Modell hin oder her – es muss vom Schüler Leistungsbereitschaft kommen. Das erwarte ich. Basta.
Liebe Barratt,
wenn ein Schüler bei mir Klavierunterricht nimmt, interessiert er sich dafür und will etwas lernen. Ohne diese Grundlage würde Klavierunterricht nicht funktionieren.
Im Laufe der Zeit kann diese Motivation und damit auch die Leistungsbereitschaft schwanken. Der Schüler (unter 18) entwickelt sich physisch und psychisch weiter und interessiert sich für weitere Dinge (Hobbys, Freunde .....), die für ihn wichtig sind. In der Schule werden vermehrt Anforderungen gestellt, auch zeitlich, und dabei kann das Klavierspielen schon mal ins Hintertreffen geraten oder es kann zu einer veritablen Krise kommen, bei dem die Bedürfnisse von Lehrer und Schüler divergieren.
Zu Konflikten kann es aber auch in Phasen kommen, in denen der Schüler leistungsbereit ist. Er hat ja auch bei Leistungsbereitschaft Bedürfnisse und wenn er gerade total motiviert ist, sich in Harmonielehre und Gehörbildung zu vertiefen, ich aber mit ihm Blattspiel und die nächste Etüde machen wollte, kämen unsere Bedürfnisse nicht zusammen. Jeder von uns wird es kennen, das sich manchmal Fenster öffnen und wir uns dann sehr intensiv damit beschäftigen wollen. Jeder von uns wird aber auch Situationen kennen, in denen und mit denen wir ein Problem haben. Jeder hat auch wunde Punkte, jeder hat Schwierigkeiten mit bestimmten Aspekten beim Klavierspielen, jeder hat seine Stärken und Schwächen.
Als Lehrerin bin ich immer die Führende, die die didaktischen Ziele und methodischen Wege im Kopf hat und mit dem Schüler aufmerksam und wertschätzend zusammenarbeitet.
Unsere wunden Punkte, unsere Schwächen sind uns manchmal gar nicht so sehr bewusst. Manchmal entwickeln wir sehr kreative Strategien, um sie zu verdrängen, und es kann sich dabei im Klavierunterricht ein Problem entwickeln.
Im vorliegenden Fall hat der Schüler ein Problem mit dem Notenlesen und hat die Verteidigungsstrategie ersonnen, Notenlesen sei langweilig und man käme auch wunderbar ohne Notenlesen aus.
In meinem letzten Beitrag hatte ich den Beginn und Verlauf eines möglichen Gesprächs mit ihm skizziert. Wenn dann das passieren würde:
Was, wenn dem Schüler DEINE kommunizierte Befindlichkeit zum Beispiel völlig egal ist? Wenn der pubertierende Schnösel einfach keinen Bock hat? Wenn die Bockigkeit so weit geht, dass er sein Mütchen an der Lehrkraft kühlt, im Vollbewusstsein ihrer Sanktionsunfähigkeit?
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hätten wir die Situation, dass ich eine konfrontierende Ich-Botschaft gesendet hätte, die aber nicht den erwünschten Erfolg gehabt hat. Der Konflikt besteht weiter. Der Schüler hat immer noch ein Problem und ich ja auch, weil ich mit seiner Lösung des "Nicht-Notenlesens" nicht einverstanden bin.
Der Schüler wird aber auf meine Ich-Botschaft etwas äußern. Und dann kann ich wieder Aktiv Zuhören. Und dann wieder meine Ich-Botschaft formulieren. Ich bleibe also hartnäckig bei meiner Ich-Botschaft, die meine Bedürfnisse formuliert, schalte aber dazwischen immer wieder auf Aktives Zuhören um, weil ich den Schüler verstehen will. Ich will wissen, wo es bei ihm hakt.
Das erfordert echtes Interesse am Schüler, an seinen Gedanken und Bedürfnissen. Was will er eigentlich? Und was will ich? Meine Bedürfnisse sind ebenso wichtig.
Ich muss sagen, dass ich es nicht kenne, dass ein Schüler meine Worte nicht ernst nimmt. Dieses Umschalten ist meistens nicht erforderlich. Das liegt aus meiner Sicht an der generellen Wertschätzung und Aufmerksamkeit, die den Unterricht bestimmen.
Als Voraussetzung hat das aber, dass ich von dem in deinem Beispiel genannten Jugendlichen in der Pubertät niemals
pubertierende(r) Schnösel
denke! Wenn ich so eine Wertung bereits im Vorfeld im Kopf hätte, wäre Aktives Zuhören völlig unauthentisch und würde nicht funktionieren. Aktives Zuhören funktioniert nur, wenn man wissen will, was der andere fühlt und denkt und wenn man ihm offen und vorurteilslos begegnet!
