Lernmethode von Wei Tsin Fu

  • Ersteller des Themas chrzaszczyk
  • Erstellungsdatum

Wei Tsin Fu zu fünf Jahren Haft verurteilt - Tübingen - Schwäbisches Tagblatt Tübingen

Ein Segen! Wenigstens etwas. Und die Verteidigung hatte Freispruch gefordert......................................!
Grundsätzlich hat die Verteidigung die heikle Aufgabe, für den Angeklagten auch bei erwiesener Schuld noch das Günstigste herauszuholen. Inwieweit sie das durchzusetzen vermag, ist natürlich eine ganz andere Frage. Zumindest in juristischer Hinsicht besteht nun Klarheit. Darüber hinaus führt die allgemeine gesellschaftliche Ächtung von Sexualdelikten zu weiteren Konsequenzen - auch hinsichtlich der weiteren beruflichen Tätigkeit des Verurteilten.

Ein zu mehrjähriger Haft wegen sexuellen Missbrauchs verurteilter Musiklehrer und Chorleiter hier bei uns in der Region bekam zusätzlich ein fünfjähriges Berufsverbot auferlegt und ist bei den Chorverbänden einschlägig bekannt. Im Falle der Wiederaufnahme seiner Berufstätigkeit sind alle im Netzwerk erreichten Personen und Institutionen angewiesen, ihm keinesfalls nochmals berufliche Aufgaben mit Minderjährigen anzuvertrauen (Kinderchorleitung, Musikalische Früherziehung, Einzelunterricht etc.) - auch hatten ihm sämtliche von ihm betreuten Chöre und Schulen umgehend die Zusammenarbeit aufgekündigt. Übrigens gibt es hier viele Institutionen, die im Falle der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses einfordern - wer selbiges nicht beibringt, wird nicht beschäftigt.

In der "Knast-Hierarchie" unserer Haftanstalten stehen Sexualstraftäter gemeinsam mit Mördern auf der niedrigsten Stufe, habe ich in meiner Schöffenzeit am Landgericht aus kundigem Richtermund des öfteren vernommen. Da hat man auch bei seinen Mitgefangenen wahrlich nichts zu lachen.

Auch die in unseren Berufsverbänden engagierten Mitglieder und Amtsträger werden alles in ihrer Macht stehende unternehmen - allein schon aus dem Interesse heraus, dass unser Berufsstand nicht in ein falsches Licht gerät. Zigtausende Kolleginnen und Kollegen verhalten sich vorbildlich und einwandfrei - und daran sollten einzelne "schwarze Schafe" grundsätzlich nichts ändern.

Mit zuversichtlichen Grüßen, nicht nur an chiarina,
von Rheinkultur
 
Auch die in unseren Berufsverbänden engagierten Mitglieder und Amtsträger werden alles in ihrer Macht stehende unternehmen - allein schon aus dem Interesse heraus, dass unser Berufsstand nicht in ein falsches Licht gerät.

Lieber Rheinkultur,

genau das ist der Grund, wieso ich mich hier so engagiere! Klavierunterricht findet meistens als Einzelunterricht statt und für mich ist es unerträglich, dass jemand meinen Beruf, der neben entsprechendem Fachwissen hohe ethische Standards erfordert (wie jede pädagogische Tätigkeit), zu solchen Zwecken missbraucht. Ich habe noch nicht mitbekommen, dass unter Kollegen nun entsprechende Diskussionen stattfinden - das wäre m. E. dringend erforderlich.

In diesem Artikel

Tübingen: Haft für Klavierlehrer wegen Missbrauchs - Nachrichten :: Baden-Württemberg | SWR.de

steht noch mehr darüber.

Grundsätzlich hat die Verteidigung die heikle Aufgabe, für den Angeklagten auch bei erwiesener Schuld noch das Günstigste herauszuholen.

Das ist völlig richtig! Mich erschüttert einfach, dass im Artikel steht:

"Der Angeklagte bestritt, dass es zu sexuellen Berührungen im Unterricht oder auf Reisen gekommen sei. Zu dem Vorwurf, er habe mit dem 16-Jährigen Geschlechtsverkehr gehabt, als dieser schlief, hatte der Klavierlehrer angegeben, dass dies auf Wunsch des Jugendlichen geschehen sei."

und

"Der Verteidiger vertrat die Auffassung, dass die Aussagen vieler Zeugen nicht glaubwürdig gewesen seien. Darunter waren auch Zeugen, die nach eigener Aussage Opfer des Angeklagten waren, wobei die Taten zum Teil schon verjährt waren, sowie Eltern von Klavierschülern."

Mir ist klar, dass der Verteidiger damit "seinen Job macht". Wei Tsin Fu aber disqualifiziert sich durch diese Haltung, aber vor allem natürlich in erster Linie durch seine Übergriffe, als Mensch, Lehrer und Pädagoge völlig!

