Pierre Schwickerath
- Dabei seit
- 28. Okt. 2011
- Beiträge
- 257
- Reaktionen
- 21
Wir leben doch in der paradoxesten Zeitepoche die es je gab. Nie zuvor hatten die Menschen auf so viel Kultur Zugriff als heute. Die Musikwissenschaft, ja die gesamte Kunstwissenschaft erschließt uns immer wieder „neue“ Kunstwerke längst verschollener Zivilisationen. Und dennoch habe ich oft das Gefühl, dass es keine Epoche vor uns gab, die ihre eigene Kultur so abgelehnt hat wie wir es heute tun. Allerdings muss ich hier nun sofort noch einräumen, dass das auch mit der geographischen Lage des jeweiligen Individuums zu tun hat. Ein Einwohner von Paris, Berlin oder Wien hat sicherlich mehr Aussichten mit der Zeitgenössischen Kunst in Berührung zu kommen als ein Provinzler. Das Brüsseler „Ars Musica Festival“ lernte ich ja dann auch nur während meiner Studentenzeit dort kennen.
Man sollte sich allerdings auch bewusst sein, dass die Kunst im Allgemeinen, und die Musik im Speziellen, doch eine ganz andere Position in den letzten 200 Jahren in unserer Zivilisation eingenommen hat. Man müsste sich zum Beispiel überlegen, ob unsere Denkweise nicht noch auf den Schienen des ausgehenden 19ten Jahrhunderts verharren und ob der Kunst Zug uns nicht schon längst überrollt hat?
Im Früh-Mittelalter gehörte die Musik nicht zur Kunst sondern zur Wissenschaft und hat sich erst später in der Kunst annsiedeln können. Zudem wahren die meisten Künstler angestellte, entweder der Kirche oder eines Herrscherhauses. Als solches ist der Künstler natürlich angehalten, Werke zu schaffen die den Zuspruch des Brotgebers erhalten. Ausnahmen wie ein Don Gesualdo oder vielleicht noch ein Frescobaldi sind eher selten. Als dann die Französische Revolution die alte Ordnung über den Haufen blies, wurden die Karten neu gemischt und verteilt. Das Künstlertum wurde, lange vor dem 20ten Jahrhundert „liberalisiert“. Der Künstler, der auf freiem Fuß steht, hat nun die Möglichkeit für seine „Brüder“ oder für seine „Kinder“ zu arbeiten. Der in der romantischen Zeit hochstilisierte „Elfenbeinturmkünstler“ hat konsequent die zweite Möglichkeit gewählt und damit das immer mehr rasante Abheben des Künstlers bewirkt.
Der Künstler redet nicht mehr in einer vom Publikum wahrgenommener Sprache sondern in seiner eigener. Und wie froh ist doch ein Kritiker heute, wenn er in dieser Sprache Spurenelemente findet, mit denen er was anfangen kann und die ihm erlauben, seinen Zeitgenossen eine halbwegs brauchbare Rezension zu liefern ohne die Gefahr zu laufen, ein „eingebildeter A…kriecher des Künstlers zu sein“ der so schreiben muss um ernst genommen zu werden, oder, andere Variante, mittleidig als Ewiggestriger belächelt zu werden. Ein Künstler herrscht heute quasi despotisch ohne jegliches wenn und Aber.
Und doch, und das ist der springende Punkt, wird die Abrechnung irgendwann einmal folgen. Die Kunstgeschichte wird irgendwann den Weizen von der Spreu trennen.
Ich weiß nicht so recht ob diese Aussage stimmt. Ich denke das große Problem ist einfach die in meinem vorigen Beitrag angeprangerte „zu dichte Zeitnähe“. Es ist uns unmöglich über die ganz junge Musik zu urteilen und noch unmöglicher ist es irgendeine Evolution vorher zu sehen. Heute sind wir gerade mal im Stande die Evolution „Ars Antiqua-Ars Nova-Ars Subtilior“ zu verstehen. Global gesehen, steht es uns nicht zu, solche Urteile zu fällen. Als Kritiker kann man schon dem Künstler auf die Finger klopfen, man kann einzelne Werke als genial oder entartet brandmarken, man hat aber wohl kaum die Befugnis dem Künstler Anweisungen zu erteilen, es sei dann, man bestellt ein ganz spezifisches Werk.
