Musikalität entwickeln - wie macht man / ihr das?

  • Ersteller des Themas Viva la musica
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Häng Dich - wenn wir die Analogie zum Malen beibehalten - nicht daran auf, wie/warum/wo der Blauton hin muss, sondern experimentiere, und zwar auch mit anderen Farbtönen! Nimm Deine akustische Farbpalette, und probiere "Dich" mit Deinen Möglichkeiten aus, und werde ein mal bisschen "aufsässig". Spiele staccato, wo legato gefordert ist, laut, wo leise gefordert ist, accel., wenn ein rit. gefordert wird, einfach aus Spaß an der Freud'.
So gut gemeint diese Tipps auch sind - sie führen erneut in die Irre.

Denn auch deren Anwendung bedeutet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass kognitiv (!) Einzelereignisse (!) verändert werden, also kein "natürlicher", spontaner Fluss entsteht, der Voraussetzung dafür wäre, dass man das Ergebnis als "musikalisch" empfindet.

Und ein Stück artikulativ oder dynamisch "gegen den Strich" zu bürsten, ist Quatsch. Es geht doch erstmal darum, überhaupt zu empfinden zu lernen, wie das, was da steht, gemeint sein könnte! Und bei einer guten Komposition ist es keineswegs egal, ob staccato oder cresc. oder accel. gespielt wird, sondern es ergibt sich schlüssig aus dem Gesamtzusammenhang - ähnlich wie es nur bestimmte Arten gibt, einen Text auszusprechen, die schlüssig sind, wenn man ihn in einer Rede spricht. Diese "Schlüssigkeiten" muss man ins Gehör, ins Gefühl und in den Körper bekommen.
 
Das war meinerseits möglicherweise zu kurz formuliert. Durch kurzzeitiges Experimentieren mit konträrer Dynamik (natürlich soll man sich das Stück nicht so einprägen oder einüben) kann man selber erkennen, was wichtig ist - am besten mit Unterstützung im Unterricht. Gerade wenn man selber stark rational an die Sache geht, und sich - unbewusst - gegen die emotionale Musikalität sperrt.
Als ich in USA war, hat der Englisch-Lehrer uns mit der Aussprache/Betonung experimentieren lassen, und manchmal war das wirklich ein Aha-Erlebnis, hat das Verständnis gefördert und auch gezeigt, wie die "Melodie" im Gesprochenen klingt.

Noch kurz: Musikalität erreicht man auch, wenn man auf den Körper achtet. Ein verkrampfter Körper kann sich der Musik nicht öffnen, im Gegenteil. Die Körperhaltung/Fingerhaltung/Atmung sind ein essentieller Bestandteil beim Erreichen von emotionaler Musikalität. Sperrt/verkrampft sich der Körper, tut das auch die Seele.

Würde gerne alles weiter ausführen, aber leider keine Zeit mehr.
 
Ja, bin ich, in fast allem AUSSER der Musik, eigentlich mache ich vor allem deswegen gern Musik. Ich hab mich genau aus diesem Grund lange dagegen gesträubt, mich überhaupt mehr als unbedingt nötig theoretisch mit Musik auseinanderzusetzen, bis mich dieses Forum dazu inspiriert hat.
also kein "natürlicher", spontaner Fluss entsteht, der Voraussetzung dafür wäre, dass man das Ergebnis als "musikalisch" empfindet.
Mit dem natürlichen Fluss hab ich gar kein Problem. In meiner inneren Wahrnehmung sind (musikalisch substantielle) Stücke meist nach einer gewissen Beschäftigung damit ein lebendiger Fluss an Bildern, manchmal auch Handlungen, Dialogen, er sagt, sie sagt, er schreit, Ereignissen, es fällt, es leuchtet, es raschelt...
Aber das kann ich nur teilweise so umsetzen, wie ich möchte. Und oft ist der Schnee, den ich mir vorstelle, dann auf dem Blatt einfach nur weiß. Und das liegt daran, dass man ja auch musikalische Vokabeln braucht, um das zu übersetzen, was man in Gedanken vor sich sieht.

Und nächstes Problem: meist krieg ich vom KL in meinem natürlichen Fluss auf den Deckel, weil mein "Fluss" dann vielleicht ignoriert, dass Bach halt nicht gleich Schumann ist und ganz anders gespielt werden muss. Deswegen denke ich (inzwischen) auch bei Musik ist denken und wissen und reflektieren nicht ganz verkehrt.
 
