@kitium
dieser Faden samt der Art und Weise, wie hier diskutiert wird, ist eine Wohltat - deshalb mach´ ich einfach weiter und hoffe, dass du weiter mitmachst. Als Anreiz dafür erst mal ein bissel Widerspruch:
Op106:
Bei mir ist es genau umgekehrt. Ein Beispiel dafür, warum Diskussion über manuelle Schwierigkeit immer eine begrenzte Angelegenheit ist!
op.106 hat primär das leidige Problem mit Beethovens Metronomisierung... da gibt es zwei Möglichkeiten:
- man kann probieren, ob man halbwegs zufriedenstellend die verblüffend raschen Tempi realisieren kann*) oder ob sich der trainierte Spielapparat ärgerlicherweise weigert
- oder man bleibt innerhalb der manuellen Komfortzone (also langsamer), wo das alles durchaus überzeugend und wunderschön klingen kann (z.B. Kempff)
Ganz herz- und fühllos mechanisch-manuell betrachtet: der 1. Satz bietet eigentlich nichts, was man nicht hinkriegen kann, wenn man Erfahrungen mit Lisztetüden hat (das gilt rein manuell auch für ein sehr hohes Tempo!) - die Fuge ist natürlich alles andere als "leicht spielbar", aber innerhalb einer sonoren Komfortzone a la Viertel = 112-126 ist sie tatsächlich nicht so furchtbar wie ihr Ruf.
Aber das ändert sich drastisch, je näher man an Beethovens Viertel = 144 kommt (!!) **)
Die Grenzen, innerhalb derer sinnvoll über manuelle Schwierigkeiten diskutiert werden kann, mögen eng gesteckt sein - aber innerhalb der eng gesteckten Grenzen ist es ganz gut machbar. Und da lassen sie sich auch nachvollziehbar beschreiben.***)
Gefühltes Tempo und metronomisches Tempo
...das ist ein riesiges Thema!
Ganz kurz: ein stures metronomisches Tempo wirkt auf Dauer recht leblos - Tempo muss atmen (je nach Phrasierung / Periodik etc) kleine ritardandi und accelerandi - das kann in romantischen Werken zu einer überzeugenden Vielfalt von Tempovarianten führen****) - - bei den meisten Beethoven(klavier)Sachen finde ich allerdings ein zu starkes abweichen vom Grundtempo unangemessen*****) Geschmackssache?
....aber unmerklich führt das auch zur Frage nach dem "richtigen Tempo"... das allerdings kann zu einer Endlosdiskussion führen... Wie dem auch sei: zu starke Temposchwankungen behagen mir in Beethovensachen nicht.
Ekstatisch und nicht energisch – so will ich die bewegten Stellen in diesem Satz auffassen. Vielleicht mehr Marotte als Überzeugung. :)
ja
...Ekstase ohne Energie?...hm...
Spaß beiseite: das ist keine Marotte! Die Frage, was das Monstrum namens Var.3 innerhalb des (vermeintlich) "jenseitigen, ätherischen" Variationensatzes zu suchen hat, ist schon öfter gestellt aber noch nicht zufriedenstellend beantwortet worden.
Nüchtern betrachtet: Var.3 ist die Kulmination der rhythmischen Progression (Halbierung - Viertelung der Notenwerte), kein Wunder dass die vehement hereinbricht - - für mich ist diese wild kobolzige Variation mit ihren krass rasanten Synkopen ein durchaus
diesseitiger und bewußt virtuoser effektvoller
Vitalitätseinbruch in die Variationen. Und Beethoven hat das hier ganz fantastisch auf Kontrasteffekte hin konstruiert: die nachfolgenden "Doppelvariationen" hätten bei weitem nicht ihre Wirkung, wenn es den gigantischen Kontrast zur vitalen Toberei vorher nicht gäbe (!!) => wenn man spaßeshalber mal den Variationensatz ohne Var.3 spielt, ist die Wirkung perdu!
Vor den Doppeltrillern kommt noch eine kleine, eher konventionelle Kadenz als zweiter Klanghöhepunkt, dann die orchestrale große synthetische Variation (das Thema wird endlich mal nicht figural variiert, sondern weiter entwickelt) mit ihren riesigen Klangräumen: die finde ich auch ekstatisch!!! Und danach dann - wiederum ein großer Kontrast - das "ätherische" Abschiednehmen mit dem langen Triller.
Ist schon ein tolles Stück, diese Sonate
(...aber ich habe den Verdacht, dass sie gar nicht so esoterisch-ätherisch jenseitig ist: die gewaltigen klanglichen (satz- und spieltechnischen) Steigerungen wirken auf mich nicht sonderlich "jenseitig"... aber ich habe mir ja auch das Czerny/Moscheles Tempo Taktdrittel ~ 60 angewöhnt...)
_________________
*) die Literatur zu Beethovens Metronomangaben sowie speziell zur Aufführungspraxis von op.106 ist ja sehr umfangreich und recht heterogen - trotzdem kann nicht schaden, sowas zu testen (die publizierten Messungen zum Fugentempo sind durchaus interessant (einige beginnen forsch und schnell, werden dann aber langsamer ... die meisten spielen das deutlich langsamer als Beethoven es vorschrieb ... ganz wenige gehen das Wagnis ein, die extrem raschen Tempi tatsächlich zu spielen)
**) 112-126 kann ich das - 144 halte ich nicht durch (da passiert mir dann im
non ligato Abschnitt eine verwaschene Huddelei, die mir bei 126 nicht passiert...)
***) technische Schwierigkeiten sind für den Praktiker ein lästiges Problem, das es zu lösen gilt, und zwar so, dass der Zuhörer nicht merkt, ob und wie schwierig es gerade ist - kurzum, es gilt klanglich überzeugende Lösungen ohne Tempoeinbuße zu finden. Der lange Kettentriller am Ende von op.111 gilt als nicht einfach - das stimmt auch, wenn man Melodie und Trillerkette allein mit der rechten Hand spielt (wie es notiert ist) und der linken Hand die 32stel überlässt. Spielt man das so, ist man gezwungen, lange Zeit mit 3-5 oder gelegentlich auch 4-5 zu trillern, und das schön ätherisch pianissimo. So hatte ich das vor langer Zeit mal gelernt, weil es so gelehrt wurde - heute mache ich das ganz anders: wo der Kettentriller im Diskant liegt, spiele ich ihn mit 2-3 (!) Bon, dann muss halt die linke Hand viele Melodietöne übernehmen, aber das finde ich unproblematisch (zumal mich das "triolische" Tremolo nicht stört) Nur ganz zum Schluß geht das nicht mehr, da spiele ich dann den letzten Trillertakt mit 4-5 und die letzte Melodiewendung c-cis-d-g-g mit 1-2-1-1-1
****) niemand spielt das Moderato oder das agitato in Chopins erster Ballade permanent gleichmäßig mit metronomischer Sturheit
*****) ich halte auch nichts davon, z.B. das Seitenthema im Kopfsatz op.13 langsamer als das Hauptthema zu spielen