Würde zuerst bei YouTube allgemein danach suchen und aus den Treffern dann die heraussuchen, die sich für meinen Geschmack am besten anhören. Ja und diese würde ich dann halt mehrmals anhören, um eine Vorstellung zu erhalten. Nach und nach mehr auf Dein eigenes Gefühl vertrauen.
Das würde ich auf gar keinen Fall empfehlen. Dadurch lernt man nämlich nicht wirklich, eine eigene Vorstellung zu entwickeln, da es für das Gehirn zunächst (!) einmal wesentlich bequemer ist, fremdes zu übernehmen als eigenes zu entwickeln. Mit einer kleinen Modifikation kann ich das empfehlen, dazu gleich mehr.
Meine Empfehlung hier ist:
1.) Tatsächlich die Melodie erstmal zu singen. Es ist auch sehr gut, sich einen Text zu der Melodie zu überlegen, dessen Metrum, Reimschema und (Wichtig:) Sprachmelodie möglichst gut zu der Musik passt. Das gliedert die Musik dann ganz automatisch in Phrasen, schafft Bezüge zwischen Phrasen - was essentiell für eine verständliche Melodik ist - und gibt bereits einen Vorschlag, wie dann auch die melodische Gestaltung sein kann. Achte nun beim Singen mal (beobachtend) darauf, wie du rein intuitiv die Melodik gestaltest und die Atempausen setzt.
2.) Vergegenwärtige die dir zur Verfügung stehenden pianistischen Stilmittel. Diese umfassen bei dir sicher mindestens:
--> Dynamische Stilmittel: Crescendi, Decrescendi, Stufendynamik (mit Echo als Spezialfall)
--> Agogische Stilmittel: Zäsuren verschiedener Länge
--> Artikulative Stilmittel: Verschiedene Grade des Legato ("wie sehr überlappen die einzelnen Noten ohne Zuhilfenahme des Pedals"?), Verschiedene Grade des Portato ("wie groß ist die Lücke zwischen den einzelnen Tönen?"), Staccato.
3.) Nun nehme dir ein anderes Stück vor, als das, welches du aktuell spielst. Am besten ein Stück, welches du mal gespielt hast und recht gut kennst. Führe den 1. Punkt mit diesem Stück durch und überlege dir, wie du mithilfe (gerne auch erstmal einer Auswahl) deiner pianistischen Stilmittel die Gestaltung, welche du intuitiv beim Singen vornimmst, auf das Klavierspiel übertragen kannst. Wichtig ist hierbei: Versuche es dir immer akustisch vorzustellen!
4.) Nachdem du nun eine Vorstellung des Stückes entwickelt hast, höre dir ein paar Aufnahmen dieses Stückes an und vergleiche es mit deiner Version. Dadurch entwickelst du eine immer konkretere akustische Vorstellung von deiner Version des Stückes. Natürlich kann es sein, dass du hierbei fremdes übernimmst.
5.) Nun kannst du 1.) - 3.) mit deinem Stück durchführen. Übe dann eine Gestaltungsvariante die du selbst entwickelt hast ein. Die kann sich (und soll) sich natürlich auch im Verlauf der weiteren Beschäftigung mit dem Stück verändern. Mit etwas Übung und viel Beschäftigung mit dem Stück kannst du auch dann ganz spontan im Moment des Vortrags Gestaltungsvarianten entwickeln und spielen.
6.) Wenn du eine ausreichend gute EIGENE Vorstellung deines Stückes hast. DANN kannst du dir auch gerne Aufnahmen von anderen Pianisten anhören und dir überlegen, was dir bei diesen Aufnahmen besser gefällt und was schlechter. Aber wirklich erst dann!!
Liebe Grüße,
Daniel
P.S. Der Klavierlehrer muss meines Erachtens nicht zwingend schlecht sein, weil er von dir verlangt hat, dass du "melodischer" spielen sollst, ohne genau zu spezifizieren, was er damit genau meint und wie du es erreichen sollst. Ich mach sowas mit meinen Schülern auch manchmal, weil ich möchte, dass sie eigenmächtig bis zum nächsten mal analysieren sollen, was - in diesem Fall - melodischer heißen könnte, und wie sie es erreichen können. Doch wenn er dir beim nächsten mal auf die Bitte nach einer umfassenderen Erklärung keine gute Antwort gibt...dann wäre ich wirklich etwas besorgt!