Mögt ihr Oper?

Mögt ihr Oper


  • Umfrageteilnehmer
    369
Oh Rolf, wirklich eine nette Abwechslung! :mrgreen:
 
Im übrigen danke ich Euch für eure "Abstimmung"; ich habe
mich jetzt neben Tourandot doch für Martha entschieden

Vorgestern habe ich also mit Martha den vorletzten Punkt meines diesjährigen
Opern-"Plans" erledigt.

Die Inszenierung war gut abgehangen, es war nämlich die von Loriot, die
er ursprünglich in den 80er Jahren für Stuttgart gemacht hatte.
Noch betagter als die Produktion war aber das Publikum, so daß sich Kunst
und Kosument wenigstens in diesem Punkt in glückhafter Harmonie begegneten.
Von meiner Sitznachbarin, einer Zahnarztwitwe von geschätzten 99 Jahren,
erfuhr ich, daß die Produktion seit 1997 (!) am Gärtnerplatz laufe, von der
sie, seitdem sie ihren Gatten zu Tode ernährt habe, noch keine Wiederaufnahme
ausgelassen habe. Nicht völlig ohne Grund, denn tatsächlich ist die Inszenierung
voll Witz und Charme. L. versucht, das Stück dem heutigen Betrachter näher
zu bringen, indem er die sentimentalen und pathetischen Stellen mit sanfter
Ironie kommentiert. Das hübscheste Beispiel war im 3. Akt, wo mitten unter
der Jagdgesellschaft im Waldwirtshaus ein buchstäblich aus dem Bild
geschnittener Richard Wagner saß und mit unbewegter Miene Lyonels "Mag
der Himmel Euch vergeben" lauschte. Auf dem Höhepunkt der pathetischen
Darbietung nahm er stumm einen Schluck aus seinem Bierkrug, erhob
sich und verließ mit indigniertem Kopfschütteln die Bühne.

Die Musik - mit einer Anleihe bei Papa Heuss möchte ich sagen, sie "gehört
nicht zu den großartigen, aber zu dem köstlichen Dingen". Ahistorisch und
damit ungerecht gegenüber dem Komponisten gesagt heißt das vor allem: mit
dem Fernen Klang, den ich kürzlich gehört habe, kann sie bei weitem nicht
mithalten. Etwas irritiert war ich, in Reclams Opernführer das "Mag der
Himmel.." als "kitschiges Quintett" abgeurteilt zu sehen. Soll ich wirklich
glauben, daß man in der Mitte des 19. Jh. diese Musik als Kitsch angesehen
hätte? Ich habe vorhin mein altes Schott-Ouvertürenalbum aus seiner
Dunkelhaft gezogen und das entsprechende Stück durchgeklimpert. Mag der
Himmel mir vergeben: mir gefällt es.

Schöne Grüße,

Friedrich
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Das hübscheste Beispiel war im 3. Akt, wo mitten unter der Jagdgesellschaft im Waldwirtshaus ein buchstäblich aus dem Bild
geschnittener Richard Wagner saß und mit unbewegter Miene Lyonels "Mag
der Himmel Euch vergeben" lauschte. Auf dem Höhepunkt der pathetischen
Darbietung nahm er stumm einen Schluck aus seinem Bierkrug, erhob
sich und verließ mit indigniertem Kopfschütteln die Bühne.

Die Musik - mit einer Anleihe bei Papa Heuss möchte ich sagen, sie "gehört
nicht zu den großartigen, aber zu dem köstlichen Dingen". Ahistorisch und
damit ungerecht gegenüber dem Komponisten gesagt heißt das vor allem: mit
dem Fernen Klang, den ich kürzlich gehört habe, kann sie bei weitem nicht
mithalten. Etwas irritiert war ich, in Reclams Opernführer das "Mag der
Himmel.." als "kitschiges Quintett" abgeurteilt zu sehen. Soll ich wirklich
glauben, daß man in der Mitte des 19. Jh. diese Musik als Kitsch angesehen
hätte? Ich habe vorhin mein altes Schott-Ouvertürenalbum aus seiner
Dunkelhaft gezogen und das entsprechende Stück durchgeklimpert. Mag der
Himmel mir vergeben: mir gefällt es.

hallo Friedrich,

herzlichen Dank für Deine Rezension! Den kopfschüttelnden Wagner gibt es schon seit 1997? Sieh an - das relativiert ja die burlesken Meister der Urenkelin... :)

Die Musik finde ich auch schön, und sie ist auch gekonnt komponiert - besonders das Finale des zweiten Aktes. Popularität erhielt eine Arie aus Martha, welcher man später den Text "Martha, Martha, du entschwandest / und mit dir mein Portemonnaie" unterlegte.

