten -
"Musik auf der Flucht vor dem Warencharakter der Banalität" (TWA) -,
was ihr gutes Recht ist, worüber ihnen allerdings im Verlauf eines Jahrhunderts
das Publikum abhandengekommen ist.

Es gibt kaum einen Komponisten, der über diesen Sachverhalt glücklich wäre.
Nur ist dem Problem nicht mit verordnetem Frohsinn à la Hasenbein beizukommen,
und die Idee, eine Zeitmaschine auf den 15.März 1908 einzustellen, um Schönberg aufzusuchen
und ihn von der Komposition seines ersten, nicht mehr tonartgebundenen Liedes abzuhalten,
wäre für Filme à la "Zurück in die Zukunft" gut geeignet - aber zurückstellen läßt sich die Uhr nicht.
Es wäre also die größte kompositorische Leistung, eingängige Musik zu schreiben,
ohne etwas von der Komplexion, vom erreichten technischen Niveau wieder preiszugeben.

Herzliche Grüße,

Gomez

Lieber Gomez,

ob rhetorisch oder nicht: Unrecht tust Du mir ganz bestimmt nicht! :)

Allerdings gehen wohl Wertungen und das lediglich darüber Reden in diesem Bereich fließend ineinander über. Jemand kann m.E. "seine" Wertung über eine Beethoven-Sinfonie abgeben ohne in die Geheimnisse der Komposition vorgedrungen zu sein. Ich bin ganz bestimmt nicht schlau genug, weil musikalisch viel zu ungebildet, um die Masse der klassischen Musik wirklich zu verstehen. Bin ich ein Scharlatan (wahrscheinlich ja :p), weil ich mir anmaße, mein (Wert)-Urteil darüber abzugeben?

Und was soll Musik für einen "Zweck" haben, wenn ihr (fast) niemend mehr folgen kann/mag? Keiner möchte Bücher schreiben, die niemand liest. Maler wollen sich in der Regel über ihre Bilder mitteilen. Und der Komponist? Ist es ihm egal, ob seine Werke (fast) niemand hören möchte??

Aber mich interessiert viel mehr, warum die Komponisten "neuer Musik" sich so oft davor scheuen, ihre Werke, wenn sie denn so schwer verständlich sind, anderen durch Erklärungsversuche näher zu bringen. Es kann gut funktionieren, wie ich selbst hin und wieder schon erlebt habe.

Mit der "Komplexion des technischen Niveaus" werden wahrscheinlich irgendwann Ergebnisse erreicht, die keine Musik mehr sind, sondern nur noch die Summe "technisch komplexierter Töne"....;)....

Herzliche Grüße
gubu
 
Lieber Gubu,

was habe ich da angerichtet? Du fragst - hoffentlich immer noch rhetorisch:

Bin ich ein Scharlatan (wahrscheinlich ja :p), weil ich mir anmaße, mein (Wert)-Urteil darüber abzugeben?

Bin ich ein elitärer Snob, der anderen das Rederecht abspricht?

Ich vermute bei Dir ein absichtliches Mißverstehen - um der Pointierung willen.

Du hast recht, die Grenzen hin zur Bewertung sind fließend, und von mir aus sollen alle
alles bewerten und sich dabei den Mund fusselig reden - von keinerlei Sachkenntnis getrübt -
passiert ja ohnehin den lieben langen Tag, und wir können's nicht ändern.

Es ist mir nur unangenehm aufgestoßen bei einem Thema, das mir immer noch am Herzen liegt,
mitanzusehen, wie aus Unverständnis Ressentiments entstehen - wobei ich gar nicht bestreite,
daß die Schwerverständlichkeit der Neuen Musik zu diesem Unverständnis beiträgt.

Und was soll Musik für einen "Zweck" haben, wenn ihr (fast) niemand mehr folgen kann/mag?
Keiner möchte Bücher schreiben, die niemand liest. Maler wollen sich in der Regel über ihre Bilder mitteilen.
Und der Komponist? Ist es ihm egal, ob seine Werke (fast) niemand hören möchte??

Bei vielen scheint es tatsächlich so zu sein.

Aber mich interessiert viel mehr, warum die Komponisten "Neuer Musik" sich so oft davor scheuen,
ihre Werke, wenn sie denn so schwer verständlich sind, anderen durch Erklärungsversuche näher zu bringen.