Liebe Grüße

chiarina
 
Wei Tsin Fu aber disqualifiziert sich durch diese Haltung, aber vor allem natürlich in erster Linie durch seine Übergriffe, als Mensch, Lehrer und Pädagoge völlig!
...eine wenig schmeichelhafte, indes aber wohl recht realistische Darstellung zeigt dieser Bericht:
Tübinger Klavierlehrer wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt - Reutlinger General-Anzeiger - Region Reutlingen - Tübingen

die Unterrichtskräfte der von Wei Tsin fu alias Y. Goennawan gegründeten Musikschulen distanzieren sich, benennen sich mittlerweile auch anders (man nennt sich nicht mehr hochtrabend "international brain academy" etc) - allerdings an der angeblich hirnhälftenverschaltenden und nervenanregenden "Methode" scheint man festhalten zu wollen... es steht zu hoffen, dass sich nach und nach seriöse Unterrichtskonzepte auch dort durchsetzen werden. (hierzu die beiden letzten Absätze dieses Artikels: Der tiefe Fall des Wei Tsin Fu | Südwest Presse Online )
 
Ein Dankeschön an rolf für das Recherchieren von Quellen, die hier in einigen hundert Kilometern Entfernung schwerer ausfindig gemacht werden können, scheint mir in jedem Falle angebracht. Dass gegen die von chiarina angesprochenen Abgründe der menschlichen Seele nicht rigoroser vorgegangen werden kann, hat natürlich auch mit juristischen Sorgfaltspflichten zu tun: Schnell ist da mal ein missliebiger Pädagoge des sexuellen Missbrauchs bezichtigt, weil es in der Regel weder für noch gegen die vorgeworfenen Taten objektive Zeugen gibt, da sich pädophil Veranlagte schon gerne absichern. Erst wenn eine Verkettung zahlloser Faktoren unmissverständlich strafrechtlich relevant wird, sind juristische Entscheidungen in dieser Frage "wasserdicht": Bei Wei ist es die Häufung an Vorfällen, das belegbare objektiv gegebene Urteilsvermögen von Belastungszeugen und weitere psychologisch relevante Faktoren in der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten. Selbstredend spielt der Besitz von kinder- und jugendpörnographischen Dokumenten eine Rolle. Millionenschwere, völlig überdimensionierte Bauprojekte kann man nicht einfach damit abtun, dass da mal einer ein wenig Pech gehabt hat - da überschreitet einer eher beim Umsetzen seiner Visionen völlig realitätsferne und selbst elementare gesetzliche Vorgaben vollkommen außer acht lassende Irrwege. Wer kann da mal schnell wieder zur Tagesordnung zurückkehren, als ob nichts passiert wäre?

Solange professionell eingestellte Fachkolleginnen und -kollegen nicht nur hier in diesem Forum die Dinge beim Namen nennen, bin ich von einer allseitigen Ablehnung derartiger Auswüchse in unserer Branche überzeugt. Die Sichtweise von rolf und chiarina dürfte sich mit der Auffassung vieler menschlich und künstlerisch einwandfrei agierender Musikpädagogen und Künstler decken - und sicherlich nicht nur ich teile diese Einschätzung uneingeschränkt.
 
Hier kommt der Richter ja auch zu dem Schluss, die Taten, die zur Verurteilung führten, seien nur die Spitze des Eisbergs. Wei Tsin Fu ist nun 65.............................. .
 
Hallo zusammen,

ich habe die letzten Tage aufmerksam verfolgt, was hier im Forum diskutiert wurde und vor allem auch, was die Medien über die Verurteilung von Wei Tsin Fu berichten. Ich bin sehr erschüttert, weil mit der Verurteilung von Wei Tsin-Fu mal wieder ein Punkt erreicht ist, an dem ich mein eigenes Weltbild neu zurechtrücken muss, weil es, wie man so schön sagt, "ins Wanken" geraten ist. Und ich denke, es ist eine psychologisch wohlverstandene und erklärbare Reaktion, wenn man dabei versucht, das Bild, das jahrelangen Bestand hatte, nicht allzu sehr zu neu kreieren zu müssen. Wenn ich Wei Tsin-Fu im Video von Chiarinas Link

Tübingen: Haft für Klavierlehrer wegen Missbrauchs - Nachrichten :: Baden-Württemberg | SWR.de

in Handschellen sehe, dann ist meine erste Reaktion, dass das alles doch nicht sein kann. Wenn eine Person, die einem jahrelang sehr viel bedeutet hat und der man sehr viel zu verdanken hat (und das ist bei mir hinsichtlich Wei Tsin-Fu der Fall), plötzlich (ich gehe davon aus, leider zu Recht) so negativ im öffentlichen Licht steht, so löst das - bei mir - einen ziemlich krassen inneren Konflikt aus. Und eigene moralische Überzeugungen werden in ein neues Licht gerückt. Es fällt mir schwer bzw. ist vielleicht sogar unmöglich - ich hoffe, Ihr versteht, wie ich das meine - mich von ihm zu distanzieren. Will ich es überhaupt? Was mache ich mit der Dankbarkeit ihm gegenüber? Wegschmeißen? Was mache ich mit der Überzeugung, selten ein beeindruckenderen Menschen kennen gelernt zu haben? Wegschmeißen? Was mache ich mit all der Faszination, dem "Feuerwerk der Emotionen" (im positiven Sinne!) die sich mit der Erinnerung an die Zeit im Hesse-Haus untrennbar verbunden haben? Wei Tsin-Fu hat uns Woche für Woche gefördert, gefordert, begeistert, fasziniert, aufgezeigt, was mit eigenem Kopf, Körper, Hände, Ohren, Augen, Gehirn möglich ist (hier sind keine zynischen Konnotationen herauszulesen). Er ist einer dieser sehr wenigen Menschen, die nicht nur extrem charismatisch sind, sondern die auch wirklich "etwas drauf haben". Denen es gelingt, Menschen für sich einzunehmen und sie über sich hinauswachsen zu lassen. Manche schwammen ganz oben auf der "Welle" mit, manche nahmen fasziniert daran teil. Es gab keine Klassen, keine Aufnahmeprüfungen, keine Lehrpläne. Es gab keine Borniertheiten, keinen Neid, kein "der ist besser und der ist schlechter, das ist richtig und das ist falsch", überhaupt gab es kaum Schlechtreden oder Lästern oder Missgunst (und - nehmt mir es nicht übel - diese sehr menschlichen Charakterschwächen häufen sich in diesem Forum manchmal ziemlich). Es drehte sich einzig allein um die Menschen und das Klavier und die Musik. Ich möchte das jetzt nicht absolutistisch-verklärt dargestellt haben, sicher gab es Tage, an denen jeder mal seine Launen hatte. Aber generell war das Umfeld diametral dem entgegengesetzt, was ich bis dato von städtischen Musikschulen (und auch - reinschnuppernderweise - von der Stuttgarter Musikhochschule) kannte: Konkurrenz, Vorspielangst, und dazu (subjektive Auffassung) oftmals Borniertheit, Titel- und Lebenslaufdünkel etc. etc. Ich habe das damals, in meiner Sturm- und Drangzeit, gern mit einem Klassik-Radiosender verglichen. Schaltet man einen solchen ein (nur als zufälliges Beispiel etwa SWR2), so hat man schwer zu tun, um aus dem oftmals angestaubten, besserwisserischen - ich möchte fast sagen: philisterhaften (weil ich das Wort so schräg und passend gleichermaßen finde) Grundtenor die Musik als diejenige urtümliche, erschütternde, alles vereinende Magie herauszuschälen, weswegen sie doch allein existiert! Wie eine Befreiung wirkte dann die Zeit im Hesse-Haus, als all dies über Bord geworfen wurde und ein gesunder, nicht weniger eifernder Wettbewerb unter den Schülern Weis entstand. Diese Welt hat Wei Tsin-Fu damals geschaffen und ich werde ihm dafür wohl mein Leben lang dankbar bleiben.