Jetzt warte ich auf Deine Eindrücke von Turandot.

herzliche Grüße, Rolf
 
Die Musik finde ich auch schön, und sie ist auch gekonnt komponiert -

Lieber Rolf,

vielen Dank für Dein, wie sagt man neudeutsch, "feedback". Es würde mich sehr interessieren, was Du zu dem in Reclams Opernführer erhobenen Kitschvorwurf sagst, der mich doch ziemlich irritiert hat. Ich zitiere im Zusammenhang:

Die melodisch anschmiegsame Musik kann aber nicht immer die Balance
zwischen Sentimentalität und plumpem Chorgesang halten, und die ital.
gefärbten Buffoszenen erhalten gelegentlich einen biederen Einschlag.
Eingebungen wie der effektvollen Potpourri-Ouvertüre, Lyonels Ach, so
fromm [...], dem Gute-Nacht-Quartett (Schlafe wohl! Und mag dich
reuen), Plumketts Porter-Lied stehen betuliche Passagen wie das
Jägerlied und das kitschige Quintett mit Chor Mag der Himmel Euch
vergeben gegenüber.

Vielleicht könnte man aus heutiger Sicht konzedieren, daß - abhängig vom Vortrag!- "Mag der Himmel.." wirklich das Zeug zum Schlager hat. Aber wie stellt sich das wohl aus der Sicht der Mitte des 19. Jh. dar? Ist das Urteil nicht mindestens ahistorisch?

Herzlichen Gruß,

Friedrich
 
Aber wie stellt sich das wohl aus der Sicht der Mitte des 19. Jh. dar? Ist das Urteil nicht mindestens ahistorisch?

hallo Freidrich,

ein so starkes Geschütz wie "Kitsch" würde ich nicht gegen Marthas Musik in Stellung bringen - das würde ich eher gegen den viel späteren Evangelimann tun, welcher schon viel viel mehr über Opernmusik hatte wissen können (ist ja auch viel viel später komponiert).

Marthas Musik ist gekonnt komponiert, wirkungsvoll, melodisch - wenn man so will eine liebenswerte Musik des Biedermeier. Dieser "Epoche" gegenüber kann man Vorbehalte haben, z.B. indem man Stifter für langweilig, C.D. Friedrich nur für niedlich und F. von Flotow für kitschig hält - ein legitimes Geschmacksurteil, mehr aber auch nicht. Gerade Opernkomponisten der zweiten Reihe, die keine Gipfelstürmer wie Verdi, Wagner oder Mussorgski waren, haben es schwer - sie werden zu leicht an ihren italienischen Vorläufern (Bellini, Rossini) gemessen und als eklektisch abgetan, oder sie werden an besagten "Giganten" gemessen, was ihnen natürlich nicht gut tut.

von Flotow, Marschner, Nikolai, Lortzing - zeitlich nach Bellini und Rossini, im übermächtigen Schatten von Verdi und Wagner, dabei in etwas ungünstigerer Position, als z.B. die mehr der "Zukunftsmusik" zugeneigten Komponisten wie Saint-Saens, Delibes, Gounod, Massenet, Tschaikowski, Dvorak, Smetana: denn letztere lebten/wirkten ein halbe bis ganze Generation später und konnten schon viel Neues adaptieren bzw. sich aneignen und auf eigene Weise verarbeiten.

Nein, mit dem Urteil "Kitsch" bin wenigstens ich nicht einverstanden - ich halte es für ungerecht und zu abwertend: so schlecht ist Marthas Musik nicht.

Das heisst nicht, dass Martha eine unentdeckte Perle wäre, es heisst auch nicht, dass Biedermeier plötzlich zur Avantgarde des 19. Jhs. umgedeutet werden müsste - dergleichen wäre blödsinnig.

