Mein asiatischer Klavierstudent

Krasses Beispiel
Weiß und Schwarz als Farben für "Gut" und "Böse". Gut - eigentlich sind das keine Farben.
Das ist in Japan genau andersrum, als bei uns ... ich glaube sogar in ganz Asien, aber sicher weiß ich es nur von Japan.
 
Wobei es mir jetzt weniger darum ging mit der Farbe eine Stimmung - in unserer oder anderer Länder Sitten Konvention - zu erfassen. Da bin ich mir einer gewissen Ablage durchaus bewusst. Ich wollte eigentlich in die Richtung "Mapping". Also Stilblüte zeigt und beschreibt eine Technik und gibt ihr einen Wert (Farbe, Zahl, Begriff). Dafür kann sie ne gewisse Zeit aufwenden und es üben lassen. Später würde dann aber "grün", spiele so, ausreichen. Es ging darum die von @Stilblüte erwähnten "langen Sätze" - durch Sprachbarriere auch noch zeitraubend und fehleranfällig - in eine kurze Anweisung zu fassen, die sich auch auf dem Blatt gut kenntlich machen lässt.

Gruß
Martin
 
Kleines Update:

Nach heutigem Vorspielen eines größeren Werkes zum ersten Mal komplett (Frühromantik, ca. 12 Minuten) arbeiteten wir daran weiter. Zwei Themen erschienen mir besonders wichtig: 1) Pedalspiel 2) Genaues lesen der Noten.

Zu 2): Student spielt zu häufig falsche Noten (keine Fehler, sondern falsch gelesen / gemerkt), ließ teilweise einen halben Takt aus, Dynamiken waren kaum hörbar etc. Das veranlasste mich, herauszufinden, ob er v.a. die Dynamiken nicht gelesen, ignoriert oder vergessen hatte, oder ob er der Meinung war, sie durchaus auszuführen und sie nur für mich nicht hörbar waren. Zum Glück war letzteres der Fall. Ich klärte ihn also darüber auf, dass die innere Klangvorstellung und das, was der Flügel an Klang ausgibt, sich beim Spieler oft mischen, der Zuhörer aber natürlich nur den Flügelklang hört. Und dass es gar nicht so einfach, aber sehr wichtig ist, das eine vom anderen unterscheiden zu können. Das leuchtete ein.
Diese Info ist sehr wichtig, gleichzeitig in ihrer Allgemeinheit aber auch recht nutzlos. Denn wenn Student gar nicht weiß, wie er/sie einen gewissen Klang erzeugen, verändern, verstärken soll, ist auch das "äußere" Hören nicht gut möglich bzw. nicht zielführend. Deshalb erfolgte anschließend eine recht extreme Unterrichtseinheit aufgrund des

1) mangelnden Pedalspiels. Wir widmeten uns ca. eine Stunde lang nur ganzen vier Takten des Werkes, herausgenommen aus einem Abschnitt, der aufgrund seiner Mehrschichtigkeit bzw. Polyphonie verhältnismäßig schwierig zu hören und zu pedalisieren ist. Tatsächlich haben wir die meiste Zeit das Pedal gar nicht benutzt. Pedalspiel kann man nämlich u.a. dadurch sehr gut lernen, dass man es weglässt - bis man an den Punkt kommt, wo man es schließlich wirklich braucht und dann auch nur dort ganz gezielt einsetzt. Besagte vier Takte wurden nun genauestens seziert, einzelne Stimmen gespielt, gehört, gesungen, dann mehrere zusammen in verschiedenen Kombinationen etc., bis er wirklich wusste, worum es ging. Nach längerem gemeinsamen Ausprobieren, Hören und Üben kam dann das Pedal dazu, und ich zeigte ihm, wann und wie genau er Finger und Pedal drücken und loslassen soll. Und oh Wunder, er spielte am Ende recht ordentliche vier Takte, wie ich sie noch nie von ihm gehört hatte!

Ich erklärte ihm auch, dass er etwas Geduld mit mir und sich haben müsse und ich deshalb so sehr genau ins Detail gehe, weil blindes Wiederholen einer Stelle ihn an diesem Punkt nicht mehr weiterbringt und er lernen soll, wie und was er genau spielt, wiederholt, übt. Und dass er sehr schön spielen können wird, wenn er dies lernt. Es hat ihm eingeleuchtet, er ist weiterhin sehr interessiert und motiviert. Außerdem wird er nun in den Semesterferien einen Deutschkurs besuchen. Auch ein freiwilliges Unterrichtsangebot, wo über Musik gesprochen wird, hat er wahrgenommen und sich gut eingebracht (ich war dabei). Es bleibt weiter spannend!
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo an alle,

Ich möchte euch von einem meiner Studenten erzählen und fragen, ob jemand Erfahrungen oder Ideen dazu hat (v.a. diejenigen, die junge Erwachsene auf professionellem Niveau unterrichten). Mein Student studiert künstlerisch-pädagogisch Klavier und ist asiatischer Herkunft (genauer möchte ich das wegen Persönlichkeitsrecht nicht eingrenzen). Er hat in seiner Kindheit und jugend die typischen Klischees erfahren: Schwarze Pädagogik im Unterricht (Druck, Beleidigungen, Schlagen, hauptsache Technik, hauptsache Chopin/Liszt/Rachmaninov möglichst schnell etc.). Nach Deutschland kam er, weil das Studium hier kostenlos ist und weil die Komponisten eben auch überwiegend Europäer waren. Nun gibt es mehrere recht schwerwiegende Probleme und ich frage mich, wie ich ihn am besten unterstützen kann.