Deswegen denke ich (inzwischen) auch bei Musik ist denken und wissen und reflektieren nicht ganz verkehrt.
Es sollte sich nur nicht gegenseitig im Weg stehen.
Das Denken über Musik oder das eigene Spielen, sollte nie über dem Spielen stehen. Natürlich kann man Bach auch spielen, wie Schubert ... aber sehr viele Menschen, die sich mit Bachs Musik beschäftigt haben, finden das dann eben falsch.

Mir ist das relativ egal ... ich weiß, dass Bach anders gespielt werden soll, als Schubert ... aber dieses Wissen bedeutet ja keine unüberwindbare Mauer sondern eher eine "Hilfestellung" bei einer Antwort auf die Frage wie das klingen soll.
Es kann auch anders klingen, das ist nicht die Frage, und manchen gefällt auch dieser Bach nicht weniger schlecht.

Nur weil es musikhistorisch betrachtet nicht korrekt ausgeführt wird, muss es ja nicht gleich schlechte Musik sein.
Ich habe z.B kein Problem damit, den ersten Satz der Mondscheinsonate mal im11/8-Takt zu spielen ... so soll das zwar nicht, aber das, was dabei herauskommt, finde ich eben auch nicht so schlecht.
 
Spielanweisungen mal bewusst zu verkehren (z.B. Staccato statt legato), kann dabei helfen, zu verstehen, warum eine Melodie an der Stelle legato notiert wurde.
Es kann ein Aha-Erlebnis werden, wenn man es mal anders zu hören bekommt.

Aber das efordert bewusstes Zuhören ... man sollte das also ohnehin nur mit Stücken ausprobieren, die man bereits verinnerlicht hat, damit weniger Aufmerksamkeit in die orthodoxe Reproduktion fließen muss.
 
Ich habe schon immer einen von anderen ungeliebten Spruch drauf: Technik engt nicht ein, sondern befreit.

(Mit "Technik" meine ich alles an Kleinkram: Finger, Arme, Hinhören, Spüren von Rhythmus, Metrum,...)

Diese Beachterei (hasenbein) muss in den Übesessions dann ab und an überwunden werden (gerne vom KL als etwas unsinnige Aufforderung "und jetzt spiel mal schön!" gebracht... dabei soll man alles, selbst Hanon (bitte nicht hauen), schön spielen)...

..,um mal den Fluss fließen zu lassen. Die Musikalität bricht(?) sich dann ihre Bahn.

Immerwährende uralte Leseempfehlung: Zen in der Kunst des Bogenschießens von Eugen Herrigel.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Schön spielen" ist ein schlechter Ausdruck. Ich meine, der sollte unbedingt vermieden werden.

Es geht um "schlüssig", passend, angemessen spielen, nicht um "schön".
 
"Musikalität" entsteht dann, wenn man sich erlaubt, "loszulassen" und sich dem FLUSS einer musikalischen Passage zu ÜBERLASSEN. Dies ist ein von Emotion (keinesfalls zu verwechseln mit dem persönlichen Gefühlszustand/Befinden!) und auch der persönlichen Energie geleiteter Vorgang; Denken darf vor und nach dem Spielen, aber möglichst nicht beim Spielen stattfinden.

Klar ist, dass dazu ein bestimmter Mindestgrad an Beherrschung des Materials vorhanden sein muss.
Lieber hasenbein,

das sind sehr wahre und treffende Worte, aber mir im Zusammenhang mit der hiesigen Fragestellung mit Bezug auf das Üben zu unkonkret.

Was machen denn die, bei denen noch kein bestimmter Mindestgrad an Beherrschung, wie der sich auch immer definiert, vorhanden ist? Was machen denn Anfänger oder noch nicht so Fortgeschrittene, wenn sie an einem Stück etwas Neues lernen, was ja haufenweise vorkommt. Was machen sie, wenn sie dort auf neue Klänge und neue Bewegungsmuster treffen, die sie erst noch erlernen müssen? Ohne Denken auch beim Spielen wird es dabei schwierig - Emotion, Ratio, Reflexion, Hören und Spielen sind untrennbar miteinander verknüpft und wechseln sich bisweilen beim Üben an bestimmten Stellen oder Motiven so schnell ab, dass die einzelnen Übeprozesse gar nicht mehr voneinander getrennt werden können.

