Mir ist gerade eingefallen, dass mir mein KL erzählt hat, dass es eine sehr gute Systematik ist, (geht also nicht nur durch STURES Üben, und denken ist auch eine Form des Übens, wenn man Ergebnisse daraus zieht) die Noten so langsam zu spielen, dass das Hirn keine Melodie mehr erkennt.
Das halte ich für totalen Quatsch. Beim Blattspielen geht es nicht darum, Buchstaben (einzelne Noten) zu lesen, sondern auf einen Blick ganze Phrasen und harmonischen Abfolgen zu erkennen. Wenn ich vom Blatt spiele, dann lese ich mehrere Takte voraus und habe dabei eine mehr oder weniger genaue Vorstellung, wie das dann einige Sekunden später klingen wird. Anders kann es auch gar nicht gehen - wie willst Du denn etwas musikalisch gestalten, wenn Du gar keine Klangvorstellung hast und nicht erkennst, in welchem Zusammenhang sich die Noten zu einer Melodie und Harmonik fügen?
Wenn es komplizierter wird, muss man zwangsläufig vieles erraten - und genau da musst Du ansetzen: Du musst lernen, Muster zu erkennen. Melodische Muster, harmonische Muster, rhythmische Muster - und das ganze passend zu jeder Epoche, teilweise mit den Eigenheiten jedes einzelnen Komponisten.
Ich kann ziemlich gut Blattspielen, bis zu einer gewissen Komplexität haue ich alles runter, was mir vor die Finger kommt. Im Tempo, und ohne rauszufliegen (aber natürlich nicht ohne Fehler - damit keine Missverständnisse aufkommen
). Da ist wohl auch eine spezielle Begabung vorhanden, ich konnte das von Anfang an recht gut. Vieles geht aber nur, weil ich gelernt habe, die Muster zu erkennen. Dazu muss man:
- viel lernen (Harmonielehre, Kompositionslehre, Satztechnik etc.)
- gut hören, um eine klare Klangvorstellung schon beim Lesen zu haben
- viel Üben, damit die üblichen Spielfiguren die in der Literatur so vorkommen, automatisch funktionieren
Ich spiele nun seit 9 Jahren Klavier, und es gibt so gut wie keinen Tag, an dem ich mich mit diesen Sachen nicht beschäftige. Ich gönne Dir sehr, dass Du es schneller schaffst. Aber Hoffnung mache ich Dir nicht.
Gruß, Mick.
PS: Wozu ist es Dir überhaupt so wichtig, gut vom Blatt zu spielen? Wenn Du nicht gerade als Kapellmeister ans Theater willst, spielt das doch kaum eine Rolle. Bei den Stücken, die man pianistisch übt, ist der kleine Zeitvorteil beim ersten Studieren doch zu vernachlässigen.