Ich erlebe häufiger das Gegenteil: Komponisten, die ihr hörendes oder lesendes Publikum
mit eitlem Geschwafel zu Werk, Material(verarbeitung) und der dahinterstehenden Idee
zuschwallen - ohne etwas Substantielles gesagt zu haben.

Mit der "Komplexion des technischen Niveaus" werden wahrscheinlich irgendwann Ergebnisse erreicht,
die keine Musik mehr sind, sondern nur noch die Summe "technisch komplexierter Töne"....;)....

Nicht irgendwann, sondern tatsächlich schon jetzt - bei einigen Zeitgenossen zumindest...

Herzliche Grüße,

Gomez
 
Die Verständigungs- und Perspektivenprobleme nehmen ja zu - - ich hoffe, an einen scheinbar (!) leicht verständlichen Beispiel von 1908 diese zeigen zu können:
ja klar, die beliebte Ondine von Ravel.

dieses pianistische Meisterwerk, dessen Komponist es als Karikatur auf Romantik verstanden wissen wollte, erschließt sich als faszinierendes, spannendes, schlichtweg schönes und rauschhaftes Klavierstück nahezu jedem Hörer, der Klaviermusik mag.

und tatsächlich muss man keineswegs wissen & wahrnehmen, wie kompliziert die Harmonik und Struktur dieser Ondine ist, man muss auch nicht wissen, welche Zumutungen an die Spielbarkeit der Komponist gestellt hat (wiewohl zu letzterem durchau anzumerken ist, dass die Tatsache der immensen Virtuosität, welche dieses Stück fordert aber auch darstellt, einen Teil der Faszination ausmachen), um diese Ondine zu mögen!

eine begeisterte und freundliche, also von Ondine begeisterte "Laien-Meinung" (sorry, mir fällt momentan kein besseres Wort ein) ist begrüßenswert, besonders dann, wenn sie aus Interesse und Leidenschaft für den Gegenstand auf ihre eigene Weise reflektiert - - - aber ganz ehrlich: zum Beispiel festzustellen, dass Ravel unvergeßliche Melodien und superschöne Wasserklänge hervorzaubern kann, wird diesem Klavierstück noch nicht gerecht. Es wird berührt - und umgekehrt berührt es ja den Hörer, also jeden Hörer - - beides ist schätzenswert.

aber da hört die Beschäftigung, das Verstehen, das Wahrnehmen dieser Musik noch nicht auf, will sagen: damit ist noch nicht alles getan. Meiner Ansicht nach ist damit lediglich ein emotionales Angesprochen Sein, ein Wohlgefallen zum Ausdruck gebracht - aber noch kein Verstehen oder Begreifen.

man kann weiter gehen und erkennen, dass in all den komplexen Dissonanzschichten zugleich die traditionelle Harmonik präsent ist, aber dass sie auf ganz spezielle Weise vom Komponisten verwendet wird: Ondine hat keine echte Tonika, Ondine ist ein sehnsüchtig "dominantisches" (nicht zu verwechseln mit dominant) Stück, das zugleich voller krasser Dissonanzen ist. Jeder ihrer Zielklänge will woanders hin, erreicht aber dieses Ziel nicht - - das wiederum korrespondiert mit der literarischen Vorlage.

damit wäre an einem Beispiel mal das Gegenteil demonstriert: eine wohlwollende, begeisterte "Laienmeinung" - - ebenso wie eine wenig oder kaum begründete Ablehnung (Gomez nennt es Wertung bzw. Abwertung) sagt sie nicht eben viel über die Musik.

...sicher, wenn man sagte "ok, ich schnall das zwar nicht, aber irgendwie gefällt´s mir", dann erhebt sich kaum Widerspruch - - wenn man sagt "ich schnall´s zwar nicht, aber das ist scheußlich" freilich regt sich Widersprauch.

Der olle Frankfurter, der nach Weimar ging, hat in seinem Opus Magnum mittels der Figur des Erdgeistes ein paar recht schlaue Sachen überliefert :D

und selbst wenn man etwas nicht sogleich begreift, kann man versuchen, dem Ungewohnten gegenüber offen und auch gerecht zu sein: es bringt niemandem etwas, das Ungewohnte nur dann zu akzeptieren, wenn es gefälligst die Erwartungen an das Gewohnte erfüllt - denn dann wäre es ja nichts Ungewohntes.

