Alles eine Frage des Willens, des Fleißes und der Disziplin.
Ich habe schon verstanden wie Barrat das gemeint hat, dennoch möchte ich ein paar Gedanken zum Thema "Was man mit Willen und Leistung erreichen kann" los werden.
Meine Eltern waren finanziell gut gestellt, angesehen - Musikunterricht bei Privatlehrerin, Reitunterricht und eigenes Pferd, Privatschule... Aber ich wurde vom Vater sexuell missbraucht.
Ich habe dissoziiert, d.h. ich wußte nichts vom Missbrauch - das ist ein gängiger Mechanismus. Gerade wenn man mit dem Täter zusammenleben muss und das gesamte Umfeld vorgibt nichts davon zu merken, man also keinerlei Hilfe erhält.
Ich konnte das Gymnasium nicht abschliessen, weil irgendwann nichts mehr ging, ich konnte nicht mehr zur Schule gehen und wandte mich ans Jugendamt - "Ich will in ein Heim". Begründen und erklären konnte ich natürlich nichts.
Als böses rebellisches Mädchen verbrachte ich einige Jahre im Erziehungsheim. Um dort raus zu kommen heiratete ich... Und damit war meine Aussicht eine Arbeit zu bekommen dahin. Zuviele verschiedene höhere Schulen, angefangen, dann abgebrochen... dazu eine Heirat mit 16 und kurz darauf die Scheidung.
Krass, wenn man bei Putzjobs, am Fliessband, als Näherin... immerzu abgewiesen wird.
Wie auch immer, ich war so Mitte 20 als die Erinnerung an den Missbrauch wiederkehrte. (Ich hatte Glück, das mein Vater alles zugab, sonst hätte ich wohl gedacht ich sei verrückt und bilde mir das alles nur ein).
So, nun hat man einen Ansatzpunkt, versteht wieso man sovielen Dingen Probleme hatte - vieles wird klar und man denkt an Psychotherapie. Allerdings helfen einem Wille und Bereitschaft an all dem zu arbeiten nicht weiter, weil es kaum Therapeuten gibt die über eine entsprechende Ausbildung (oder Fähigkeiten) verfügen um mit schwer Traumatisierten effektiv arbeiten zu können.
Man hat eigentlich nur in Großstädten eine Chance so jemanden zu finden. Ich lebte damals in der ca. 50.000 Einwohner Stadt in der ich geboren bin und suchte jahrelang vergebens.
Ich war verheiratet, mein Mann hatte Einzelhandelskaufmann gelernt, verdiente entsprechend wenig, wir hätten dringend ein zweites Einkommen gebraucht. Er gab schließlich seinen Job auf und arbeitete als Hilfsarbeiter bei einer Montagefirma - wegen der Zulagen.
1999 legte ich die Studienberechtigungsprüfung für Psychologie ab. Immer noch versuchend irgendwo Fuß fassen zu können. Nun ja, ein Jahr verging bis ich alle Zeugnisse dann auch in Händen hielt (hatte die Kurse zwar alle in einem Schwung machen, aber nicht bezahlen können).
Dann - tata! - eine Neuerung in Österreich: Studiengebühren werden eingeführt! Alles Lernen umsonst, wie es schien... das war finanziell nicht machbar, zumal ich auch 100km (eine Strecke) zum Studienort pendeln musste.
Aber ein Sozialarbeiter hat sich dann engagiert und versucht das Geld über Spenden/Fonds aufzutreiben. Ich konnte tatsächlich mit dem Studium beginnen, es war immer eine äußert wackelige Sache, weil so ein "Fall" wie der meine nirgends vorgesehen ist... man fällt durch alle Raster. Aber mit Müh und Not kam ein bissl Geld zusammen, so dass ich den Rest selber zahlen konnte.
An der Uni war ich immer im vorderen Drittel, also die Leistung hat schon gepasst. Aber als ich im 5. Semester war hat mein Mann seinen Job verloren. Der Sozialarbeiter fiel auch aus - hatte einen anderen Job angenommen. Am Ende vom 6. Semester konnte ich eine Präsentation (für ein Seminar) nicht abhalten, weil ich die 40 Euro für die Fahrkarte nicht hatte.
Und im Herbst darauf flog ich endgültig aus dem Studium, weil wir delogiert wurden - hatten die Miete nicht mehr zahlen können. (Ironischerweise hätte ich da ein Stipendium bekommen, von einer Organisation wie Lions oder Rotary - nur was hilft die Übernahme von Studiengebühren und Fahrtkosten, auch wenns zur Gänze ist, wenn man keine Wohnung mehr hat).
Ich habe mir mit Ach und Krach eine neue Existenz aufgebaut - mit den Mitteln die mir vom Staat zur Verfügung gestellt wurden/werden. Die Uni ist Geschichte - beim Arbeitsamt wurde mir erklärt, das zähle alles gar nichts und ich sei sowieso unvermittelbar... sie wußten von einer Krankheit die ich leider habe und dass ich aufgrund dessen arbeitsunfähig sein kann.
Durch die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit durfte ich allerdings nicht mehr inskribieren. (Und ja, das empört mich immer noch sehr. A la "Wer unten ist, hat unten zu bleiben").
Ich habe diesen ganzen persönlichen Kram nur erzählt, weil ich aufzeigen wollte wie schief Dinge laufen können und was für ein Hohn jegliches Gerede über Wollen/sich abstrengen usw usf. sein kann.
Aus der Literatur und persönlichen Kontakten weiß ich, dass es genug andere, in der Kind schwer traumatisierte Menschen gibt, die sich mit Sozialleistungen irgendwie durchhangeln.
Ändern kann man an der Situation selber wenig - so gibt es in Deutschland zb 80 oder 100 Therapiestunden, dann folgt eine 2jährige Pause bevor ein neuer Antrag gestellt werden kann. Das ist keine Therapie, das ist nutzloses auf der Stelle treten... Wenn man nicht selber zahlen kann ist man aufgeschmissen.
So, ich muss zum Ende kommen, muss morgen früh raus - aber eins noch: Ich hätte das alles nicht erzählt, wenn wir uns kennen würden! Ich halte es da wie die meisten Betroffenen - sag deinen wenigen Freunden/Bekannten lieber nichts von alldem. Das letzte was man will ist als das arme kleine Opfer gesehen werden, mit dem man ach so schonend umgehen muss.
Denn das ist natürlich auch nicht wahr! (Und Leute die ihr wie auch immer geartetes Trauma andeutungsweise zur Sprache bringen, damit den anderen der Wind aus den Segeln genommen ist, sind mir höchst unsymphatisch. Man sollte auch auf dem Zettel haben, dass sich keiner ausgesucht hat wieviel Schicksalsschläge ihn treffen).
In letzter Zeit habe ich hier so viel über traumatisierte Flüchtlinge und wie mit umgehen usw... gelesen und musste mich immer beherrschen nichts dazu zu sagen. Ich schaffe das nicht mehr und bin einfach persönlich viel zu sehr betroffen um ein allgemeines Statement abgeben zu können.
Liebe Grüße
Sabine