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wawofan
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Ich kann im Violinschlüssel (zumindest einstimmig) flüssig lesen, habe
als Kind 8 Jahre Querflöte gespielt. Aber im Bass sieht das immer noch
übel aus. Buchstabieren statt lesen, Akkorderkennung mangelhaft.
Hmm.
Diese Schilderung triggert etwas bei mir...
(Ich bitte im Voraus für die ausufernde Länge des Textes um Nachsicht...)
Meine Freundin meint, "einfach" noch mal von vorne anfangen. Einfachste
Stücke vom Blatt spielen, angefangen mit dem Niveau von alle meine
Entchen, immer wieder neue, bis ich flüssig Musik lesen kann.
Den Vorschlag finde ich im Prinzip gut -- nur glaube ich gar nicht mal, dass das für Dich wirklich bedeutet, komplett von vorne anzufangen. Zweckmäßiger Fingersatz und Orientierung auf der Klaviatur gehen m.E. nicht so einfach wieder verloren, wenn man das sinnvoll geübt hat.
Folgendes Dings: Ich hatte als Kind Unterricht auf der Blockflöte und konnte seither (aus diesem und anderen Gründen) Violin- und Bassschlüssel halbwegs flüssig lesen.
Vor zwei Jahren habe ich -- nach Jahrzehnten der autodidaktischen Klimperei -- mit über 50 Jahren die Chance wahrgenommen, Klavierunterricht zu nehmen. Meine Fähigkeit zum Blattspiel war zu dem Zeitpunkt exakt Null: Es war mir ein Rätsel, wie neurologisch unauffällige Menschen in der Lage sein sollen, ZWEI Notenzeilen GLEICHZEITIG lesen und erfassen zu können. Jeder Versuch, dies zu tun, führte SOFORT zum Verspielen...
Nun hatte ich schon vor Jahrzehnten bei Günter Philipp ("Klavier Klavierspiel Improvisation") die (theoretische) Lösung für dieses Problem gelesen: Der Pianist/die Pianistin muss erstens einige Noten VORAUSLESEN (und sich das Gelesene natürlich merken), und man muss zweitens beide Zeilen ABWECHSELND lesen.
Theoretisch war mir das seit Jahrzehnten klar. Praktisch hat das früher nie funktioniert: Wenn ich den Blick von der oberen Zeile (für die rechte Hand) abwendete, um zu lesen, was die Linke zu tun hat, verspielte ich mich sofort...
Der Fortschritt kam unerwartet nach einem reichlichen Jahr Unterricht, als ich ein Stücklein für ein Schülervorspiel auswendig lernte. (Ich lerne sehr mühsam auswendig und habe deshalb dafür wochenlang trainiert.) Ich übte in jeder Session in bunter Mischung mit Metronom, ohne Metronom, nach Noten, ohne Noten. Die Durchgänge nach Noten waren mir natürlich wichtig, um zu überprüfen, dass ich mir nichts Falsches gemerkt habe -- damit sich nicht unbemerkt Fehler einschleichen.
Eines Tages fiel mir bei einem solchen Durchgang nach Noten nach einigen Takten spielen auf: "Moment... was ist denn das jetzt...?! Was passiert hier? -- Ich kann's. ICH KANN ES! Ich kann 'pianistisch' Noten lesen! Juhuu!"
Tatsächlich konnte ich das Stück fehlerfrei spielen und entspannt 'beide Notenzeilen gleichzeitig' (linke und rechte Hand) mitlesen, die ich spiele.
Natürlich kommt jetzt der Einwand: "So ein blödsinniger Selbstbetrug. Was hat es denn mit 'Blattspielen' zu tun, wenn man ein Stück auswendig spielt und dabei trotzdem auf die Noten schaut?"
Diesen Einwand kann ich, glaube ich, entkräften: Da ich ein Melodie-Instrument (Blockflöte) erlernt habe und relativ mühsam auswendig lerne, habe ich schon immer gern und viel nach Noten gespielt und war auch ein brauchbarer Blattspieler. Ich war (logischerweise) von Anfang an daran gewöhnt, beim Spiel nach Noten genau DIE Noten im Fokus zu haben, die ich gerade spiele (-- also gerade NICHT vorauszulesen). Wenn ich beim Blattspielen mit der Blockflöte an meine Leistungsgrenze kam und der Stresspegel anstieg, hatte ich zwar mit einem gewissen Tunnelblick zu kämpfen -- das hinderte mich aber erstmal nicht daran, weiterhin nacheinander die richtigen Töne zu treffen.
Stressbedingter Tunnelblick ist aber beim Blattspielen auf dem Klavier genau das, was man ÜBERHAUPT nicht brauchen kann, denn jede Verengung des Wahrnehmungsfeldes verkürzt die Reaktionszeit für die folgende spieltechnische Schwierigkeit. Man braucht im Gegenteil ein halbwegs entspanntes Vorauslesen, damit man Bewegungen vorbereiten und zweckmäßige Fingersätze wählen kann und ähnliches.
Vorauszulesen bedeutet aber andererseits, dass im Augenblick ANDERE Töne erklingen, als die Noten angeben, die man gerade LIEST -- und dieses Problem betrifft nicht nur die Zeitachse, sondern auch das Zusammenwirken von rechter und linker Hand: Man muss bespielsweise die (nächsten) Noten für die linke Hand (voraus-)lesen und trotzdem ohne Störung mit der rechten Hand die aktuellen Töne weiterspielen können.
Diese zeitliche Entkopplung von Lesen--Erkennen--Vorstellen auf der einen und Vorstellen--Greifen--Hören auf der anderen Seite war jahrzehntelang ein unüberwindliches Hindernis für mich.
Der Zufall half mir, es schließlich doch zu überwinden, nämlich auf Basis des paradoxen "Auswendig spielen und doch genau die Noten lesen".
Geht das über das trainieren von Mustererkennung?
Klar.
Leider bricht die Kette am schwächsten Glied. Soll heißen: In der Abfolge "Lesen--Erkennen--Vorstellen--Greifen--Hören" genügt m.E. EIN hinreichend großer Mangel, um Blatt-/Notenspielen unmöglich zu machen.
Um als Quintessenz aus meinem endlosen Sermon mal eine konkrete Frage zu formulieren: Kann es sein, dass es beim Blattspielen bei Dir nicht nur eine, sondern ZWEI Baustellen gibt? Zum einen nämlich das "pianistische
Notenlesen" (=zwei Zeilen "quasi" gleichzeitig lesen und ohne Störung etwas anderes spielen, als man gerade liest), zum anderen aber das "Erkennen" der im Bassschlüssel notierten Töne?