Bei welchen von den heute professionell arbeitenden Spielern hier im Forum (dazu zählen auch Musikstudenten oder angehende Studenten) war das früher auch so? Oder ist es gar heute noch?
Das würde mich wirklich mal interessieren, da es bei mir nie so war.
Ich würde von mir sagen: Beide Varianten gleichrangig - also sowohl Dein "absolut-musikalischer" Ansatz als die "illustrative" Spielart, bei der auch optische Anregungsmomente eine Rolle spielen. Und zwar so, dass ich zwischen beiden Varianten beliebig wechseln kann. Sicherlich hängt das damit zusammen, dass ich auch auf dem Gebiet des Musiktheaters und/oder im Showbusiness im weiteren Sinne viel zu tun habe, wo eine Handlung, wo Symbole, wo Texte (Sprachbilder) und dergleichen mehr mit der Musik untrennbar verbunden sind. Das Filmgenre hat sich wiederum ganz offensichtlich aus der Theaterästhetik heraus entwickelt - ein Eindruck, der sich gerade bei älteren Produktionen permanent bestätigt.
Daher ist bei ihnen ja auch z.B. Filmmusik so überaus beliebt, denn da kann man sich was zur Musik vorstellen. Wäre "Hedwig's Theme" nicht aus dem Megahit "Harry Potter", und man würde Schülern das als Stückvorschlag vorspielen, würden sicherlich die allermeisten sagen: "Klingt mir zu merkwürdig, uninteressant, danke, nächster Stückvorschlag bitte". So aber ist es ein beliebtes Schülerstück.
Zustimmung meinerseits. Begründung: Dieser Soundtrack ist unmittelbar mit einer konkreten Handlung, mit verständlichen Bildern und berührenden Stimmungen verbunden, womit man gewissermaßen groß geworden ist. Viele später professionell tätige Musiker haben die von anderen als abstrakt wahrgenommenen Muster und Strukturen in einem Lebensalter verinnerlicht, in dem man "sinnlich" im Sinne von "mit allen Sinnen" auch abstrakte Strukturen erleben lernen kann. Neben dem oftmals früheren Lebensalter ist wohl auch eine gewisse Erlebnistiefe und Nachhaltigkeit des Erlebens dafür verantwortlich, dass man ohne zusätzliche Bilder Musik leben und erleben kann. Deshalb tue ich mich auch mit der Sichtweise schwer, dass man erst später vom Amateur- ins Profilager wechselt. Musiziert man irgendwie anders, sobald man dafür Geld bekommt? Sobald man damit seinen Lebensunterhalt verdient? Oder sobald man so viel damit verdienen muss, damit man davon eine Familie ernähren kann und fürs Alter vorsorgen? Entweder erfolgt ein gleitender Übergang oder man kann beides gar nicht voneinander trennen.
Beim Amateur hat das Musizieren vermutlich sehr oft einen anderen Stellenwert. Wenn irgendwo Leerräume bleiben (etwa durch geringere Kenntnisse musikalischer Zusammenhänge), lassen sich diese durch andere Inhalte füllen, die einem vertrauter sind, also Gefühle, Stimmungen, Bilder, Bewegung, Spannung etc. - das wissen auch die Komponisten und Produzenten derartiger "funktionaler" Musik, die in schlichter Gestalt oftmals am ehesten anspricht und überzeugt. Sie soll ja gerade nicht den Blick auf das mit anderen Sinnen Wahrnehmbare verstellen.
Das erklärt auch, weshalb so manchem diese Easy-Listening-Sachen von TEY & Co. so fremd bleiben: Die strukturell und formal einfach gemachte Musik ist nach "absolut-musikalischen" Maßstäben im Material und seiner Anwendung schnell durchschaut und darüber hinaus kaum nennenswert "absolut-musikalisch" entwicklungsfähig, wenn man es nicht gerade verfremden will:
Wäre "Hedwig's Theme" nicht aus dem Megahit "Harry Potter", und man würde Schülern das als Stückvorschlag vorspielen, würden sicherlich die allermeisten sagen: "Klingt mir zu merkwürdig, uninteressant, danke, nächster Stückvorschlag bitte".
Aber man kann was draus machen, oder nicht?:
Nachdem ich selbst etliche Classic-Rock-Sachen und ähnliches für diverse Orchester machen konnte, habe ich durchaus Sympathie für solche Genres. Hoffentlich muss ich mich jetzt nicht schämen... .
LG von Rheinkultur