Hinrichsen (Beethoven, Die Klaviersonaten) hält es für unwahrscheinlich, dass Beethoven die Johannes-Passion kannte. Außerdem bemerkt er, dass die Melodie in Beethovens Kompositionskizzen erst allmählich zu der an Bach erinnernden Gestalt gefunden hat, dass aber ungeachtet der Frage der direkten Reminiszenz der Klagende Gesang einen musikalischen Topos aufruft wie seinerseits schon bei Bach.
Stilisierte Vokalität ist ja übrigens nicht nur ein Merkmal des letzten Satzes, sondern der gesamten Sonate, wie schon direkt mit der Kopfsatzüberschrift "cantabile" angedeutet wird, wobei eine ganze musikalische Welt vom Derb-Volkstümlichen bis zur Sakralmusik durchschritten wird.
"Beim Versuch, die ästhetische Leistung dieser Konzeption zu würdigen – Synthese, Vermittlung, Integration –, drohen alle Begriffe zu bloßen Schemen zu verblassen. Die Emphase, mit der das Werk von manchem Interpreten an einen 'Scheitelpunkt der europäischen Musikgeschichte' gestellt worden ist, lässt sich bei aller Vorsicht vor solchen Superlativen verstehen. Beethovens Sonate Opus 110 ist ein Werk der ästhetischen Überhöhung musikalischer Stile, poetischer Charaktere und historischer Satztechniken, das in der gesamten Klavierliteratur seinesgleichen sucht." (Hinrichsen)