Vorweg: Ich bin kein Blattspieler und lerne auswendig ("leider" auch mit wenig Repitition ... ich würde gerne vom Blatt spielen können, habe das bisher aber nicht lernen können). Und am Klavier bin ich größtenteils Autodidakt.
Eigentlich bräuchte ich mal wieder Unterricht ... da hat sich sicherlich einiges eingeschlichen, wodurch ich wohl nie an die Qualität eines nicht öffentlichen Godowski herankommen werde (zum Glück halte ich das eh für utopisch ... da hätte ich wohl schon pränatal Unterricht kriegen müssen und nicht erst mit 20).
Ich "opfere" bei jeder Übesitzung einen Teil der Zeit für die Repertoirepflege.
Wenn ich täglich nur 30 Minuten üben könnte, dann wären es eventuell nur die ersten 10 Minuten. Oder ich würde mir vorher überlegen "heute mal nur Repertoire". Ich habe aber auch keinen Lehrer im Rücken, der die Hausaufgaben kontrollieren muss.
Ich bin allerdings in der Situation, dass ich theoretisch auch 5 Stunden am Tag üben könnte ... wenn ich das durchhalten würde (mehr als 2 Stunden durchgängig Klavier spielen habe ich glaube ich noch nie geschafft). Aber es gab auch schon Tage, da habe ich die insgesamt 5 Stunden gegen abend so langsam auch voll gehabt.
Mit Familie, anderen Hobbys und einem Vollzeitjob wäre das bei mir auch was anderes ... aber ich arbeite eben nur Teilzeit (20h), habe keine Kinder und habe mein restliches Leben so ziemlich auf Musik ausgerichtet.
Wenn ich mein Gespielsel über die letzten Jahre so betrachte (natürlich nur aus dem Gedächtnis ... Aufnahmen habe ich nur sehr wenige, also kann mich meine Erinnerung auch trügen), dann sehe ich, wie sich die Stücke meines festen Repertoires über die Jahre verändert haben. Ich habe mich dabei immer weiter dem angenähert, was ich gerne hören würde ... und ich betrachte diesen Prozess grundsätzlich als unabschließbar (siehe das Horowitz-Beispiel).
Wenn ich jetzt z.B. die Träumerei, oder den As-Dur-Walzer von Brahms aufnehmen würde, dann halte ich es für sehr wahrscheinlich,. dass ich in spätestens 10 Jahren beim anhören dieser Aufnahme an einigen Stellen nur denken kann "Wiesu denn bluß?".
Und bei meinen Beethovens, Bachs, Chopins wird sich das ähnlich verhalten (wahrscheinlich sogar schlimmer).
Sogar die wenigen echten "Olaf Meyers" verändern sich im Laufe der Jahre ... da das allerdings Eigenkompositionen sind (das ist MIR), gehen die Veränderungen da auch mal weiter (da werden dann Parts geändert, weggelassen oder hinzugefügt ... manchmal dienen die auch als Ausgangspunkt für eine Impro) ... bei klassischer Lteratur ändert sich primär der Ausdruck ... und genau an dem arbeite ich auch bei der Repertoirepflege.
Ich habe eine Liste von Stücken, die ich "mein Repertoire" nenne, und ich versuche all diese Stücke wenigstens ein mal im Monat auch gespielt zu haben. In den meisten Monaten klappt das sogar.
Neue Stücke gehe ich dafür relativ selten an ... momentan habe ich Debussys Clair de Lune im Zulauf (hust ... momentan ist gut, das liegt da seit einem halben Jahr).
Puh, da bin ich aber froh, dass es anderen auch so geht!
Ich kann das also toppen ... meine neuen Stücke in 2022 (so far): exakt 0 ... naja, ein paar Ideen habe ich etwas ausgearbeitet ... also 0,3.
Man darf auch nicht vergessen, dass Repertoirepflege Zeit kostet.
Repertoirepflege ist aber eben nichts, womit man effektiv Blattspiel trainieren kann ... dabei arbeitet man doch eher an Feinheiten, die eigentlich erst dann wirklich interessieren sollten, wenn die Konzentration eigentlich nicht mehr gebraucht wird, um die richtigen Noten zu spielen.
Also entweder automatisiertes Blattspiel (am Gehirn vorbei von den Augen zu den Händen) ... oder eben mehr oder weniger "auswendig".
In jedem Fall sollte man ein Stück für die Verfeinerung des eigenen Ausdrucks gut genug kennen.
Oder man hört sich einfach selbst zu und vergleicht mit Aufnahmen des Stückes, die einem gut gefallen .. dann ist es halt nicht "ups, das war jetzt aber nicht mezzopiano" sondern einfach vom Höreindruck her "oh, das war jetzt etwas zu laut".
Ich hatte mich schon gefragt, wie lange es wohl dauert, bis jemand (zu Recht!) darauf hinweist, dass es sooo einfach dann doch nicht ist.
Wenn man sich dafür zwingen muss, jeden Tag mindestens X Minuten zu üben, dann kann die Übezeitverlängerung sogar die Zeit verlängern, die man braucht, bis man zufrieden ist. Ich bin immer wieder überrascht, welche gefühlten Fortschritte sich plötzlich eingestellt haben, wenn ich ein Stück mal eine Weile nicht gespielt habe. Mehr so ein "Ach ja, das könntest du auch mal wieder spielen" ... 5 Minuten später dann "Oh, das hat ja richtig gut geklappt".
Ich gehe dann scheinbar etwas frischer und weniger verbissen da heran ... und das bringt mir persönlich unglaublich viel. Ich mache dann halt einfach Musik, statt mich an spezifischen Problem und möglichen Lösungen abzuarbeiten.