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Die Götterdämmerung in Dessau

Wer die Götterdämmerung in Dessau nicht gesehen hat, hat zweifellos etwas versäumt - und er hat eine zweite Chance, den man baut den Ring Stück für Stück von von "hinten her" auf.

Die Grundidee schien die Abstraktion und Reduktion auf geometrische Formen und Bewegungsabläufe zu sein. Beim Bühnenbild, das mit Lichttechnik von faszinierendem Farbenreichtum kombiniert war, bot sich da mancherlei ästhetischer Genuß - etwa der Brünhildenstein, der sich aus einem Kubus allmählich zu einer Art geschwungener Freitreppe auffächerte oder bei der Gibichungenhalle, die eine Anleihe beim Paternoster in einem Stahlbau des frühen 20. Jh. war. Die Ausdehnung des Konzepts auf die Figuren fand ich dagegen weniger anregend als komisch: die ganzen Rheinanwohner gerierten sich sozusagen als Kümmerformen von Offenbachs Olympia, der Chor stolzierte gar in kollektiver Schüttellähmung auf der Bühne herum. Ihren krassesten Ausdruck fand die Idee freilich im Siegfried, der die beiden Damen seiner Wahl mit immerwährenden Preußenstechschritt und mit gefrorenem Bauertrampelgrinsen zu beeindrucken hatte.

Brünhilde alias Iordanka Derilova, deren fabelhafte Isolde in einer Produktion von 2007 der eigentlich Anlaß für mich zur Reise in den Norden war, zeigte sich im ersten Akt ungnädig verstimmt, gewann allerdings mit fortschreitender Zeit an Laune; auch die drei in Personalunion als Bademeisterinnen fungierenden Hausmädchen der Heimarmene waren fabelhaft, während bei den Herren Gunther so schlappschwanzig sang wie es seinem Charakter gebührte, im Gegensatz zu dem alles dominierenden Hagen (die Besetzungsliste findet man hier: Der Ring in Dessau). Ausgezeichnet war auch das Orchester. Der Jubel, der den Dirigenten bereits zu Beginn des 3. Aktes umgab, ließ freilich die Befürchtung aufkommen, daß der seinem kurzen Solo entgegenbangende Hornist sich vor Aufregen in die Hosen machen könnte. Was er hörbar tat.

Die weitere Terminplanung findet sich hier: Der Ring in Dessau . Wer nur in halbwegs zumutbarer Entfernung wohnt, dem kann man nur sagen: hinfahren. Soviel exzellentes Musiktheater für so wenig Geld (ich saß in der 7. Reihe zu einem Preis, für den man am Münchner Gärtnerplatz eine Sprosse auf der Hühnerleiter im 3. Rang kriegt) bekommt man selten. Ich danke Gubu, daß er mich auf diese Produktion aufmerksam gemacht hat.

Grüße,

Friedrich
 
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Ah danke, nach diesen Worten des Chefideologen versteh ich manches besser. Es geht also um die Revitalisierung der Bauhausidee. Nun haben die Bauhausleute sich ja mit Hausbau beschäftigt und nicht mit der Konstruktion des Neuen Menschen. Vielleicht ist es diese Überdehnung der Idee, die die merkwürdige Diskrepanz erklärt zwischen der Wirkung des Bühnenbilds und der jener Automatenmännchen und -mädchen (auf mich).
 
(...) Nun haben die Bauhausleute sich ja mit Hausbau beschäftigt und nicht mit der Konstruktion des Neuen Menschen.

"Bauhaus" ist (im weiteren Sinne) ja nicht nur Hausbau, sondern auch Form/Design/Farbe..., insofern wohl schon auch "Lebens-Art". Nicht zuletzt deshalb sind die Bauhäusler dann von DE weg nach Berlin gegangen....
Hier wäre fisherman gefragt....:)

Zitat von sla019:
Vielleicht ist es diese Überdehnung der Idee.

So sind se eben, die Theaterleute....;).

Ich sehe es pragmatisch: Besser (sängerfreundliches) eher statisches Marionettengehampel als heutzutage häufig zu sehende ungelenke, bemühte, aktionistische (sängerunfreundliche) Personenregie ...:D
 
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Hier noch eine andere Rezension, die viel von dem, was Friedrich schrieb, ebenfalls benennt. Interessant ist auch das dort verlinkte Interview mit dem GMD.
 
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Hier noch eine andere Rezension, die viel von dem, was Friedrich schrieb, ebenfalls benennt. Interessant ist auch das dort verlinkte Interview mit dem GMD.

Nun, die Kritik am Lichtkonzept in dieser Rezension kann ich überhaupt nicht teilen. Wenn ich lese

dass das so exzessiv gar nicht nötig ist, wird deutlich, wenn der mit Leuchtspeeren bewaffnete Chor von Hagens Mannen in blauen Röcken als Formation aus der Versenkung hochfährt und mal nichts zusätzlich auf der an sich triftigen weißen Verkleidung des Bühnenportals flackert.
läßt es mich vermuten, daß der Rez. Anhänger der weißgekalkten "Figaro-in-der Waschküche" - Ästhetik ist. Dazu haben wir halt ein "triftiges" Gegenmodell gesehen, und das hat ebenso seine Daseinsberechtigung. Zumal es weder krampfig noch von der Handlung abgelöst war. Und das folgende Satzpaar

Diese Götterdämmerung ist szenisch ein Triumph der Form über den Inhalt. Sie ist aber in sich stimmig ...


zeigt: streckenweise ist diese Rezension ein Triumph der Phraseologie über den Gedanken.
 