Ungemach erhebt sich wohl überwiegend dann, wenn man eine zu große Distanz zum Gewohnten wahrzunehmen meint - da hilft öfter hören und sich tragen lassen: selbst ein so zunächst verrückt erscheinendes Opus wie "atlas eclitpicae" von Stockhausen ist voller Schönheit. Aber da sollte man es machen, wie der Edmund Pfühl aus den Buddenbrooks: "durch Gewöhnung und Zureden" :D
 
Ich habe lediglich a) ein sehr deutliches Übergewicht düsterer, bizarrer Stimmungen in der NM festgestellt, was ja nun keiner bestreiten kann, und b) wird es ja wohl erlaubt sein, sich zu fragen, was in der Psyche eines Menschen eigentlich so los ist, wenn seine Imagination ständig düstere, bizarre Klänge hervorbringt.

doch, ich tu das.

düster ist das meiste der Neuen Musik nun wirklich nicht.

etliches, vor allem experimentelles, erscheint zunächst bizarr, absonderlich, verquer usw. - - aber eher selten düster.

kurzum: unter einer depressiven Melancholiewelle leidet die zeitgenössische Musik nicht.
 
Das Thema läßt mich nicht los, auch wenn es sich momentan eher verschiebt
Richtung "Zeitgenössische Musik, die niemand (mehr) hören mag".

...Du den bekannten Vorwurf an die Neue Musik-Komponisten bestätigst,
daß sie kompliziert um des Kompliziertseins willen schreiben. Richtig?

Um Hasenbeins Frage zu beantworten: falsch. Ein Großteil der Neue-Musik-Komponisten
schreibt so, wie ihm musikalisch der Schnabel gewachsen ist, wie er es in den Meisterklassen
der Musikhochschulen gelernt hat. Die Komplexion seiner Musik ist für ihn etwas Selbstverständliches.
Fortschrittsglaube und klassischer Überbietungszwang sind in diesem Milieu ungebrochen.

Man muß wissen, in welchem Ausmaß sich die Neue-Musik-Szene eingeigelt hat,
um dieses Phänomen zu verstehen. Wie an anderer Stelle schon einmal gesagt -
es haftet ihr etwas Inzestuöses an. Es ist Jahr für Jahr dieselbe Handvoll Menschen,
die sich in Witten, Darmstadt und Donaueschingen teils auf dem Podium, teils im Parkett wiedersieht:
Komponisten, Aufführende, Kritiker, Groupies. Kein falscher Ton stört dort die Harmonie.

Was die ökonomische Situation der Avantgardekomponisten betrifft, so gibt es
eine Dreiklassen-Gesellschaft: Die Privilegierten haben eine Dozentenstelle, sind also abgesichert -
gewissermaßen der Adel. Weniger Privilegierte gehen einer musiknahen Tätigkeit nach,
z.B. im Lektorat von Musikverlagen, als Redakteure, freiberuflich tätige Autoren -
gewissermaßen das Bürgertum. Die Unterprivilegierten arbeiten entfremdet, um sich durchzuschlagen,
sind kompositorisch quasi nur des Nachts, selbstausbeuterisch im Nebenerwerb tätig -
das Proletariat. Aber vom Selbstkomponierten könnte niemand von ihnen leben, auch der Privilegierte nicht,
selbst wenn er noch bei einem Verlag unter Vertrag ist, der seine Noten druckt.

Angesichts dieser Situation fragt man sich, wodurch ein Teil dieser Leute so erfolgreich ist -
an ihrer Musik kann es nicht liegen. Das führt zur nächsten Frage - woher unter
solch desaströsen Bedingungen in Deutschland noch soviel Neue Musik entstehen kann.
Die ziemlich lustige Antwort: Sie wird vom Staat subventioniert.
Ein junger Komponist, der die Mechanismen kennt und zu nutzen weiß,
hangelt sich erfolgreich von Stipendium zu Stipendium, von Auftragswerk zu Auftragswerk,
ist hier musikalischer Stadtschreiber und dort Composer in Residence - und wird dann als ehemals junger,
nun schon etwas saturierter Komponist auf die Biennale und zu den Goethe-Instituten aller Länder geschickt.
Muß sich ein solcher Komponist noch Gedanken darüber machen, wie seine Musik beim Publikum ankommt?