Aus dem Urteil des 19. Jh. ist zu sagen, dass Marschner, Flotow, Lortzing, Nikolai nicht als Kitsch wahrgenommen wurden, sondern teilweise eher als Gegenposition zum aufkeimenden Musikdrama (Martha 1847, Lohengrin 1848/49) - - die eher traditionelle Richtung in der Oper verfügte aber über keine Kapazitäten wie Verdi, Wagner etc. ... - - und umgekehrt wurde solche "Biedermeier-Oper" zusammen mit der "Grand Opera" a la Meyerbeer vom Musikdramatiker heftig runtergemacht.

Wie man es also dreht und wendet, es ist eine ungünstige Position - aber gefällige, liebenswerte, schöne Musik hat diese undankbare Position dennoch hervorgebracht.

Kurzum: ich höre mir Zar und Zimmermann, Martha, die lustigen Weiber von Windsor gerne an - vergöttern kann ich das nicht, aber runtermachen wäre unangemessen und ahistorisch bzw. ungerecht.

herzliche Grüße, Rolf

(z.B. bzgl. Operette: von Suppe war kein Strauss oder Offenbach - c´est la vie)
 
Ach erkläre bitte: hat eine von den beiden "ihn" in den Meistersingern verwendet? Ohne Kenntnis von Loriots Einfall oder als Zitat?

Loriot, auch Syberberg u.v.a kennt man dort durchaus - und in den Meistersingern tummeln sich burlesk-grotesk zunächst als Gipsfiguren, dann als wüste Bacchanten, einige der "großen Meister", nicht nur Wagner selber (und was sie teilweise treiben, ist nicht eben jugendfrei und hat auch zu erbitterten Buhrufen*) geführt)

herzliche Grüße, Rolf

*) nicht mit "Buhuhu" zu verwechseln :D
 
Aus dem Urteil des 19. Jh. ist zu sagen, dass Marschner, Flotow, Lortzing, Nikolai nicht als Kitsch wahrgenommen wurden, sondern teilweise eher als Gegenposition zum aufkeimenden Musikdrama (Martha 1847, Lohengrin 1848/49) - - die eher traditionelle Richtung in der Oper verfügte aber über keine Kapazitäten wie Verdi, Wagner etc. ... - - und umgekehrt wurde solche "Biedermeier-Oper" zusammen mit der "Grand Opera" a la Meyerbeer vom Musikdramatiker heftig runtergemacht.

Lieber Rolf,

vielen Dank für Deine aufklärenden Hinweise. "Biedermeier" - das scheint mir der Begriff zu sein, vor dessen Hintergrund man Martha besser verstehen kann. Und vor dem ist sie, etwa im Vergleich mit Zar und Zimmermann, doch auch streckenweise recht witzig, weil F. geschickt immer wieder das Motiv der "verkehrten Welt" verwendet. Vielleicht ein Reflex seiner Pariser Jahre?

Nicolai: wie ich im BR höre, hat der heute Geburtstag!

Schöne Grüße,

Friedrich
 
Nicolai: wie ich im BR höre, hat der heute Geburtstag!

9. Juni 1810 - 11. Mai 1849

bei den Jubiläen wiederholt sich, was die Opern schon gezeigt hatten: die Großen werfen gar zu große Schatten...

200. Geburtstag von Chopin und Schumann - da bleibt Nicolai eher ein Zaungast...

Schumannjahr - die Oper Genoveva von Schumann, auf den Bühnen eher ein Stiefkind...

herzliche Grüße, Rolf
 

lieber Gomez,

Zar und Zimmermann, Martha, die lustigen Weiber von Windsor können und wollen [!!!] sich nicht mit La Traviata und Lohengrin vergleichen. Wären sie als Gegenentwürfe konzipiert und gemeint, so wären sie lächerlich - aber sie haben genau das ja nie getan. Sie sind nun mal, was sie sind: liebenswerte und schöne Musik in Richtung Biedermeier, als komische Opern sogar ganz bewußt aus der großen Oper / dem Musikdrama sich heraushaltend - keine Gipfelstürmerei. Obwohl von der musikalischen Qualität sicher nicht geringer als die drei genannten, sieht es doch bei "der Vampyr" und "Hoffmanns Erzählungen" ganz anders aus: hier versucht die Nummernoper, sich mit der durchkomponierten leitmotivischen anzulegen und scheitert doch recht kläglich. (aber trotzdem mag ich ein paar Passagen aus dem Vampyr und der Offenbach gefällt mir sogar sehr!!)

herzliche Grüße, Rolf
 
2 x Oper

Opernfreunde, aufgepaßt!