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Insofern völlig richtig, Friedrich. Ich hätte besser differenzieren sollen.....;) Es war etwas fix dahergeschrieben.....

Ich leiste Abbitte...:oops:
 
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Geb wunschgemäß meinen Senf dazu: Nach dem kurzen Trailer, bedaure ich es alleine aus ästhetischen Gründen sehr, das (noch) nicht gesehen zu haben. Ein tolles Bühnenbild. Die Kritik an den "Automatenmännchen" kann ich - im Gegensatz zu der an der Lichtchoreografie - nachvollziehen. Wer so einen Augenschmaus auf die Bühne stellt, braucht die Akteure nicht noch grell herauszuputzen. Hier wäre (etwas) weniger mehr gewesen: Licht & Musik. Mehr braucht es nicht.
 
Geb wunschgemäß meinen Senf dazu: Nach dem kurzen Trailer, bedaure ich es alleine aus ästhetischen Gründen sehr, das (noch) nicht gesehen zu haben. Ein tolles Bühnenbild. Die Kritik an den "Automatenmännchen" kann ich - im Gegensatz zu der an der Lichtchoreografie - nachvollziehen. Wer so einen Augenschmaus auf die Bühne stellt, braucht die Akteure nicht noch grell herauszuputzen. Hier wäre (etwas) weniger mehr gewesen: Licht & Musik. Mehr braucht es nicht.


Mehr Bilder gibt es auf der Webseite: Der Ring in Dessau/fotos. Ich bin überzeugt, daß Dir das gefallen hätte. Noch was hast Du versäumt: in der Nachbarschaft, am unwahrscheinlichsten Ort der Welt, einem, der für mich mit Chemie und Umweltvandalismus assoziiert war, gibt es eine kleine Brauerei, die ein hochrespektables Bernsteindunkel braut: in Bitterfeld.
 

Insofern völlig richtig, Friedrich. Ich hätte besser differenzieren sollen.....;) Es war etwas fix dahergeschrieben.....

Ich leiste Abbitte...:oops:


Ach was, ich hab doch nicht Dich, sondern den Rezensenten gemeint. Und manches was er schreibt, ist ja auch richtig. Er hat halt den Rest seiner Spalte mit sprachlichem Recyclingmaterial aufgefüllt und vor Fixiertheit auf die Pointe den Widerspruch nicht bemerkt. Sowas kriegt man im literarischen Schreibkurs ausgetrieben, aber da war er halt nicht drin ;)

Grüße,

Friedrich
 
gibt es eine kleine Brauerei, die ein hochrespektables Bernsteindunkel braut: in Bitterfeld.
dank fachkundiger Auswahl des Reiseproviants kann ich bezeugen, dass diese kleine Brauerei auch ein süffiges Pils braut - zu schweigen vom Dessauer Zwickl-Bier vom Faß (eine Labsal nach der immensen Sommerhitze am Götterdämmerungsnachmittag und -abend)
und der Auswahl nochmals allerherzlichsten Dank!! :):kuss::kuss::)
 
Er hat halt den Rest seiner Spalte mit sprachlichem Recyclingmaterial aufgefüllt und vor Fixiertheit auf die Pointe den Widerspruch nicht bemerkt. Sowas kriegt man im literarischen Schreibkurs ausgetrieben, aber da war er halt nicht drin ;)
:D:D:D

noch mal zur Inszenierung: freilich war es übertrieben, den Siegfried zur lächerlichen Zappelkasper-Marionette zu machen, auch waren die - nennen wir es lieber pantomimischen als schüttelgelähmten - Gesten von Gunther, Gutrune und Chor gelegentlich übertrieben -- ja aber das war dann eigentlich schon alles, was mir nicht so gefallen hat. Doch insgesamt war die Inszenierung gelungen, sehr ästhetisch und nicht gegen das Stück! Alberich und Gutrune hätten gerne besser singen dürfen - na ok, man darf nicht vergessen: da setzt eine kleine Bühne an, den riesigen Ring mit einem "ganz eigenen Lokalkolorit" (so möchte ich die Bauhaus-Inspiration des Bühnenbilds mal nennen) zu stemmen: originell, mutig, voller Elan und mit wirklich mehr als nur respektablem Ergebnis: da muss ich sagen, dass das unter solchen Bedingungen eine größere Leistung ist, als wenn eine internationale Spitzenoper mit Solistenstars durchwachsenes Mittelmaß bringt... (was ja leider durchaus vorkommt)

ich geh auch noch in die anderen Ring-Teile dort!
 
originell, mutig, voller Elan und mit wirklich mehr als nur respektablem Ergebnis:
zu ergänzen ist auch noch, dass die Verwandlungsmusik im letzten Akt - bekannt unter dem Namen "Siegfrieds Tod und Trauermarsch - wirklich spitzenmäßig vom Orchester gespielt war!!! das war richtig klasse!!!
(schade dass der Schluß nicht auf demselben Niveau gebracht war - aber das kann sich ja noch ändern)
 
Da werden wir wohl zur Motivation in der letzten Pause die Stiftung eines Fasses Zwickl in Aussicht stellen müssen.

Wir nehmen es mit rein, was durchaus werkgetreu ist:

Gunther und Gutrune auf dem Hochsitze zur Seite, vor welchem ein Tisch mit Trinkgerät steht;

... und schmeißen es im Enttäuschungsfalle zu den Schlußtakten in den Orchestergraben. Was die gewünschte Steigerung garantieren sollte ;).

(Ihr müßt jetzt unverzüglich antworten: Vermag das mein Mut zu bestehn?)

Ja, der Trauermarsch war klasse.
 
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