Schon beim Bilden einer Klangvorstellung ist Denken unerlässlich. Welches Tempo, welche Taktart, welche Tonart, welcher Charakter .... liegt hier vor? Aus den Antworten auf diese Fragen ergibt sich eine erste grobe Klangvorstellung. Die wird durch Üben, durch die Beschäftigung damit immer mehr verfeinert. Wenn ich als Noch-Anfänger oder Spieler der Mittelstufe eine für mich neue Klangfolge wie z.B. die markierte Stelle aus diesem wunderschönen Lied ohne Worte von Mendelssohn-Bartholdy übe, muss ich beim Spielen wahrscheinlich auch an die Ausführung denken, die ich so noch nicht gelernt habe und die für mich ebenfalls neu ist. "O.k., Arm nach vorne beim Basston, der warm und "glockig" klingen soll, aber dann "oben" bleiben, um das Seufzermotiv mit der entsprechenden Armbewegung schön herausarbeiten zu können ....." können Gedanken beim Spielen sein, die nötig sind, um der Klangvorstellung nahe zu kommen. Und so ein musikalisches Spiel überhaupt möglich machen.

Mendelssohn.PNG

Natürlich ist es immer das Ohr, das führt und letztlich über unser Üben bestimmt. Wenn es noch nicht so klingt, wie wir es uns vorstellen (oder unser Lehrer, haha :003: ),HÖREN wir dies und denken ANSCHLIESSEND darüber nach, wie wir es verbessern können. So wie ich in meinem letzten Beitrag auch geschrieben habe: wir HÖREN, was wir spielen, wir FÜHLEN, was die Klänge in uns auslösen, wir REFLEKTIEREN und ANALYSIEREN anschließend. Analyse ohne OHR bringt leider gar nichts, die Herangehensweise sollte immer auditiv erfolgen.

So wichtig es ist, beim Musizieren die "Beachter"-Rolle auszuschalten und loszulassen, so gibt es beim Üben speziell der Koordination, der Bewegungsmuster, mit denen man Klänge realisieren will, aber auch ein gemeinsames Vorgehen von Hören, Spielen, Fühlen, Denken. Und da bei Anfängern das Ohr oft noch nicht so gut ausgebildet ist, hilft es auch manchmal, wenn sie sich beim Spielen auf bestimmte Armbewegungen konzentrieren und dann verblüfft feststellen: "Ach ja, das klingt ja viel besser."

Diese bewusste "Wahrnehmung des Unterschieds" ist übrigens ein sehr wichtiges Prinzip des Lernens und Lehrens, wie @Demian schon sagte. Und so könnte man in Bezug auf die Sexte, die @Viva la musica erwähnte, z.B. mal "My Bonnie is over the ocean" singen (vom ersten zum zweiten Ton aufsteigende Sexte) und dann "Alle meine Entchen" singen (vom ersten zum zweiten Ton eine Sekunde) und den Unterschied hörend und fühlend wahrnehmen. Sehr sinnvoll ist es auch, ausgewählte Stellen aus Stücken zu transponieren, um diese Wahrnehmung zu schärfen.

Auf jeden Fall freue ich mich, dass sich da schon etwas getan hat, liebe @Viva la musica"!

Jedenfalls eine spannende Frage und ich habe mir jetzt einmal über Töne Gedanken gemacht, die ich vorher eben einfach nur gespielt habe. Mit solchen Überlegungen erscheint mir auch die Stückanalyse nochmal in etwas hilfreicherem Licht. Da hab ich bisher oft akribisch Akkorde und Stufen in meine Stücke gekritzelt, aber das eigentlich nur genutzt, um schneller die Töne zu treffen, mir Passagen besser zu merken und weniger daneben zu greifen.

Mein Aha-Erlebnis in Bezug auf den Raum zwischen den Tönen, die Inter-valle, war übrigens, als ich das erste Mal ein großes Xylophon spielte und für eine Sexte eine wirklich große Armbewegung machen musste, um sie zu spielen. Bei uns am Klavier ist eine Sexte locker in einer Hand machbar und das verleitet uns dazu, zwei Drück-Bewegungen zu machen anstatt diesen Raum wahrzunehmen. Das Aha-Erlebnis meiner Professorin diesbezüglich bestand darin, dass sie beobachtete, wie Rostropowitsch Cello spielte. Von einem Finger zum nächsten war der Raum zwischen den Tönen nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. :)

Und was die fremden Länder angeht, kannst du die aufsteigende Sexte tatsächlich nur hören und fühlen in ihrer Intensität, nicht denken. Aber du kannst die Phrase transponieren und du kannst überlegen, wie du sie phrasieren willst. Dann ausprobieren und experimentieren und beim Spielen die Lauscher auf Maximalgröße stellen.

