Aber so kooperationsbereit, dann auch noch den getroffenen Bildungsbürger zu mimen, bin ich nicht: ich lache. Und so wird es mir verutlich auch am Freitg an Ort und Stelle gehen.
Da haben wir jedenfalls etwas gemeinsam
, wie ich auch sonst gut mit dem leben kann, was Du schreibst, mit Ausnahme der natürlich, aber wenn mein Text so rüber gekommen ist, ist das natürlich schade.
Ein paar Kommentare dazu:
Du gehst aus von einem globalen Zeichenbegriff, in dem sich musikalische und sprachliche Zeichen nebeneinander wiederfinden und hebst deren Relationalität und Kontextabhängigkeit hervor. Sodann scheidest Du zwischen der strukturellen und der Deutungsebene eines Stückes, von denen nur die erste der Analyse zugänglich sei. Und aus beidem leitest Du einen exzessiven Freiraum für den Interpreten ab.
Einer Analyse zugänglich sind alle Ebenen, aber soweit ich das sehe, gibt es nur zur untersten Ebene explizite Kommenentare/Anweisungen des Autors im Libretto.
Exzessiv ist ist eine Wertung. Ich komme darauf noch zurück. @ Rolf: Darauf bezog sich eigentlich meine Frage, auf den Grad der Exzessivität der Eingriffe durch den Regisseur. Ist das was hier passiert ist gleichzusetzen mit aus Bibel wird fundamentalislamistisches Manifest?
Aber: ja, ich gehe davon aus, dass hier ein Raum besteht, der gefüllt werden muss und in dem sich viel abspielt.
Und so wenig es eine Ideomorphie von Inhalt und Ausdruck geben muß, so klar ist doch, daß beide in einer bestimmten und zu bestimmenden Relation zueinander stehen.
Ganz genau, dem kann ich 100% zustimmen. Und da sieht man wieder, wie toll Sprache funktioniert. Ich vermute, du meinst damit eine bereits feststehende und daher bestimmte oder so weit man sie nicht kennt eben noch zu bestimmende Relation. Die Regisseure würden sagen: Wieso sind die schon bestimmt? wer hat die bestimmt? wieso haben die sie so bestimmt? Sie würden sagen: wir brauchen bestimmte Relationen, diese sind noch zu bestimmen. Sie würden nicht von apriori festgelegten Relationen ausgehen.
Die Interpretationsfreiheit des Regietheaters (und eigentlich dürfte Dir als Semiotiker das gar nicht recht gefallen) beruht
Ich bin kein Semiotiker, aber trotzdem würde mich interessieren: wieso müsste mir das missfallen?
eben in der Auflösung dieser Zusammenhänge, der Herauslösung des Librettos aus dem oben genannten Kontext und der bewußten Negligenz der Beziehung zwischen Inhalts- und Deutungsebene; die Unlust, den Autor in seinem historischen und ideologiegeschichtlichen Kontext zu verstehen (so fragmentarisch das auch nur gelingen mag)
Nun, ich denke nicht, dass sie diese Beziehungen negieren, sie realisieren sie nur eben bewusst anders als Du das tun würdest. Ideologie ist hier für mich das Schlüsselwort und ich denke auch für die Regisseure, weil letztlich alles was wir tun, denken, sagen oder auch nicht in mehr oder weniger großem Ausmaß ideologisch geprägt ist.
Mit Deinem Inszenierungsvorschlag hättest Du, wenn ich's richtig verstehe mit gewissen Abweichung vom Libretto bzw. Intention Wagners, sicher viele auf Deiner Seite, mich übrigens auch.
Du würdest aber, aus meiner Perspektive in diesem kommunikativen Prozess Opernaufführung nichts wesentlich anderes tun, du stellst Beziehungen her, du lässt dich dabei von deinen Ideologien und Werten leiten. Was dabei insgesamt herauskommt, würden weder der Regisseur mit dem Dumpfbackenkönig noch Du mit Deiner Lösung allein bestimmen, weil es da noch die Rezipienten mit ihren Ideologien und Erwartungshaltungen gibt, die die von Euch vorgenommenen Zuschreibungen von Bedeutungen für sich verarbeiten und den angesprochenen Raum füllen müssen.
Was davon zulässig ist oder nicht, bzw. als (un)zulässig bewertet wird, hängt von den herrschenden Konventionen ab, die nicht stabil sind. Diese Werte sind nicht per se in den Texten eingeschrieben sondern werden von denen mitgestaltet, die an dem jeweiligen Feld teilnehmen.
Da hier bereits einmal von Übersetzungen die Rede war, ein Blick in die Geschichte aus diesem Bereich: Im alten Rom zu Zeiten Ciceros und Co sollten Übersetzungen mit ihren griechischen Orignialtexten quasi wetteifern, diese möglichst übertreffen. In Frankreich gab es im 17. Jahrhundert eine Phase, in der Übersetzungen den damals in Frankreich herrschenden literarischen Wertvorstellungen zu entsprechen hatten. Man nannte diese Übersetzungen "belles infidèles" (die schönen Untreuen). Die Veränderungen, die sich da gegenüber dem Original zeigten, waren sowohl strukturell als auch stilistisch und soweit ich mich erinnern kann auch inhaltlich wesentlich gravierender als das, was hier vom Rattengrim berichtet wird. Aber zugegeben: Ratten, Dinos etc waren wohl nicht dabei.
Ich habe irgendwann mal in einem Buch gelesen, wo es darum ging, dass der Autor am meisten Ruhm erntete, dessen Geschichten am öftesten und am vielfältigsten weiterentwickelt wurden.
Kann man zurecht sagen, na und, andere Zeiten andere Sitten. Was man daran aber sehen kann: Wie man mit Originalen umzugehen hat, ist kein Naturgesetz sondern soziale Konvention. Wir sind jetzt in einer Phase wo das für die Oper ausgefochten wird.
Ich möchte hier noch einmal klarstellen, dass es mir nicht darum geht, zu behaupten, es könne nur Rattengrim geben und alles andere wäre öder Bockmist. Was ich versucht habe zu tun, ist zu erläutern, wie sogenanntes "Textverständnis" und für viele nicht nachvollziehbare Inszenierungen zusammengehen können, ohne dass man den verantwortlichen Regisseuren Ignoranz, Präpotenz, Unwissenheit oder sonst was vorwerfen muss.
Der Versuch ist wahrscheinlich misslungen, aber das macht ja nichts. Irgendwo war die Rede davon, dass sich die Regisseure vom Publikum total entfernt haben. Mir kommt das eher vor wie zwei Paradigmen, wobei eins das andere verdrängen will. Kommunikation über Paradigma-Grenzen funktioniert meist nicht. Als Geisteswissenschafter ist mir Paradigmenvielfalt nicht fremd. je nach Betrachtungsweise ist das Gute oder das Lästige daran, dass sie alle etwas für sich haben, sonst würde es sie ja erst gar nicht geben. Stärker werden in der Regel die, die insgesamt als interessanter betrachtet werden. Da entsteht dann die Frage: für wen? Und diesbezüglich muss man sich mit dem gegebenen Machtgefälle auseinandersetzen, das Gomez angesprochen hat. Wenn man das weiß, kann man ja entsprechend handeln.
Liebe Grüße :kuss:
Gernot