Zu klären gilt übrigens noch ob sich nicht grundsätzlich jede Kunst jeder Epoche in einer Aporie befindet? Ich bin kein ganz großer Freund der Evolutionstheorie in der Musik. Ich vertrete eher den Standpunkt, dass jede Epoche den jeweils höchsten Standard erreicht um ihre Anliegen in der Kunst auszudrücken. Jedes Werk, das diesem Anspruch gerecht wird ist ein „Absolutes Meisterwerk“, und als solches erübrigt sich jeglicher Vergleich mit einem anderem einfach aus. Es macht wenig Sinn, die „Messe Notre-Dame“ mit der H-Moll Messe zu vergleichen, oder Bachs Johannes-Passion mit der von Arvo Pärt. Diese Werke kommen aus Grund verschiedenen Epochen und sagen, selbst bei gleich bleibenden Universalthemen, verschieden Sachen aus.
Wenn wir über Neueste Musik diskutieren möchten, täten wir sicherlich gut etwas Ehrfurcht und Bescheidenheit an den Tag zu legen. Der Künstler hat sich immerhin in einem Jahrlangen Lernprozess Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse an gearbeitet die er, in einem Arbeitsprozess anwendet der wiederum manchmal eine ganz beachtliche Zeit in Anspruch nimmt. Die Summe dieser Arbeit, in einem Atemzug in Schutt und Asche zu legen mit einem zertrümmerndem „Ich mag das nicht“ ist, m. E. mehr als Unfair. Nicht jedes Kunstwerk ist schuld an unserer Ratlosigkeit. Ein Gesualdo Madrigal ist nicht der geeignetster Eisnstiegseweg zur Madrigalkunst: ebenso gibt es Neueste Musik die sich ganz von selbst offenbart und die man sich aneignen sollte bevor man komplexere Kunstwerke in Angriff nimmt. Und so geht es uns mit der Neuen Musik wie es dem Kleinen Prinzen mit dem Fuchs erging als letzterer ihn bat: „S'il te plaît... apprivoise-moi !“
Beste Grüße
PiRath
Man sollte sich allerdings auch bewusst sein, dass die Kunst im Allgemeinen, und die Musik im Speziellen, doch eine ganz andere Position in den letzten 200 Jahren in unserer Zivilisation eingenommen hat. Man müsste sich zum Beispiel überlegen, ob unsere Denkweise nicht noch auf den Schienen des ausgehenden 19ten Jahrhunderts verharren und ob der Kunst Zug uns nicht schon längst überrollt hat?
Im Früh-Mittelalter gehörte die Musik nicht zur Kunst sondern zur Wissenschaft und hat sich erst später in der Kunst annsiedeln können. Zudem wahren die meisten Künstler angestellte, entweder der Kirche oder eines Herrscherhauses. Als solches ist der Künstler natürlich angehalten, Werke zu schaffen die den Zuspruch des Brotgebers erhalten. Ausnahmen wie ein Don Gesualdo oder vielleicht noch ein Frescobaldi sind eher selten. Als dann die Französische Revolution die alte Ordnung über den Haufen blies, wurden die Karten neu gemischt und verteilt. Das Künstlertum wurde, lange vor dem 20ten Jahrhundert „liberalisiert“. Der Künstler, der auf freiem Fuß steht, hat nun die Möglichkeit für seine „Brüder“ oder für seine „Kinder“ zu arbeiten. Der in der romantischen Zeit hochstilisierte „Elfenbeinturmkünstler“ hat konsequent die zweite Möglichkeit gewählt und damit das immer mehr rasante Abheben des Künstlers bewirkt.