Mit diesem "Plädoyer" möchte ich Euch zeigen, dass es mir keineswegs - wie zum Beispiel Chiarina - leichtfällt, folgendem beizupflichten:

Wei Tsin Fu aber disqualifiziert sich durch diese Haltung, aber vor allem natürlich in erster Linie durch seine Übergriffe, als Mensch, Lehrer und Pädagoge völlig!

Wei Tsin-Fu ist der beste Lehrer, den ich persönlich kenne. Und - interessanterweise - kann ich das (mit Ausnahme eines Professors damals an der Uni) auf alle Disziplinen ausweiten, in denen ich in meinem Leben bisher von Lehrern unterrichtet wurde.

Ich bin völlig bei Euch (und der bei Welt der Rechtssprechung), wenn Ihr sagt, dass die sexuellen Übergriffe verurteilt werden müssen. Dass auch eine Leugnung derselben zu verurteilen ist. Ich verstehe auch die Distanzierung ihm gegenüber, die inzwischen eintritt. Aber: Ich fürchte, ich kann Wei Tsin-Fu nicht disqualifizieren, als Lehrer nicht und - ich glaube - auch als Mensch nicht.

Ich bin auch gespannt, wie die Diskussion hier weitergeht, da sich ja mit Pi4no nun ein weiterer "Insider" zu Wort gemeldet hat...

Viele Grüße an Euch alle!

Sebastian
 
lieber Sebastian75,
deinem etwas nostalgisch-verklärten Blick auf den höchst gräßlich straffälligen Herrn Goennawan, der sich seinerzeit schon im Hessehaus als "Professor" anreden ließ (was ernachweislich nie war oder ist - sehr interesant zum wie du schreibst "Titel- und Lebenslaufdünkel"...), steht die Beurteilung eines Gerichts gegenüber: dieses hat Herrn Goennawan nicht nur nach Prüfung der Sachlage wegen seiner Vergehen verurteilt zu fünf Jahren Haft, sondern diesen Herrn zusätzlich noch recht realistisch als einen, der sich in allem maßlos selbt überschätzt vorgeführt!...
...das mag dich grämen, aber evtl. denkst du mit etwas Abstand auch darüber mal nach...

...fünf Jahre Haft für Missbrauch... und laut Gericht nur für die letzten aktuellen Fälle, quasi die Spitze des Eisbergs, wie man im Gerichtssaal es ausdrückte - - du magst den Menschen Goennawan nicht dusqualifizieren?... auch hier wäre weiteres nachdenken kein Fehler...
 
Schneemanns Traum ist jetzt halt zu Ende.

Das Ganze - inklusive der "Brain-Academy" - hatte schon sehr wahnhafte Züge.
 

Lieber Rolf,

naja, das ist es ja gerade, was mir das Ganze so schwer macht. Wann verurteile ich SELBST jemanden? (Es geht hier nur um meine eigene Haltung, ich sage nicht, dass sie jemand teilen soll, der nicht eine ähnliche, prägende Zeit im Hesse-Haus verbracht hat.) Ich kann jeden von Euch, der ihn nicht kennen gelernt hat, gut verstehen, wenn er weiteres Bemühen um eine differenzierte Beurteilung von Wei Tsin-Fu oder Jonathan Goenawan hinsichtlich der Gerichtsurteile als überflüssig einstuft. Würde ich auch. Wenn mir einer eine Geschichte von einem, sagen wir, charismatischen Sportlehrer erzählt, der seine Stellung ausnutzt, seine minderjährigen Schüler sexuell zu missbrauchen, dann würde ich wahrscheinlich auch reagieren mit: "Oh je, alles Schweine, und die katholische Kirche ja erst recht, etc."
Schwer wird's erst, wenn Du diese Person dann eben als mitnichten nur negativ erlebt hast, besser gesagt: sehr positiv. Was machst du dann? Klar, du kannst das nicht wegleugnen oder romantisch-verklärt "rachmaninoffisieren" (ach, da ist mir ja ein hübsches Wort eingefallen :-)), aber dass es dann nicht ganz leicht wird mit der ganzen Beurteilung, das kann man (vielleicht) nachvollziehen.
Ich weiß ja auch (ja, ich habe den Thread fast vollständig gelesen), dass Du ihn kennst, und von der (einzigen?) ersten Begegnung überhaupt nicht angetan warst. Ich kenne Dich nicht, aber ich gehe davon aus, dass Du ein Konzertpianist auf sehr hohem Level bist und damals auch schon warst. Ich hingegen war ein junger, ehrgeiziger Schüler auf mittelmäßigem Niveau. Da war Wei Tsin-Fu ein "Volltreffer".