Liebe Grüße und viel Spaß!

chiarina
 

Aber das kann ich nur teilweise so umsetzen, wie ich möchte. Und oft ist der Schnee, den ich mir vorstelle, dann auf dem Blatt einfach nur weiß. Und das liegt daran, dass man ja auch musikalische Vokabeln braucht, um das zu übersetzen, was man in Gedanken vor sich sieht.
Dabei kann Dir ein KL helfen: Nuancen zu finden, Tips zum Spielen/Interpretieren geben, zur Technik.
Aber es kommt natürlich auch auf Deinen Fortschritt an. Du bist im zweiten? Jahr? Erwarte da nicht zu viel von Dir. Du hast noch viel zu lernen, zu entdecken und zu erfahren. Im positiven Sinne!
Musiktheorie ist so spannend. Der Umfang kann einen abschrecken, aber es gibt gute Bücher, die bestimmte Themen verständlich beleuchten.
Höre Dir viel Musik (aus unterschiedlichen Sparten) an, und zwar konzentriert, höre das, was Dir gefällt, was Dein Herz berührt*. Höre zu, wie das interpretiert wird, was dem Stück "Seele", Charakter und Atmosphäre verleiht.

*Es können natürlich andere Emotionen beim Hören eine Rolle spielen. Ich höre gerne mal Metal oder Rap/Hiphop, wenn ich in der Stimmung bin.
:-D
 
Und da bei Anfängern das Ohr oft noch nicht so gut ausgebildet ist, hilft es auch manchmal, wenn sie sich beim Spielen auf bestimmte Armbewegungen konzentrieren und dann verblüfft feststellen: "Ach ja, das klingt ja viel besser."
Mein Ohr war immer gut ausgebildet. Ich war immer sehr musikalisch, auch ohne dass ich ein Instrument spielen konnte. Durch das Singen und Chorsingen wurde das Ohr dann noch mehr geschult.

Und das ist genau mein Problem. Wenn ich singe, kann ich das, was ich höre und mir vorstelle, zumindest teilweise umsetzen. Aber wenn ich ein Instrument spielen möchte, das ich überhaupt noch nicht spielen kann? Und dann soll ich "Hänschen klein" spielen, um das zu lernen? Während ich ganz andere Klänge im Ohr habe, die gern spielen möchte? Das ist sehr frustrierend.

Was ist Musikalität und was bildet sie aus? Das ist für mich gar nicht so die Frage. Für mich ist die Frage: Wie vermeidet ein ausgesprochen musikalischer Mensch die Frustration, diese Musikalität an einem Instrument nicht ausleben zu können, weil er die Technik noch nicht beherrscht? Und das auch nicht innerhalb einer kurzen Zeit lernen kann. Am Klavier braucht man Jahre, nicht Tage oder Wochen, um überhaupt halbwegs anspruchsvolle Stücke spielen zu können.

Wenn mir dann jemand mit Theorie kommt, wehre ich mich dagegen, weil ich ja meine angeborene Musikalität auf das Instrument übertragen möchte. Theorie ist schon interessant, ich sage überhaupt nichts dagegen, aber mir kommt sie immer wie ein Bremsschuh vor für das, was ich machen möchte. Nicht unbedingt für andere, für die die Beschäftigung mit der Theorie ihre musikalische Erfahrung erweitert. Ich rede jetzt hier nur von mir. Ich möchte mich mit der Praxis beschäftigen, nicht mit Theorie. Ich höre ja, dass der Leitton nach der Auflösung strebt oder wie Dominante und Tonika miteinander harmonieren. Muss ich deshalb wissen, was ein Leitton oder eine Dominante oder eine Tonika ist? Wenn ich es doch sowieso höre?

Wahrscheinlich ist das die falsche Frage, aber so empfinde ich es eben. Musikalität ist meiner eigenen Erfahrung nach angeboren, unabhängig davon, ob man eine musikalische Ausbildung hat oder nicht. Oder ob man viel Musik gehört hat oder nicht. Aber wie bei vielen angeborenen Talenten kann man einiges davon sicher auch lernen. Meine Musikalität hat sich sicherlich durch das Singen und das Lernen von Instrumenten erweitert. Ich kenne jetzt mehr, verstehe auch mehr. Aber ich gehe immer nach meinem inneren musikalischen Gefühl. Das ich hatte, seit ich denken bzw. fühlen kann.

Deshalb habe ich mir nie die Frage gestellt, wie ich meine Musikaliät entwickeln kann. Die ist ja einfach da. Schon immer. Aber ich stelle mir die Frage, wie kann man die Technik dieser Musikalität anpassen? Sodass ich das, was ich musikalisch fühle, auch auf ein Instrument übertragen kann? Wenn ich dazu Jahre brauche, höre ich vielleicht schon weit vor dem Punkt auf, an dem meine Technik meine Musikalität erreicht hat und ich endlich richtig Musik machen könnte.