Wer Goethes Roman wahlweise überhaupt nicht kennt - oder genügend Abstand zum Original hat,
um es trotz guter Kenntnis in dieser Veroperung kaum wiederzuerkennen,
wer auf relativ hohem musikalischen Niveau Affekte durchleben und -leiden möchte,
wer Sommer-Sonnwendfeiern verabscheut und sich die Nacht auf keine andere Art und Weise
um die Ohren hauen will, für den gibt's heute um 2.00 h in 3Sat:

"Werther", Drame lyrique von Jules Massenet

in einer Inszenierung der Wiener Staatsoper aus dem Jahre 2005.

Wer griechische Klassiker in Hofmannsthalscher Bearbeitung liebt
und vorallem Richard Strauss' beste Oper hören mag,
der höre und sehe sich an:

am 21.Juni 2010, um 21.45 h auf Arte

Richard Strauss: Elektra

aus dem Festspielhaus Baden-Baden, Ltg.: Christian Thielemann

Strauss streift eine halbe Partitur lang die Atonalität... unbedingt anhören!

Gruß, Gomez

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
... für den gibt's heute um 2.00 h in 3Sat:

"Werther", Drame lyrique von Jules Massenet

in einer Inszenierung der Wiener Staatsoper aus dem Jahre 2005.


Vielen Dank, Christoph, das wäre mir tatsächlich entgangen.

Wer wie ich die Nacht nicht durchmachen kann und auf der 3sat-Webseite vergeblich nach der sog. "Showview"-Nr. gesucht hat, kann sie hier abschreiben:

91-002-976

Friedrich
 
Moin in die Runde!

Ich schubs diesen Beitrag wieder nach oben,
damit er angemessene Würdigung findet:

Heute abend, 21.45 h auf Arte:

"Elektra" von Richard Strauss -

unbedingt hören!

Gruß, Gomez
 
Vielleicht sollte ich doch mal so langsam über die Anschaffung einer Glotze nachdenken ..

Grüße,
Kristian
 
Ich habe die Aufführung gesehen und finde erst langsam wieder in die Wirklichkeit zurück.

Auf jeden Fall werde ich mir einen KLavierauszug besorgen und die Oper bald wieder ansehen, wenn möglich nicht im TV sindern in der Oper.

Ich habe versucht, möglichst viel herauszuhören aber es gelingen immer nur Stückchen. Sicher muss man diese Oper sehr genau kennen, um den vollen Genuss zu bekommen. Ich habe grossen respekt vor den Dirigenten, die ja die Partitur bis ins Kleinste studiert haben müssen, um eine solche Aufführung zu leiten.

Am besten gefallen hat mir die Klytemnästra, deren Minenspiel ausserordentlich gut passte.

Ich bin gespannt, was die wirklichen Opernkenner sagen.
 
Auf jeden Fall werde ich mir einen Klavierauszug besorgen
und die Oper bald wieder ansehen, wenn möglich nicht im TV,
sondern in der Oper.

Hi, Klavigen!

Bevor Du auf den veritablen Rausch, den diese Musik verursacht,
vorläufig ganz verzichten mußt und die Entzugserscheinungen Dir einen solchen Tremor verursachen,
daß Dir die Tremoli am Klavier wie von selbst gelingen:

Arte wiederholt die Thielemann/Wernicke-Interpretation

am 27.Juni um 10.10 h,

am 4.Juli um 1.00 h nachts.

Der Klavierauszug ist bei Fuerstner erscheinen (AF 5654), kostet 44,95 Euro.

Bei der Inszenierung haben mir vorallem die Kargheit der Bühne
und die Farb-/Lichtwirkungen gefallen.

Viel Freude beim Wiederhören wünscht

Gomez


P.S.: Die Inhaltsangabe auf der Arte-Heimseite ist originell -
sie verwechselt Aegisth mit Orest - eine geradezu ödipale Deutung des Stoffes.
 

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