Selbstoffenbarung beim Vorspiel

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JackyJoker

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Liebe Klavierschüler und -lehrer,

beim Lesen einiger Threads, unter anderem den von xxxanonymousxxx ist mir eingefallen, dass ich früher folgendes Problem im Klavierunterricht hatte:
Ich wollte meine Stücke gar nicht gestalterisch im Klavierunterricht vortragen, weil ich das Gefühl hatte, dass es meinen Lehrer überhaupt nichts angeht, wie ich meine Stücke spielen möchte.
Daher lehnte ich auch sämtliche Schmanzotten und den ganzen Romantikkram ab. Ich hätte es einfach nicht vor dem Lehrer üben wollen.
Ich fand es bei manchen Lehrern ehrlich gesagt auch unangenehm bis befremdlich, wenn sie mir die Stücke zur Auswahl vorgespielt haben, weil ich gar nicht wissen wollte, woran sie beim Spielen denken und ich zum Teil das Abdriften in die Gedanken als zu persönlich empfand.
Klingt auf den ersten Blick vielleicht prüde, tatsächlich fand ich das einfach sehr privat und intim.
Ich habe dann oft auch sehr dosiert gespielt, damit man nicht zu viel von meinem Wesen durch mein Spiel erfassen kann.
Zu Hause habe ich aber doch für mich ganz alleine ab und an auch mal was netteres gespielt.

Geht/ging es anderen auch so? Kennen die Klavierlehrer unter euch dieses Phänomen? Kann man das Auflehnen vom Unvermögen unterscheiden?

Grüße
Jacky
 
Wenn es Deinen Lehrer nix angeht, wie Du ein Stück spielst - oder wie Du es spielen könntest - wird die Sache schwierig.

CW
 
Und doch passiert es so.
 
Muß der Interpret von seinem Spiel gerührt sein? Oder sollte nicht vielmehr der Interpret den Zuhörer rühren? Nichts ist peinlicher, als wenn der Interpret die Musik als psychotherapeutische Séance mißbraucht. Saß Chopin etwa tränenüberströmt an seiner Komposition des Trauermarsches? Ich schätze, eher nicht! Er wußte vielmehr - sehr rational - an den Stellschrauben zu drehen, die beim Hörer "traurig-erhabene" Gefühle wecken. Wenn erstklassige Interpreten spielen (Rubinstein, Horowitz, Zimmerman u.a), erfährt man nichts über deren Psyche, aber sehr viel über die Dimensionen der erklingenden Musik. Je weniger aber der Spieler die Musik zu durchdringen vermag, desto mehr flüchtet er sich in das Zuschaustellen der eigenen Befindlichkeit. (provokativ formuliert)
 
Hi koelnklavier,

Ich sehe das etwas anders.

Nichts ist peinlicher, als wenn der Interpret die Musik als psychotherapeutische Séance mißbraucht.

Ich verstehe JackyJoker so, dass er genau diese Sorge hatte, dass man durch sein Spiel zuviel von seiner Seele mitbekommt. Und dass er deshalb nur rational gespielt hatte.

Wenn erstklassige Interpreten spielen (Rubinstein, Horowitz, Zimmerman u.a), erfährt man nichts über deren Psyche, aber sehr viel über die Dimensionen der erklingenden Musik.

Erstklassige Interpreten wie Horowitz haben eher nicht öffentlich gespielt, wenn sie mit ihren "Befindlichkeiten" zu kämpfen hatten. Wenn sie in solchen Phasen öffentlich aufgetreten sind, hat man die Befindlichkeiten sehr wohl gehört, auch ohne dass sie diese Befindlichkeiten zur Schau gestellt hatten (ihnen wäre es bestimmt lieb gewesen, wenn man es ihnen nicht angemerkt hätte), ich denke da z.B. an Pogorelichs Konzerte nach dem Tod seiner Frau.
 
Passiert dir das auch in anderen Zusammenhängen, dass du Angst vor Selbstoffenbarung (Deiner Gefühle) hast oder ist das nur beim Klavierspielen so? Vielleicht bist Du eben sehr sensibel?

Ich kann deinen Ansatz allerdings deshalb nicht ganz verstehen, weil man eigentlich in jeder Situation in der man in Kontakt mit anderen Menschen hat - bewusst oder unbewusst - und nicht nur beim Musizieren, Dinge von sich preisgibt, auch natürlich Gefühle. Das ist nicht immer gleich intim, aber hat man wirklich immer alles unter Kontrolle?

Und es ist auch eine Frage der Dosierung, wieviel man offenbaren möchte. Mechanisch oder unauthentisch Klavier vorzuspielen, finde ich, ist hier nicht die Lösung.