Der Künstler redet nicht mehr in einer vom Publikum wahrgenommener Sprache sondern in seiner eigener. Und wie froh ist doch ein Kritiker heute, wenn er in dieser Sprache Spurenelemente findet, mit denen er was anfangen kann und die ihm erlauben, seinen Zeitgenossen eine halbwegs brauchbare Rezension zu liefern ohne die Gefahr zu laufen, ein „eingebildeter A…kriecher des Künstlers zu sein“ der so schreiben muss um ernst genommen zu werden, oder, andere Variante, mittleidig als Ewiggestriger belächelt zu werden. Ein Künstler herrscht heute quasi despotisch ohne jegliches wenn und Aber.
Und doch, und das ist der springende Punkt, wird die Abrechnung irgendwann einmal folgen. Die Kunstgeschichte wird irgendwann den Weizen von der Spreu trennen.
Ästhetisch befindet sich diese Neueste Musik in der Aporie (Zitat Gomez)
Ich weiß nicht so recht ob diese Aussage stimmt. Ich denke das große Problem ist einfach die in meinem vorigen Beitrag angeprangerte „zu dichte Zeitnähe“. Es ist uns unmöglich über die ganz junge Musik zu urteilen und noch unmöglicher ist es irgendeine Evolution vorher zu sehen. Heute sind wir gerade mal im Stande die Evolution „Ars Antiqua-Ars Nova-Ars Subtilior“ zu verstehen. Global gesehen, steht es uns nicht zu, solche Urteile zu fällen. Als Kritiker kann man schon dem Künstler auf die Finger klopfen, man kann einzelne Werke als genial oder entartet brandmarken, man hat aber wohl kaum die Befugnis dem Künstler Anweisungen zu erteilen, es sei dann, man bestellt ein ganz spezifisches Werk.
Zu klären gilt übrigens noch ob sich nicht grundsätzlich jede Kunst jeder Epoche in einer Aporie befindet? Ich bin kein ganz großer Freund der Evolutionstheorie in der Musik. Ich vertrete eher den Standpunkt, dass jede Epoche den jeweils höchsten Standard erreicht um ihre Anliegen in der Kunst auszudrücken. Jedes Werk, das diesem Anspruch gerecht wird ist ein „Absolutes Meisterwerk“, und als solches erübrigt sich jeglicher Vergleich mit einem anderem einfach aus. Es macht wenig Sinn, die „Messe Notre-Dame“ mit der H-Moll Messe zu vergleichen, oder Bachs Johannes-Passion mit der von Arvo Pärt. Diese Werke kommen aus Grund verschiedenen Epochen und sagen, selbst bei gleich bleibenden Universalthemen, verschieden Sachen aus.
Wenn wir über Neueste Musik diskutieren möchten, täten wir sicherlich gut etwas Ehrfurcht und Bescheidenheit an den Tag zu legen. Der Künstler hat sich immerhin in einem Jahrlangen Lernprozess Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse an gearbeitet die er, in einem Arbeitsprozess anwendet der wiederum manchmal eine ganz beachtliche Zeit in Anspruch nimmt. Die Summe dieser Arbeit, in einem Atemzug in Schutt und Asche zu legen mit einem zertrümmerndem „Ich mag das nicht“ ist, m. E. mehr als Unfair. Nicht jedes Kunstwerk ist schuld an unserer Ratlosigkeit. Ein Gesualdo Madrigal ist nicht der geeignetster Eisnstiegseweg zur Madrigalkunst: ebenso gibt es Neueste Musik die sich ganz von selbst offenbart und die man sich aneignen sollte bevor man komplexere Kunstwerke in Angriff nimmt. Und so geht es uns mit der Neuen Musik wie es dem Kleinen Prinzen mit dem Fuchs erging als letzterer ihn bat: „S'il te plaît... apprivoise-moi !“
Beste Grüße
PiRath