Hier ein kurzes Update aus Graz: Medial gab es nun ein kleines Nachspiel. Aus den beiden Leserbriefen (siehe Scan unten) kann sich jeder das herauslesen, was die eigene Position unterstützt. Aufgrund der Aufmachung, der rein quantitativ unterschiedlichen Gewichtung, dem krassen Gegensatz im sprachlichen Ausdruck in Kombination mit dem Mitleidsfaktor, wird die öffentliche Meinung hier wohl gegen den Pianisten eingenommen. Da aber, wie im Eingangsbeitrag zu lesen, der Kritik in Schiffs Verhalten einen Affront gesehen hat, wundert mich das nicht. Zudem lassen sich mit dieser Inszenierung schön Emotionen schüren (die "Kleine" ist halt doch zu sehr journalistisches Boulvard, um sich so etwas entgehen zu lassen).
Mir ist nicht klar, wieso ein einmaliges Aufbegehren gegen Zumutungen seitens (Teilen) des Publikums in Ordnung sein soll, ein mehrmaliges dagegen ein Zeichen von mangelnder Souveränität darstellt. Man kann ihm natürlich vorhalten, er würde einen Kampf gegen Windmühlen führen. Schiff riskiert damit natürlich den Ruf einer hysterischen Konzertzicke. Sein Ruf als Pianist steht aber auch auf dem Spiel, wenn er aufgrund der dauernden Störgeräusche, nicht die Leistung abliefert, die man von ihm erwartet und die er wohl auch selbst von sich erwartet.
Ich frage mich, ob wirklich die vereinzelten unkontrollierbaren Hustenanfälle das Hauptproblem waren oder ob nicht generell der Geräuschpegel durch das ständige Reizhusten und Räuspern, das Rascheln von Papier etc durchgehend zu hoch geworden ist. Für mich als Zuhörer war diese Geräuschkulisse schon sehr störend, deutlich höher als vor ein paar Wochen bei dem Barenboim-Konzert in der Oper (und da habe ich mich schon geärgert). Und so unangenehm der Abbruch in dem Augenblick war, bin ich doch davon überzeugt, dass ihm der Großteil der Konzertbesucher letztlich dankbar dafür waren, dass sie die zweite Programmhälfte in Ruhe genießen durften, was übrigens bei weitem nicht "Totenstille" bedeutet. Und dass es möglich ist, diese Ruhe zu bewahren, hat das Publikum nach dem "Affront" bewiesen.
Ob irgendwelche Ansagen zu Beginn eines Konzerts was bewirken? Ich habe da meine Zweifel, vor jeder Vorführung gibt es die Erinnerungen zum Abschalten des Handys. Das solange funktioniert, wie diese Ansagen noch etwas waren, was nicht zum üblichen Procedere gehörte. Mittlerweile gönnt das Publikum dem etwa so viel Aufmerksamkeit, wie den Sicherheitshinweisen vor dem Start eines Passagierflugzeugs.
Es fehlt vielen wahrscheinlich auch das Bewusstsein dafür, dass die Akustik in einem guten Konzertsaal darauf angelegt ist, jedes Pianissimo bis in die letzte Reihe hörbar zu machen und das man auch selbst, egal wo man sitzt, akustisch im Großteil des Raumes wahrnehmbar ist und dass man als Konzertbesucher wie schon gesagt ein gewisse Mitverantwortung trägt. Um dieses Bewusstsein herzustellen, reichen meiner Meinung nach keine Durchsagen und/oder Aufschriften, es bedarf zumindest derzeit (auf jeden Fall für das Grazer Publikum wie ich es kenne) irgendeiner Art von Intervention. Mit paradoxen Interventionen, wie sie bereits beschrieben wurden, fährt man da als Künstler sicher besser als mit unvorbereiteten Worten, die von momentanen Emotionen geprägt sind. Sollte András Schiff sich entschossen haben, auf eine Art Kreuzzug zu gehen, wäre er gut beraten sich diesbezüglich Strategien zu überlegen, die ihn nicht so leicht Sympathien des Publikums kosten.
Liebe Grüße
Gernot
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