Ich weiß nicht, ob Euch das hilft, meine Situation zu verstehen, aber es stelle sich doch einfach mal ein jeder von Euch jeweils denjenigen Klavierlehrer (oder -in) vor, der Euch jeweils am weitesten gebracht hat oder am meisten bedeutet hat. Und jetzt stellt Euch vor, 13 Jahre später erfahrt Ihr von solchen Dingen wie sexuellem Missbrauch. Was macht Ihr? Wie urteilt Ihr? Klar: Gefängnis muss sein, Strafe muss sein. Sagt mir meine linke Gehirnhälfte. Meine rechte Gehirnhälfte hat viel schwerer zu kauen an dem Ganzen. Unterm Strich natürlich finde ich das alles richtig, Strafe muss sein, und Kindesmissbrauch ist eines der schlimmsten Verbrechen, und ich würde hier nicht so schreiben, sicher nicht ansatzweise, wenn ich ein Opfer wäre.

Vielleicht weise ich auch nochmals darauf hin, dass das ganze Ding mit Brain Academy und Professor usw. weit nach meiner Zeit aufkam, vielleicht auch als psychologisch zumindest ansatzweise nachvollziehbare Reaktion auf die Sache mit dem Konzerthaus in Tübingen.

Ich möchte mich hier auch nicht als blinder Jünger gerieren, das habe ich schon einmal betont. Ich selbst hatte auch Differenzen mit Wei Tsin-Fu und distanziere mich von einigem an Inhalten und Ideen der "Brain" Akademien. Und natürlich entschieden gegen sexuellen Missbrauch. Ich habe auch keinerlei Kontakt mehr zu ihm (das letzte Mal habe ich ihn vor vier Jahren kurz getroffen).

Lassen wir es bei folgender persönlicher Aussage: Ich habe ihm extrem viel zu verdanken. Das wird sich nicht ändern.
Und lassen wir es bei folgender allgemeiner Aussage: Er ist ein Lehrer, der seine Schüler in sehr schneller Zeit zu sehr guten Leistungen führen kann. Dies kann man zwar nicht unbedingt mit Youtube-Videos beweisen, aber Achtung: schlechte Youtube-Videos beweisen auch nicht erschöpfend das Gegenteil.
Und wir vergessen dabei keinesfalls: Er hat einige seiner Schüler sexuell missbraucht.

Ich glaube, man hätte immer gerne alles einfach. Das ist gut, das ist verdammenswert. Das ist wertvoll, das ist Ramsch. Das ist wahr, das ist falsch. Das ist "musikalisch", das ist nicht "musikalisch".

Bei Wei Tsin-Fus Verhaltem gegenüber seinen schutzbefohlenen Schülern ist die Entscheidung klar: verdammenswert.

Er disqualifiziert sich damit definitiv als Lehrer, der zu (wehrlosen) Schülern Kontakt haben sollte. Aber er disqualifiziert sich nicht als Lehrer im Sinne einer Person, die aus ihren Schülern auch aus ihrer eigenen Sicht heraus unerwartete Leistungen herausholt, und schon gar nicht im Nachhinein.
 
Lieber Rolf,

naja, das ist es ja gerade, was mir das Ganze so schwer macht. Wann verurteile ich SELBST jemanden? (Es geht hier nur um meine eigene Haltung, ich sage nicht, dass sie jemand teilen soll, der nicht eine ähnliche, prägende Zeit im Hesse-Haus verbracht hat.) Ich kann jeden von Euch, der ihn nicht kennen gelernt hat, gut verstehen, wenn er weiteres Bemühen um eine differenzierte Beurteilung von Wei Tsin-Fu oder Jonathan Goenawan hinsichtlich der Gerichtsurteile als überflüssig einstuft.

lieber Sebastian75,
ich erinnere nochmal daran, dass ich (übrigens unaufgefordert) Herrn Goenawan zu seinen Hessehauszeiten kennen gelernt hatte; davon hab ich ja schon zur Genüge hier berichtet... und es war zu dieser Zeit (ist jetzt ca. 13 oder 15 Jahre her, um den Dreh rum 8war noch DM-Zeit)) schon so, wie ich es beschrieben habe (manches verquere kam nicht erst nach der Pfändung des Hessehauses!)

ansonsten kann ich deine Schwierigkeiten bzgl. deiner Haltung zu Goenawan verstehen, und es ehrt dich, dass du das so offen aussprichst - dennoch steckt darin etwas, was mir nicht behagt: ein unausgesprochener Versuch der Relativierung zwischen den Zeilen. Auch enthielten deine beiden jüngsten Beiträge, wenn auch sehr vorsichtig formuliert und abgeschwächt, das alte Lied von den weniger tauglichen Musikhochschulen und deren Professoren und der quasi messianischen vermeintlichen Alternative - was auch immer du für dich für Eindrücke hast, sie werden objektive sachliche Einschätzungen nicht außer Kraft setzen.
 
