Ich bin skeptisch hinsichtlich des apriorischen Talent/Begabungs-Begriffs. M. E. kann man das erst im Zuge des Lernprozesses ausmachen und eher ex negativo, etwa in diesem Sinne:
Bzw. eben umgekehrt (wer nix auslebt, hat auch nix).
Begabung/Talent verselbständigt sich und produziert/reproduziert sich selbst. Es handelt sich dabei um einen "positiven Teufelskreis" (ömmm...
gibt es einen Begriff dafür?)
Der weitaus häufigste Grund, solche Unterrichtsverhältnisse aufzulösen, dürfte Desinteresse sein (bzw. daraus resultierende mangelnde Übebereitschaft).
Die hier anwesenden Lehrenden bitte ich abzuschätzen,
wie oft es vorkommt, dass ehrlich interessierte, fleißig und korrekt übende Schüler aus tatsächlichem TALENTMANGEL aufgeben mussten. Und zwar nicht auf dem Niveau "Scheitern bei Aufnahmeprüfung an MuHo", sondern wg Scheitern an den simpelsten Menuettchen aus Anna Magdalenas Notenbüchlein.
- Entweder bedarf es nämlich keines Talents, sondern nur Interesses und Fleißes, um sich auf durchaus ansprechendem Level zu bewegen (z. B. Henle 5/6/7). Dort kann man lebenslang verharren, ohne sich je langweilen zu müssen.
- Oder aber der Begriff "Begabung" muss sehr bescheiden ausgelegt werden. Dann sind alle "begabt", die Mozarts Sonata Facile (Henle 5) oder Chopins Walzer e-Moll op. post. (Henle 6 []) bewältigen.
"Begabt" jedenfalls mit einer Zielvorstellung und der Bereitschaft, das Nötige für die Erreichung des Ziels zu tun. Die vielleicht wichtigste Begabung überhaupt. Wenn das Motiv stark genug ist, reicht der feste Wille (
@Sven würde es "müssen" nennen).
Wenn überhaupt, sollte man also über "Hochbegabung" sprechen. Wenn das Anfängerchen im Alter eines durchschnittlichen ABC-Schützen die Facile nach einem halben Jahr spielt, auswendig natürlich, und heimlich nebenher schon mal einige Chopin-Nocturnes eigenständig vorbereitet hat, die es der verblüfften Lehrkraft zu Gehör bringt.
Oder wenn das Kind nach Gehör vom Plattenspieler La Legierezza spielt, wegen zu langsamer Tellerdrehung um einen Halbton zu tief (diese irre Story erzählte Feuchtwanger über sich selbst).
Gibt es Hochbegabung, die es duldet, verborgen zu bleiben? Die nicht mit Macht in die Wirklichkeit drängt? Ich glaube nicht.