sobald ich "bewusst" vorspiele, kommt die Nervosität.
Hat jemand einen Tipp, wie man das langsam abstellen kann?
Mit dieser Problematik hat so ziemlich jeder zu kämpfen, der etwas vorträgt/demonstriert/präsentiert. In früheren Fäden ist das wiederholt zur Sprache gekommen - fündig wird man auf der Suche nach Tipps und Empfehlungen hier zigmal.
Meine Überlegung klingt sogar ein wenig zynisch, ist es aber nicht: Es gibt nämlich eine Nervosität positiver Prägung, ohne die ein inspiriertes Musizieren auf hohem Niveau bei sehr guter Konzentration und Präsenz gar nicht möglich wäre. Unangespanntes Spiel ist langweilig, uninteressant und deshalb überflüssig. Nur darf sich eben nicht die unkontrollierbar gewordene Spannung wie eine ätzende Säure über alles ergießen und jegliche Substanz vernichten. Ich halte eine Konfrontation mit dem "Worst Case", mit einem jämmerlich gescheiterten Vorspiel, mit dem Super-GAU im Angesicht des Freundes für nicht angenehm, aber sinnstiftend. Dieses Szenario ist schon mal eingetreten? Und wie sahen die Folgen aus? War die Beziehung deshalb zu Ende? Gab es die Erkenntnis, deshalb als Mensch nichts mehr wert zu sein? Ist das irdische Dasein für alle Zeiten verpfuscht und man kann sich nun eigentlich nur noch den Strick nehmen? Ich unterstelle mal, nichts annähernd von alledem.
Solltest Du solche Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen (Schule, Familie, Berufstätigkeit, sonstige Hobbys) in vergleichbarer Ausprägung kennen, wäre das ein psychisches, aber kein künstlerisches Problem. In musikalischer Hinsicht helfen drei Aspekte:
- Bestmögliche Vorbereitung, da nur gut vorbereitete Projekte schlecht und schlecht vorbereitete Projekte desaströs enden - und gerade in Belastungssituationen (Prüfungen, Konzerte, Studioaufnahmen) treten nicht abgestellte Mängel gnadenlos ins Scheinwerferlicht
- Wiederholtes Bewältigen dieser Belastungssituationen; selbst tatsächlich eingetretene Niederlagen verlieren einiges von ihrem Schrecken, wenn es daneben viel mehr Erfolge als Mißerfolge zu verbuchen gibt
- Ein gesundes Verhältnis zu Fehlleistungen, zu Niederlagen, zum Scheitern schaffen - diese Erfahrungen sind selbst Weltstars nicht erspart geblieben; sie gehören sogar zur Persönlichkeitsbildung dazu
Nur wer überwiegend scheitert, fast nur Mißerfolge hat und auch mittel- oder langfristig objektiv nicht vorankommt, muss sich die Frage stellen, ob er auf diesem Betätigungsfeld nicht fehl am Platze ist. Andernorts ist er dies womöglich nicht - und diesen richtigen Platz im Leben gilt es zu finden. Es bleibt das Ziel, Böses mit Gutem zu überwinden - diese Aussage basiert zwar auf einem biblischen Wort aus dem 12. Kapitel des Römerbriefes, kann aber sinngemäß wohl auch von weniger christlich eingestellten Naturen so bejaht werden.
Gute Wege zur positiven Spannungsbewältigung wünscht
mit LG Rheinkultur