Das ist das, was hier steht:
Mit dem natürlichen Fluss hab ich gar kein Problem. In meiner inneren Wahrnehmung sind (musikalisch substantielle) Stücke meist nach einer gewissen Beschäftigung damit ein lebendiger Fluss an Bildern, manchmal auch Handlungen, Dialogen, er sagt, sie sagt, er schreit, Ereignissen, es fällt, es leuchtet, es raschelt...
Aber das kann ich nur teilweise so umsetzen, wie ich möchte. Und oft ist der Schnee, den ich mir vorstelle, dann auf dem Blatt einfach nur weiß. Und das liegt daran, dass man ja auch musikalische Vokabeln braucht, um das zu übersetzen, was man in Gedanken vor sich sieht.
Genau das ist das Frustrierende. Das ist eine gute Analogie. Ich habe einen großen Wortschatz, will etwas sagen ... Nur stammele ich herum wie ein absolut unintelligenter Mensch, weil mir in der fremden Sprache die Vokabeln fehlen. Und ich kann die auch nicht einfach so mal schnell in ein paar Tagen lernen, um die Sprache fließend sprechen zu können. Ich brauche Jahre dazu, bevor ich auch nur einen halbwegs vernünftigen Satz zusammenbringe. Zum Beispiel auf dem Klavier.

Und nächstes Problem: meist krieg ich vom KL in meinem natürlichen Fluss auf den Deckel, weil mein "Fluss" dann vielleicht ignoriert, dass Bach halt nicht gleich Schumann ist und ganz anders gespielt werden muss. Deswegen denke ich (inzwischen) auch bei Musik ist denken und wissen und reflektieren nicht ganz verkehrt.
Das ist das zweite Problem. Das hatte ich letztens auch. Ich empfinde ein Musikstück auf eine bestimmte Art, spiele es so, und dann heißt es, nein, das entspricht nicht der Epoche. Da hat man das anders gespielt.

Muss mich das interessieren, wie man damals dieses Stück gespielt hat? Oder wie man heute vermutet, wie man damals das Stück hätte spielen sollen? Denn genau wissen wir das ja nicht. War ja niemand von uns dabei, wenn Bach oder Chopin gespielt hat.

Das ist mir schon wieder zu theoretisch. Ich möchte das Stück so spielen, wie ich es empfinde. Dann ist es für mich richtig. Egal, ob es nun in die Epoche passt oder nicht. Ist das nicht das Entscheidende? Wahrscheinlich schon wieder die falsche Frage. :003: Und für Profis, die das alles gelernt haben, sieht das auch ganz anders aus. Aber für mich als Rentnerin, die ein bisschen Musik machen will? Möglichst schnell möglichst gut spielen will? Hilft mir da die Theorie? Oder muss ich da nicht eher "intelligent üben", damit ich möglichst schnell vorankomme und nicht so viel Zeit verschwende? Von der ich nicht mehr viel habe, denn meine Lebenszeit ist begrenzt.

Mich frustriert meine natürlich vorhandene Musikalität da im Moment eher. Weil ich auf dem Klavier nicht das machen kann, was ich machen möchte.
 
Aber da wird sich auch in Einzelheiten verzettelt, wovon die Beachterei (danke an hasenbein für dieses griffige Wort!) beim aktiven Musizieren nur ein Teil ist.

Ein Denkanstoß ergibt sich aber aus der dortigen Diskussion:
Gibt es musikalische Zuhörer? (also überhaupt nicht selbst musizierend)

Kann man da etwas für "uns Musiker" herausziehen, um unsere eigene (Un)Musikalität besser zu verstehen?

Und ganz schlimm verengt gefragt, aber passend zu manchen Threads hier und zu vielen Klavieraufnahmen bei YT: Geht es um Musik auf dem Klavier oder um Tastensport? Sind diese Athleten auch musikalisch?
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn das Thema in diesem Thread allerdings ist:
Musikalität entwickeln - wie macht man / ihr das?
ist die Musikalität der Zuschauer eigentlich kein Thema. :003:

Mich persönlich interessieren irgendwelche "Tastenathleten" beispielsweise nicht die Bohne. So etwas anzuschauen bringt mir überhaupt nichts. Weder für mein Spiel noch für meine Musikalität. Für mich geht es auf dem Klavier ganz klar um Musik. Wer da meint, irgendwelche Schnelligkeitsrekorde aufstellen zu müssen, kann das gern tun, aber das hat keinen irgendwie gearteten weiteren Sinn. Außer vielleicht für diese Person selbst, die unbedingt so schnell spielen will. Aber wer kann, der kann. Ich kann es nicht. Und das kann für Hobbymusiker auf Amateurniveau wohl auch kein Ziel sein, denke ich.

