Du scheinst dich da besser auszukennen als ich. Wer sind denn die "Advokaten der Werktreue"? Gib uns mal ein paar Namen.
Aufführungspraktische Konventionen sind weit mehr als die Wahl des geeigneten Instruments. Dazu gehört auch das Wissen über Tempo und Metrum, Artikulation (mit der wichtigste Aspekt!), Phrasierung, Verzierungspraxis und vieles mehr. Davon abgesehen ist das Instrument und dessen Klang im Barock noch nicht elementarer Bestandteil der Komposition. Man kann viele "Clavier"-Werke auf dem Cembalo, dem Clavichord, einer Orgel, einer Laute und weiteren Instrumenten spielen, ohne dass es dem Werk schadet. Auch das war Teil der damaligen Aufführungspraxis: es wurde meist nicht eplizit für ein bestimmtes Instrument komponiert. Und auch damals hat man sicher die Möglichkeiten des jeweiligen Instrumentes genutzt - Bach hat ein und dasselbe Werk auf der Orgel gänzlich anders gespielt als auf dem Clavichord. Das ist auch in zeitgenössischen Berichten belegt. Deshalb spricht wenig dagegen, Bach auch auf einem
steinway D zu spielen. Man spielt selbstverständlich an das Instrument angepasst. Aber wie man im Bachschen Sinne artikulieren muss, wie man die verschiedenen Manieren (ob nun notiert oder nicht) ausführen muss und welches Tempo man zu wählen hat, ist deshalb noch lange keine willkürliche Entscheidung. Da gibt es sehr wohl Dinge, die man objektiv falsch machen kann.
Wieder falsch. So eine Skala habe ich nie erwähnt und auch nie im Hinterkopf gehabt. Werktreu zu spielen ist vor allem eine innere Haltung. Und nicht: "Ich kann machen, was ich will und muss mich um nichts scheren als um die notierten Noten."
Ja, genau! Habe ich jemals was anderes behauptet? Man muss allerdings schon etwas tiefer schürfen. YT und Wikipedia sind definitiv zu wenig. Gerade du als Bibliothekar solltest das doch wissen.
Quantifizieren lässt sich das sicher nicht. Aber anhand der von mir oben erwähnten Kriterien kann man schon abgleichen, ob ein Interpretat sich über bestimmte Dinge im Klaren ist oder ob er sich einer gewissen Willkür hingibt.
Nein. Wer glaubt, dass alles in den Noten steht, was man zu einer gelungenen, also werktreuen Interpretation benötigt, irrt gewaltig. Die Sekundärquellen sind extrem wichtig - um so wichtiger, je weiter der Komponist in der Vergangenheit gelebt hat. Trotzdem gibt es extrem unterschiedliche Möglichkeiten, eine Bach-Fuge oder eine Beethoven-Sonate werktreu zu spielen. Du verwechselst das leider immer und denkst, werktreu kann nur genau so sein, wie es der Komponist bei der Uraufführung gespielt hat. So eindimensional haben die großen Komponisten aber nicht komponiert. Was man z.B. auch daran erkennen kann, dass sie immer wieder Änderungen an ihren Werken vorgenommen haben.
LG, Mick