Wo kommt denn diese seltsame Anspannung in Teilen des Publikums her, dass sie sich unwohl fühlen, mit Atemnot kämpfen? Will man da Teil einer Sache sein, in die man nicht hineingehört? Warum muss man so still sein? Warum können die nicht lauter spielen, gibt es keinen Strom mehr? Wenn das Instrument für die vielen Leute aber schlicht zu leise ist, so dass man sich kaum zu atmen wagt, wäre es nicht angemessen, einfach vor weniger Leuten zu spielen; z.B. dem Zar und einigen Gästen plus Familie? Hat sich da das Bürgertum einer Sache bemächtigt, die es überfordert? Haben sich Rollen vertauscht?
Ein Hustenanfall geschieht nur vereinzelt, aber die ungesunde Verkrampfung scheint mir kollektiv zu sein. Und die ist es, die ansteckt. Beispiel: Bei den Konzerten der Beatles haben die Zuschauerinnen in den ersten Reihen so laut geschrieen, dass man weiter hin überhaupt keine Musik mehr hören konnte. Trotzdem haben auch diese Reihen vor "Begeisterung" geschrieen...Die einen schreien, die anderen husten: Das Prinzip das ist Gleiche.
Die Atemmuskulatur verspannt und der Mensch kann nur noch durch Hustenreiz überleben! Ist das gesunde Musik? Hat schon mal jemand bei einem Kriegstanz einen Hustenanfall bekommen? Beim Mitgrölen von Gassenhauern? Die Trennung von Musik und Bewegung ist zwar eine kulturelle Leistung, aber sie fordert bedauerlicherweise auch Opfer...
Wenn mich der Veranstaltungsbesuch mit dem Erstickungstod bedroht, so scheint mir dies Risiko in keinem Verhältnis zur scheinbaren Kultur zu liegen. Mikro in den Flügel, PA einschalten und dann können die Leute zappeln wie sie wollen und hören trotzdem noch alle!
Lieber Neronick,
ich bin etwas erschüttert über deine Schlussfolgerungen. Du folgerst nämlich, so wie ich es verstehe, dass die mangelnde Laustärke des Instruments dafür verantwortlich ist, dass Husten als störend empfunden wird. Und dass die Husterei verschwände bzw. nicht stören würde, wenn das Instrument lauter wäre (Mikros etc.).
Du stellst nach meinem Verständnis aufgrund der Husterei überhaupt den Sinn und kulturellen Stellenwert dieser Musik in Frage und reduzierst das Konzerterlebnis auf das reine "Hören können".
Das sehe ich aber
ganz anders! :)
Du hast recht, dass die Husterei aufgrund innerer Anspannung erfolgt (das ist jedenfalls meine These in Bezug auf die meisten "Huster"). Aber wieso ist eine innere Anspannung schlecht? Wieso muss man sich unbedingt zu Musik bewegen? Gilt das für alle Musik???
Die innere Anspannung kommt m.M.n. vor allem aus
innerer Bewegung! Die gehörte Musik löst immer etwas in einem aus, sei es negativ oder positiv, sie bringt den Hörer in Kontakt mit sich selbst, weil ihre Erlebniswelt, ihre musikalische Aussage auf die Erlebniswelt des Hörers, auf seine Hörgewohnheiten etc. treffen. Das ist eine Konfrontation, mindestens eine Auseinandersetzung. Zudem erfordert diese Auseinandersetzung eine
große Aufmerksamkeit, bei einem Klavierabend (einer allein am Klavier, im Gegensatz zur Oper (szenische Darstellung) oder einem Orchesterkonzert (viele Musiker auf der Bühne mit unterschiedlichsten Instrumenten) von geradezu visueller Askese. Der Verlauf und die Entwicklung der gespielten Musik müssen verfolgt werden um zu verstehen, die Musik nimmt uns mit in eine Geschichte voller Abenteuer und Überraschungen. Und das alles geschieht in der
Wahrnehmung nur über den Hörsinn, was sehr ungewohnt ist für viele Menschen (man mache mal das Experiment, einem Menschen "nur" 5 Minuten aufmerksam zuzuhören ohne selbst etwas zu sagen......). Zum dritten ist permanentes
Stillsitzen bei diesem Hören trotz großer Übung am Arbeitsplatz, Fernsehen und Computer eine Leistung, die offensichtlich schwer fällt.
Diese drei Faktoren können zu einer inneren Anspannung führen, die sich dann in z.B. Husten äußert, allerdings behaupte ich,
ausschließlich bei des Hörens ungeübten Menschen. Bei Aufführungen der Bach-Gesellschaft, in die nur Menschen mit einem hohen Interesse an dieser Musik eintreten und die oft sehr anspruchsvoll im Programm sind, hört man keinen Mucks.
Ich selbst habe noch nie im Leben aus diesem Grund einen Hustenreiz verspürt, noch nicht mal als Kind, auch meine sämtlichen Freunde und Verwandten nicht.
Im Gegenteil löst diese Musik etwas aus, was einzigartig ist und zur intensiven Wahrnehmung der körperlichen Ruhe bedarf! Vielleicht ein bisschen ähnlich einer Meditation, die auch im Sitzen o.ä. geschieht. Es ist absolut eine kulturelle Leistung - ums Feuer tanzen tut man hier nicht. :D Und es ist sicher so, dass so ein Konzert den Hörer auch fordern, vielleicht überfordern kann. Und dass sich dies in Husten manifestiert.
Aber ist das nicht wunderbar?!!! Musik erleben zu dürfen, die einen bis an die eigenen Grenzen bringt! Die so vielschichtig ist, dass wir sie nur mit Ruhe und Aufmerksamkeit erfassen können! Bei der unser inneres Erleben buchstäblich durcheinander gerüttelt wird!!! Es wird schon seinen Grund haben, wieso in klassische Klavierabende auch Hörer gehen, die noch nicht so vertraut damit sind (übrigens räuspert man sich auch gelegentlich aus innerer Bewegung heraus). Klar, die, die nur aus Prestige oder sonst was in solche Konzerte gehen, sind dort vermutlich fehl am Platz. Aber wer weiß, was die gehörte Musik trotzdem auslöst.... .
Wenn man in Konzerte von Pop- und Rockmusikern geht, so kann das auch sehr bewegend sein. Es ist aber mit klassischer Musik schwer zu vergleichen. Es macht nichts, wenn man mal nichts hört, man kommt schnell wieder rein aufgrund der im Verhältnis einfacheren liedhaften Strukturen, der einfacheren harmonischen Abläufe und des klaren Rhythmus' (Beat........). Die Aufmerksamkeit muss bei weitem nicht so hoch sein und so kann man sich den Rhythmen mit dem Körper hingeben, was einen Teil des Wesens dieser Musik eher verstärkt und nicht behindert. Ich bin kein Experte für diese Musik, da können sich andere sicher qualifizierter äußern.
Aber solche Klavierabende wie beschrieben können einen bis ins Herz berühren - wenn man sich darauf einlässt!
Liebe Grüße
chiarina