Lieber Rolf,

meine Erfahrungen mit Musikschulen und -hochschulen waren nicht negativ, so sollte das nicht rüberkommen. Ich persönlich habe einige Erlebnisse gehabt (ich weiß noch, wie ich als schüchterner Abiturient die Aufnahmeprüfung für Jazz- und Popularmusik gemacht habe, an einem unglaublich heißen Julinachmittag bis 17:30 Uhr gewartet habe, bis ich mit der praktischen Prüfung dran war, mich dann vor Aufregung verhaspelte und mein weiteres Spielen dann mit einem müden "danke, das reicht schon" abgebrochen wurde, woraufhin mir einer der Professoren ein Fünfzig-Pfennig-Stück in die Hand drückte mit der Bitte, ihm einen Stock tiefer einen Kaffee aus dem Automaten zu holen; erniedrigender geht's kaum (habe dann trotzdem 20 von 24 Punkten bekommen)).
Und an den städtischen Musikschulen habe ich dann eben einige eher müde, mittelmäßig inspirierende und ihren Standard abwickelnde Lehrer gehabt, die es eben - in meinem Falle! - nicht ansatzweise so wie Wei Tsin-Fu verstanden haben, mir aufzuzeigen, was alles möglich ist. Aber ich weiß, dass es diese faszinierenden Lehrer auch an Musikschulen und natürlich vor allem auch Hochschulen gibt! Frank Sikora möchte ich z. B. nennen, den ich als Musikhochschullehrer und Didaktiker erlebt habe und den ich grandios finde.
Ich möchte also NICHT das "messianische Moment" rund um das Hesse-Haus pflegen oder verteidigen, das "schwang zwar mit" damals, war aber für mich sicherlich kein Grund, dort Unterricht zu nehmen. Man fühlt sich doch nie so wirklich gut, wenn man andere schlecht macht. Das ist mir immer etwas bitter aufgestoßen, wie überhaupt jegliche unbegründete und überflüssige Angeberei oder Eitelkeit.

Zum Thema "Relativieren": ja, das mag in der Tat in meinen beiden letzten Beiträgen durchklingen. Deshalb möchte ich das nochmal deutlich machen: ich möchte den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs in KEINER FORM relativieren oder abschwächen, auch nicht bei Wei Tsin-Fu. WAS ich relativieren oder zur Debatte stellen möchte (das ist glaube ich ein generelles philosophisches Problem) ist die Frage, ob dieser Tatbestand einen Menschen als Menschen "disqualifiziert".

Diese Frage kann ich mir natürlich auch bei anderen Delikten stellen, z. B. Mord.

Eine Antwort habe ich keine, das würde ich mir auch nicht anmaßen.
 
WAS ich relativieren oder zur Debatte stellen möchte (das ist glaube ich ein generelles philosophisches Problem) ist die Frage, ob dieser Tatbestand einen Menschen als Menschen "disqualifiziert".

Diese Frage kann ich mir natürlich auch bei anderen Delikten stellen, z. B. Mord.

Eine Antwort habe ich keine, das würde ich mir auch nicht anmaßen.

hierzu dürfte (auch um des kulturhistor. Niveaus Willen) weniger die wunderliche Biografie eines realen Klavierlehrers und seiner Sünden (nicht weniger, aber auch nicht mehr!) taugen, als ein Blick in die großen Gesellschaftsromane von Fjodor Dostojewski (z.B. Brüder Karamasow (das Gespräch iwan - Aljoscha), der Idiot, Schuld und Sühne) --- und abgesehen von diesen Fragen: das posieren als Unschuldslamm des Verurteilten wirkt äußerst schäbig...

(gräm dich bitte nicht über diese Antwort: ich schätze deine Überlegungen und wie du sie mitteilst sehr, aber ich kann dir nicht komplett zustimmen - dennoch haste ein "like" gekriegt :) )
 
Hallo zusammen,

ich habe die letzten Tage aufmerksam verfolgt, was hier im Forum diskutiert wurde und vor allem auch, was die Medien über die Verurteilung von Wei Tsin Fu berichten. Ich bin sehr erschüttert, weil mit der Verurteilung von Wei Tsin-Fu mal wieder ein Punkt erreicht ist, an dem ich mein eigenes Weltbild neu zurechtrücken muss, weil es, wie man so schön sagt, "ins Wanken" geraten ist. Und ich denke, es ist eine psychologisch wohlverstandene und erklärbare Reaktion, wenn man dabei versucht, das Bild, das jahrelangen Bestand hatte, nicht allzu sehr zu neu kreieren zu müssen. Wenn ich Wei Tsin-Fu im Video von Chiarinas Link

Tübingen: Haft für Klavierlehrer wegen Missbrauchs - Nachrichten :: Baden-Württemberg | SWR.de

