Aber Parsifal wundert mich: der erste Akt ist super, aber der danach...
ob Wagner da schon müde war? Die Musik zum Klingsor finde ich etwas zu behäbig.
((ok ok, die Blumenmädchen und der Karfreitagszauber sind klasse - aber trotzdem:
den zweiten Akt ganz anzuhören, ist ermüdend... auch auf dem grünen Hügel))
oder ich schnall´s noch nicht, was durchaus möglich ist.
Lieber Rolf,
beim Erstkontakt mit dem Parsifal ging es mir ähnlich.
Der erste und der dritte Akt hatten auf mich eine geradezu hypnotische Wirkung -
es war für mich die ungeheuerlichste Musik, die ich je gehört hatte.
Auf den zweiten Akt konnte ich getrost verzichten, spätestens mit dem Ende
des schönen, sehr debussynahen Blumenmädchen-Chors war bei mir Sense -
Kundrys Erzählung und Klingsors Ende haben mich nur gelangweilt.
Ich habe etliche Jahre geduldigen Hörens am Radio gebraucht,
den Klavierauszug vor Augen, um in Kundrys Erzählung den Spannungsbogen zu spüren,
den Wagner mit ihrem endlos erscheinenden Rezitativ auskomponiert hat -
in einer Art musikalischen Prosa, die vieles von Schönberg vorwegnimmt.
Trotzdem stehen die Rahmen-Akte in meiner Wertschätzung höher - bis heute.
'Parsifal' begeht einen musikdramatisch eigentlich unverzeihlichen Form-Fehler:
Der emotionale Höhepunkt des ganzen Werks wird bereits in der 2.Szene des 1.Aktes erreicht.
Der Klingsor-Akt spielt in einer musikalischen Kontrastwelt - das wäre zu verkraften
und entspräche guter alter Opernkonvention. Aber der dritte Akt bringt
gegenüber dem Eingangsakt nicht nur keine Steigerung mehr - im Gegenteil,
er dekomponiert das Material des ersten förmlich und rafft sich am Ende
zwar zu einem matten Schlußchor auf, der aber nur ein Abklatsch
der seraphischen Raummusik vom Ende des ersten Aktes ist.
Was ist da geschehen? Der Blick ins Textbuch zeigt, daß der Komponist Wagner
sich musikalisch nur an die Vorgaben seines Librettisten gehalten hat (er selbst) -
offenbar war er der krönenden Opernschlüsse überdrüssig geworden.
Man kann's als Ausdruck einer Altersmüdigkeit sehen - oder aber als ein Zeichen von Modernität,
die sich ausgerechnet im greisen Wagner einnistet. Die Welt in der 1.Szene des 3.Akts
entspricht einem Beckett'schen Endspiel - rien ne va plus - alles zerstört -,
und die Musik verwirklicht diese Verstörung durch zersplitterte Überbleibsel
der Leitmotive, am stärksten in den Varianten des Parsifal-Motivs,
die vom gedämpften Blech wie Trauermarsch-Fragmente gespielt werden -
bis sich die Musik im "Karfreitagszauber" noch einmal auf ihre tröstende Funktion besinnt.
Die musikalische Ermattung im dritten Akt ist also ernstzunehmen. Sie ist gewollt
und paßt zu einem Wesenszug, der Wagner als "décadent" offenbar lag - mit der Folge
sehr opern-ungemäßer, aktefüllender Darstellung von Krankheit und Siechtum.
Drei Akte seines reichen Opernwerks widmet Wagner ausschließlich Krankheit und Verfall:
Der 3.Akt des 'Tristan' und die beiden Rahmenakte des 'Parsifal' sind davon geprägt.
Auch darin - in der Selbstwahrnehmung des Menschen als Dahinsiechendem -
ist er seinem Freund Baudelaire recht nahe gewesen, nicht nur
in der musikalischen Realisierung von paradis artificiels.
Es bleibt dem Hörer dieser Musik nichts anderes als auf Wagners Intentionen einzugehen -
oder eben leer auszugehen...
Herzliche Grüße!
Gomez
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