Ich interessiere mich generell für Menschen. Ich finde es faszinierend, wie unterschiedlich Menschen über die gleiche Sache denken. 1000 Menschen - 1000 Perspektiven. Wenn ich mit einem Menschen ein Problem habe, formuliere ich das möglichst mit einer Ich-Botschaft, was auch richtig ist, denn andere Menschen haben mit demjenigen kein Problem.
Insofern teile ich deine Meinung über pubertierende männliche Heranwachsende in keinster Weise. Ich glaube sogar, dass man mit so einem "Vorurteil" genau das zu sehen bekommt, was man zu sehen glaubt. Ich selbst habe zwei Söhne und deren Freunde bevölkerten regelmäßig unser Haus zu unserer großen Freude. Ich finde total spannend, wie sie denken und welche Sicht sie auf unsere Welt haben. Das bereichert mich! Dass es in der Zeit häufig/manchmal zu Konflikten mit Eltern, Schule, Lehrern etc. kommt, finde ich ziemlich normal.
Deshalb ziehe ich von dem Verhalten des hier beschriebenen Schülers auch keine generellen Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit oder seine Leistungsbereitschaft im Klavierunterricht oder der Schule. Ich möchte immer wissen, was gerade ist - das ist hier eine fehlende Leistungsbereitschaft beim Thema Notenlesen. Woanders kann die Leistungsbereitschaft eine ganz andere sein, das geht aus dem Eingangsbeitrag nicht hervor. Die mangelnde Mitarbeit stört jedenfalls die erfolgreiche Zusammenarbeit im Unterricht und dieser Konflikt kann gelöst werden.
Es gibt auch bei leistungsbereiten Schülern immer mal Probleme im Unterricht und ich habe kein Problem damit.
Besonders auch beim Übertritt in die weiterführende Schule können Schwierigkeiten durch die neuen Anforderungen in der Schule sich auch beim Klavierspiel auswirken. Wenn man in Mathe fürchterliche Angst hat und sich sehr unter Druck setzt, kann das auch beim Klavierspielen passieren u.a.. Grundsätzlich sind mir Konflikte, Widerspruch etc. willkommen, denn ich erfahre dadurch viel über den Schüler, kann so meine Methodik immer mehr erweitern und lerne daraus.
@hasenbein:
Aber menschliche Interaktion ist auch immer ein MACHTspiel.
In der Tat ist Macht bzw. die Anwendung von Macht sehr weitreichend. Es kommt natürlich immer darauf an, was man darunter versteht. Ich nehme lieber die Begriffe "Einfluss" und "Autorität", denn sie geben m.E. besser wieder, worum es gehen sollte. Du sagst "Frame" und diesen Begriff kann man natürlich auch nehmen.
Die Lehrer-Schüler-Beziehung kann jedoch nicht auf einer "egalitaristischen" Ebene funktionieren (das geht sowieso meines Erachtens nur bei Freundschaften), sondern der Lehrer ist verpflichtet, der "Frame"-Setzer zu sein.
Die Beziehung, also der Umgang miteinander in der Kommunikation, sollte unbedingt "auf Augenhöhe" sein. Aber in der Arbeit an der Sache, dem Klavierspiel, muss der Lehrer der Führende sein, wie ich schon schrieb. Ganz besonders bei Kindern, weil sie eine große Klarheit brauchen. Winterhoff hat Recht damit, dass Grundschulkinder viel für die geliebte Lehrerin lernen. Kinder brauchen Führung und Struktur, sie brauchen aber auch, dass sie gesehen werden von einem Lehrer, der ihnen mit Wertschätzung und Aufmerksamkeit begegnet.
Das heißt: Statt immer nach irgendwelchen psychosozialen Gründen zu suchen und dauernd so verständnisvoll zu sein (wodurch man dem Schüler letztlich signalisiert, dass ER den Frame setzt, denn er muss ja nur rumspacken, schon beschäftigt sich der Lehrer voll viel mit ihm!), muss man sich der Machtdynamiken bewusst sein und dementsprechend handeln.
Ich würde nicht "Machtdynamiken" sagen, sondern ich würde es so formulieren, dass der Lehrer seine Autorität (Wissensvorsprung ...) und seinen Einfluss wahrnimmt. Ich bin auch der Meinung, dass es in einem guten Unterricht Raum geben muss für Konfliktgespräche. Das eine schließt das andere nicht aus und in einem Konfliktgespräch bin ich ja auch die Führende.
Dieses Erlebnis war für mich jenes, das mir diesen Macht-Zusammenhang endgültig deutlich machte und mir die Angst vor deutlichen Konfrontationen mit Schülern (die ich zuvor hatte!) nahm.
Das hat bei dir gut funktioniert - es hätte aber auch anders kommen können. Eine konfrontierende Ich-Botschaft ist auch sehr klar und deutlich.
Liebe Grüße
chiarina