in Handschellen sehe, dann ist meine erste Reaktion, dass das alles doch nicht sein kann. Wenn eine Person, die einem jahrelang sehr viel bedeutet hat und der man sehr viel zu verdanken hat (und das ist bei mir hinsichtlich Wei Tsin-Fu der Fall), plötzlich (ich gehe davon aus, leider zu Recht) so negativ im öffentlichen Licht steht, so löst das - bei mir - einen ziemlich krassen inneren Konflikt aus. Und eigene moralische Überzeugungen werden in ein neues Licht gerückt. Es fällt mir schwer bzw. ist vielleicht sogar unmöglich - ich hoffe, Ihr versteht, wie ich das meine - mich von ihm zu distanzieren. Will ich es überhaupt? Was mache ich mit der Dankbarkeit ihm gegenüber? Wegschmeißen? Was mache ich mit der Überzeugung, selten ein beeindruckenderen Menschen kennen gelernt zu haben? Wegschmeißen? Was mache ich mit all der Faszination, dem "Feuerwerk der Emotionen" (im positiven Sinne!) die sich mit der Erinnerung an die Zeit im Hesse-Haus untrennbar verbunden haben? Wei Tsin-Fu hat uns Woche für Woche gefördert, gefordert, begeistert, fasziniert, aufgezeigt, was mit eigenem Kopf, Körper, Hände, Ohren, Augen, Gehirn möglich ist (hier sind keine zynischen Konnotationen herauszulesen). Er ist einer dieser sehr wenigen Menschen, die nicht nur extrem charismatisch sind, sondern die auch wirklich "etwas drauf haben". Denen es gelingt, Menschen für sich einzunehmen und sie über sich hinauswachsen zu lassen. Manche schwammen ganz oben auf der "Welle" mit, manche nahmen fasziniert daran teil. Es gab keine Klassen, keine Aufnahmeprüfungen, keine Lehrpläne. Es gab keine Borniertheiten, keinen Neid, kein "der ist besser und der ist schlechter, das ist richtig und das ist falsch", überhaupt gab es kaum Schlechtreden oder Lästern oder Missgunst (und - nehmt mir es nicht übel - diese sehr menschlichen Charakterschwächen häufen sich in diesem Forum manchmal ziemlich). Es drehte sich einzig allein um die Menschen und das Klavier und die Musik. Ich möchte das jetzt nicht absolutistisch-verklärt dargestellt haben, sicher gab es Tage, an denen jeder mal seine Launen hatte. Aber generell war das Umfeld diametral dem entgegengesetzt, was ich bis dato von städtischen Musikschulen (und auch - reinschnuppernderweise - von der Stuttgarter Musikhochschule) kannte: Konkurrenz, Vorspielangst, und dazu (subjektive Auffassung) oftmals Borniertheit, Titel- und Lebenslaufdünkel etc. etc. Ich habe das damals, in meiner Sturm- und Drangzeit, gern mit einem Klassik-Radiosender verglichen. Schaltet man einen solchen ein (nur als zufälliges Beispiel etwa SWR2), so hat man schwer zu tun, um aus dem oftmals angestaubten, besserwisserischen - ich möchte fast sagen: philisterhaften (weil ich das Wort so schräg und passend gleichermaßen finde) Grundtenor die Musik als diejenige urtümliche, erschütternde, alles vereinende Magie herauszuschälen, weswegen sie doch allein existiert! Wie eine Befreiung wirkte dann die Zeit im Hesse-Haus, als all dies über Bord geworfen wurde und ein gesunder, nicht weniger eifernder Wettbewerb unter den Schülern Weis entstand. Diese Welt hat Wei Tsin-Fu damals geschaffen und ich werde ihm dafür wohl mein Leben lang dankbar bleiben.

Wei Tsin-Fu ist der beste Lehrer, den ich persönlich kenne. Und - interessanterweise - kann ich das (mit Ausnahme eines Professors damals an der Uni) auf alle Disziplinen ausweiten, in denen ich in meinem Leben bisher von Lehrern unterrichtet wurde.

Ich bin völlig bei Euch (und der bei Welt der Rechtssprechung), wenn Ihr sagt, dass die sexuellen Übergriffe verurteilt werden müssen. Dass auch eine Leugnung derselben zu verurteilen ist. Ich verstehe auch die Distanzierung ihm gegenüber, die inzwischen eintritt. Aber: Ich fürchte, ich kann Wei Tsin-Fu nicht disqualifizieren, als Lehrer nicht und - ich glaube - auch als Mensch nicht.

Ich bin auch gespannt, wie die Diskussion hier weitergeht, da sich ja mit Pi4no nun ein weiterer "Insider" zu Wort gemeldet hat...

Viele Grüße an Euch alle!

Sebastian

citizen-kane-clapping-gif.gif


Genau so ist es... rot hervorgehoben sind die Dinge, die ich neben dem unglaublichen Klavierunterricht auch menschlich immer so sehr am Hessehaus geschätzt habe. Schon beim Musik Leistungskurs vor dem Abi und an den staatlichen Musikhochschulen, dann jedoch noch mehr bei den Aufnahmeprüfungen, ging es oft darum, besser als der andere zu sein. Das war bei Wei nie Thema... es gab nie Druck, nur Begeisterung.

Ein junger Klavierschüler spielt auf der Bühne, ein anderer sitzt neben dem Lehrer im Publikum und flüstert dem Lehrer zu: "Du, der spielt besser als ich!". Wie oft hört man sowas in staatlichen Musik(hoch)schulen? Sicher werden jetzt welche schreien, das Umfeld sei gar nicht so negativ geprägt - doch zeigt ja selbst dieses Forum schon ein anderes Bild. Eure Argumente zum Thema "staatlich anerkannt" können mir höchstens ein müdes Lächeln entringen - als ob "bürokratisch" ein Gütesiegel wäre.

Noch zum Thema Bauruine - es wurden Wei von einigen in Tübingen sehr einflussreichen Menschen viele Steine in den Weg gelegt, was das Projekt Musikfoyer angeht... den Fehlschlag kann man auch nicht vorbehaltlos auf Herrn Gönawan schieben. Ich vermute jedoch, dass die betreffenden dies getan haben, weil sie von Weis Neigungen wussten und keine rechtlichen Schritte unternehmen konnten, von daher kann ich das nachvollziehen.