Ich glaube nicht, dass es für unsere Musikalität auch nur das geringste bringt, sich mit den Zuschauern zu beschäftigen oder mit deren Musikalität. Ich freue mich, wenn die Leute applaudieren und meine Darbietung genießen, aber mehr habe ich von Zuschauern nicht. Ich spiele nicht für die Zuschauer, sondern für mich. Ich werde nicht musikalischer, weil die Zuschauer musikalisch sind, und ich werde auch nicht unmusikalischer, weil die Zuschauer unmusikalisch sind. Nach einem Konzert mit unmusikalischen Zuschauern bin ich nicht unmusikalischer als vorher. Für meine musikalische Entwicklung ist das so bedeutsam, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt.
 
Ich habe einen großen Wortschatz, will etwas sagen ... Nur stammele ich herum wie ein absolut unintelligenter Mensch, weil mir in der fremden Sprache die Vokabeln fehlen
Darauf zielt meine Frage im Grunde auch: mit welchem musikalischen Vokabular kann man Musikalität besser ausdrücken? Die große Idee habe ich auch, aber ob es dann so klingt entscheidet sich ja an ganz schöden Kleinigkeiten. Den Pausen zum Beispiel, wie ich entdeckt habe. Oder ob ich einen Leitton, der sich da irgendwo mitten im Notengeschehen befindet, richtig beachte und passend betone (oder vielleicht gerade nicht!) Oder, oder, oder. So wie ein Schauspieler natürlich seinen Text kann. Aber was macht er, um den Text wirken zu lassen. Da hat der ein Repertoire an Möglichkeiten. Welche gibt es in der Musik und was bewirken sie, wann sind sie passend, wann kontraproduktiv, wann originell?

Ich lebe mich übrigens auch ganz gern an einfachen Stücken aus. Und beim Klavier wächst man aus Hänschen klein ja sehr schnell raus. Ob ich diese Geduld für z B. eine Geige aufbringen würde, glaube ich auch eher nicht. Aber das erste Klavierjahr fand ich musikalisch schon interessant und hörbar!


Muss mich das interessieren, wie man damals dieses Stück gespielt hat?
Das dachte ich auch früher. Aber je mehr ich lerne umso mehr stelle ich fest, dass einen diese Perspektive auch musikalisch bereichern kann. Weil ich sonst wahrscheinlich fast alles im Prinzip in ganz ähnlichem Stil spielen würde. Wenn ich versuche, mich an diese für mich nicht intuitiven ursprünglichen historischen musikalischen Spielweisen anzupassen, erweitere ich mein musikalisches Vokabular. (Wenn ich es dann auch so kann, kann ich dann vielleicht immer noch meine eigene kleine musikalische Anarchie ausleben, denke ich mir heimlich ;-) ...)
 
Und das ist genau mein Problem. Wenn ich singe, kann ich das, was ich höre und mir vorstelle, zumindest teilweise umsetzen. Aber wenn ich ein Instrument spielen möchte, das ich überhaupt noch nicht spielen kann? Und dann soll ich "Hänschen klein" spielen, um das zu lernen? Während ich ganz andere Klänge im Ohr habe, die gern spielen möchte? Das ist sehr frustrierend.
Liebe Annaklena,

du hast ja, wie ich anderen Fäden entnommen habe, keinen Klavierunterricht und aufgrund deiner Wohnsituation keine Möglichkeit, welchen zu nehmen oder Online-Angebote zu nutzen (apropos: könntest du nicht den Radius ausweiten und evtl. lange fahren, um Unterricht zu erhalten? Alle zwei Wochen könnte man doch ein paar Stunden Anfahrt ermöglichen, oder geht das nicht?).

Aus deinem Beitrag spricht eine Menge Frust. Frust darüber, dass du dir Stücke und Klänge gut vorstellen kannst, aber nicht die technischen Mittel besitzt, sie umzusetzen. Deinen Frust kann ich gut verstehen. Aber leider muss ich dir sagen, dass es völlig ohne Unterricht sehr schwierig wird, das zu ändern. Klavierspielen ist eben keine einfache Tätigkeit und du willst ja offensichtlich mehr als nur ein bisschen rumzuprobieren auf dem Klavier.

Wenn ich dich unterrichten würde, würde ich mit dir improvisieren. In Improvisationen kann man sich schon ganz gut ausdrücken und das ganze Klavier samt Pedal nutzen. Du schreibst, dass du musikalisch bist. Musikalische Menschen sind oft in der Lage, einen für sich guten Weg zu finden, auch wenn sie nicht optimale Bedingungen vorfinden. Vielleicht reicht dir diese Idee der Improvisation ja als Anstoß, im Internet gibt es jede Menge darüber, Bücher gibt es auch.