1) Sein Deutsch ist noch ziemlich schlecht. Er hat zwar auf dem Papier C1-Niveau, aber sein Wortschatz, seine Aussprache und vor allem sein Hörverstehen sind unzureichend. Über Musik sprechen geht kaum, über Musik reflektieren quasi gar nicht, konkrete technische oder musikalische Anweisungen sind schwierig und funktionieren wenn, dann fast nur über zeigen, vor- und nachmachen etc.; zeitgleich hört er leider noch nicht besonders gut, weil er nur auf Technik und Schnellspielen getrimmt ist. Wir arbeiten hin und wieder mit Übersetzungs-App, wenn mir etwas sehr wichtig ist; ansonsten dauert es einfach lang und ist für mich (und für ihn vermutlich auch) sehr anstrengend. Kürzlich habe ich ihm sehr ins Gewissen geredet, dass sein Deutsch schnell besser werden muss, damit er vom Unterricht mehr profitiert und außerdem demnächst in Fachmethodik und Lehrproben überhaupt teilnehmen kann. Es gibt auch schon im Juli eine mündliche Prüfung... Das hat er sehr gut eingesehen und sich bedankt - aber vielleicht hat jemand trotzdem noch kurzfristige Ideen.

2) Er spielt leider sehr klischeehaft schlecht, nämlich vor allem schnell. Damit geht einher, dass er auch extrem ungenau spielt, d.h. liest ungenau und spielt dann falsche Töne (weil er sich verlesen hat), spielt schlampig (Töne fehlen), Dynamik ist schlecht ausbalanciert, er wird schneller, spielt über Klänge hinweg etc. etc. Er hat sich kürzlich sehr bedankt, da ich die erste Lehrerin seines Lebens bin, die geduldig und freundlich ist und ihm zeigt, wie man überhaupt Klavierspielt. Allerdings kann ich natürlich keine Wunder vollbringen und hatte so einen krassen Fall auch noch nicht. Meine Herangehensweise: Mit viel Zeit, Geduld und Mühe die Musik im Detail mit ihm ansehen, lesen, hören, spielen, Details wahrnehmen, ihm klarmachen, dass schnellspielen erst ganz, ganz, ganz viel später wichtig wird und sowieso von selbst kommt, wenn er genauer spielt. Das versteht er auch und es wird auch etwas besser, allerdings fällt er immer wieder in seine alten Fahrwasser zurück. Wie gesagt hört er leider nicht so gut, was es zusätzlich mühsam macht. Wie unterrichtet ihr in einem solchen Fall?

Nun könnte man natürlich auch einfach aufgeben, eine Feststellungsprüfung veranlassen etc.. Allerdings fände ich das sehr schade aus mehreren Gründen: Zum einen wäre so ein Scheitern vermutlich in jeder Hinsicht fundamental schlimm für ihn. Außerdem meine ich, hinter der ungünstigen Indoktrinatino von Laut-Schnell-Sport-Wegducken einen sehr interessierten, engagierten, ehrgeizigen und auch musikalischen Menschen aufblitzen zu sehen. Zudem ist er ungewöhnlich freundlich und zugewandt, wie ich es selbst von Einheimischen selten erlebe, und von Asiaten, die gerade erst angekommen sind, in dieser Form noch seltener. Ich kann mir vorstellen, dass nach ein paar Jahren aus ihm tatsächlich ein anständiger Pianist und vielleicht sogar Klavierlehrer wird.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wir kommen zurecht, aber vielleicht hat jemand noch zusätzliche Ideen, Erfahrungen, Hinweise... Mit KollegInnen tausche ich mich natürlich auch aus ;-)

Viele Grüße!
Stilblüte
Bin weder Klavierlehrer oder Klavierprofi noch hab ich die vielen Posts zu vorstehendem Zitat alle durchgelesen. Auch hab ich bis vor nicht langer Zeit z.B. „Für Elise“ und die „Sonate Facile“ noch für etwas unter meinem Niveau gehalten und ein besonderer Lang Lang - Fan bin ich eigentlich auch nicht, aber als ich mir kürzlich auf YouTube diese beiden Stücke, gespielt von Lang Lang anhörte - wobei ich mich erst wunderte, dass er das nicht für unter seiner Würde hielt, gab mir das einen sehr starken Impuls, meine Spielweise zu überdenken und zu verbessern und auch meine Bewertung hinsichtlich der Einteilung leichte und schwere Stücke in Frage zu stellen.

Beim Lesen des zitierten Textes dachte ich, genau diesen Impuls benötigt auch der beschriebene Student. Wenn die Aufgabe, sich das anzuhören nicht zum Erfolg führt, dann vielleicht die Aufgabe, das mal zu imitieren. Und wenn das noch immer nicht hilft, vielleicht sich selbst aufnehmen und vergleichen.

LG
 
Ich habe von diesem Beitrag und den Diskussionen viel gelernt...!
 

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