Zum Thema Pädophilie haben die Kritker meine Zustimmung, keine Frage. Wer jedoch Weis Methode, seinen Unterricht oder gar das menschlich/pädagogische Umfeld kritisiert, weiss nicht wovon er spricht... nicht umsonst kommt diese Kritik ja hauptsächlich von Außenstehenden, die es einfach nicht besser wissen (können/wollen). Die Zeit bei Wei war eine Zeit die ich nicht missen will und die mir nicht nur sehr viel gebracht hat, sondern auch sehr viel bedeutet!

Einer von Osho's Jüngern sagte mal zu mir: "If it was all a scam... well, I'll be damned. Scam me again then!".

Word.

Pi4no.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
EDIT: Da hat wohl jemand seinen Post gelöscht. Es hatte jemand geschrieben, das klänge alles nach Sekte. Darauf meine Antwort:

Dieser Vorwurf kam immer wieder - aber dass um den Wei ein gewisser Personenkult entstanden ist, hatte ich ja bereits erwähnt, das ist bekannt. Dies kam schlichtweg daher, dass er sich den Respekt und die Bewunderung sehr, sehr vieler Menschen verdiente.

Aber definiere doch mal Sekte - religiöse Gruppe? Darum ging es nie. Finanzielle Ausbeutung? Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie viele Schüler Wei kostenlos unterrichtet hat (auch volljährige also bitte keine voreiligen Schlüsse über HintergedankenÖ)

Bin mir daher nicht ganz sicher, worauf dieser Seitenhieb dann hinauslaufen soll. Es war einfach ein sehr positives Umfeld, das sich von der Tyrannei der Bürokraten befreit hatte. Man war unter Gleichgesinnten.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Genau so ist es... rot hervorgehoben sind die Dinge, die ich neben dem unglaublichen Klavierunterricht auch menschlich immer so sehr am Hessehaus geschätzt habe.

Hallo Pi4no,

schön, dass es dich noch gibt. Schade, dass du nicht auf die kritischen Äußerungen von Sebastian eingegangen bist oder diese hervorgehoben hast, aber egal... Ich hatte dir eine Frage gestellt und dir einen Vorschlag unterbreitet. Das hast du bestimmt überlesen, daher hier noch mal...

Erzähl doch mal...wie sieht denn so ein typisches Programm für deine hochdotierten Konzertabende aus, dass du mit 30-60 Minuten täglich einstudierst und vorbereitest?

Du kannst es dir doch ganz einfach machen. Stell hier einfach ein paar Videos von Konzertpianisten rein, die bei Fu das Klavierspielen von Grund auf gelernt haben, nur 30-60 Minuten täglich üben und bei denen wir grandioses Klavierspiel hören. Nach deiner Aussage gibt es da ja einige und es würde deine Position enorm verstärken.

Wäre schön, wenn du dich dazu äußern könntest...

Viele Grüße!
 
Mit diesen Ausführungen macht Sebastian75 das Dilemma deutlich: Selbst angesichts schwerer Straftaten bleibt eine nachhaltige künstlerische Prägung im Gedächtnis eines offensichtlich motivierten und leistungsbereiten Nachwuchspianisten haften. Und das ist noch nicht einmal verwunderlich: Da mögen die Kinder eines pädophilen Vaters noch so viel für die Außenwelt unfassbares Leid erlebt haben - die emotionale Bindung zum Vater ist selbst für stärkste Charaktere nicht einfach mal schnell beiseite zu schieben. Auch wenn es nicht Blut vom eigenen Blut ist - so ein Lehrer-Schüler-Verhältnis prägt schon nachhaltig das weitere Leben.

@Sebastian75: Die Prägung durch einen charismatischen und für "seine" künstlerische Aufgabe brennenden Lehrer ist faktisch gemachte Lebenserfahrung, die man - für sich isoliert betrachtet - nicht ungeschehen machen kann und soll. Dieser Lehrer mag noch so schwere Schuld auf sich geladen haben - es ist und bleibt der eigene Lehrer, das ist Tatsache und kein Grund, sich womöglich eine Mitschuld für dessen Taten einreden zu lassen. Ich versuche es mal aus einer anderen Perspektive: Wenn man die Wahl hat zwischen einem künstlerisch exzellenten und zugleich menschlich integeren Lehrer und einem künstlerisch exzellenten, aber pädophilen und sich strafrechtlich relevant verhaltenden Lehrer - für wen von beiden würde man sich dann wohl entscheiden? Die allermeisten Kolleg(inn)en verhalten sich auf der zwischenmenschlich-charakterlichen Ebene absolut korrekt und respektvoll gegenüber der Gegenseite, während Wei Tsin Fu über Jahrzehnte hinweg bei allen möglichen Gelegenheiten im Widerspruch zu Konventionen, Gesetzen und gegebenen Rahmenbedingungen (z.B. finanzielle Leistungsfähigkeit) zu handeln pflegte. Das soll heißen: Deine künstlerische Substanz hättest Du auch andernorts erwerben können - aber selbst wenn @rolf von einem nostalgisch-verklärten Blick spricht, ist jede Karriere-Station nun mal im nachhinein unabänderliche Tatsache. Für das Leben lernen heißt demnach, gewisse schwere Fehlhandlungen anderer selbst nicht zu wiederholen; an erlebter Vergangenheit kann man nichts mehr ändern, an Gegenwart und Zukunft schon.

