Ich jedenfalls habe mehr Respekt für Leute, die versuchen, auf die Missstände aufmerksam zu machen, als für Leute, die resignieren und nett bleiben, weil eh keiner auf sie hören würde.
Am meisten habe ich Respekt vor Leuten, die sich für andere einsetzen. Dafür braucht man Kontakte. Kontakte hat man nur, wenn man "sociable" ist (die Franzosen haben ein Wort dafür, das im Deutschen nur behelfsmäßig mit "umgänglich" zu übersetzen ist). Mit "resignieren und nett bleiben" hat das nichts zu tun. "Netten" Menschen wird von privat eher geholfen als Menschen, die einen Zaun aus Stacheldraht um sich ziehen und überdies noch mit verbalen Feuerwaffen jede Annäherung abwehren.
Das zeigt, in welchen Kreisen du (schon immer) verkehrst. Da kann ein Hartzer i.d.R. nicht mithalten.
Da kann und will ich Dir nicht widersprechen. Die Jugendlichen, die ich angesprochen habe, stammten aus "kleinen Verhältnissen", sonst hätte ich sie ja nicht angesprochen - die eine z. B. habe ich seit ihrem 14. Lebensjahr kostenlos meine Pferde reiten lassen, mir war bekannt, dass in der Familie das Geld nicht locker sitzt. Eine andere war Halbwaisenrentenbezieherin und die dritte weiß ich jetzt gar nicht mehr. Hartzer waren es nicht, das stimmt. Den Arbeiter, dem ich das Auto letztlich geschenkt habe, kannte ich nicht, aber ich kannte den Kleinunternehmer, der wiederum ihn kannte und wusste, dass er was fürs ganz kleine Geld (oder für umme) sucht.
Das war es auch, was ich mit "sozialen Kontakten" meine. Man kennt Leute, die wiederum kennen auch Leute (und so weiter). Irgendjemand (A) hat ein Anliegen, teilt dies seinen Kontakten (A²) mit, und wenn diese selbst nicht helfen können, "hören sie sich mal um" (A² hoch A² - man verzeihe die Unbeholfenheit des Versuchs einer mathematischen Darstellung). Damit potenziert sich der "Bekanntenkreis". Irgendjemand kennt irgendjemanden, der sich um das Anliegen eines ihm unbekannten Menschen kümmert, um demjenigen einen Gefallen zu tun, der ihn angesprochen hat. Damit wird wieder ein neuer Kontakt geknüpft.
Oder: Jemand sucht einen Job, bittet seine Kontakte "hört Euch mal um". Die Kontakte "schwärmen aus" und irgendjemand von all diesen angesprochenen Leuten kennt jemanden, der gerade jemanden sucht. Problem dabei: Der Kontaktvermittler ist gewissermaßen der Bürge. Deshalb profitieren von diesem System in der Regel vor allem Leute, die "sociable", zuverlässig und empfehlenswert sind.
So funktioniert Zivilgesellschaft.
Man bleibt ja mehr unter sich. Das ergibt sich aus ganz profanen Alltagsgegebenheiten. Beispiel gefällig? Ich wurde im Jazzchor mehrmals gefragt, ob ich nach der Probe mit essen ginge. Natürlich nicht, weil ich mir sowas nicht leisten kann. Dann wurde mir nett angeboten, daß ich ja auch nur so dabei sitzen könne, vielleicht mit einem Wasser. Jo klar, hättest du da Bock drauf? Den anderen beim Spachteln zuzusehen? Nein, da verzichtet man ganz und gehört halt nicht dazu -- so einfach ist das. Es läge mir auch fern da um Spenden zu betteln.
Du beschreibst leider einen Teufelskreis. Man fand Dich offenbar nett und hätte Dich gern dabeigehabt. Du hast Dich zurückgezogen. Das ist schade - es geht bei solchen lockeren Treffchen sicher nicht darum, wer das teuerste Essen bestellt, sondern wer ein angenehmer Typ ist, mit dem man Spaß haben kann. Ob der jetzt bei einem Glas Wasser oder einem Château Margaux dabei ist, interessiert doch niemanden.
Sie lernen sehr früh, sich für ihr bloßes Dasein zu schämen. Das ist sehr übel.
Ich befürchte, das ist der Auslöser für diesen Teufelskreis. Nach allem, was Du so andeutest, hast Du keinen Grund, Dich "für Dein bloßes Dasein" zu schämen. Du hast aber offenbar seit langer Zeit verinnerlicht, was Du oben schreibst, und stößt Deinerseits Leute (siehe Beispiel Jazzchor) zurück, die offenbar tatsächlich gern mit Dir zusammen wären - und zwar mit Dir als Mensch, als Kumpel, nicht mit Deiner "Rolle".
Wahrscheinlich steckst Du in einer Spirale der "self-fulfilling prophecy". Du hast in einer prägenden Phase Deines Lebens Zurückweisung und Erniedrigung empfunden/erfahren und gehst unbewusst davon aus, das das immer so weitergeht. Woraufhin Du Dich so verhältst, dass es auch tatsächlich so weitergeht.
Das ist wirklich übel. Du hast doch was drauf. Es gibt keinen Grund, diesen Panzer aus Stacheldraht aufrecht zu erhalten. Die Zurückweisung, die Du z. B. hier erfährst, beruht ausschließlich auf dem Stacheldraht - Du weißt, worauf ich anspiele.
Wie wär´s - innere kopernikanische Wende vollziehen, die anderen nicht als Deine potenziellen oder tatsächlichen Gegner ansehen und entsprechend behandeln, sondern einfach mal davon ausgehen, dass die allermeisten Leute "sociable" sind und nicht dazu neigen, jemanden zurückzuweisen - jedenfalls nicht aufgrund seiner finanziellen Situation?