Er macht sich sogar Gedanken, hat seinen Kompositionslehrern ein paar Trivial-Adornismen abgelauscht
und spricht von der gesellschaftlichen Relevanz, vom utopischen bzw. kritischen Gehalt seiner Musik,
ihrem akustischen Nichteinverständnis mit den Herrschenden - was zu der schönen Schizophrenie führt,
daß er sich in Donaueschingen von genau den Leuten beklatschen läßt, die er angeblich bekämpft,
und theatralisch die Hand beißt, die ihn mit Steuergeldern füttert.

Ästhetisch befindet sich die Neue Musik in der Aporie: Der Aufbruch ins Unbekannte
Ende der vierziger Jahre endete schon in den sechziger Jahren in Ernüchterung, vor der nur
die von den 68er-Ereignissen geprägte Politisierung der Künste Schutz bot.
Aber das emphatisch Neue verwandelte sich in zu tradierende Altmeisterlichkeit.
In diesem Wandel von Moderne zu Modernismus bildete sich kompositorisch
etwas heraus, das mit der Idee der Neuen Musik unvereinbar ist: Madrigalismen.
Man entdeckt sie in den Partituren grundverschiedener Komponisten - identische Tonsätze
für alles und jedes: das Gebrüll der Blasinstrumente (Anklage, Wut auf das herrschende Unrecht),
die Lyrismen (Trauer über die geschändete Welt etc.), insistierende Tonwiederholungen
(Einspruch des Subjekts etc., was weiß ich).

Gesellschaftlich ist die Neue Musik isoliert, was nicht nur an der oben beschriebenen
Selbstisolierung der Komponisten liegt, sondern auch an der mangelnden Folgebereitschaft des Publikums.
Es hat seine Abstimmung mit den Füßen vollzogen, die von einem großen Teil der Komponisten
ignoriert wird. Die Situation der Neuen Musik erinnert mich an einen klassischen Gag
aus alten Zeichentrickfilmen: Ein Tier verfolgt irgendein anderes Tier, beide laufen mit größter Geschwindigkeit
einem Abgrund entgegen. Das verfolgte Tier weicht rechtzeitig aus, was dem Verfolger nicht gelingt -
der geradeaus weiterrennt, ohne zu merken, daß er längst keinen Boden mehr unter den Füßen hat.
Solange er den fehlenden Boden nicht bemerkt, läuft der arme Kerl tatsächlich weiter durch die Luft.
Erst nach Erkennen seines Mißgeschicks hält er inne, wirft einen bedauernden Blick in die Kamera -
und stürzt hinunter.

Dieser Absturz steht auch der Neuen Musik bevor - wenn sie den fehlenden Boden unter ihren Füßen bemerkt.
Vielen gehässigen und schadenfrohen Zeitgenossen wird das Genugtuung bereiten.
Mich stimmt es traurig, denn die Neue Musik war und ist meine geistige Heimat.
 
Moin Gomez!

- was zu der schönen Schizophrenie führt,
daß er sich in Donaueschingen von genau den Leuten beklatschen läßt, die er angeblich bekämpft,
und theatralisch die Hand beißt, die ihn mit Steuergeldern füttert.

Mahnende Worte! Kopf oder Zahl - so könnte man munkeln!!

In diesem Wandel von Moderne zu Modernismus bildete sich kompositorisch
etwas heraus, das mit der Idee der Neuen Musik unvereinbar ist: Madrigalismen.

Leider unterschlägst Du den modernizistischen Modernismus - ein Unterschied
ums Ganze! Damit verbaust Du Dir den steilen Pfad zu den schwindelnden
Höhen des Derridaschen Differenzbegriffs - von wo aus allein Aus-, Um- und
Übersicht inne geworden werden wäre - naja, jedenfalls: Du weißt schon, was
ich im Hegelschen Sinne mein, ne? Iß schon irgendwie schwierisch zum Sagen - verzeih!


Ermattete Grüße

stephan
 
Lieber Gomez,

Du hast gar nix angerichtet.... außer, dass Du Beiträge geschrieben hast, die mir sehr gut gefallen, weil ihr Inhalt sich in weiten Teilen mit meinen Beobachtungen deckt! :p
Viele Grüße
gubu
 

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