Vielleicht wäre es gut daran zu lernen, wie man das richtige Mass für sich selbst findet, generell Emotionen auszudruecken...Aber jeder hat da natürlich seine eigenen (durchaus erweiterbaren) Grenzen.

LG LoMo
 
Man sollte daran denken, dass ein Zuhörer in der Regel vergisst, dass der Musiker sich auf der Bühne "nackt auszieht". Was ankommt ist hauptsächlich die Musik. Ich spiele ja selber oft und viel und vergesse trotzdem, wenn ich anderen zuhöre immer wieder, dass sie da so viel Intimes hineinlegen.

Wenn man ein Buch liest denkt man ja auch nicht daran, dass der Autor da seine persönlichen Gedanken, Erfahrungen und Gefühle zwangsläufig, mehr oder weniger einfließen lässt, obwohl es so ist.
Autor und Buch sind, wenn es nicht gerade eine Autobiographie oder dergleichen ist, völlig verschiedene Dinge im Kopf des Lesers.
Und wenn du eine CD einlegst, hast du dann zuerst die Gefühle des Interpreten im Kopf?
Ich denke, wenn es so ist, bist du eine Ausnahme.
 
Hi Stilblüte,

Ich kann Dir hier nicht wirklich zustimmen. Sowohl als Spieler als auch als Zuhörer denke ich an die Gefühle des Interpreten. Die Kompositionen kennt man ja oft eh schon. Auch wenn man ein Buch liest, denkt man daran, dass die persönlichen Gedanken und Gefühle da eingeflossen sind, selbst wenn der Autor es nicht beabsichtigt hatte.

Zuhörer, die diese Gedanken und Gefühle des Interpreten nicht aus dem Spiel hören können, wollen es oft gerne sogar verbal erklärt bekommen.
 
Theoretisch müsste sich eigtl. die Selbstoffenbarung einer Person, die ein Klavierstück vorträgt, auf ein Minimum reduzieren. Man sieht beispielsweise bei den allerbesten der Besten ( Michelangeli, Cziffra ), insbesondere bei Michelangeli, kaum eine Regung, ganz besonders angenehm fällt das bei Sonate Longo 449 ( K 27 ) h-Moll auf, aber auch bei anderen Werken, zum Beispiel seiner Klavier-Solo-Version von Grande Polonaise brillante Es-Dur.

Die besten also..vermeiden die Möglichkeit, IHRE EIGENEN GEFÜHLE darzustellen, zumindest durch Äußerlichkeiten und unnötige Bewegungen, da diese Äußerlichkeiten nicht relevant sind.

Horowitz sagte: "I don't do those things:" ( er zeigte dann Grimassen , woraufhin Wanda sagte: "ne pas de grimace" ( oder so. bin nicht so gut in Franze ), denn auch sie liebte so etwas anscheinend nicht, und Vladimir führte weiter aus, dass die Gefühle in die FINGER gehen sollten.

Und das finde ich gut, denn erstmal nimmt es die SICHTBAREN Ablenkungen durch - teilweise, und das ist ganz besonders schlimm, herangezüchtete SICHTBARE unnötige Gefühlsüberbetonungen durch Bewegungen, Grimassen, usw. - hinweg, so dass man sich als Zuhörer UND ZUSCHAUER vollkommen auf die Musik konzentrieren kann ohne solche beeinflussungen, und zweitens lässt die Konzentration aufs HÖREN ALLEIN ( und nicht auf die ABlenkung durch unnötige Bewegungen ) genügend Spielraum, dass sich die Pianistin / der Pianist nicht vollkommen offenbaren muss, beziehungsweise ist es dann davon abhängig, wie jeder Einzelne der Zuhörer die Interpretation wahrnimmt. Und das dürfte wohl ganz unterschiedlich sein , keinesfalls jedoch einheitlich die Meinung nach sich ziehen, "der oder die Pianistin entkleidet sich seelisch" vorm Publikum...

obwohl...:-D:-D...bei manchen...:girl::love:

LG, Olli!
 

Warum / wozu möchtest du dann Klavierunterricht?
Na, jetzt bin ich ja mittlerweile ein bisschen älter ;)

Wir sprechen hier von einem damaligen Kind.
Sämtliche Provokationen (von KL.) sind völlig daneben. Ich bin mir sicher, dass es nicht nur mir so geht/ging.

Habt ihr während der Pubertät euern Klavierlehrer von euren Gedanken erzählt? Warum sollte ich es dann über die Musik machen?