Dann würde ich dir die Basics in Sachen Armführung und Einsatz des Armes zeigen und dies gleich an Stücken wie z.B. Kabalewski op. 39 ausprobieren. Schulen sind aus meiner Sicht für Erwachsene nicht nötig. Wie kommst du auf Hänschen klein? Es lohnt sich allerdings, Lieder nach Gehör zu spielen und sie zu begleiten, welche auch immer.

In kurzer Zeit erlangst du so ein Handwerkszeug, das immerhin für kleine Improvisation und kleinere musikalisch gehaltvolle Stücke ausreicht. Chopin wirst du nach ein paar Wochen nicht spielen können - Geduld gehört auch zum Handwerk.
Wie vermeidet ein ausgesprochen musikalischer Mensch die Frustration, diese Musikalität an einem Instrument nicht ausleben zu können, weil er die Technik noch nicht beherrscht?
Darf ich dir ganz ehrlich sagen, dass ich immer skeptisch bin, wenn sich jemand als so musikalisch bezeichnet und meint, er müsse vor allem nur noch technische Dinge lernen? Das ist nicht böse gemeint, ich glaube dir gern, dass du musikalisch bist. Aber ich selbst zum Beispiel bringe wohl eine musikalische Begabung mit (wobei mich nie interessiert hat, ob ich musikalisch bin oder nicht). Ich hatte aber trotz musikalischer Begabung ungeheuer viel zu lernen und tue es auch heute jeden Tag. Das ist das Wichtigste aus meiner Sicht: dieser unbedingte Wille zu lernen, diese Freude an Musik und das tiefe Bedürfnis, sich in Tönen ausdrücken zu wollen. Und dann ist es egal, wenn man Anfang noch nicht Chopin und Brahms spielt - die Freude an den Klängen überwiegt alles. Ich kann mich an einem einzigen warmen, voll und klangschön gespielten c" erfreuen - das ist eine wichtige Voraussetzung für musikalisches Spiel, behaupte ich mal.

Ich war nie ungeduldig, sondern habe mich bei der Beschäftigung mit den Klängen immer über diese gefreut. Wenn ich dann Stücke hörte, die ich toll fand, aber noch nicht spielen konnte, staunte ich über das, was es alles gab und welche unglaubliche Klangwelt noch auf mich wartete. Das hat mich motiviert, immer weiter zu lernen und zu forschen.

Ohne Lehrer ist das allerdings wie gesagt sehr schwierig und ich kann deinen Frust da gut verstehen.


Wenn mir dann jemand mit Theorie kommt, wehre ich mich dagegen, weil ich ja meine angeborene Musikalität auf das Instrument übertragen möchte. Theorie ist schon interessant, ich sage überhaupt nichts dagegen, aber mir kommt sie immer wie ein Bremsschuh vor für das, was ich machen möchte. Nicht unbedingt für andere, für die die Beschäftigung mit der Theorie ihre musikalische Erfahrung erweitert. Ich rede jetzt hier nur von mir. Ich möchte mich mit der Praxis beschäftigen, nicht mit Theorie. Ich höre ja, dass der Leitton nach der Auflösung strebt oder wie Dominante und Tonika miteinander harmonieren. Muss ich deshalb wissen, was ein Leitton oder eine Dominante oder eine Tonika ist? Wenn ich es doch sowieso höre?
Man MUSS gar nichts. Du würdest in einem guten Unterricht aber feststellen, wie sinnvoll es ist, die Begrifflichkeiten zu kennen. Denn das, was du schreibst, ist ja nur der Anfang. Wenn man die Begrifflichkeiten und Zusammenhänge nicht kennt, kann man sich nicht über die Interpretation von Stücken unterhalten, man kann dann auch nicht begründen, warum man es so und nicht anders spielt. Und man ist nicht in der Lage, die vielen weiteren Möglichkeiten zu erkennen, die sich bieten und auch die Möglichkeiten, die sich nicht bieten.

Reflexion über das, was man hört - nichts anderes ist Musiktheorie (ich hasse dieses Wort, weil die angebliche Theorie nur die Beschreibung der Praxis ist), verhilft zu einem noch besseren Hören, zu einem tieferen Verständnis dessen, was man spielen will. Auch wer musikalisch ist, hört noch nicht alles, sonst bräuchten Genies wie Trifonov und Co. keine Ausbildung. Wer musikalisch ist, hat eine gute Anlage und vielleicht einen guten Instinkt. Trotzdem müssen die Anlagen ausgebildet werden.
Das ist das zweite Problem. Das hatte ich letztens auch. Ich empfinde ein Musikstück auf eine bestimmte Art, spiele es so, und dann heißt es, nein, das entspricht nicht der Epoche. Da hat man das anders gespielt.

