Hi Debbie digitalis,
die Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass ein erfolgreicher Pianist mindestens 10.000 Übestunden absolvieren muss, hat für mich folgende Relevanz:
Sie sagt uns zunächst lediglich, dass sehr viele Stunden pro Tag/pro Jahr und jahrelang geübt werden muss, um ein professionelles Niveau des Klavierspielens zu erreichen. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht wirklich neu, neu ist lediglich, dass eine Studie jetzt die Menge der zu übenden Stunden exakt beziffert.
Was ist interessant an dieser "neuen Erkenntnis"??
Dass es 10.000 und nicht z. B. 20.000 sind. :D
Dass es für alle untersuchten Pianisten ungefähr die gleiche Zeit ist.
Für mich zunächst die dahinter zu vermutende Fragestellung
"Was sind die Erfolgskriterien auf dem Weg zum professionellen Pianisten?"
Diese Frage ist mit den 10.000 Übestunden allerdings äußerst unzureichend beantwortet. Mir kommt es vor, als sei man bei der Durchführung der Studie lediglich nach dem altbekannten behavioristischen Black-box-Modell vorgegangen und habe gefragt: Mit welchem Input muss ich die Black-box (d.h. das Hirn des künftigen Pianisten) speisen, damit als Output vituoses und professionelles Klavierspiel herauskommt?
Wie das Professionell-Klavier-Spielen-Lernen (das sich ja im Hirn, also der Black box vollzieht) funktioniert, wird gar nicht gefragt - der Ablauf der Lernprozesse wird also ausgeklammert, obwohl diese Frage doch eigentlich mindestens genauso wichtig und interessant ist.
Die 10.000h Studie beantwortet die obige Frage überhaupt nicht, da ja z. B. die, die es gar nicht geschafft haben, nicht berücksichtigt werden.
Ich glaube, man sagt dazu, die 10.000h sind eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung.
Ausserdem ist es eine empirische Studie. Es werden die Daten nur ausgewertet und dargestellt. Modelle oder Theorien wurden meines Wissens nicht aufgestellt.
Dieser Black-Box Ansatz ist super, genau so würde ich es machen. Nimm ca. 100 genau gleiche Pianisten und füttere sie mit unterschiedlichen Lern-Methoden/Strategien und schau nach was dabei rauskommt.
Geht aber leider nicht da es Menschen sind. :D
In der Diskussion, die hierzu bisher in diesem Faden stattfand, wurde ebenfalls eher eine Art "Zutatenliste" für diesen Input zusammengetragen:
1)man muss in etwa 10.000 Stunden üben (darüber besteht ja anscheinend mehr oder weniger Konsens);
2)man braucht musikalisches Talent (wie immer das zu definieren ist???);
3)man muss das Klavierspielen einfach lieben (dann übt man gern viele Stunden und macht automatisch Fortschritte);
4)man braucht den "magischen Lehrer" (auch dieser wäre noch zu definieren) bei dem man umso vieles schneller voran kommt als bei einem eher durchschnittlichen Lehrer;
????und was sonst noch????
Sind das schon alle Erfolgskriterien für die pianistische Meisterschaft??
Die Frage, warum z.B. auch die Schüler des "magischen Lehrers" so unterschiedliche Lernerfolge erzielen ist doch gerade die interessante.
Beim Talent bin ich mir wirklich nicht sicher. Gibt es das wirklich? (s. a. meinen obigen Post zu Begabung)
Der magische Lehrer kann wohl ein Element sein, muss es aber nicht. (Beispiele ohne magische Lehrer: Bach, Mozart, Chopin, Gould, ... Aber ich bin bei Biographien nicht sehr sattelfest.)
Ich glaube nicht, dass es hier eine Art "Nürnberger Trichter", also Übe-Anleitungen oder -strategien gibt, die jedem Klavierschüler das Erreichen professionellen pianistischen Niveaus ermöglichen.
Die Suche nach der optimalen Übe-Methode
-verbleibt einerseits bei der Frage nach dem geeigneten Input und blendet die Frage nach dem Lernprozess (also danach, wie der zu lernende Stoff verarbeitet wird) völlig aus;
-vernachlässigt ausserdem die Entwicklung der musikalischen Empfindung und des musikalischen Ausdrucksvermögens (die für professionelles Klavierspiel auf hohem Niveau erforderlich ist) und die Frage danach, wie sich diese vollzieht.
Also "Nürnberger Trichter" ist natürlich Quatsch (daran glauben nur die Hanon Jünger). Aber ich denke jeder Prozess, natürlich auch der Lernprozess kann optimiert werden.
Ist der Klavierlernprozess schon optimiert und in allen Mechanismen verstanden? Ich glaube nicht.
Ausserdem musst du bei diesen Forschungen das künstlerische, gefühlsmäsige nicht ausklammern (was machen sonst die Psychologen). Das kann man sehr wohl auch untersuchen. Man tut sich allerdings beim Bestimmen (Messen) solcher Qualitäten (noch) etwas schwer.
Gruß