Rolf, ich oute mich: Ich mache Hundehaufen. :D
Jetzt mal im Ernst und mit Bitte um Deine Beurteilung:
Ich mache manchmal eine klitzekleine Änderung bei Chopin Nocturne Cis-moll, nur in den ersten 2 Takten:
Ich oktaviere ab der 3. Note das Fis, Cis, A, Gis nach unten (also ich spiele die vier Noten als Oktave). Dadurch klingt dieser erste kleine Teil für mich breiter, offener, aber vor allem die Wiederholung ohne diese Oktavierung noch leiser, wie ein entferntes Echo.
Ist das ein Hundehaufen?
Lieber Peter,
je nachdem kann es ein Goldstück oder ein ausgewachsener Kuhfladen sein. :D
Wenn du zu Hause Klangräume ausprobierst und dies z.B. zum Ziel einer verbesserten Hörfähigkeit oder auch zum persönlichen Vergnügen machst, ist das absolut in Ordnung. Gang und gäbe ist auch z.B., bei bestimmten überraschenden Stellen (Trugschlüsse u.v.a.m.) die Hör
erwartung zu spielen und dann das, was der Komponist entgegen der Hörerwartung schreibt. Das schult das Gehör und den Umgang mit dem musikalischen Material. Meine Schüler verändern besonders bei Anfängerstücken, die bereits gekonnt sind, diese auch mal, verändern die Dynamik, das Tempo, die Lagen, transponieren etc.. Das schult das Gehör, z.B. dahingehend, dass sich mit einer Veränderung schon eines Parameters der Ausdruck verändert und es ist gut, diese Erfahrung zu machen. Wenn du diese Stelle mit deiner Oktavierung schön findest, spricht also nichts dagegen, das auch mal so zu spielen.
Das war das Goldstück. :D Du nutzt also Veränderungen zum genaueren Hinhören, auch zu deiner persönlichen Befriedigung, zur Reflexion darüber, mit welchen musikalischen Mitteln etwas auf eine bestimmte Weise klingt.
Jetzt kommt der dicke, große Kuhfladen
:D
Die genannte Reflexion sollte aus meiner Sicht nämlich auch beinhalten, dass man sich fragt, warum Chopin es so
nicht geschrieben hat.
Die genaue Antwort kann natürlich keiner geben, aber Gedanken darüber sollte man sich schon machen. Du spielst also ab fis die nächsten Bassnoten in Oktaven. Für mich ist das sehr gruselig, denn vorher war der Bass nicht oktaviert und diese, wie du richtig sagst, kleine Einleitung bekommt durch die plötzliche Fünfstimmigkeit und damit einhergehende Erweiterung des Klangraums eine Fülle und Mächtigkeit, die ihr im Gesamtkontext nicht zusteht. Die klangliche Balance des Stückes verschiebt sich, Chopin ist kein Rachmaninoff. Es ist auch m.E. so, dass der Anfangsakkord den Rahmen für die Einleitung setzt: er ist der Klangraum, in dem sich die Einleitung befindet und der durch die Stimmen nicht überschritten wird. Nicht so bei deiner Oktavierung: sie überschreitet den Klangraum, im Bass durch das C gesetzt, nach unten und das hat eine ganz andere klangliche und musikalische Wirkung. Man muss solche Dinge im gesamten Kontext sehen - du konzentrierst dich auf die Echowirkung. Es handelt sich aber um die Einleitung, die aus meiner Sicht hier eher Stille vermittelt und aus deren Stimmung die folgende wunderbar klare Kantilene des Themas erwächst. Schwülstigkeit passt hier nicht her, Intimität ist angesagt und da passt die Oktavierung nicht. Für eine bessere Echowirkung kannst du übrigens auch das zweite Pedal nehmen.
Meine klare Meinung also: du kannst es so spielen und dann ist das Stück in dem Moment eben eine Art Spielwiese, was durchaus der persönlichen Bereicherung und auch Aus-Bildung dient. Aber es ist dann nicht das Nocturne von Chopin. Sagst du "ich spiele dieses Stück von Chopin", zeugt es von Respekt und nötiger Demut, die Töne zu spielen, die da stehen. Nur weil du noch nicht die zwingende Notwendigkeit der vorhandenen musikalischen Mittel, hier die Wahl der Register, erkennst und hörst, heißt es nicht, dass du den Notentext nach Belieben verändern kannst. Nur weil wir bestimmte Dinge nicht erkennen, können wir nicht einfach machen, was wir wollen. Hartmut Höll hat mal sehr schön beschrieben, wie er immer mit einer bestimmten Wendung in einem Lied (er ist ja Liedbegleiter) Schwierigkeiten hatte. Bis er plötzlich nach Jahren diese Stelle verstand, als er den Liedtext von einer anderen Seite als bisher sah. Hätte er die Stelle vorher einfach anders spielen sollen, mit anderen Tönen? Nein, wir sollten an unserer Erkenntnis arbeiten und der Gewinn daraus ist riesig, bleibt nicht an der Oberfläche, sondern zeigt andere Dimensionen auf.
Liebe Grüße
chiarina