Muss mich das interessieren, wie man damals dieses Stück gespielt hat? Oder wie man heute vermutet, wie man damals das Stück hätte spielen sollen? Denn genau wissen wir das ja nicht. War ja niemand von uns dabei, wenn Bach oder Chopin gespielt hat.

Das ist mir schon wieder zu theoretisch. Ich möchte das Stück so spielen, wie ich es empfinde. Dann ist es für mich richtig. Egal, ob es nun in die Epoche passt oder nicht. Ist das nicht das Entscheidende? Wahrscheinlich schon wieder die falsche Frage. :003: Und für Profis, die das alles gelernt haben, sieht das auch ganz anders aus. Aber für mich als Rentnerin, die ein bisschen Musik machen will? Möglichst schnell möglichst gut spielen will? Hilft mir da die Theorie? Oder muss ich da nicht eher "intelligent üben", damit ich möglichst schnell vorankomme und nicht so viel Zeit verschwende? Von der ich nicht mehr viel habe, denn meine Lebenszeit ist begrenzt.

Mich frustriert meine natürlich vorhandene Musikalität da im Moment eher. Weil ich auf dem Klavier nicht das machen kann, was ich machen möchte.
Ich kann dir nur sagen, dass mich Dinge, die ich noch nicht wusste, immer interessiert haben. Wenn ein Lehrer mir eine ganz andere Perspektive auf ein Stück zeigte, stellten sich meine Lauscher auf und ich war fasziniert. Ich wollte lernen und Musik in all ihrer Vielfalt kennen lernen, was andere Perspektiven mit einschließt.

Ich wünsche dir sehr, dass du Möglichkeiten findest, deinen Frust in Energie und Spielfreude umzuwandeln, auch wenn es noch nicht nach Chopin klingt. Ideen habe ich weiter oben gegeben - vielleicht findest du deinen Weg auch unter deinen Bedingungen.

Liebe Grüße

chiarina
 
Aber da wird sich auch in Einzelheiten verzettelt, wovon die Beachterei (danke an hasenbein für dieses griffige Wort!) beim aktiven Musizieren nur ein Teil ist.

Ein Denkanstoß ergibt sich aber aus der dortigen Diskussion:
Gibt es musikalische Zuhörer? (also überhaupt nicht selbst musizierend)

Kann man da etwas für "uns Musiker" herausziehen, um unsere eigene (Un)Musikalität besser zu verstehen?

Und ganz schlimm verengt gefragt, aber passend zu manchen Threads hier und zu vielen Klavieraufnahmen bei YT: Geht es um Musik auf dem Klavier oder um Tastensport? Sind diese Athleten auch musikalisch?
Musikalität ist, wenn ich nicht nur die Bäume, sondern auch den Wald gut sehen und gut malen kann :coolguy:
 
Wenn das Thema in diesem Thread allerdings ist:
Musikalität entwickeln - wie macht man / ihr das?
ist die Musikalität der Zuschauer eigentlich kein Thema.
So leicht bürstest Du mir das bitte nicht ab.


Ich habe danach sinngemäß geschrieben, ob man aus der Untersuchung von Musikalität von nichtmusizierenden Zuhörern etwas über Musikalität von Musikern erfährt.

Es geht auch nicht um den Applaus der Zuhörer. Überhaupt nicht.

Auf ganz anderen Gebieten wird als Bescheidwisser gewildert, gerne ohne jede Eigenreflexion: die "Kunstsinnigen" in Gemäldesammlungen, obwohl der Pinsel in der zehnten Klasse fallengelassen wurde; die "Kochexperten", die Drei-Sterne-Restaurants beurteilen, ohne je ein Rührei hinbekommen zu haben; die 80 Millionen "Fussballtrainer" in den Fernsehsesseln, die das letzte Mal in der Schule gegen den Ball getreten haben.

Meine Frage ist: warum genau die von mir gesetzten Gänsefüßchen?

Haben diese Kunstsinnigen schlechteren Kunstgeschmack, diese Restaurantgäste schlechteres Geschmacksgefühl, und die Sesselsportler schlechteres Ballgefühl - oder wie ist das?

Mir kommt es auf den Standpunktwechsel an - auf den des reinen Zuhörers -, um als Musiker das Phänomen "Musikalität" besser zu verstehen.
 

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