„Anscheinend“ drückt deine subjektive Wahrnehmung aus [...]
„Scheinbar“ impliziert, dass du weißt, dass es eigentlich anders war als es angenommen wird.
Richtig; technisch gesagt ist "anscheinend"
potential (Sprecher hält Satzinhalt für möglich) und "scheinbar"
kontrafaktisch (Sprecher setzt voraus, dass Satzinhalt nicht zutrifft).
Aber:
1. Semantisch ist ursprünglich beides das Gleiche, nur die Wortbildung ist unterschiedlich: Das Suffix -
bar in
scheinbar ist "tragend" (vgl.
Bahre), also "den Schein tragend", und
anscheinend ist nur ein adverbialisiertes Partizip, also "sich zeigend" (er ist anscheinend dumm ~ er zeigt sich (als) dumm).
2. Ein Blick in auf die Belegsituation zeigt, dass wenigstens bis zum Ende des 19. Jh. beide Ausdrücke austauschbar waren:
Es sei!' sagte Herr Pineiß mit anscheinender [= scheinbarer] Gutmütigkeit (G. Keller, Leute v. Seldwyla
Für ihn genug, scheinbar [= anscheinend] genug für König Philipp (Schiller, Don Carlos).
Wir haben hier also eine sekundäre, schriftsprachliche Differenzierung vor uns, die
anscheinend Sprachpuristen des 19. Jh. erfunden haben. Ohne sich ganz durchzusetzen, denn
3. In weiten Teilen des oberdeutschen Sprachgebiets (Süddeutschland, Österreich, Schweiz) gab und gibt es umgangssprachlich nur
scheinbar, das also die Funktionen von
anscheinend mit übernimmt. Vermeintliche "Verwechslungen" können also simpel Reflexe einer umgangssprachlichen Inferenz sein.
Es lässt sich schließlich risikolos vermuten, dass die Entwicklung in spätestens einer Generation wieder bei Punkt 2 angelangt sein wird, mag das auch den einen oder anderen aufgeschwellten Sack vollends zum Platzen bringen.