Was ich aber dennoch glaube, ist, daß etwa vor einem (hypothetischen!) Fernsehkonzert um die Weihnachtszeit, das im ganzen Land zu sehen sein wird, vielleicht doch ein paar mehr Proben angesetzt werden, als bei einem Lokalkonzert mit mittelgroßem Publikum - zumindest ich würde das so machen. Probezeit kostet ja auch, in dieser Zeit wird nichts verdient, und je nach Wichtigkeit investiert man mal mehr, oder mal weniger Zeit in eine Aufgabe - das ist in der Wirtschaft ja nicht viel anders.
Auch wenn ich da von mir persönlich ausgehe - so etwas zu lesen macht wütend. Die künstlerische Einstellung (Stichwort: Professionalität) fallweise modifizieren, weil es auf bestimmte Veranstaltungen weniger ankäme als auf andere, ist absolut nicht in Ordnung. Vor meinem inneren Auge hätte ich das Bild eines Chorleiters, der seinen Chormitgliedern zu erkennen gibt, dass beim heutigen Auftritt nicht sonderlich viel Einsatz gefragt ist: Ist nur soziales Singen im Altersheim, wo die dementen Ommas und Oppas eh keine falschen Töne hören, denen reicht es, dass sie mit irgendwelchen ollen Kamellen bespasst werden, da braucht man nicht extra für proben. Und dass seit dreißig Jahren immer die gleichen Lieder gesungen werden, merken die dank Alzheimer sowieso nicht; was letztes Mal vorgetragen worden ist, haben die längst vergessen...! Selbst wenn man meint, sich so eine unprofessionelle Haltung leisten zu können - das auch noch offen auszusprechen, ist schon dreist.
Das erinnert mich an ein Erlebnis mit einem Kompositionsstudenten einer anderen Klasse an meiner Hochschule während meiner Assistenz-Zeit. Mit einer Sopranistin habe ich Studiokonzerte mit zeitgenössischen Werken als Klavierbegleiter zu gestalten. Auf dem Programm stehen auch uraufzuführende Werke, deren Einstudierung schon ganz schön an die Substanz geht. Nach zwei kräftezehrenden Probestunden zieht meine Gesangspartnerin den "Zarewitsch"-Klavierauszug aus der Tasche und regt an, die Probensitzung vergleichsweise entspannend ausklingen zu lassen. Gesagt, getan. Plötzlich öffnet sich die Tür zum Unterrichtsraum und der besagte Kommilitone tritt ein und erkundigt sich, was wir da für einen kommerziellen Scheiß singen - "Operette, so ein Quatsch". Inzwischen ist mir bekannt, dass sich derselbe Zeitgenosse mehr schlecht als recht "kleinkünstlerisch" betätigt, weil seine avantgardistischen Sachen nicht genügend zum Lebensunterhalt abwerfen.
Borniertheit, Arroganz, Geringschätzung des Gegenübers - vor solch einer Berufsauffassung kann ich nur dringend abraten. Auch "in der Wirtschaft" rächt sich die Haltung, mitunter manche Geschäftspartner nicht so richtig ernst zu nehmen - spätestens dann, wenn Reklamationen kommen und Garantieleistungen eingefordert werden.
Sei's drum - muss gleich zu einer Chorprobe, die ich sicherlich nicht mit der Einstellung leiten werde, bei den alten Herren bräuchte ich mich ja Gott sei Dank nicht so anzustrengen wie bei etwaigen Kollegen aus dem Rundfunkchor, mit denen ich auch schon mal zu tun habe.