@rolf: Ansonsten kann ich deine Schwierigkeiten bzgl. deiner Haltung zu Goenawan verstehen, und es ehrt dich, dass du das so offen aussprichst (...) - was auch immer du für dich für Eindrücke hast, sie werden objektive sachliche Einschätzungen nicht außer Kraft setzen.
Objektive sachliche Einschätzungen begegnen dem professionell tätigen Musiker nicht nur während der Ausbildungsjahre, sondern auch zu allen möglichen Gelegenheiten - oftmals auch in nicht immer willkommenen Situationen. Nur wer auf Dauer vor diesem Hintergrund kontinuierlich überzeugt, kann sich auf dem knochenharten Pianisten-Markt behaupten. Je mehr einschlägige Berufserfahrung dazu kommt, desto geringer wird die Relevanz der Ausbildungsjahre. Wenn man angesichts der Ereignisse um Herrn Goenawan feststellen muss, mitunter dem Bösen ins Angesicht geschaut zu haben, möge man im besten christlichen Sinne das Böse mit Gutem überwinden, um es mit Römer 12,21 auszudrücken. Auch wenn man den christlichen Duktus außen vor lässt: Nach den Lernjahren im Dienste der Musik folgt die Phase der eigenen künstlerischen Tätigkeit, mit denen sich manches in früheren Phasen Erlebte erstaunlich schnell relativiert. Das ist kein leeres Gerede, sondern erlebte Realität - das können viele so sagen, und viele sagen es auch.
@Sebastian75: Zum Thema "Relativieren": ja, das mag in der Tat in meinen beiden letzten Beiträgen durchklingen. Deshalb möchte ich das nochmal deutlich machen: ich möchte den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs in KEINER FORM relativieren oder abschwächen, auch nicht bei Wei Tsin-Fu. WAS ich relativieren oder zur Debatte stellen möchte (das ist glaube ich ein generelles philosophisches Problem) ist die Frage, ob dieser Tatbestand einen Menschen als Menschen "disqualifiziert".
Einen Menschen als Pädagogen disqualifizieren solche schweren Straftaten allerdings schon: In früheren Beiträgen kam ausführlich zur Sprache, was das Wirken eines Pädagogen kennzeichnet, der nun mal nicht nur musikalische Kenntnisse und künstlerische Inhalte vermittelt, sondern maßgeblich an der Persönlichkeitsbildung seiner Schützlinge (im juristischen Sinne Schutzbefohlene) beteiligt ist. Gerade @chiarina hat mehrfach die maßgeblichen Fakten exzellent auf den Punkt gebracht - da gibt es einfach nichts zu relativieren, zumal Wei Tsin Fu sich nicht nur einmalig, sondern unzählige Male ganz massiv falsch verhalten hat und offensichtlich einem völlig realitätsfernen und nur in seiner persönlichen Sichtweise zutreffenden Weltbild anhängt. Wenn selbst das Gericht vor dem Hintergrund umfänglicher Sorgfaltspflichten von einer "Spitze des Eisbergs" ausgehen muss, würde man auch in Berufsverbänden intern bei Empfehlungen zur Besetzung von vakanten Positionen davor warnen, Herrn Goenawan mit Aufgaben im Kinder- und Jugendbereich zu betrauen - schon aus Gründen der eigenen Berufsstandssicherung. Dass die Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen in weiten Teilen der Bevölkerung die Auffassung gefördert haben, in Kirchen (vor allem in den katholischen) wimmele es nur so vor abartig und pervers veranlagten (potenziellen) Verbrechern, macht den Handlungsbedarf auch in unserer Branche ja deutlich.
Es gab keine Klassen, keine Aufnahmeprüfungen, keine Lehrpläne. Es gab keine Borniertheiten, keinen Neid, kein "der ist besser und der ist schlechter, das ist richtig und das ist falsch", überhaupt gab es kaum Schlechtreden oder Lästern oder Missgunst (und - nehmt mir es nicht übel - diese sehr menschlichen Charakterschwächen häufen sich in diesem Forum manchmal ziemlich). Es drehte sich einzig allein um die Menschen und das Klavier und die Musik. (...) Diese Welt hat Wei Tsin-Fu damals geschaffen und ich werde ihm dafür wohl mein Leben lang dankbar bleiben.
Ich kann mir gut vorstellen, dass angesichts der durch brutalen Leistungsdruck und gnadenlosen Verdrängungswettbewerb geprägten Realität einem solche Lernbedingungen zunächst fast paradiesisch vorkommen: Es geht nur um Musik, jeder fühlt sich respektiert und ernst genommen etc. - und dann soll da gar nichts mehr sein? Auf einmal schaut man in finstere Abgründe der menschlichen Seele?
Und lassen wir es bei folgender allgemeiner Aussage: Er ist ein Lehrer, der seine Schüler in sehr schneller Zeit zu sehr guten Leistungen führen kann. Dies kann man zwar nicht unbedingt mit Youtube-Videos beweisen, aber Achtung: schlechte Youtube-Videos beweisen auch nicht erschöpfend das Gegenteil.
Sehr gute Leistungen lassen sich sehr wohl auch auf Youtube ausfindig machen. Die IBA-Konzepte sind ja als außergewöhnlich und leistungsstark propagiert worden; da ist es klar, dass man auch entsprechende Resultate sehen respektive hören möchte! Wenn dann Wunsch und Wirklichkeit nicht zusammenpassen, muss man auch in Fachkreisen auf diesen Widerspruch eingehen. Böses mit Gutem überwinden heißt in diesem Fall: Die öffentliche Aufmerksamkeit von schlechten auf gute Youtube-Videos verlagern - einfach produzieren und reinstellen...! Oder man wählt andere Möglichkeiten, seine Exklusivität zu dokumentieren. Nur: Wenn bessere Dokumente zur Beurteilung nicht verfügbar sind, kann man diese auch nicht zugunsten seiner Urheber werten.

Herzliche Grüße von
Rheinkultur
 

Zurück
Top Bottom