Betörende Klänge...
Im „Wetzikon-Thema“ war dies zu lesen:
Eben, weil in den meisten Konzertsälen ein Steinway steht und er dieses gezwungenermassen spielen muss. Somit hat er „Steinway Globalisierung“ erwähnt.
Muss er nicht! "Er" ist András Schiff.
In den Jahren 2012 und 2013 (Schiff hat alle Beethoven-Sonaten gespielt) war ich beim Beethoven-Fest in Bonn. Dort habe ich keinen Steinway auf der Bühne der Beethovenhalle gesehen (welch eine Genugtuung!). Und am 4. und 5. Februar 2014 in der Kölner Philharmonie habe ich auch keinen Steinway gesehen (wie schön!). Denn Herr Schiff hat an seinem eigenen C. Bechstein, Baujahr 1921, gesessen.
Bei den beiden letztgenannten Konzerten handelte es sich um die „Mozartnächte“ und in der Tat wurde es besonders am zweiten Abend mit András Schiff und seiner Capella Andrea Barca ein fast nächtliches Konzert. Aber dazu später mehr.
Der erste Abend begann damit, dass der Intendant der Philharmonie die Bühne betrat und sich im Publikum bange Erwartung breitmachte. Wer ist erkrankt? Gar Herr Schiff und das Konzert kann nicht stattfinden? Weit gefehlt. Niemand ist erkrankt, beruhigte Louwrens Langevoort die Besucher. Aber man möge die schöne Musik doch bitte still genießen, die Handys abschalten und das Husten während der Darbietungen möglichst unterlassen. Ich hätte den Mann umarmen können!
Und dann begann ein Abend, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Herr Schiff und seine Musiker haben die Zuhörer mit KV 449 bis 453, alle aus dem Jahr 1784 (wie auch die am nächsten Abend folgenden) über die Maßen erfreut. Es war ein herausragendes Jahr für Mozart als er 1784 in kürzester Zeit wundervolle Klavierkonzerte komponierte.
Ich konnte mich eines Gedankens an Dreiklang nicht erwehren. Die schönste CD im heimischen Sessel sitzend anzuhören kann nichts von den Ereignissen auf der Bühne vermitteln, nicht einmal den Klang so wie er von der Bühne ans Ohr dringt. Allen voran hat mich Herr Schiff überrascht. Am Klavier besonnen und relativ ruhig agierend hat er sich beim Dirigieren so sehr von der Musik mitreißen lassen, dass er mit lebhaftem Dirigat die Musiker zu betörenden Klängen motiviert hat. Einer der beiden Bässe, ein älterer Herr mit Rauschebart, hat sich elegant mit der Musik mitbewegt was sein Alter plötzlich völlig vergessen gemacht hat. Die Spielfreude aller Musiker, deutlich an deren Mimik und Körpersprache wahrnehmbar, ließ den Funken ins Publikum überspringen. Keine CD, kein YT-Video vermag dies zu vermitteln.
Aber dann: In Block D der sehr leise Klang eines Handys und mein Blick fest auf Herrn Schiff geheftet, der keine 10 Meter von mir entfernt gesessen hat. Zum Glück hat Herr Schiff das Handy nicht gehört. Nicht an diesem Abend...
Um 23:00 h war das erste Konzert der Mozartnächte beendet und rundherum konnte ich in glückliche Gesichter schauen. Mir hat es sehr gut gefallen, vielleicht auch deshalb, weil mir nicht nur diese beiden Werke in Es-Dur gezeigt haben, dass mir diese Tonart offensichtlich besonders "liegt" – und zu meinem Erstaunen auch das Quintett KV 452. Es war wundervoll und meine Furcht (aktivierter Tinnitus) vor Oboe und Klarinette waren völlig unbegründet. Beseelt von wundervollen Klängen habe ich den Heimweg angetreten.
Der folgende Abend verlief völlig anders. Er begann zwar erneut mit der Ansage des Intendanten aber leider waren Besucher im Konzertsaal die diese Worte nicht wahrgenommen haben. Es gab deutlich mehr Huster als am Vortag und beim Klavierkonzert KV 456 musste jemand niesen. Das dabei zu vernehmende Geräusch ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass mit der Luft noch andere Dinge die Nase verlassen haben. Herr Schiff hat während des Spielens kopfschüttelnd und mit einer Bemerkung auf diese Geräuschkulisse reagiert was bei den Musikern und einigen Besuchern ein Schmunzeln verursacht hat. Dann war erstmal Ruhe im Auditorium.
Nach der Pause ging neben mir eine Frau mit halb gefülltem Weinglas in den Konzertsaal. Aufgrund meiner Sorge, was passieren würde, wenn das Weinglas während des Konzerts (um)fallen sollte, habe ich die Frau auf die möglichen Folgen hin angesprochen. Ihre Antwort: „Ich kann das nicht so schnell auf Ex trinken“. Weil weder essen noch trinken im Konzertsaal erlaubt ist wurde die Frau dann von einer der Mitarbeiterinnen der Philharmonie gesehen und gestoppt.
Während der wundervollen Klänge des langsamen Satzes der c-moll Sonate KV 457 ist es dann passiert. Wieder aus Block D und wieder das gleiche Handy wie am Vortag. Aber diesmal schwoll der Klang immer stärker an und drang an Herr Schiffs Ohr was in nachvollziehbare Unmutsbezeugungen mündete. Weil er dann die Sonate wieder am Anfang begonnen hat nahm ich teil an meinem wohl längsten Konzertabend in der Philharmonie. Er hat bis 23:30 h gedauert.
Bei einigen Werken standen Noten auf dem Notenpult, die Herr Schiff aber keines Blickes gewürdigt hat. Es fasziniert mich immer aufs Neue, wenn Pianisten so viele Stücke auswendig spielen können. Beim Beethovenfest hat Herr Schiff z.B. alle Beethoven-Sonaten ohne Noten gespielt.
Aber vielleicht wäre es schöner nicht fünf bzw. sechs Werke Mozarts hintereinander aufzuführen sondern aus den beiden „Mozartnächten“ drei Konzerte zu machen. Man könnte sich vielleicht noch besser auf die Musik einlassen.
Fazit: András Schiff hat mir mit seinen Musikern zwei wundervolle Abende beschert und mich Mozart, mit dessen Musik ich bis zu diesen Konzerten ein wenig gefremdelt habe, sehr viel näher gebracht.
Wer Herrn Schiff noch nie auf einer Bühne erlebt hat (ich spreche hier auch Dreiklang an, dem Mick und ich ja schon Grigory Sokolov wärmstens empfohlen haben) kann ich nur dringend empfehlen dies unbedingt nachzuholen wenn sich die Gelegenheit ergeben sollte.