Rolf und Christoph,
könnten wir einen Bericht von Deinem samstäglichen Opernbesuch haben?
Hätte ich die Zeit, würde ich am Samstag zum fernen Klang nach Augsburg fahren!
ich bin sicher, es hätte euch gefallen. Im allgemeinen tut man ja gut daran, nicht mit überzogenen Erwartungen in die augsburger Oper zu gehen, aber man kann ohne Übertreibung
sagen, daß dieses Mal alle Beteiligten sich selbst übertroffen haben
und sich ehrlich bemühten, einen halbvergessenen Komponisten
wenigstens in der schwäbischen Provinz wieder in sein angestammtes
Recht einzusetzen.
Die Klangvielfalt des Stücks ist schier
unglaublich; sie reicht von Anklängen an Wagner über Verbeugungen (?)
vor R. Strauß bis an die Grenzen der Tonalität. Dazwischen ertönen
Wiener Walzer, Zigeunermusik und Couplets im Rahmen eines
"Sängerwettstreits"- nicht auf der Wartburg, sondern im Bordell (ich
wüßte gern, ob dieser komische Bezug wirklich beabsichtigt ist), und
oft vereinigen sich diese unterschiedlichen Komponenten zu einem
derartigen Klanggeflecht, daß man den Versuch, mitzudenken, einfach
einstellt und nur noch die Ohren spitzt.
Ich bin extra zur Einführung gegangen, um zu hören, ob Herr
Waldschmidt sich zum Thema Adorno und Schreker äußert, was er aber
nicht getan hat. Hinzugehen hat sich dennoch rentiert, denn ich habe
dabei gelernt, daß die etwas exaltierte Ausgangssituation (ein Mann
läßt seine Braut sitzen, weil er auf die Suche nach dem fernen Klang
gehen muß) nichts, wie ich vermutet hatte, mit einer anachronistischen
Anleihe bei Novalis zu tun hatte, aber viel mit dem aufblühenden
Freudianismus. W. stütze sich dabei auf eine musikwissenschaftliche
Arbeit, aber da ich mein "Gedächtnisprotokoll" schusseligerweise auf
meinem Schreibtisch in Augsburg liegen habe lassen, kann ich Euch
jetzt leider nicht fragen, wer der Autor ist und wie seine Äußerungen
einzuschätzen sind (was ich am Wochenende nachholen werde). Immerhin
muß man dem augsburger Operndirektor zugute halten, daß er sich
wirklich bemüht, an der Revitalisierung von Schrekers Werk
mitzuarbeiten, und unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Zwängen,
sprich dem Zwang zum vollen Haus, ist das ja auch nicht ohne Risiko
(gut - er geht am Saisonende nach Osnabrück, also könnte ihm der
letzte Punkt egal sein). Die Produktion wird im Herbst wieder aufgenommen - wer also in "erfahrbarer" Entfernung
von Augsburg siedelt, sollte sich das Erlebnis nicht entgehen lassen!--
Nun, in 6 Wochen ist die Saison schon wieder vorbei und das
verbleibende Angebot üppiger, als meinem bolognageschädigten Zeitplan
lieb sein kann. Daher eine ebenso neugierige wie hilfeheischende
Frage: Wenn Ihr unter den folgenden Aufführungen euch zwei aussuchen könntet
(die letzte ist schon "gesetzt") - welche würde Ihr besuchen?
Augsburg: Lucia di Lammermoor, Turandot
Nürnberg: Nabucco
München (Gärtnerplatz): Giovanna d'Arco, I Masnadieri (kenne beide
überhaupt nicht); Martha; Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Ach ja, ich könnte natürlich am Gärtnerplatz auch in den
"Ökumenischen Aids-Gottesdienst mit einer Tanzperformance des TTM"
gehen. Aber da mache ich mich wohl lieber doch auf die Suche nach dem fernen Klang.
Dank für die Ermutigung zum Besuch des "fernen Klangs" und schöne
Grüße
Friedrich