Wenn mir ein Lehrer schnaufend und schmachtend mit Grimassen etwas vorspielte oder sich sehr in die Tasten legte, fand ich das sehr befremdlich. Oder wenn man das Gefühl hatte, dass in der Person gerade sehr viel passiert. Ich sage nicht, dass ich erkenne, was genau der Spieler gerade nach außen transportiert! Aber es war genug, um zu wissen, dass ch im Gegenzug nicht ähnliche Einblicke gewähren lasse ;)

Vielleicht war das damals auch der Moment, als ich feststellte, DASS man auch Emotionen transportiert. Oder ich selbst eben ein Teil der Musik bin.

Danke an alle, die differenzierter in das Thema eingestiegen sind!
 
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Tut mir leid, ich weiß noch nicht, wie man mehrere Zitate in einen Beitrag verwurstet...
Ich kann deinen Ansatz allerdings deshalb nicht ganz verstehen, weil man eigentlich in jeder Situation in der man in Kontakt mit anderen Menschen hat - bewusst oder unbewusst - und nicht nur beim Musizieren, Dinge von sich

Und es ist auch eine Frage der Dosierung, wieviel man offenbaren möchte. Mechanisch oder unauthentisch Klavier vorzuspielen, finde ich, ist hier nicht die Lösung.

Vielleicht wäre es gut daran zu lernen, wie man das richtige Mass für sich selbst findet, generell Emotionen auszudruecken...Aber jeder hat da natürlich seine eigenen (durchaus erweiterbaren) Grenzen.

LG LoMo
Ich kann irgendwie nicht glauben, dass das für viele sonst in jungen Jahren keinerlei Problem war? (Dass ich nicht allein damit stehe, weiß ich ja aber auch schon.)
Ich gehe mal in mich und beschäftige mich mit der Frage nach der allgemeinen Bandbreite, Emotionen zu zeigen.
 
Ich habe mal einen Satz gehört: als Pianist öffnet man vor anderen seine Seele...

Es fällt mir ab und an im Unterricht zu Beginn schwer, wobei es eher daran liegt dass ich von der Arbeit komme und noch nicht ganz bei der Musik bin. Aber dann kommt der eine Moment... Und nur so weißt du auch wie du es darbieten musst vor Publikum!
 
Hi Stilblüte,

wenn man ein Buch liest, denkt man daran, dass die persönlichen Gedanken und Gefühle da eingeflossen sind, selbst wenn der Autor es nicht beabsichtigt hatte.
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Man denke zb an das Buch Feuchtgebiete, in dieser Hinsicht ein sehr interessantes Machwerk, wieviel von der Autorin steck da drin, und würde jemand in der Pubertät so ein Buch schreiben ?
 
Ich gehe mal in mich und beschäftige mich mit der Frage nach der allgemeinen Bandbreite, Emotionen zu zeigen.

Mach das, am besten auch mit professioneller Hilfe , ein Psychotherapeut ! Und jetzt nicht gleich beleidigt sein, ist heute immer noch ein Tabuthema, ist eine schlimme Schande für die, die es dafür halten ! Wenn du die Gedanken und Gefühle aus deiner Kindheit nicht richtig aufarbeitest, bleiben sie immer in dir, und lassen dich zb solche wichtigen Fragen hier stellen, für die dann allerdings nur wenige überhaupt Verständnis haben !
 
Wenn ich den Titel „Selbstoffenbarung beim Vorspiel“ des Threads lese, dann muss ich ein bisschen schmunzeln. Wären wir hier nicht im Klavierforum, hätte man dieses sehr wahrscheinlich anders ausgelegt. :-)
 
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Es gibt in der Entwicklung Heranwachsender eine Phase, in der mit dem Umgang mit Emotionalität (sei es der eigenen, sei es der anderer) Schwierigkeiten/Unsicherheiten bestehen. Sie werden dann oft negiert (manchmal auch übersteigert, gern auch im freien Wechsel zwischen beiden Extremen, oft in Abgrenzung zu den Emotionalitätsmustern der Bezugspersonen).

Als reiferer Mensch hat man dann in der Regel gelernt, Emotionalität situationsgerecht einzuschätzen und zu handhaben (zulassen, unterdrücken und die ganze Bandbreite dazwischen).

P.S. Beim Musizieren ist es m. E. eine Gratwanderung. Man sollte Emotionen erwecken, ohne sich von ihnen hinwegreißen zu lassen. Der Tenor darf ja bei "E lucevan le stelle" keinen Kloß in den Hals bekommen, aber der Zuhörer bekommt ihn (falls er die Musik versteht und der Tenor sie so transportiert, dass man sie verstehen kann).
Wenn dem Pianisten vor innerer Ergriffenheit die Finger zittern und die Arme schwach werden, erweckt er bei seinem Publikum eher Besorgnis um seinen Zustand als die Emotionalität seines Vortragsstücks.
 
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